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Interview

Darf man einen Kannibalenfilm als "LGBTQ+" listen, Luca Guadagnino?

Mit "Bones and All" startet heute der neue Film von Luca Guadagnino im Kino. Wir sprachen mit dem italienischen Regisseur über ultimative Tabus, Außenseiter*innen und seinen Star Timothée Chamalet.


Timothée Chamalet als junger Kannibale Lee in "Bones and All" (Bild: Yannis Drakoulidis / Metro Goldwyn Mayer Pictures)

Für sein Kinodebüt kann sich Luca Guadagnino gleich Tilda Swinton sichern. Sie spielt 1999 im Thriller "The Protagonist" eine Regisseurin, die eine Dokumentation über einen Mordfall drehen will. In Venedig startet danach "A Bigger Splash", ein Remake des Erotik-Klassikers "Der Swimmingpool". Statt Romy Schneider und Alain Delon turteln Tilda Swinton und Matthias Schoenaerts am Beckenrand.

Der große Coup folgt mit "Call Me by Your Name", einer romantischen Liebesgeschichte zwischen einem Teenager und einem US-Sonnyboy im sommerlichen Bella Italia der 1980er Jahre. Für Timothée Chamalet gerät die Rolle zum Startschuss einer großen Karriere – nicht nur wegen seiner einfallsreichen Nutzung eines Pfirsichs als Sex-Spielzeug.

Der 26-jährige New Yorker übernimmt nun die Hauptrolle als einsamer Kannibale in Guadagninos neuestem Film "Bones and All". Für Chamalets Filmpartnerin Taylor Russell gab es in Venedig den Schauspiel-Preis, der 51-jährige Filmemacher wurde mit dem Regie-Preis prämiert. Zum deutschen Kinostart konnten wir ihn interviewen.


Luca Guadagnino 2017 auf der Berlinale (Bild: Elena Ringo / wikipedia)

Signor Guadagnino, von Ihrem Kollegen John Waters stammt der Satz, er wäre erst zufrieden, wenn das Publikum sich im Kino übergebe. Geht es Ihnen ähnlich, wenn feinfühlige Zuschauer*­innen bei den blutigen Menschfresser-Szenen schockiert aus Ihrem Film fliehen?

Nein, das ist überhaupt nicht meine Haltung. Ich hatte das Vergnügen, den Film mit ganz unterschiedlichem Publikum in verschiedenen Ländern zu erleben. Die Zuschauenden haben den Film wirklich umarmt und gespürt, mit welcher Leidenschaft diese Figuren dargestellt werden. Vermutlich gibt es einzelne Leute, die das Kino vorzeitig verlassen haben. Aber das ist eine Seltenheit und ein Vorgang, welcher diesem Film nicht gerecht wird.

Dies ist Ihr erster Film, der in den USA spielt. Ist es Zufall, dass es ein Horrorfilm wurde?

Für mich hat sich dieser Stoff nie als Horrorfilm angefühlt. Ich bin einfach Maren und Lee, den beiden Hauptfiguren, gefolgt. Die beiden Kids leiden unter einer Last, von der sie sich freimachen wollen. Als sie sich kennen lernen, wird das zur Chance, einen Ausweg aus ihren unerträglichen Verhältnissen zu finden. Einen Horrorfilm nach gängigen Genre-Regeln muss ich erst noch drehen – ob das je passieren wird, bezweifele ich allerdings.

Verstehen Sie "Bones and All" als politischen Film?

Jeder Film ist politisch. Selbst der anscheinend harmloseste Kinderfilm ist politisch!

Sie zeigen das Amerika der 1980er Jahre unter Ronald Reagan. Was wollen Sie damit sagen?

Es geht mir weniger um das Sagen als um das Zeigen. Es geht um ein Land, das wunderschön ist. Zugleich ist es erfüllt von Verlust und Trauer. Man spürt die Konsequenzen, die ein Ultra-Kapitalismus nach sich zieht, der die Menschen zurücklässt. Mir geht es nur darum, diese Dinge zu beschreiben. Ich möchte keine Vorträge darüber halten – was hoffentlich gelingt!


Poster zum Film: "Bones and All" startet am 24. November 2022 im Kino

Sie drehen Filme über Außenseiter*­innen, bezeichnen sich gerne auch selbst als Außenseiter. Hat sich diese Rolle durch die Erfolge Ihrer Filme verändert?

Ein Außenseiter zu sein hat absolut nichts damit zu tun, wie deine Arbeit bewertet wird. Es geht immer darum, sich selbst zu verstehen. Wir alle spüren eine gewisse Leere in uns, mit der wir umgehen müssen. Ich spiele definitiv nicht nach den Regeln, sondern nach der Musik, die ich in meinem Kopf höre. Diese teile ich mit den Menschen, die ich liebe. Ich stelle mich nicht in das Zentrum von Dingen, selbst wenn ich damit einen gewissen Erfolg habe.

