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Singer-Songwriterin

Wie sich Joni Mitchell von einem schwulen Drama inspirieren ließ

In dem Song "Two Grey Rooms" verarbeitet die kanadische Liedermacherin eine Geschichte, von der sie in einem Interview mit dem deutschen Filmregisseur Rainer Werner Fassbinder erfuhr.


Im Dezember 2021 wurde Joni Mitchell von US-Präsident Joe Biden mit dem Kennedy-Preis ausgezeichnet. Das Ordensband in den Farben des Regenbogens repräsentiert in diesem Fall nicht die LGBTI-Community, sondern soll das breite Spektrum der Fähigkeiten von Künstler*innen würdigen (Bild: IMAGO / UPI Photo)

Als queere Ikone hat sich Joni Mitchell nie einen Namen gemacht. Kein Wunder, denn von einer exzentrischen Popdiva, die sich glamourös in Szene zu setzen weiß, hat die kanadische Musikerin so gar nichts an sich. Doch gerade das ist es, was ein nicht heteronormatives Stammpublikum unter ihren Fans an ihr wertschätzt: ihre Introvertiertheit, ihre Authentizität, ihr Bemühen um einen in jeglichem Wortsinn ungeschminkten Auftritt. In vielen ihrer Songs identifiziert sie sich mit jenen, die unangepasst, einsam und ratlos sind – und keinen gängigen Erwartungshaltungen entsprechen. Auf dem Pride Festival in Toronto wurde Mitchell darum schon von manchen wie eine heimliche Schutzheilige gefeiert, selbst in ihrer Abwesenheit.

Einigen Fans der inzwischen fast achtzigjährigen Mitchell dürfte jedoch nicht bekannt sein, dass einer von ihren Songtexten auf einem innerseelischen schwulen Drama beruht. Auf den letzten der rund 600 Seiten des 2017 erschienenen (und 2020 ins Deutsche übersetzten) Buchs "Joni Mitchell – Ein Porträt" (Amazon-Affiliate-Link ) ("Reckless Daughter") berichtet ihr Biograf David Yaffe, dass der Song "Two Grey Rooms" des Albums "Night Ride Home" aus dem Jahr 1991 von einer wahren Begebenheit inspiriert ist, die einen Bekannten des Filmregisseur Rainer Werner Fassbinder betraf.

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Unerfüllte schwule Liebe im Nachkriegs-Deutschland

Der Name desjenigen, um den es geht, wird nicht erwähnt – nennen wir ihn A. Klar ist nur, dass A. aus einer Adelsfamilie stammt und sich in seiner Jugend unsterblich in einen Mann verliebt, ohne diesem gegenüber seine Gefühle zu bekennen. Es bleibt bei einer oberflächlichen Bekanntschaft, die beiden lernen sich gar nicht erst kennen. Die Wege trennen sich, doch A. kann die Geschichte nicht vergessen. Die Tabuisierung von Homosexualität im Deutschland der Nachkriegsjahre zwingt A. in Einsamkeit und Isolation. Zwei Jahrzehnte vergehen. Dann läuft ihm seine Jugendschwärmerei nichtsahnend über den Weg und A. fühlt sich wie von einem Blitz getroffen. Er folgt dem Objekt seiner Begierde und findet heraus, wo der Mann arbeitet: Es ist keine Umgebung, die der aristokratischen Herkunft von A. auch nur annähernd entspricht. Dennoch mietet er sich eine schäbige Wohnung mit zwei Zimmern an, zieht dort ein, nur um den Angebeteten jeden Tag aus dem Fenster zweimal sehen zu können: auf dessen Weg zur Arbeit und zurück. Die Liebe bleibt unerfüllt, eine Projektion.

Direktlink | Offizielles Musikvideo: Joni Mitchell singt "Two Grey Rooms"
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Diese Geschichte von unterdrückter Sehnsucht wird Joni Mitchell in dem Songtext von "Two Grey Rooms" verarbeiten, die Melodie ist dafür bereits vorhanden. Sie entstand während einer Session für ihr Album "Wilde Things Run Fast" im Jahr 1982. Mitchell nennt das Stück zunächst "Speechless", doch sie ahnt, dass es dafür einen Text gibt, den sie nur noch finden muss. Die Erleuchtung kommt, als sie in einer Zeitung ein Interview mit Rainer Werner Fassbinder entdeckt – ein Regisseur, den sie schon lange schätzt. Dessen Werke hatte sie in den 1970er- und den frühen 1980er Jahren im Film Forum Manhattan gesehen, während der Zeit, in der sie in einem Loft in SoHo wohnte. Filme wie "In einem Jahr mit 13 Monden", "Die Ehe der Maria Braun" und Lili Marleen" begeisterten sie.

Mitchell identifizierte sich mit dem einsamen Ex-Lover

Fassbinder kommt in dem Artikel auf das Schicksal von A. zu sprechen – Mitchell fühlt sich davon unmittelbar getriggert. Sie eignet sich die Geschichte an, gibt A. in ihrem Song eine Stimme, macht ihn zehn Jahre älter und schlüpft in dessen Rolle. Es ist das Jahr 1991, "Speechless" erhält einen Text und heißt nun "Two Grey Rooms":

No one knows I'm here / One day I just disappeared
And I took these two grey rooms up here / With a view
When you walk by / Below my window
Heaven knows I loved you / 30 years ago

Die Liedermacherin "identifizierte sich mit diesem verzweifelten und einsamen Ex-Lover, der von der Vergangenheit besessen war und für nichts anderes mehr lebte", so Yaffe in seinem Buch, in dem er Mitchells obsessive Herangehensweise mit "Method Acting" vergleicht.

"Dieser Song", sagt Joni Mitchell wiederum in einem Interview mit der "Los Angeles Times" im Jahr 1996, "zeigt, dass nicht alle meine Songs nur Selbstporträts sind." Allerdings ist sie es selbst, die in dem Videoclip die Rolle von A. einnimmt. Man sieht sie in einer kargen Wohnung mit Blick auf eine trostlose Stadtlandschaft. Die Einstellung wurde häufig als Reminiszenz an einen Fassbinder-Film interpretiert.

Dass es in der zu diesem Lied inspirierten Geschichte um Homosexualität und deren Tabuisierung geht, erschließt sich dabei nicht unmittelbar. Mitchell hätte zur damaligen Zeit, als die schwule Community mit Aids nicht nur von einer tödlichen Infektionskrankheit, sondern auch von Stigmatisierung und Ausgrenzung bedroht war, mit einem beherzten Hinweis ein Zeichen setzten können. Doch dafür war die Liedermacherin vermutlich viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt.

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#1 Rhubarb
  • 12.12.2022, 09:32h
  • Einer Künstlerin wie Joni Mitchell passiv-aggressive ("vermutlich viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt") Vorwürfe zu machen, wie sie ihre Texte zu schreiben oder Videos zu drehen gehabt hätte, ganz schön selbstbewusst.
  • Direktlink »

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