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Heimkino

Der Träumende und der Traumjunge

Das einfühlsame Coming-of-Age-Drama "Dream Boy" schafft einen märchenhaften Safe Space für sein jugendliches Liebespaar. Der Klassiker des queeren Kinos der 2000er Jahre ist jetzt neu auf DVD erschienen.


Verliebte Nachbarsjungen: Nathan und Roy kommen sich auch körperlich immer näher (Bild: Salzgeber)
  • Von Andreas Köhnemann
    25. Dezember 2022, 02:24h 2 5 Min.

Boy meets Boy. Das ist, in Relation zur Hetero-Variante, noch immer eher eine Ausnahme im Kino. Dennoch muss uns auch ein schwuler Coming-of-Age- und Liebesfilm etwas Besonderes in der Ausgestaltung seiner Kennlernsituation bieten, um in Erinnerung zu bleiben und um die Einzigartigkeit einer Begegnung, die emotionale Intensität im Aufeinandertreffen seiner zwei Hauptfiguren zu vermitteln.

In James Boltons Verfilmung von Jim Grimsleys Roman "Dream Boy" ist es ein alter, gelber Schulbus, der für diese Besonderheit sorgt. Die Geschichte ist in den späten 1970er Jahren angesiedelt; die Inszenierung des 2008 entstandenen Films mutet in der Darstellung des ländlichen Lebens in St. Francisville, Louisiana jedoch so zeitlos an, dass der schüchterne Schüler Nathan Davies ebenso gut ein heutiger Teenager sein könnte. Zusammen mit seinen Eltern Harland und Vivian ist er wieder einmal umgezogen. Mit unsicherer Miene blickt der 15-Jährige auf die Feldwege und Wälder, die zu seiner neuesten Heimat führen, einem abgelegenen Farmhaus in einem provinziellen, von braunem Laub bedeckten Kosmos. Regelmäßige Gottesdienste, Bibelkreise und Tischgebete bestimmen hier den Alltag. An den Wänden hängen riesige Kruzifixe.

Mit gesenktem Kopf und leicht gekrümmter Haltung bewegt sich Nathan durch diese Welt. Nur der zwei Jahre ältere Nachbarsjunge Roy, mit langer, blonder Mähne und trotzig-verschlafenem James-Dean-Blick, vermag ihn aus der permanent empfundenen Beklemmung herauszureißen.

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Heimliche Blicke im Schulbus


"Dream Boy" ist seit 15. Dezember 2022 wieder fürs Heimkino erhältlich

Und hier kommt nun besagter Schulbus ins Spiel, den Roy als Nebentätigkeit steuert. Tagtäglich ist Nathan sowohl dessen erster Fahrgast auf der Hinfahrt als auch der letzte auf dem Heimweg. "Rück ruhig näher", ermutigt ihn Roy nach einer Phase des vorsichtigen Taxierens und der heimlichen Blicke, die Bolton in einer Montagesequenz in verträumt wirkenden Bildern, beinahe im Stil eines sanft-kontemplativen Musikvideos einfängt. So arbeitet sich Nathan allmählich von Sitz zu Sitz näher an Roy heran. Dieser hat wiederum das Steuer fest in der Hand – und wird es im Laufe der entstehenden Beziehung auch nur selten und mit erkennbarem Widerwillen abgeben.

Nathan ist gut in Englisch, Roy gut in Mathe – bei der gegenseitigen Hausaufgabenhilfe in Nathans Zimmer kommt es zu einer ersten Berührung zwischen den beiden Jungs. Doch zu Refugien für die zwei Verliebten müssen letztlich Orte außerhalb des elterlichen Einflusses werden. Abgesehen vom Schulbus ist das vor allem die freie Natur, insbesondere der nächtliche Wald, dessen Atmosphäre, gerade auch auf der Tonspur, ins Düster-Märchenhafte geht. Neben Campingplätzen und Grabhügeln befindet sich dort ein Geisterhaus, um das sich allerhand Gruselgeschichten und Legenden ranken.

Ein Film mit (Alb-)Traumcharakter

Bolton spielt, ebenso wie der Autor Grimsley in der literarischen Vorlage, in der Aufdeckung der Schattenseiten des US-amerikanischen Südens immer wieder mit Genre-Elementen. Wenn sich Nathan und Roy gemeinsam mit zwei Kumpels von Roy in das angebliche Geisterhaus begeben, spuken diverse übernatürliche Southern-Gothic-Motive durch die audiovisuelle Gestaltung. An anderer Stelle lässt der Regisseur das klassische Melodram in all seiner Exzentrik auflodern: Wenn Diana Scarwid, Genre-erprobt durch den Camp-Klassiker "Meine liebe Rabenmutter" (1981), als Vivian im hellen Nachtgewand und in leidender Pose am Treppengeländer lehnt und der Theater- und Indiekino-Veteran Thomas Jay Ryan als Harland im weißen Unterhemd zur gewaltbereiten Bedrohung für die restliche Familie wird, wirken die beiden wie Figuren aus Tennessee Williams' Stück "Endstation Sehnsucht" (1947), wodurch der (Alb-)Traumcharakter des Films noch mehr betont wird.


