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Hannover

Sightseeing auf den Spuren von Fritz Haarmann

Kriminalfälle sind das Thema vieler Stadttouren. In Hannover gibt es gleich drei – natürlich auch zu Fritz Haarmann. Voyeurismus wolle er nicht bedienen, sagt einer der Führer. Aber was ist es dann?


Fritz Haarmann (zweiter von links) wird im Juli 1924 von Kriminalbeamten in Handschellen gehalten und gefilmt (Bild: Bundesarchiv, Bild 102-00824 / Georg Pahl)

Knickerbocker, Kniestrümpfe, breite Hosenträger, kleinkarierte Schirmmütze – so begrüßt Hendrik Seiffert die Gäste seiner Stadtführung. Es ist der Look der 1920er Jahre. Seiffert wandelt auf den Spuren Fritz Haarmanns, einem der bekanntesten Serienmörder der deutschen Kriminalgeschichte.

Haarmann beging mindestens 24 Morde, vor allem in den Jahren 1923 und 1924. Im Prinzip sei er "der deutsche Jack the Ripper", so Seiffert.

Die Erinnerung an Haarmann hält nicht zuletzt ein abgewandelter, makabrer Operetten-Refrain wach, in dem es heißt: "Warte, warte nur ein Weilchen, bald kommt Haarmann auch zu Dir, mit dem kleinen Hackebeilchen, macht er Hackefleisch aus Dir."

Kriminelle Hotspots

"Wir werden zu allen kriminellen Hotspots der 1920er Jahre gehen", sagt Seiffert. Dazu gehört der Hauptbahnhof, an dem die Tour beginnt. Haarmann hatte hier als "Polizeispitzel" gearbeitet und "die meisten seiner Opfer kennengelernt", wie Seiffert erzählt. Diese waren ausnahmslos männlich und zwischen 10 und 22 Jahre alt.

Oft handelte es sich um Ausreißer, über deren Verschwinden sich kaum jemand wunderte. Haarmann lud sie zu sich nach Hause ein, versprach Unterkunft und Essen.

Als krimineller Hotspot galt auch die zweite Station, der Kröpcke, ein zentraler Punkt mitten in Hannover. In den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg prostituierten sich hier auch männliche Minderjährige. "Kriminal-Haarmann", wie er wegen seiner Spitzeltätigkeit dort genannt wurde, schaute häufiger vorbei. Man kannte sich.

Wie sehr sich Hannover seither verändert hat, zeigen Fotos, die Seiffert mitgebracht hat. Der Ballhof, heute ein lauschiges Plätzchen mit Theater, Teestube, Bierbar und Restaurant, war früher eine kleine Gasse und Treff der schwulen Szene. Hier pulsierte das blühende Leben des liberalen Hannovers, hier wohnte auch Hans Grans, der Gehilfe und zeitweilige Geliebte von Haarmann.

Gruseleffekt am Tatort


Die Totenkammer, in der Haarmann seine umgebrachten Opfer bis zum nächsten Tag aufbewahrt (Bild: Bundesarchiv, Bild 102-00883 / Georg Pahl)

Vom Ballhof sind es nur ein paar Schritte bis zur Leine. Der Fluss hatte damals noch zwei Arme. Diese umschlossen "Klein-Venedig", eine Insel, eng bebaut mit Fachwerkhäusern, in denen arme Leute lebten, wie Seiffert erzählt: "Wohnraum war Mangelware."

Am Leine-Ufer wurde im Frühjahr 1924 die Mordserie erstmals ruchbar – Kinder fanden Knochen und Schädel. Davor gab es nur Gerüchte.

Über eine Flussbrücke führt Seiffert seine Gäste zur Roten Reihe, einer Straße in der Calenberger Neustadt. Hier bezog Haarmann 1923 eine Dachkammer.