Auf dem Filmfest in Zürich wurde "Bones and All" mit dem Hashtag LGBTQ+ geführt. Sind Sie einverstanden mit dem Etikett?

Ich bin damit weder einverstanden noch widerspreche ich. Wenn ein Film fertig ist, kann jeder damit machen, was er möchte. Es ist nicht meine Aufgabe zu beurteilen, welches Label gefunden wird oder ob man das benötigt. Mir ist da alles recht.

Mit "Call Me by Your Name" haben Sie Timothée Chalamet zum Star gemacht, der es als erster Mann sogar auf die Titelseite der britischen "Vogue" brachte. Als Kannibale lassen Sie ihn gern mit nacktem Oberkörper durchs Bild laufen, inklusive Quickie mit einem Schausteller im Maisfeld. Wie sieht Chamalet sein Image, welches Verhältnis haben Sie zu Ihrem Star?

Wie er sein Image sieht, müsste er selbst beantworten. Für mich ist Timothée ein sehr guter Freund und ein Künstler, der ein großes Interesse am Kino hat. Die Arbeit mit ihm ist eine wunderbare, gemeinsame Reise, die hoffentlich noch lange nicht zu Ende geht. Wir mögen beide Filme, die herausfordernd, provokativ und hoffentlich bedeutungsvoll sind. Deswegen tritt er hier erstmals auch als Produzent auf. .

Sind Sie von der Karriere Ihrer Schauspiel-Entdeckung überrascht oder haben sie damit gerechnet?

Ich bin begeistert. Ich weiß nicht, ob ich überrascht bin. Es macht mich glücklich zu sehen, welche Liebe Timothée von den Menschen erhält. Und es ist wunderbar, wie er auf diese Liebe mit noch mehr Liebe reagiert.

Das Thema Kannibalismus spielt in der Kultur immer wieder eine Rolle. Woher rührt diese Faszination?

Kannibalismus ist ein ultimatives Tabu. Es besteht völlig zurecht und sollte nicht gebrochen werden! Allerdings ist es als Metapher nur eine Sublimation. Im Song "Cannibal" singt Marcus Mumford: "I love you. I want to eat you!", das Musikvideo dazu hat kein Geringerer als Steven Spielberg gedreht! Und beim Anblick der Wangen eines Babys, hört man nicht selten: Zum Hineinbeißen! Es ist unser Bedürfnis nach Extra-Liebe. Es ist der Wunsch, jemanden zu besitzen in der extremsten Form.

Da wecken Sie hoffentlich keine Begehrlichkeiten…

Kino ist eine Kunst, die einen zu Orten bringen kann, an denen man metaphorisch Dinge erleben kann, die man in der Wirklichkeit nie tun würde. Und die man niemals tun sollte.

Direktlink | Deutscher Trailer zu "Bones and All"
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Waren Sie angetan vom Dreh in den USA oder machen Sie lieber Filme in der Heimat?

Das Problem ist nicht Amerika oder Italien. Das Problem ist, dass ich am liebsten gar nichts tue. Ich bin nicht der größte Fan von einem Film-Set, mehr noch: Ich mag Dreharbeiten überhaupt nicht Ich möchte nicht jeden Tag die Fragen von 100 Leuten beantworten müssen und jede Minute Entscheidungen treffen. Aber es ist nun einmal meine Arbeit, mein Leben. Was soll ich machen? Damit verdiene ich mein Geld, das muss ich akzeptieren. (lacht)

Wie steht es mit Ihren Plänen einer "Buddenbrooks"-Verfilmung?

Ich bin begeistert von diesem Meisterwerk und bin mir sicher, etwas Gutes daraus machen zu können. Die Mann-Familie hat es mir schon immer angetan. Nicht nur Thomas, sondern auch sein Bruder Klaus, von dem ich aktuell "Mephisto" lese.

Infos zum Film

Bones and All. Drama, Horrorfilm, Liebesfilm. Italien, USA 2022. Regie: Luca Guadagnino. Cast: Timothee Chalamet, Michael Stuhlbarg, Taylor Russell McKenzie, Mark Rylance, Chloe Sevigny. Sprache: deutsche Synchronfassung. Laufzeit: 131 Minuten. FSK 16. Verleih: Warner Bros. Germany. Kinostart: 24. November 2022

#1 RosmullahAnonym
  • 24.11.2022, 08:36h
  • Der Regisseur kann laut eigener Aussage nichts dafür, doch einen Kannibalen Film als LGBTQ+ zu Listen ist genauso falsch, gefährlich und unfassbar unverschämt, wie einen Pädophilen Film als LGBTQ+ zu listen. Könnte kotzen!
    Auch die Darstellung dieses Films hier, indem Kannibalismus als "unorthodoxes Verlangen" verklärt wird, finde ich unerträglich! Kannibalismus hat NICHTS mit LGBTQ+ zu tun! Hier wird eine nicht vorhandene Parallele gezogen, weil Chalamet mal einen Bisexuellen gespielt hat. Es ist absolut unfassbar, wie sowas nun dazu führt, LGBTQ+ in die Nähe von Kannibalismus zu rücken. Das ist nicht nur real gefährlich für LGBTQ+, sondern auch massiv unfair gegenüber Chalamet.

