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Neue Serie auf queer.de

Schwule Symbole im Film

Heute fällt der Startschuss für eine 53-teilige Artikelserie: Von morgen, dem 1. Januar, bis zum 31. Dezember 2023 werden an dieser Stelle jeden Sonntag schwule Symbole im Film behandelt.


Ein wirkmächtiges schwules und lesbisches Symbol: Der Kleiderschrank steht für "coming out of the closet": "Closets" (2015)

Diese Artikelserie wurde gefördert von der Homosexuellen Selbsthilfe e.V., www.hs-verein.de

Eine Artikelserie über Barebacking, Bären und Beuteschema

Schon in der Antike drückte ein gemeinsamer Mantel eine gleichgeschlechtliche Beziehung aus, Hasen waren ein Fruchtbarkeitssymbol und die Lotus-Blume war ein Potenzsymbol. Kleidung, Tiere und Pflanzen – seit Jahrtausenden verwenden wir solche und andere Symbole für homoerotisches Begehren. Schwule Filmsymbole sind äußerst reizvoll. Sie können dechiffriert alles zum Ausdruck bringen, ohne dabei gesellschaftliche Tabus zu verletzen. Der Filmtitel "Wie die Karnickel" nach Ralf König verdeutlicht, dass wir manchmal immer noch auf die gleichen Motive wie in der Antike zurückgreifen. Über Symbole verstehen und erklären wir die schwule Welt: Wer in der Szene von Barebacking, Bären und Beuteschema spricht, wird sofort verstanden. Filme wie "Erdbeer und Schokolade" oder "Beefcake" machen Appetit auf Männer. Eine besonders hohe Symbolkraft hat der Kleiderschrank. Ohne dieses Symbol würde es Begriffe wie "Outing" und "coming out of the closet" nicht geben.

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Was ist ein Symbol?


Eine Tiermetapher? "Wie die Karnickel" (2002)

Es gibt keine genaue Definition, was ein Symbol ist, und manchmal wird der Begriff sehr unterschiedlich definiert. Man kann ein Symbol als etwas beschreiben, das für etwas anderes steht bzw. auf etwas anderes verweist, das möglicherweise in einem ganz anderen Bedeutungszusammenhang steht. Die Formulierung "entwurzelter Mensch" verweist, ausgehend von der Vorstellung einer pflanzlichen Wurzel, auf die fehlende Bindung eines Menschen. Ein Symbol ist nicht identisch mit dem, auf das es verweist: Ein "entwurzelter Baum" ist in aller Regel kein Symbol.

Die Mittel einer Symbolisierung können äußerst unterschiedlich sein. Auf Homosexualität können die Farbe Rosa, das doppelte Marszeichen (♂♂), aber auch die Zahl 175 (wegen § 175 StGB) verweisen. Zu den wirkungsmächtigsten Symbolen auch in schwulen Zusammenhängen gehören Farben, Lebensmittel, Tiere und Autos. Genauso gut können aber auch Handbewegungen, Gegenstände und Handlungen Symbole in schwulem Zusammenhang sein.

Eine Metapher ist sprachlicher Ausdruck, bei dem ein Wort aus seinem eigentlichen Bedeutungszusammenhang in einen anderen übertragen wird. Hierher können auch Sprichwörter ("Liebe macht blind"), geflügelte Worte ("Blut ist dicker als Wasser"), Redensarten bzw. Redewendungen ("Farbe bekennen") und Schimpfwörter ("Bananenlecker") gehören. Nach dem Autor Paul Ricœur präsentiert sich eine Metapher formal als sogenannter "implizierter Vergleich", d. h. als Vergleich ohne die Verwendung eines verbindenden "Wie" oder "Als" (s. Wikipedia). Nach dieser – recht engen – Definition wäre "Wie die Karnickel" (2002) nach Ralf König keine Tiermetapher.

Die Abgrenzung zu Zeichen, Allegorie und Attribut

Die Bedeutung von Symbolen wird wohl deutlicher, wenn sie in Abgrenzung zu anderen Begriffen erklärt werden. Ein Zeichen hat nur einen Hinweischarakter. Es verweist auf etwas anderes, schafft aber keine weitere Bedeutungsebene und ist damit kein Symbol. Die Fokussierung von Gleitcreme und einer offenen Kondomverpackung verweist bei schwulen Männern als Zeichen auf Analverkehr, ist aber in der Regel kein Symbol. Der Unterschied zwischen Zeichen und Symbol lässt sich am Beispiel des Zähneputzens aufzeigen. Wenn das Zähneputzen als Form der Mundhygiene auf den zuvor stattgefundenen Oralverkehr hinweist, ist es ein Zeichen. Wenn es als Substitution für den sexuellen Akt inszeniert ist, bei dem die Zahnbürste als Phallussymbol im Mund hin- und herbewegt wird, ist es ein Symbol.