Das Haus steht nicht mehr, aber Seiffert hält ein Foto hoch. Es zeigt ein Zimmer mit Bett, Stuhl, Tisch und Waschschüssel, kaum mehr. In dieser Wohnung tötete Haarmann die meisten seiner Opfer, indem er ihnen nach eigener Aussage die Kehle durchbiss. Anschließend legte Haarmann sich schlafen. Später zerstückelte er die Leiche und brachte die Knochen in einem Koffer zur Leine.

Keinen Voyeurismus bedienen

All das schildert Seiffert, der Politik und Geografie studiert und im Nebenjob die Führungen anbietet, eher nüchtern. Den Voyeurismus, den er im Zusammenhang mit Krimi-Stadttouren beobachtet, wolle er nicht bedienen, sagt Seiffert. "Da bin ich zu sehr wissenschaftlich, das ist mehr so mein Naturell."

Festgenommen wurde Haarmann im Juni 1924. Zunächst nur, weil er mit einem Jugendlichen in Streit geraten war. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung fand die Polizei dann Hinweise auf die Taten. Die mehr als rüden Vernehmungsmethoden führten schließlich zu einem Geständnis. Das Gericht befand ihn in 24 Fällen des Mordes für schuldig und verhängte die Todesstrafe.

Die Henkersmahlzeit soll aus Schinkenbrot und Harzer Käse bestanden haben – ein Wunsch von Haarmann. Und noch weiterer "Wunsch" wurde ihm erfüllt: "Ich will geköpft werden. Das ist ein Augenblick, dann hab' ich Ruh'." Am 15. April 1925 starb er unter dem Fallbeil.

Unterwegs mit dem Kripo-Mann

Fritz Haarmann ist der bekannteste, aber nicht der einzige Serienmörder in der Geschichte Hannovers. Jasper Hanebuth stand ihm kaum nach. Gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges (1618 bis 1648) trieb er sein Unwesen im Stadtwald Eilenriede, ein Wegelagerer und ziemlich roher Zeitgenosse. Nach seiner Verhaftung gestand er 19 Morde und wurde öffentlich gerädert.

Mehr über Hanebuth erfährt man bei den Stadtführungen "… ab und zu war wieder einer tot ..." und "Dem Verbrechen auf der Spur – Hannovers Krimi Tour".

Jürgen Veith ist einer von fünf Stadtführern, die die "Krimi Tour" erarbeitet haben. "Ich war früher öfter im Knast", mit diesen Worten begrüßt der Mann, Mitte 70, seine Gäste. Über das Warum lässt er sie allerdings zunächst im Unklaren.

Dass er gut zehn Jahre lang als Kriminalbeamter "Todesermittlungssachen" bearbeitet und danach an der Fachhochschule für Verwaltung im Saarland Kriminalistik und Kriminologie gelehrt hat, verrät er erst gegen Ende seiner knapp zweistündigen Tour.

Einblicke in Motive, Täterprofile und Spurensicherung

Unterwegs schildert Veith Kriminalfälle aus den vergangenen Jahrhunderten, möglichst in Tatortnähe. Locker plaudert er über Mordmotive, Täterprofile und Spurensicherung. Seine Gäste bekommen einen Einblick in die Arbeit der Polizei, die in Hannover um 1809 von den Franzosen eingesetzt wurde. Heute werden in der Landeshauptstadt im Schnitt um die 65.000 Straftaten pro Jahr erfasst.

Eine Stadt wie Hannover ist ein gutes Pflaster für Angebote wie die "Krimi Tour". Nicht, dass hier Mord und Totschlag eine größere Rolle spielen würden als anderswo. Vielmehr seien Großstädte generell "kriminalitätsbelasteter", sagt der Kripo-Mann.

Nur eines kann sich Veith nicht so richtig erklären: Warum vor allem Frauen seine Tour buchen. "Wahrscheinlich sind sie wissbegieriger."