Zwei verliebte Teenager versuchen, gemeinsam ihren Weg durch eine feindselige Welt zu gehen (Bild: Salzgeber)

"Dream Boy" stammt aus einer Zeit des queeren Kinos, in der schwulen Liebesgeschichten nur selten ein glücklicher Schluss vergönnt war. Zwischen dem Kampf gegen Ablehnung, Hass und Gewalt und der Suche nach Schutz und Geborgenheit bilden die Gefühle zwischen Nathan und Roy das Herzstück des Films. Stephan Bender und Max Roeg (Sohn des Regisseurs Nicolas Roeg und der Schauspielerin Theresa Russell) transportieren in ihren Blickwechseln und in ihren gegenseitigen Berührungen die zunehmende Anziehung zwischen den beiden Jugendlichen, zwischen dem Träumenden und dem Traumjungen.

Die Liebe kann einen Safe Space schaffen

"Es ist okay, wenn es nur zwischen uns ist", meint Roy an einer Stelle zu Nathan. Für Empowerment in Form von Sichtbarkeit scheinen Nathan und Roy am falschen Ort zu sein; die Scham wurde ihnen in der Kirche, in der High School und vor allem im Elternhaus zu sehr eingeschärft, um sich davon in diesem Leben lösen zu können.

Und doch findet "Dream Boy" für seine zwei Protagonisten bei aller Dramatik am Ende so etwas wie ein Wunder, für das wiederum kein Gott, kein Prediger und keine Kleinstadtgemeinde vonnöten sind. In der Sphäre, in der Nathan und Roy (vielleicht) ihr Glück ausagieren können, haben die beiden brutale bzw. schwache Eltern ebenso hinter sich gelassen wie aggressive Schul-Bullys und eine Ausgrenzung im Namen des Glaubens. Das, was jetzt nur zwischen ihnen ist, ist kein schmutziges Geheimnis – es ist das einzig Schöne, was je aus diesem Umfeld hervorgegangen ist. "Es ist eine Erleichterung, dass sie einander fühlen können, dass ihre Hände warm sind. Eine Erleichterung, dass sie in derselben Welt sind", heißt es bei Grimsley. Der Roman und der Film machen deutlich: Die Liebe kann einen Safe Space schaffen, selbst an den finstersten Orten.

Dieser Text erschien erstmals bei sissymag.de, dem Online-Magazin für nicht-heteronormative Kultur.

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Infos zum Film

Dream Boy. Drama. USA 2008. Nach dem gleichnamigen Bestseller-Roman von Jim Grimsley. Regie: James Bolton. Cast: Stephan Bender, Max Roeg, Thomas Jay Ryan, Diana Scarwid, Randy Wayne, Owen Beckman, Tom Gilroy. Laufzeit: 90 Minuten. Sprache: englische Originalfassung. Untertitel: Deutsch (optional). FSK 16. Salzgeber

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#1 Livio2022Anonym
  • 25.12.2022, 15:36h
  • Schöner Film. In manchen Szenen fühle ich mich selbst zurückversetzt in die Jahre 1980-1984, als ich 14jährig meine erste Liebe mit meinem Klassenkameraden erlebte. Auf keinen Fall wollte man irgendwie schwul wahrgenommen werden. In den Pausen vergnügten wir uns oft heimlich in der Turnhalle oder im Chemielabor, wenn es nicht gerade abgeschlossen war. Mit 18 wandte sich meine damalige große Liebe dann Mädchen zu. Letztes Jahr starb er 54jährig an Krebs. Mein Leben und auch Momente innigster Liebe und Leidenschaft ließ ich nochmals Revue passieren. Nach seiner Beerdigung nahm ich selbst persönlich und allein Abschied von ihm. Stand, ohne es zu merken, drei Stunden an seinem Grab.
    Kämpft bitte immer um eure Liebe und schiebt nichts auf. Das Leben ist zu kurz, um schlechten Wein zu trinken. Was mir bleibt, sind Erinnerungen an die allerschönste Zeit meines Lebens und die kann mir niemand nehmen.
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#2 NikolohoAnonym
  • 27.12.2022, 15:08h
  • Antwort auf #1 von Livio2022
  • Wie in meinem Leben, Zärtlichkeiten bis 17 mit meinen gleichaltrigen Cousin und dann wandte er sich auch dem Mädchen zu und ich tat auch so als wollte auch mit Mädchen. Jetzt mit 70 träume ich immer noch von dieser Zeit. Mein Cousin lebt aber Gottseidank noch immer und sind immer noch beste Freunde. Er weiss das mit Männer zusammen bin.
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