Eine Allegorie ist ein Bildausdruck eines abstrakten Begriffs durch die Mittel der Kunst. Sie kann zwar auch komplex sein, hat aber meistens einen klar begrenzten Bedeutungsinhalt und ihre Dechiffrierung führt meistens zu einem klaren Gedanken: Der Fuß auf einem Geldscheffel ist eine Allegorie der Unbestechlichkeit und Justitia – dargestellt als Frau mit Augenbinde, Schwert und Waage – ist eine Allegorie der Gerechtigkeit. Allegorien wirken wie verstandesbetont-nüchterne Gedankenspiele. Im Gegensatz dazu sind Symbole emotional aufgeladener.

Ein Attribut ist in der bildenden Kunst die charakteristische Beigabe einer Figur, die eine Identifizierung dieser Figur erlaubt und eine symbolische Bedeutung haben kann, aber nicht muss. Die Waage der Justitia ist in erster Linie ein Attribut, aber auch selbst ein Symbol für Gerechtigkeit. Die Pfeile des hl. Sebastian sind immer Attribute und manchmal auch Phallussymbole.


Die Pfeile des hl. Sebastian sind Attribute und in dem Film "Sebastiane" (1977) von Derek Jarman auch Phallussymbole

Symbole sind unterschiedlich alt

Symbole beruhen häufig auf archetypischen Vorstellungsmustern, wobei ein Denken in symbolischen Bildern vermutlich noch älter als die menschliche Sprache ist. Die Bedeutung der Farbe Rot beruht vermutlich auf den frühesten Erfahrungen der Menschen mit Blut und Feuer. Ähnliches gilt für Metaphern wie "Lebensweg", durch die mittels räumlicher Distanz eine persönliche Entwicklung beschrieben wird.

Andere Symbole sind zumindest mehrere Tausend Jahre alt, wie der sogenannte "Stinkefinger" mit dem Mittelfinger als Phallussymbol, der als Ausdruck der Verachtung und Drohung schon in der Antike bekannt war und heute oft nicht mehr als eine freche Geste ist. Einige Symbole sind neu, wenn zum Beispiel in der Jugendsprache ein USB-Stick als "Datenzäpfchen" bezeichnet wird.


Der Mittelfinger ist eine Jahrtausende alte Geste. Filmszene aus "Queer as Folk" (Folge 1/11)

Symbole können entstehen und vergehen

Symbole können nicht nur neu entstehen, über wenig oder viel Ausdruckskraft verfügen, sondern vom Bedeutungsinhalt her auch "sterben". Der irische Schriftsteller Oscar Wilde trug bei Auftritten in der Öffentlichkeit immer eine grüne Nelke an seinem Revers. Nach seiner Verurteilung wegen Homosexualität 1895 entwickelte sich die grüne Nelke, als Form der Imitation Oscar Wildes, zu einem wichtigen schwulen Identifikationssymbol. In den letzten Jahrzehnten ist seine Bedeutung jedoch fast verschwunden.


Oscar Wilde (r.) mit seinem Geliebten und einer für ihn typischen grünen Nelke, die heute als Symbol fast ausgestorben ist. "Der Mann mit der grünen Nelke" (1960)

Symbole können sich verändern

Wenn sich ein Symbol verändert, gibt es zwei Möglichkeiten. Manchmal verändert sich die äußere Gestalt, während die Sinnbedeutung bleibt. So ist das Flugzeug mit Bezug auf den symbolischen Aspekt von Freiheit der "neue Adler" und das Motorrad in seiner "männlichen" Bedeutung von Kraft "das neue Pferd". Die Farbe Lila war in den Zwanzigerjahren die Farbe der Homo­sexuellenbewegung. Sie wurde ab den Siebzigerjahren durch die Farbe Rosa und den Rosa Winkel abgelöst, die wiederum in den Neunzigerjahren durch den Regenbogen abgelöst wurden. Der Inhalt ist weitgehend geblieben (im Fall des Regenbogens inzwischen allerdings auf das LGBTIQ*-Spektrum erweitert), das Symbol hat sich verändert.