Mörderische Touren durch Hannover

"Fritz-Haarmann-Tour": Hendrik Seiffert bietet seine Tour in der Regel immer freitags um 20 Uhr an – nach einer kurzen Winterpause geht es Anfang Februar wieder los. Pro Person kostet es 30 Euro, ab vier Personen gibt es Rabatt. (fritz-haarmann-tour.de)

"Dem Verbrechen auf der Spur – Hannovers Krimi Tour": Sie führt ganzjährig samstags (März bis Oktober außerdem noch freitags) am Nachmittag durch die Innen- und Altstadt Hannovers. Pro Person 16 Euro, ermäßigt 10 Euro. Mindestalter 16 Jahre. Infos und Buchung unter visit-hannover.com.

"… ab und zu war wieder einer tot …": Das ist der Titel einer Tour durch "500 Jahre hannoversche Kriminalgeschichte". Termine gibt es wieder ab Anfang März. Pro Person 12 Euro, ermäßigt 9 Euro. Sie kann unter stattreisen-hannover.de gebucht werden.
#1 LothiAnonym
  • 30.01.2023, 08:50h
  • Warte warte nur ein Weilchen bald kommt Haarmann auch zu dir.
    Mit dem kleinen Hackebeilchen macht Hackefleisch aus dir.
    Aus den Augen macht er Sülze, aus den Hintern macht er Speck.
    Aus den Därmen macht er Würste und den Rest den schmeißt er weg.
    So haben es mir als Knirps damals die Erwachsenen vorgesungen. Denn von Ihnen habe ich dieses grauenvolle Liedchen noch immer in Erinnerung.
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#2 GrixisAnonym
  • 30.01.2023, 10:41h
  • True Crime erfreut sich großer Beliebtheit auch in Deutschland. Der Goldene Handschuh von Strunk oder aktuell 'Gefesselt' auf Amazon.
    Dahmer, American Crime Storys und unzählige Netflixdokus über wahre Verbrechen. Gerade die großen Serienmörder locken und ich glaube die Faszination besteht darin das Verlierer und scheinbar normale Menschen unsagbar grausame Taten vollbringen können. In London gibt es auch Jack the Ripper Touren. Ist das auf dem Rücken der Opfer? Ab wann ist ein Ereignis geschichtlich so weit weg dass es okay ist sich damit zu befassen? Ist Haarmann noch zu 'aktuell' Jack the Ripper aber nicht? Ist es dann okay sich Mumien oder Moorleichen im Museum ansehen zu können? Ich denke jeder sollte da selbst seine Grenzen ziehen dürfen.
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#3 WanndererAnonym
  • 30.01.2023, 11:45h
  • Bei der Bildunterschrift ist ein Fehler. Es muss wohl 1924 heißen, sonst wäre der Mann immer noch auf freiem Fuß.
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  • Anm. d. Red.: Danke für den Hinweis. Wir haben den Fehler korrigiert.
#4 LothiAnonym
  • 30.01.2023, 11:46h
  • Antwort auf #2 von Grixis
  • Großes Interesse an Thrue Crime Storys besteht meines Erachtens viel mehr bei den Amerikanern und den Briten. Hier in Deutschland gibt es aber auch schon eine große Fangemeinde hierzu. Dr. Mark Beneke u.seine Frau z.B. sei Dank.
    Im übrigen gibt es nur in den USA eine sogenannte Body Farm, wo Leichen in allen Variationen u.Stadien hinterlegt, eingegraben werden fürs Studium. Einer der Begründer heißt Bill Bass. Hierzu ein guter Krimi Tipp:
    Bis auf die Knochen. Von Jefferson Bass. Erschienen bei Goldmann.
    Und nicht zu vergessen die Autorin Kathy Reichs mit ihren sehr spannenden Geschichten zum Thema Forensik.
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#5 StaffelbergblickAnonym
  • 30.01.2023, 12:58h
  • Antwort auf #4 von Lothi
  • "Im übrigen gibt es nur in den USA eine sogenannte Body Farm, wo Leichen in allen Variationen u.Stadien hinterlegt," Stimmt, das habe ich irgendwann mal in einem Beitrag gesehen. Sieht teilweise schon sehr gruselig aus. Aber aus schierer wissenschaftlicher Sicht einfach notwendig.
    Benecke ist doch auch der Leiter des Instituts für Insektenkunde innerhalb der Rechtsmedizin.
    Und zu diesem Haarmann-Liedchen. Ich denke, ich hatte es in meiner Anfangszeit in Berlin einige Male mitbekommen. Allerdings nur die erste Hälfte. Ich könnte mir vorstellen, dass dies auch eine Variante war, damals mit solchen Taten umzugehen, zu verarbeiten ... und gleichzeitig als Warnung an Menschen, aufzupassen, mit wem man sich einläßt. Aber vielleicht liege ich da mit meiner "Küchenpsychologie" auch falsch.
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#6 lotosblueteAnonym
  • 30.01.2023, 12:59h
  • Ein etwas älteres Buch über Fritz Haarmann ist "Haarmann. Der Schlächter von Hannover" von Friedhelm Werremeier:

