Die "Kieler Nachrichten" haben sich für ihre Berichterstattung zum Vermisstenfall eines 16-jährigen Jungen entschuldigt. Obwohl der Zeitung der Name des Jugendlichen als auch der Umstand bekannt gewesen war, dass er transgeschlechtlich ist, war die Suche nach einer 16-Jährigen vermeldet worden.
Doch mit der formalen Entschuldigung kommt wenig Einsicht: Die Benennung des Jungen als Mädchen sei "keineswegs diskriminierend gemeint" gewesen und habe "keine Transfeindlichkeit ausdrücken" sollen. Die Intention sei es vielmehr gewesen, alle Informationen zu nennen, um zur Suche nach dem Jugendlichen beizutragen.
"[...] ist ein Transgender"
Am Sonntag hatten die "Kieler Nachrichten" vermeldet, dass "eine 16-jährige" aus einer Wohneinrichtung in Osdorf vermisst werde. Der Teenager könne sich in Kiel, Neumünster oder Neustadt aufhalten. Dann nannte die Zeitung den weiblichen Deadname und schrieb, "sie" höre "auf den Namen […]" – es ist der eigentliche, männlich konnotierte Namen des Jugendlichen. Und: […] "ist ein Transgender".
Weil das Lokalblatt daraufhin Zuschriften erreichten, in denen gegen die transfeindliche Beschreibung protestiert wurde, editierten die Journalist*innen den Artikel und ersetzten ihn mit einer neuen Meldung. Inzwischen war der 16-jährige nämlich wohlauf gefunden worden. Die Suche "nach einem trans Mann aus Osdorf" sei demnach beendet. Er habe sich bei einer Verwandten in Kiel aufgehalten. Die alten Beschreibungen sind online nicht mehr verfügbar.
Auch dieser an die Stelle des alten Textes getretene Artikel enthält die Entschuldigung. In der ersten Suchmeldung habe man demnach "den Mädchennamen und das bei der Geburt zugewiesene Geschlecht genannt". Dies sollte aber "keine Transfeindlichkeit ausdrücken". Und: "Wenn dies als Diskriminierung empfunden wurde, möchten wir dafür um Entschuldigung bitten."
Doch die Beschreibung ist falsch: Die Daten wurden nicht bloß "genannt". Stattdessen war der Junge vorgestellt worden, als sei er die genannte weibliche Jugendliche. Sein tatsächlicher Name abseits des gegenwärtig in den Unterlagen eingetragenen Namens war genau wie sein Transsein bloß als weitere Eigenschaften der vermeintlich gesuchten Jugendlichen aufgeführt gewesen.
Die geringe Einsicht in die Problematik passt auch zu der Behauptung, dass der weibliche Name "Bestandteil des Zeugenaufrufs" gewesen sei, da im Ausweis des Jungen "wahrscheinlich noch der Geburtsname […] steht". Dabei ist die bloße Benennung des in einem Ausweis enthaltenen Namens etwas anderes als die Einführung des Jungen mit diesem Namen und seine Beschreibung im grammatikalisch weiblichen Geschlecht.
Polizeimeldung als Quelle
Die transfeindliche Vermisstensuche geht dabei auf eine ähnlich problematische Polizeimeldung zurück, die in ihrem Duktus von der Zeitung übernommen worden war. Auch in der noch immer in dieser Form online abrufbaren Meldung Der Polizei Neumünster wird zunächst der Deadname genannt und die Person im weiblichen grammatikalischen Geschlecht beschrieben. [...] "ist ein Transgender", heißt es auch dort, und: "sie hört auf den Namen […]". Eine Geschlechtsbezeichnung wird in der Meldung vermieden: Über den Jungen ist stets entweder als "Person" die Rede oder er wird mit seinem Deadname genannt und mit weiblichen Pronomen beschrieben.
Weil auch die verantwortliche Polizeidirektion entsprechende Zuschriften erreicht hätten, wolle man dort ebenfalls zukünftig auf "einen korrekten Umgang" achten, so die Entschuldigungsmeldung der "Kieler Nachrichten". Die Nennung des weiblichen Namens durch die Polizei sei aber "nicht böse gemeint" gewesen. Der Wirkung des Zeugenaufrufs seien sich die Beamten nicht bewusst gewesen.
Von der Wohneinrichtung sei der Polizei demnach "der gebürtige Mädchenname übermittelt worden". Doch ob die Wohneinrichtung den Namen nur übermittelt oder den Jungen selbst so benannt hatte, geht aus der Beschreibung des Vorgangs nicht hervor. Was aus den Beschreibungen allerdings deutlich hervor geht, ist, wie weit verbreitet es noch immer ist, die Kritik an Diskriminierung mit der Behauptung abzuwehren, es sei eine böswillige Intention unterstellt worden.
Im vergangenen Jahr hatte die Polizei im nordrhein-westfälischen Herne ebenfalls durch eine falsche Polizeimeldung Berichterstattungen losgetreten, in der die bei dem Vorfall fast getötete 15-jährige Jess als Junge bezeichnet und von einem "Streit" als Auslöser der Tat berichtet worden war (queer.de berichtete).
Auch hier hatte sich die Polizei auf die Behauptung zurückgezogen, dass man das Geschlecht aus einem Ausweis von Jess abgelesen habe. Doch laut Angaben aus der ZDF-Doku "Influencer in Uniform – Polizei und Social Media" (ab 31:10) soll es sich um eine Schutzbehauptung handeln. Demnach gebe es überhaupt keinen solchen Ausweis.
Ach, komm, von wegen nicht böse gemeint und passiert nicht wieder. Das Erste, was die Polizei dir als Transperson erzählt, WENN du mit ihr redest, ist der Hinweis / die Zurechtweisung, dass bei denen nur dein Deadname zählt, und danach wirst du dann konsequent misgendert.
Womit du dir dann über eine Anzeige wegen misgendernder Beleidigung schon gar keine Gedanken mehr machen brauchst, weil du dich derart lächerlich dabei fühlst, dass du hier echt versuchst, etwas anzuzeigen, das die Leute dir gegenüber normal, richtig und selbstverständlich finden und ihrerseits praktizieren.
Man muss im gesellschaftlichen Rang schon echt sehr weit oben stehen, damit es anders läuft. In meiner aktuellen Gegend gibt es nichtmal eine explizite Ansprechperson für queere Themen, da kann man sowas gleich vergessen. Und da "queer" bekanntermaßen cis-schwul bedeutet, wäre es selbst mit so einer Ansprechperson immer noch wie Lotto spielen.