Manchmal verändert sich auch die Sinnbedeutung, während die äußere Gestalt der Symbole gleichbleibt. Das KZ-Symbol des "Rosa Winkels" diente in der NS-Zeit der Stigmatisierung schwuler Männer und wurde später ein Zeichen schwulen Stolzes. Die Bedeutung hat sich verändert und sich sogar ins Gegenteil verkehrt, während das Symbol weitgehend gleich geblieben ist.


Maggie Simpson trägt beim CSD einen Luftballon in Rosa-Winkel-Form: "Die Simpsons" (Folge 13/9)

Symbole können eine nur regionale Bedeutung haben

Symbole müssen zwar von vielen Menschen als solche erkannt werden, damit sie wirken können. Begriffe wie "Coming-out" und die Regenbogen­fahne sind heute international bekannt. Die Bedeutungen von Symbolen können aber auch räumlich begrenzt und vom Kulturkreis abhängig sein. Szenen mit Hotdogs, die auf schwulen Sex verweisen, habe ich nur in US-amerikanischen Filmen gefunden.


Ein Hotdog als Symbol für Analverkehr findet man nur in amerikanischen Filmen. Eine Film-im-Film-Szene aus "Another Gay Sequel: Gays Gone Wild!" (2008)

Symbole mit wenig oder fehlender Symbolkraft

Ein Symbol kann auch über seine Wirkung definiert werden. In unserer Alltagssprache sind Sportmetaphern wie "Mitläufer" und "Überflieger" so integriert, dass sie als solche nicht mehr erkannt und in dieser Funktion auch nicht verwendet werden. Wie kann man also mit Symbolen umgehen, die so alltäglich geworden sind, dass sie gar keine Symbolkraft mehr haben?


Wer denkt hier noch an einen Kleiderschrank? "Coming Out" (1989)

Filmtitel wie "Coming Out", bei dem wohl kein Schwuler mehr an einen Kleiderschrank denkt, habe ich trotzdem aufgenommen, weil sie etymologisch die Verwendung eines Wortes dokumentieren, das sehr bedeutend für die schwule Geschichte ist.

Ich kenne jedoch auch mehrere Filmszenen, in denen darauf verwiesen wird, dass Schwule vor ihren Problemen "weglaufen". Auf solche unreflektierten und eher unbedeutenden Metaphern gehe ich nur in Ausnahmefällen ein, weil ich hier weder eine historische noch eine besondere symbolische Bedeutung sehe.

Vom Zuschauer nicht reflektierte Symbole

Anders sieht es aus, wenn von Regisseur*­innen oder Drehbuchschreiber*­innen die symbolische Bedeutung zwar reflektiert wird, aber einzelne oder auch viele Zuschauer*­innen diese Bedeutung nicht erkennen. Wenn in dem DDR-Film "Coming Out" Szenen mit Aquarien (übliche Symbole für Abhängigkeit und die Einschränkung persönlicher Freiheiten) nicht im Kontext der DDR gesehen werden, verpufft ihre Bedeutung und das, was der Regisseur ausdrücken wollte, geht an dem Zuschauer vorbei.

In anderen Fällen wirken Symbole wohl auch dann, wenn sie von den Zuschauenden nicht bewusst reflektiert werden. So werden vermutlich unbewusst dunkel gekleidete Menschen als böse und hell gekleidete Menschen als gut wahrgenommen. Heute ist durch die Sekundärliteratur bekannt, dass die Hochspannungsmasten aus der Anfangsszene von "Brokeback Mountain" (2005) nach dem Willen des Regisseurs Ang Lee die Kreuze von Golgatha symbolisieren sollen. Es bleibt eine Szene, die unheimlich und bedrückend wirkt, auch wenn sich die Bedeutung nicht aufdrängt.


Hochspannungsmasten als Kreuze von Golgatha: Die Anfangsszene aus "Brokeback Mountain" (2005)

Manchmal ist eine Zigarre nur eine Zigarre

Diese Äußerung des Psychoanalytikers Sigmund Freud ist mittlerweile ein geflügeltes Wort und warnt – vollkommen zu Recht – vor einer Überinterpretation von Symbolen bzw. Filmszenen. Es ist ein großer Reiz und gleichzeitig ein großes Problem, dass Symbole häufig uneindeutig sind und einen breiten Interpretationsspielraum bieten. Symbole sind stark kontextabhängig und ergeben sich manchmal nur durch die Hervorhebung von banal anmutenden Alltagsszenen oder durch den Schnitt zu anderen Szenen. Hinzu kommt, dass einige symbolisch aufgeladene Gegenstände, Farben usw. nicht nur eine vielschichtige, sondern auch eine ambivalente symbolische Bedeutung haben. So kann die Farbe Rot gleichermaßen für Liebe, Prostitution und Mord stehen – von weiteren Bedeutungen wie Kommunismus einmal ganz abgesehen. Aber selbst eine solche symbolische Breite bedeutet nicht, dass Filmszenen beliebig interpretierbar sind.

