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TV-Tipp
Rosa ist 80: Probeliegen auf dem Friedhof, pausenlose Produktivität
Zu Rosa von Praunheims 80. Geburtstag am 25. November blickt arte in einer gelungenen Dokumentation auf sein Leben zurück. Viele Wegbegleiter*innen kommen darin zu Wort – auch kritisch.

Standbild aus der Doku "Glückskind. Der schwule Filmemacher Rosa von Praunheim ist 80" (Bild: arte)
- Von Michael Freckmann
25. November 2022, 04:16h 5 Min.
Es ist so eine Sache mit Geburtstagssendungen im TV. Wer überhaupt eine bekommt, kann sich geehrt fühlen. Doch bekommt die Person sie, weil man das bei einer bedeutenden Person halt so macht – oder weil dringend mal wieder an sie erinnert werden müsste? Es ist schon ein Erfolg für den Filmemacher Rosa von Praunheim, der wegen seines Fokus auf queere Themen besonders in seinen Anfängen viel Hass und Ablehnung auf sich zog, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk nun zu seinem Geburtstag ein Porträt über ihn sendet (in der Nacht zu Samstag um 0.05 Uhr bzw. schon jetzt in der arte-Mediathek).
Eigentlich sollte der Film "Rosas Abschied" heißen. Weil Rosa aber befürchtete, dann keine Aufträge mehr zu bekommen, hat er letztlich doch Einspruch gegen den Titel erhoben. Im Film gibt es dann dazu passend auf dem Berliner St. Matthäus-Friedhof mit Rosa und seinen beiden Männern ein Probeliegen auf einer Grabstätte.

Rosa von Praunheim auf dem Friedhof (Bild: arte)
"Idiotisch", findet das sein Mitbewohner Mike. "So ist das, wenn man stirbt", sagt Rosa. "Vielleicht kommt meine Mutter noch mit rein", meint sein Lebenspartner Oliver.
Der "produktivste Schwulenfilmer der Welt"
Rosa ist stolz darauf, der "produktivste Schwulenfilmer der Welt" zu sein. Über 150 Filme hat er gedreht. Die arte-Doku konzentriert sich natürlich auf "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt" aus dem Jahr 1970. Es ist der Film, mit dem die meisten Menschen heute noch immer Rosa von Praunheim verbinden. Die Doku legt auch einen Schwerpunkt auf die New Yorker Zeit von Rosa und seine Underground-Phase. Rosas damaliger Lover Brandon Judell kommt ebenfalls zu Wort und zeigt ein Foto von seinem Hintern von damals. Er hält dies für den wesentlichen Grund, dass Rosa sich in ihn verliebte.
Die vielen Filme, die Rosa auch seit den 1990er Jahren gedreht hat, werden in den Doku nicht erwähnt. Immerhin gab es fast im Jahrestakt neue Veröffentlichungen von ihm. Hierzu zählte etwa das viel beachtete Portrait "Meine Mütter" aus dem Jahr 2008 über seine leibliche Mutter und seine Pflegemutter. Oder seine Filme "Die Jungs vom Bahnhof Zoo", sowie "Männerfreundschaften" über Homosexualität in der Weimarer Klassik.
Viele Begleiter*innen Rosas charakterisieren ihn in diesem Film. Sein Lebenspartner Oliver sagt, dass Rosa nach drei Tagen am Strand durchdrehen würde, weil er ständig produktiv sein müsse. "Rosa genießt nicht", sagt auch Regisseur Axel Ranisch, der bei Praunheim studiert hat. "Er frisst alles in sich rein und scheißt die Filme aus." Seine Kamerafrau Elfi Mikesch erklärt, dass Rosa nach wie vor die Welt mit den Augen eines Kindes entdecke. Umso passender ist dann auch der Titel der Doku "Glückskind".
Wegen Outing und Aids-Schuldzuweisungen in der Kritik