    Klar, ich habe den Film nicht gesehen. Wer weiß, vielleicht gibt es einen schwulen Kuss nebenbei oder so oder einer der Charaktere behauptet über sich, LGBTQ+ zu sein, ohne dass dies irgendwelche wirklichen Auswirkungen auf die Geschichte hat. SELBST DANN gehört dieses Listing in die Tonne, weil jedem halbwegs sensiblen Menschen doch sofort klar sein muss, dass damit LGBTQ+ auf noch dazu unfaire Weise in die Nähe von Kannibalismus gerückt werden. Wenn das passiert erwarte ich zukünftig bei Horrorfilmen, in denen in irgendeiner Form Heterosexualität thematisiert wird ein Listing in der Kategorie HETERO! Das wäre mal korrekt und fair!
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#2 Omas MannAnonym
  • 24.11.2022, 11:00h
  • "Wie steht es mit Ihren Plänen einer "Buddenbrooks"-Verfilmung?
    Ich bin begeistert von diesem Meisterwerk und bin mir sicher, etwas Gutes daraus machen zu können. Die Mann-Familie hat es mir schon immer angetan. Nicht nur Thomas, sondern auch sein Bruder Klaus, von dem ich aktuell "Mephisto" lese."

    Klaus war der älteste Sohn von Thomas Mann, nicht sein Bruder.

    Eine sehr sehenswerte Verfilmung des "Mephisto" von Regisseur István Szabó mit Klaus Maria Brandauer in der Hauptrolle gibt es bereits. Insofern wäre es dann später bestimmt interessant zu vergleichen, wie sich die beiden Interpretationen unterscheiden, sollte Guadagnino den Stoff tatsächlich verfilmen.
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#3 RogerAnonym
  • 24.11.2022, 11:03h
  • Antwort auf #1 von Rosmullah
  • Auf mashable.com:
    "Yes, yes. Maren is a young woman, and Lee is a young man. However, in the film, Lee is presented as sexually fluid in his desires and is derided with a gay slur for the way he dresses. Beyond this though, in Guadagnino's adaptation of DeAngelis's book, cannibalism serves as a metaphor for queerness. "

    und im Interview:
    "Als Kannibale lassen Sie ihn gern mit nacktem Oberkörper durchs Bild laufen, inklusive Quickie mit einem Schausteller im Maisfeld."

    Also es scheint definitiv einen Bezug zu LGBTQ+ zu geben. Das Label wurde also nicht gegeben, weil Timothée Chamalet mal eine bisexuelle Figur gespielt hat.

    Wir müssen akzeptieren, dass es auch bei LGBTQ+ -Filmen/Büchern etc. Storylines geben kann, die uns vielleicht nicht so gefallen oder wir lieber hätten, dass diese nicht mit uns assoziiert werden. Oder wir schauen, dass es gar keine LGBTQ+ - Listen mehr gibt. Brauchts das überhaupt? Brauchen Filme überhaupt noch dieses Label?

    Ja, persönlich finde ich das Label LGBTQ+ bei FIlmen gut und ja, wenn ein Film auf einer LGBTQ+-Liste ist, erhöht sich die Chance, dass ich ihn schaue. Aber dann muss ich auch damit leben, dass auf der Liste Filme sind, die mir nicht so sehr gefallen.

    Vielleicht noch eine kleine Kritik am Interview an sich: Die Frage aus der Überschrift wurde so gar nicht gestellt. Die gestellte Frage ist m.E. nicht deckungsgleich mit der in Wirklichkeit gestellten Frage. Zudem fände ich die Frage auch korrekter, ob die "queerness" von Lee wirklich ausreicht, dass der Film unter LGBTQ+ subsumiert werden soll oder nicht. Vorliegend wurde aber nur die Frage gestellt, ob ein Film über Kannibalismus nicht als LGBTQ+ gelabelt werden darf - unabhängig davon, wie Gay, Bi, Queer oder sonst auf dem LGBTQ+-Spektrum die Figuren/Handlungen sind. Dürfte dann z.B. ein Film mit einer klar schwulen Figur, welche ihre männlichen Partner nach dem Sex tötet und dann isst nicht als LGBTQ+ betitelt werden, obwohl die sexuelle Ausrichitung des Täters und des Opfers klar in diesem Bereich angesiedelt sind und auch wichtiger Teil der Handlung ausmachen?
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