Die Hinweise in der von mir verwendeten Sekundärliteratur zur Deutung einzelner Filmsymbole habe ich nicht kritiklos übernommen. So halte ich die Annahme, dass in Alfred Hitchcocks "Cocktail für eine Leiche" die Hochhäuser eine phallische Symbolik hätten, für falsch – obwohl ich den breiten homo­erotischen Subtext des Films durchaus kenne. Insofern ist es für mich aber auch absehbar, dass viele Leser*­innen von queer.de bei den von mir vorgestellten symbolischen Deutungen zu anderen Einschätzungen kommen werden, und natürlich haben sie ebenfalls das Recht, meine Interpretationen zu hinterfragen und für sich selbst zu verwerfen.


Ist diese Zigarre nur eine Zigarre oder auch ein Phallus? Szene aus "Just for Leather" (2004)

Auch die Realität kann zu einem Symbol werden

In vielen Spielfilmen wird eine reale Geschichte verfilmt. So ist der Film "Swoon" (1992) ein Biopic, in dem die Geschichte der beiden Homo­sexuellen Nathan Leopold und Richard Loeb erzählt wird. Obwohl Leopold tatsächlich Ornithologe war, erlangen die Vögel, in der Form, wie sie in diesem Film dargestellt werden, eine symbolische Bedeutung. Eine reale Geschichte wird auf diese Weise durch Symbole präsentiert.

Zwischen dem Ortsnamen "Snowtown" und den dortigen Morden in den Neunzigerjahren u. a. an Homo­sexuellen gibt es keinen direkten Bezug. Die emotionale Wirkung von "Snowtown" als Filmtitel funktionierte vermutlich aber deshalb, weil sich aus dem Ortsnamen – im Sinne emotionaler Kälte – eine passende symbolische Bedeutung mit Bezug auf die Morde ableiten lässt.


Der Name "Snowtown" als Sinnbild emotionaler Kälte: "Die Morde von Snowtown" (2011)

Der Einsatz von Symbolen hat sich verändert

Der Zug, der in einen Tunnel hineingleitet, kann für Penetration stehen. Eine solche Szene am Schluss von Alfred Hitchcocks "Der unsichtbare Dritte" (1959) wird als vaginale Penetrations-Symbolik und damit als Hitchcocks "größter Sieg gegen die Zensur" bezeichnet (Wikipedia). Es ist typisch für ältere Filme, dass die Symbole auch den Zweck hatten, sexuelle Handlungen an der Zensur vorbei zu umschreiben. Besonders repressive Zensurgesetze wie den Hays Code gibt es heute nicht mehr – zumindest in der westlichen Welt.

Die Symbole von heute werden erkennbar anders eingesetzt. Sie dienen nicht mehr einer Verschleierung des Unsagbaren und des Verbotenen. Ihr Einsatz erfolgt auch nicht mehr aus einer Not heraus. Symbole im Film werden heute eingesetzt, weil sich mit ihnen die Inhalte in unterhaltsamer bzw. spannender Form in eine einprägsame Bildsprache übertragen lassen. Auch in der Zeichentrick-Sitcom "Drawn Together" (Folge 2/4) gibt es einen Zug, der in einen Tunnel einfährt. Er ist pink und führt durch einen Berg mit zwei Hügeln (= Hintern).


Ein pinker Zug fährt in einen viel zu engen Tunnel ein: "Drawn Together" (Folge 2/4)

Anschließend läuft Blut aus dem viel zu engen Tunnel. Anspielungen auf Analverkehr werden hier nicht verschleiert, sondern unterhaltsam hervorgehoben. Die Verwendung von Symbolen in der heutigen Zeit kann daher auch als Messlatte der Emanzipationsbewegung und der gesellschaftlichen Anerkennung gesehen werden.