Rosa von Praunheim fühlt sich wohl als das schwule Enfant terrible der Republik
Natürlich kommt in der arte-Doku auch das öffentliche Outing von Prominenten vor, das der Filmemacher in einer Talkshow Anfang der 1990er Jahre vorgenommen hat. Rosa sagt heute, er sei in dieser Phase wegen der Aids-Pandemie "in Panik" gewesen. Am Ende hatte er in dieser Zeit viele Seiten gegen sich. Einen Teil der schwulen Community und die Mehrheitsgesellschaft sowieso. Der schwule Autor und Aktivist Elmar Kraushaar erinnert in der Doku daran, dass Rosa während der Aids-Krise freizügigem Sex schwuler Männer eine Mitverantwortung für die Ausbreitung der Krankheit gab. Solche Perspektiven verhindern, dass dieser Rückblick auf 80 Lebensjahre, der so auch Bedrängnisse, Schwierigkeiten und Verletzungen anspricht, nicht zu einer reinen Lobhudelei verkommt.
Der Aktivist Wieland Speck beschreibt, wie er nach dem Erscheinen von Rosas Film "Nicht der Homosexuelle…" in Berlin an Demonstrationen teilnahm. Zu einer Zeit, als die meisten Schwulen noch dagegen waren, sich öffentlich zu zeigen. Die Demonstrationen zogen durch Straßen, in denen die schwulen Verkäufer und Friseure der dortigen Läden die Vorhänge zuzogen. Der Film galt vielen als "Nestbeschmutzung".
Die Stärke der arte-Doku ist es, dass sie so auch die queere Emanzipationsbewegung der vergangenen Jahrzehnte wieder stärker in Erinnerung ruft. Besonders für die Nachgeborenen der Schwulenbewegung der 1970er Jahre und der Aids-Krise ist diese Perspektive wertvoll. So wird auch schmerzlich klar, wie wenig dieser Emanzipationskampf heute in seiner Breite gewürdigt wird.
Gezeigt werden die verschiedenen Rosas
Die Doku spannt einen großen Bogen: Man sieht Bilder aus Rosas Jugend mit Duschszenen von ihm und von seiner Zeit im New York der 1970er Jahre. Noch vor Aids, in einem Viertel, in dem homosexuelle Freizügigkeit nach der Befreiung von "68" erblühte, aber auch Drogen und Drogenabhängige an jeder Ecke zu finden waren. Es sind Bilder einer untergegangenen Welt. Und dann ist da Rosa im Jahr 2022 in seiner Berliner Wohnung. Er sitzt in der Küche und verkündet dem Interviewpartner seine Weisheiten, holt alte Zeichnungen hervor und malt Bilder.
Doch bekommt man in dieser Doku, die zu so einem persönlichen Ereignis wie dem 80. Geburtstag entstanden ist, je den echten, den privaten Rosa zu sehen? Gezeigt werden eher die verschiedenen Rosas. Es ist ein Film über einen Künstler und über einen Filmemacher, der immer zu inszenieren weiß. Gleichzeitig ist es aber auch ein Film über einen Aktivisten, für den das Private immer politisch ist, der oft stellvertretend für andere seinen Kopf hingehalten hat und Schneisen für Nachkommende geschlagen hat.
Glückskind. Der schwule Filmemacher Rosa von Praunheim ist 80. Dokumentarfilm. Deutschland 2022. Regie: Marco Giacopuzzi. Laufzeit: 53 Minuten. Sprache: deutsche Originalfassung. Am Samstag, 26. November 2022 um 00.05 Uhr auf arte und bereits jetzt in der arte-Mediathek
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Schließlich hat noch nicht jede/r im Land die Gelegenheit, sich über die Mediathek zu versorgen.
So oder so hätte ich gerade von arte eine bessere Sendezeit erwartet - um 0:05h hätten sie dann "Nicht der Homosexuelle ist pervers..." mal wieder ausstrahlen können!