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Hamburg
Anti-Gender-Initiative visiert Volksentscheid an
Vereint der Antigenderismus die Parteien rechts der Mitte? Wenn es nach einem Hamburger Verein geht, soll die Bevölkerung über ein Verbot geschlechtergerechter Sprache im Stadtstaat abstimmen.

Kommt stets von ganz oben, zumindest gefühlt: Geschlechtergerechte Sprache (Bild: pressfoto@freepik / queer.de)
- 14. Januar 2023, 14:48h 4 Min.
Eine Initiative des Vereins Deutsche Sprache e.V. plant, zur Hamburger Bürgerschaftswahl 2025 mit einem Volksentscheid gegen geschlechtergerechte Sprache anzutreten. Ihr Ziel: Genderstern und Co. sollen in allen Schulen, Behörden und Unternehmen mit Landesbeteiligung verboten werden.
Als Sprecherin beziehungsweise "Sprecher" der Initiative tritt die Autorin Sabine Mertens auf. Sie leitet im Verein die Arbeitsgemeinschaft "Gendersprache" und hält geschlechtergerechtes Sprechen und Schreiben für die "Propagandasprache eines radikal-queerfeministischen Weltbilds", die gegen nichts Geringeres als Verfassung und Menschenwürde verstoße.
Verlautbarungen von Mertens hingegen erinnern eher an den Sound von ganz rechts. Die Initiative habe "das Potenzial zur größten deutschen Bürgerbewegung seit dem Fall der Mauer". "Das Volk" hole sich "die Sprache zurück".
Mit Zwang gegen den "Genderzwang" von oben
Doch so schrill die Einlassungen der Initiative und ihrer Sprecherin auch klingen: Unterstützung nicht nur von der AfD, sondern auch von CDU und FDP scheinen dem Volksentscheid sicher. So war der Hamburger CDU-Chef Christoph Ploß im Frühsommer 2021 einer der ersten, der mit der Forderung nach einem gesetzlichen Verbot eine Reihe von öffentlichen Äußerungen zum Thema lostrat, an deren Ende schließlich die ersten Verbotsmaßnahmen etwa beim Bayrischen Rundfunk standen.
CDU-Fraktionschef Dennis Thering bläst nun ins selbe Horn. Man lehne es ab, Menschen eine "grammatikalisch falsche Sprache aufzuzwingen". Der Initiative wünsche er "viel Erfolg". Ähnlich äußerten sich Vertreter*innen von FDP und AfD gegenüber t-online.de.
Dabei kann von Aufzwingen kaum die Rede sein. Im Juni 2021 war der Hamburger Verwaltung die Nutzung geschlechtergerechter Sprache abseits der Adressierung von Männern und Frauen erstmals offiziell erlaubt worden (queer.de berichtete). Eine Pflicht aber besteht nach wie vor nicht – das hielt die CDU nicht davon ab, öffentlich sofort von einem "Genderzwang" zu sprechen, der etabliert worden sei.
So sieht es auch die Initiative rund um Sabine Mertens. "Seit Jahren" würden die Bürger*innen von der Hamburger Verwaltung "von oben herab angegendert", sagt sie. In einer Bundestagspetition zur selben Angelegenheit betont Mertens, dass eine große Mehrzahl der Bürger*innen in Deutschland die "Gendersprache" ablehne. Sie entspringe nicht dem "natürlichen Sprachwandel", sondern "politischen Bestrebungen".
Sexistisch, reaktionär, gegen die Menschenwürde
Die immer wieder als "Gendern" faktisch falsch bezeichnete geschlechtergerechte Sprache würde demnach "sexualisieren", wo Sprache zuvor "geschlechtslos" und "neutral" gewesen sei und "deshalb von vornherein alle inkludiert" habe. Genderstern und Co. würden die Probleme, die sie zu beheben angeben, also erst schaffen.
"Jede einzelne Schule, jede Universität, jede Stadt und Gemeinde, jedes Bundesland, jede Zeitung, jeder Verlag, jeder TV- und Radiosender" nehme sich heraus, "gegen geltende Regeln und den allgemeinen Sprachgebrauch eine eigene 'geschlechtergerechte Sprache' zu nutzen".
Doch die Sprache sei sexistisch, reaktionär und undemokratisch, sie grenze Menschen nach gruppenbezogenen Merkmalen aus und benachteilige, etwa "Menschen mit Behinderungen" oder "Zuwanderer". Die "Gendersprache" sei zudem "grundgesetzwidrig" und verletze die Menschenwürde.
Absurd, autoritär, peinlich
Gegenwind bekommt der geplante Volksentscheid vom gegenwärtigen rot-grünen Hamburger Senat sowie von den Linken. Die grüne Fraktionsvize Lena Zagst etwa betonte, dass geschlechtergerechte Sprache "durchaus wichtig" sei, weil es darum gehe, "Frauen und Personen, die sich als nichtbinär einordnen, sichtbarer zu machen". In ihrer Partei gebe es diesbezüglich einen sehr großen Konsens.
Die SPD-Abgeordnete Gabi Dobusch sagte ebenfalls, dass ihre Partei das Anliegen der geschlechtergerechten Sprache teile. Und Cansu Özdemir, Co-Fraktionschefin der Hamburger Linken, nannte es "absurd" und "autoritär", den Wandel von Sprache verbieten zu wollen. Es sei Ausdruck von Macht, wenn man Männer in der Sprache als Norm gelten lasse.
Der damalige SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hatte sich in der Sache ebenfalls bereits festgelegt. Er finde nicht, dass beim Thema geschlechtergerechter Sprache Pflichten auferlegt werden sollten. Umgekehrt sollten aber auch keine Verbote ausgesprochen werden. Zum Vorstoß der Hamburger CDU, ein Verbot zu erlassen, sagte er damals: "Das finde ich peinlich" (queer.de berichtete).
Über den Stand der Volksabstimmung gibt es unterschiedliche Informationen. Mal heißt es, man feile noch am endgültigen Text zur Vorlage bei den Behörden. Laut NDR befinden sich die Unterlagen jedoch bereits beim Landeswahlleiter zur Prüfung. Wenn der Text für gesetzeskonform befunden werde, könne bereits Anfang Februar mit der Sammlung von Unterschriften begonnen werden.
Auch der ARD-Komiker Dieter Nuhr hat seine Unterstützung für das Vorhaben kundgetan. Behörden hätten sich "auch in sprachlichen Belangen am Willen des Volkes zu orientieren" und "nicht umgekehrt". Immer öfter werde "das Gendern obrigkeitsstaatlich von oben nach unten verordnet".
In einer Ausgabe seiner Show in der ARD hatte Nuhr Ende 2020 vermeintlich scherzhaft vorgeschlagen, den gesprochenen Glottisschlag des Gendersternchens durch ein deutlich vernehmbares Hochziehen der Nase zu ersetzen und so intergeschlechtliche und nichtbinäre Personen mit Nasensekret verglichen. Das "Gendern" gehe der als "dummes Publikum" wahrgenommenen Mehrheit der Menschen nämlich "auf den Sack" (queer.de berichtete).
Eine ähnliche Wahrnehmung hat der Komiker Dieter Hallervorden. Im August 2021 verortete er die geschlechtergerechte Sprache ebenfalls oben statt unten und brachte sie mit "Nazis" und "Kommunisten" in Zusammenhang. Sprache dürfe sich nicht "von oben herab, auf Befehl" entwickeln (queer.de berichtete). (jk)
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