Die schwule Heldenreise

Von den Symbolen, wie ich sie im Bereich Film aufzeige, gibt es enge Verbindungen zu den Symbolen und Bildern, die aus Träumen, Märchen, Redensarten und der Bibel bekannt sind. Das liegt daran, dass die Bilder und Vorstellungen in diesen Bereichen auf mehr oder weniger bekannten kulturellen Mustern basieren. Hollywood wird auch deshalb als "Traumfabrik" bezeichnet, weil im Film genauso wie in einem Traum die gleichen symbolhaften Bilder an die Stelle der Realität treten. Aus diesem Grund habe ich auch Redensarten in die Einleitungen der jeweiligen Folgen aufgenommen, weil sich in ihnen oft alte symbolische Bedeutungen erhalten haben. So gibt es zwar heute nicht mehr die in dem Film "Oscar Wilde" (1997) dargestellte Geste, vor einer anderen Person als Zeichen des Respektes den Hut zu ziehen, aber es gibt noch die Redensarten "Chapeau!" bzw. "Hut ab!", in denen sich diese symbolhafte Geste als Zeichen des Respektes erhalten hat.

Zu den archetypischen Grundmustern, auf denen auch Filme beruhen, gehört u. a. die sogenannte Heldenreise, die man nicht nur in Mythen und Märchen, sondern auch in Videospielen findet und die durch typische Situationsabfolgen und Figuren gekennzeichnet ist. So gehören zu den Archetypen dieser Heldenreise "der Unschuldige" und "der Sucher". Wenn in einem Coming-out-Film wie "Formula 17" (2004) ein junger und sexuell unerfahrener Mann vom Dorf in eine Großstadt zieht und auf der Suche nach seiner sexuellen Identität ist, ist es – zumindest von der Grundstruktur her – eine sehr alte Geschichte.


In "Formula 17" (2004) macht Chou Tʼien-Tsai Erfahrungen in der Großstadt Taipeh. Sein Koffer ist ein Symbol für Aufbruch und Reise

Zwei Richtungen: Ein Symbol für den Phallus und ein Phallus als Symbol

Es ist ganz selten, dass ein Symbol in beide Richtungen funktioniert: Einen Motor kann man als "Herz eines Autos" bezeichnen und das Herz eines Mannes als "Motor seines Körpers". Meistens funktioniert ein Symbol nur in eine Richtung: Interessant ist hier der Phallus – also das erigierte Glied. Es gibt sehr viele Gegenstände, wie Pistolen oder Schwerter, die den Phallus symbolisieren können, aber nur ganz wenige Fälle, in denen der Phallus selbst ein Symbol ist. So oder so geht es in Filmen oft lustvoll zu – wenn Alltagsgegenstände sexualisiert werden und Sexszenen eine Bedeutungsebene außerhalb des Sexuellen erhalten.


Eine Pistole als Phallus: "Clandestinos" (2007)

Abstraktes und Konkretes

Symbolische Bedeutungen zu beschreiben hat häufig nicht nur etwas Spekulatives, sondern auch etwas Abstraktes. Für den Filmhistoriker Vito Russo ist das Experimentieren mit Sexualität und die Suche nach dem richtigen Sexpartner in dem Film "Ernesto" (1979) eine Metapher für die Suche nach dem "Platz eines Menschen im Leben" (Vito Russo: "The Celluloid Closet", hier zitiert nach der deutschen Ausgabe "Die schwule Traumfabrik", 1990, S. 210). Nach Auffassung einer "Spiegel"-Filmkritikerin dienen die expliziten Sexszenen in "Shortbus" (2006) als "Metapher für ein aktuelles Gesellschaftsportrait" und drücken wie Kunst die individuelle Persönlichkeit der Protagonist*­innen aus (Spiegel Online, 20. Oktober 2006).

Auch wenn man bei diesen beiden Beispielen die Vielschichtigkeit von Symbolen erkennen kann, verschwimmt bei solch abstrakten Zusammenhängen die Grenze zwischen individueller Rezeption und dem, was im Bereich der Symbolforschung fundiert zu diesen Filmszenen beigesteuert werden kann. Aus diesen Gründen habe ich mich bei der Beschreibung von abstrakteren Symbolbedeutungen bewusst zurückgehalten und mich auf fassbarere Motive konzentriert.