    www.amazon.de/Haarmann-Schl%C3%A4chter-Hannover-Friedhelm-We
    rremeier/dp/3453089073/


    Das Angenehme an diesem Buch ist die Abwesenheit jeglichen Voyeurismus'. Im Vordergrund stehen die Ermittlungen des Privatdetektivs Paul Sebastian, der von dem Vater eines vermissten Jungen mit der Suche beauftragt wurde und dabei sehr schnell auf Haarmann stieß und trotzdem jahrelang für dessen Verhaftung kämpfen musste.
    Auch auf die Opfer und den Kampf der Angehörigen um ein würdiges Gedenken wird umfassend eingegangen.
    Ebenso wird die katastrophale polizeiliche Ermittlungsarbeit mit ihren haarsträubenden Pannen und Unzulänglichkeiten nicht verschwiegen
    Werremeier konnte auch noch mit den Kindern und anderen Angehörigen einiger Beteiligter sprechen.
    Das Buch hebt sich wohltuend von vielen anderen reißerischen Berichten ab.
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#7 StaffelbergblickAnonym
#8 LothiAnonym
  • 30.01.2023, 14:06h
  • Antwort auf #6 von lotosbluete
  • Danke für diesen Link. Es schien wohl vom Hyne Verlag eine ganze Buchreihe davon gegeben zu haben. Denn ich besitze ebenso vom gleichen Verlag und Aufmachung her das Buch: Der Mann aus der Hölle. Die wahre Geschichte über den russischen Serienmörder Andrej Tschikatilo.
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#9 LothiAnonym
#10 DT86Anonym
  • 02.02.2023, 14:31h
  • Ein entfernter Verwandter von mir ist vermutlich von Fritz Haarmann umgebracht worden. Sachen von ihm wurden sogar bei Haarmann gefunden und von der Mutter identifiziert, aber das reichte der Polizei wohl nicht als Beweis. Sein Verschwinden konnte nie offiziell aufgeklärt werden. Für die Familie stelle ich mir das ganz schrecklich vor.

    Eine Stadtführung zu dem Thema finde ich deshalb eigentlich ganz interessant, wenn sie nicht reißerisch gestaltet ist. Das scheint hier aber doch der Fall zu sein. Der Herr Seiffert will angeblich keinen Voyeurismus bedienen, bietet aber gleichzeitig auf seiner Website T-Shirts und anderes Zeug mit Haarmanns Porträt und nem Spruch mit "Hannovers feinsten Würsten" an. Das passt doch nicht so ganz zusammen und zeigt ganz gut, dass bei dem aktuellen True-Crime-Hype manchmal vergessen wird, dass es sich bei den Opfern um echte Menschen (mit Angehörigen) handelt.
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