Geschlechterklischees – Bier ist "männlich", Milch ist "weiblich"

Viele Symbole funktionieren aufgrund traditioneller Geschlechtszuschreibungen. Mädchen tragen Rosa und spielen mit Puppen, Jungen tragen Blau und spielen mit Autos. Milch gilt als Symbol für das "Weibliche". Bier ist ein Symbol für das "Männliche", wie auch die Farbe Rot, das Motorradfahren und gehörnte Tiere. Bei den symbolischen Bedeutungen kommt es nicht darauf an, ob sie den Vorstellungen von dem, was wir heute als "männlich" oder "weiblich" wahrnehmen, tatsächlich entsprechen, sondern nur darauf, ob sie im Film verwendet werden und dort funktionieren. Wer sich über Geschlechterklischees ärgert, wird sich vielleicht nicht nur über die Filme, sondern auch über meine Texte ärgern, obwohl ich die Geschlechterklischees nur dokumentiere, mir damit aber nicht zu eigen mache.


Die Entscheidung zwischen Milch und Alkohol ist auch die Entscheidung zwischen einem Mann und einer Frau: "The Score" (1974)

Pornos sind eine Bereicherung des Themas

Es mag viele irritieren, dass ich in dieser Serie auch die DVD-Cover schwuler Pornos mit berücksichtige, weil Pornos schließlich nicht in dem Ruf stehen, ausgefeilte Handlungsabläufe zu bieten. Es mag auch immer noch viele Menschen geben, für die Pornos keine etablierte Unterhaltungsform sind. Auf der Seite des Online-Porno-Shops "Simply Adult" – der nach eigenen Angaben 40.000 Pornofilme anbietet – habe ich mir mehr als tausend DVD-Cover schwuler Pornos hinsichtlich darin verwendeter Symbole angeschaut und ich bin überzeugt, dass viele der DVD-Cover durch Text und Bild spannende symbolische Bedeutungsebenen freilegen, die im Rahmen dieser Artikelserie die anderen Filme inhaltlich gut ergänzen.

In vielen Bereichen bringen diese DVD-Cover das, was sie ausdrücken möchten, sogar noch deutlicher auf den Punkt. Wo bei anderen Spielfilmen nur dezent und eher undeutlich mit (leicht phallisch wirkenden) Schläuchen hantiert wird, lassen die großen Wasserschläuche in Pornos wie "Black Firehouse" keine Zweifel an ihrer phallischen Bedeutung. Das DVD-Cover von "Black Firehouse" lässt sich auch in Verbindung mit dem Stereotyp "großer Phallus von People of Color" bringen, wobei ich solche und weitere stereotype Zuschreibungen – ähnlich wie bei Geschlechterklischees – dokumentiere, unabhängig von der Frage, ob sie tatsächlich zutreffen und ob sie als rassistisch angesehen werden können.

Im Unterschied zu allen anderen genannten Filmen habe ich mir die Pornos selbst jedoch nicht angesehen und mich über die Verwendung von Symbolen nur dann geäußert, wenn dies anhand der DVD-Cover möglich war. Sofern die DVD-Cover nicht pornographisch sind und die Verwendung von Symbolen gut verdeutlichen, habe ich sie als Bildzitate verwendet. Im Gegensatz zu allen anderen Filmen habe ich keine Jahreszahlen genannt, weil diese weder auf der oben genannten Website angegeben sind noch sich durch andere Quellen recherchieren lassen.


Der Schlauch als überdeutliche Phallus-Metapher: Szene aus dem Porno "Black Firehouse"

Hintergründe dieser Artikelserie

Vor rund zehn Jahren stieß ich zufällig auf das Buch von Wolf Donner und Jürgen Menningen "Signale der Sinnlichkeit. Filmerotik mit anderen Augen" (1987) und war schnell von dem Thema fasziniert. Weil es kein vergleichbares Buch über schwule Erotik und ihre Symbole gab (und bis heute nicht gibt), fing ich an, Filme zu sichten und parallel dazu weitere Sekundärliteratur zu lesen. Anschließend arbeitete ich einen Vortrag aus, den ich unter dem Titel "Rosa Winkel, Regenbogen und rote Rosen – Schwule Symbole im Film" in den Jahren 2016 bis 2017 in verschiedenen Städten (u.a. in Duisburg, München, Osnabrück, Mainz, Göttingen und Braunschweig) hielt.

Weil ich bei den Vorträgen immer das Gefühl hatte, dass das Thema auf Interesse stößt, entstand die Idee, das Forschungsprojekt weiter auszubauen. Aufgrund meiner regelmäßigen Arbeit für queer.de bot es sich an, eine entsprechende Artikelserie zu planen, durch die – im Gegensatz zu einem Buchprojekt – wesentlich mehr Menschen erreicht werden können und zudem Verlinkungen zu den jeweiligen Filmen (soweit online und legal verfügbar) möglich sind. Im Frühjahr 2022 stellte ich für den Ausbau des Forschungsprojektes bei der "Homo­sexuellen Selbsthilfe. Stiftung für queere Bewegungen" einen Antrag auf finanzielle Förderung, der Mitte 2022 bewilligt wurde. Für die großzügige finanzielle Unterstützung durch die HS, die diese Artikelserie erst ermöglichte, möchte ich mich auch an dieser Stelle recht herzlich bedanken.

Was euch ab morgen hier an Themen erwartet, erfahrt ihr in der folgenden Inhaltsübersicht. Motive, die in mehrfacher Hinsicht eine symbolische Bedeutung haben, habe ich dort besprochen, wo man sie eher erwarten würde, zum Beispiel rote Rosen nicht bei der Farbe Rot, sondern bei Rosen und Kerzenlicht nicht bei Feuer, sondern bei Licht. An vielen Stellen habe ich zusätzliche Verweise vorgenommen.

Die Übersicht zur 53-teiligen Serie "Schwule Symbole im Film"

I. KÖRPER UND SEXUALITÄT
1. Augen, Nase und Mund
2. Herz, Haare und Haut
3. Arme und Beine
4. Blut, Urin und Sperma
5. Sexualität, Krankheit, Verletzung und Tod

II. ESSEN, TRINKEN UND RAUCHEN
6. Essen: Fleisch und Gemüse
7. Essen: Früchte und Süßes
8. Trinken
9. Rauchen

III. KLEIDUNG, ACCESSOIRES UND SPIEGEL
10. Oberbekleidung
11. Kopfbedeckung, Schuhe und Accessoires
12. Ringe
13. Brillen, Masken
14. Spiegel

IV. BIOGRAFISCHES UND ALLTAG
15. Namen
16. Brüder
17. Alltagsgegenstände

V. MUSIK, SPORT UND SPIEL
18. Musik
19. Sport
20. Ballsport
21. Spielzeug

VI. WAFFEN
22. Schusswaffen
23. Stichwaffen

VII. HÄUSER UND BAUWERKE
24. Häuser und Gebäude von außen
25. Häuser von innen
26. Fenster
27. Türen

VIII. WEGE, ORTE UND VERKEHRSMITTEL
28. Wege
29. Orte
30. Verkehrsbauwerke und -regeln
31. Autos
32. Andere Verkehrsmittel

IX. FARBEN UND SYMBOLE
33. Grundfarben, Schwarz und Weiß
34. Farbliche Zwischentöne
35. Symbole.

X. TIERE
36. Tiere, Jagd und Beute
37. Kleintiere
38. Heimtiere
39. Nutztiere
40. Wildtiere

XI. PFLANZEN
41. Wälder und Bäume
42. Blumen und Gärten
43. Einzelne Blumen.

XII. UNBELEBTE NATUR
44. Feuer
45. Wasser
46. Erde
47. Luft
48. Sonne, Mond und Sterne
49. Jahreszeiten
50. Licht und Dunkelheit

XIII. GOTT UND GLAUBEN, MYTHEN UND MÄRCHEN
51. Gott und Glauben
52. Christlich-jüdische Religion
53. Moderne Mythen und Märchen

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Queere TV-Tipps
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#1 SemiotikerAnonym
  • 31.12.2022, 08:53h
  • Wow, auf diese Artikelreihe freue ich mich ganz besonders...

    Ich finde das sowohl thematisch sehr interessant und weiß auch, dass der Autorenname Erwin in het Panhuis für Qualität und interessante Filmartikel steht. Und bereits die ersten Beispiele in diesem Übersichtsartikel lassen Großes erwarten.

    Ich habe nur noch ein paar kleine Anmerkungen:

    "Die Bedeutung von Symbolen wird wohl deutlicher, wenn sie in Abgrenzung zu anderen Begriffen erklärt werden. Ein Zeichen hat nur einen Hinweischarakter. Es verweist auf etwas anderes, schafft aber keine weitere Bedeutungsebene und ist damit kein Symbol."

    Semiotisch betrachtet sind manche Zeichen durchaus Symbole.

    Ein Zeichen ist erst mal nur etwas, das auf etwas anderes verweist. Dieser Stellvertretercharakter ist konstitutiv für Zeichen.

    Dann kann man Zeichen in drei Kategorien einordnen: Indexe, Ikone und Symbole.

    Indexe entstehen durch ein Grund-Folge- oder Ursache-Wirkungs-Prinzip. Also z.B. Rauch, der ein indexikalisches Zeichen für Feuer ist.

    Ikone entstehen durch ein Ähnlichkeitsverhältnis, z.B. die Abbildung eines Druckers auf einer Schaltfläche zum Drucken in einer Textverarbeitung, ein Fahrrad auf einem Verkehrsschild für einen Radweg, etc.

    Symbole sind dagegen diejenigen Zeichen, die weder in einem Kausalverhältnis noch einem Ähnlichkeitsverhältnis zu dem stehen, was sie repräsentieren. Also z.B. das Vorfahrtszeichen (gelbes Quadrat auf seiner Spitze) oder auch die meisten sprachlichen Zeichen (Lautmalerei wie Wau-wau ausgenommen), weil es eben keinen Zusammenhang zwischen dem Gegenstand Fenster und dem Wort Fenster hat. Man könnte das genauso anders nennen, wenn sich das etabliert hätte.

    Insofern sind Symbole also nicht etwas kategorial anderes als Zeichen, sondern ein Untertyp bestimmter Zeichen.

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    "Allegorien wirken wie verstandesbetont-nüchterne Gedankenspiele. Im Gegensatz dazu sind Symbole emotional aufgeladener."

    Solche Definitionen sind problematisch, weil sie subjektive Wertungen enthalten.

    Eigentlich ist der Unterschied folgender:
    ein Symbol ist ein Zeichentyp (s.o.), während eine Allegorie eine rhetorische Figur ist, die man sowohl mit Symbolen aber auch anders realisieren kann. Und genauso gilt umgekehrt, dass ein Symbol als Allegorie verwendet werden kann, aber auch anders.

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    "So gibt es zwar heute nicht mehr die in dem Film "Oscar Wilde" (1997) dargestellte Geste, vor einer anderen Person als Zeichen des Respektes den Hut zu ziehen, aber es gibt noch die Redensarten "Chapeau!" bzw. "Hut ab!", in denen sich diese symbolhafte Geste als Zeichen des Respektes erhalten hat."

    Es gibt immer noch einen Bereich, wo sich das Lüften einer Kopfbedeckung als Zeichen des Respekts erhalten hat: auf Friedhöfen.

    Wenn man als normaler Friedhofsbesucher, der gerade ein Grab besucht, an einem Trauerzug vorbei geht, wo gerade ein Mensch zu Grabe getragen wird, ist es nach wie vor ein Zeichen des Respekts gegenüber dem Toten und den Angehörigen, die gerade hinter dem Sarg oder der Urne herlaufen, wenigstens kurz stehen zu bleiben und (wenn man sie denn trägt) seine Kopfbedeckung zu ziehen. Auch wenn man den Verstorbenen und die Angehörigen nicht kennt.
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#2 2024Anonym
  • 31.12.2022, 09:51h
  • Und 2024 dann lesbische (oder von mir aus auch allgemein queere) Symbole in Filmen und Serien? Das wäre echt cool. Hoffentlich findet sich jemand, der oder die dazu schreibt...
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#3 StaffelbergblickAnonym
  • 31.12.2022, 12:52h
  • "Der Filmtitel "Wie die Karnickel" nach Ralf König verdeutlicht, dass wir manchmal immer noch auf die gleichen Motive wie in der Antike zurückgreifen. " Dazu könnte sich ja mal Ralf König noch äußern. Ich vermute es als ganz pragmatisch im Sinne von wer nicht bei eins auf einem Baumwipfel sitzt, wir hemmungslos "durchgerammelt".
    Mir fehlt die Farbe "blau". Ich wurde zum ersten Mal auf diese Codierung "blau" aufmerksam im Film "Cabaret", als der Graf (Max Griem) Brian (Michael York) auf dem Schloß einen blauen Pullover reicht und hinterher beim Tragen zu ihm sagt "Ich wußte, blau steht ihnen".
    In diesem Zusammenhang ist mir eine Vortrag von Natalie Gutgesell in Erinnerung, die zu Viktor-von-Scheffel promoviert wurde. von Scheffel soll ein sehr gespaltenes Verhältnis zu Frauen gehabt haben ... wurde zur Heirat gezwungen und trug gerne Veilchen. Angeblich waren Veilchen in jener Zeit ebenfalls ein Code für "Männerfreundschaften". So viel zur Farbe "blau".
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