Sie dachte zuerst, sie sollte nur ein paar Namen von geeigneten Juristinnen nennen. Erst im Laufe des Telefonats wurde Susanne Baer klar, dass es um sie selbst ging. Renate Künast, damalige Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, fragte Baer, ob sie sich vorstellen könne, von den Grünen als Richterin an Deutschlands höchstem Gericht nominiert zu werden.
Susanne Baer kommt aus einer Familie mit fünf Kindern und stammt aus einer Bergbauregion im Saarland. Sie wuchs in einer Zeit auf, als dieser Wirtschaftszweig gerade in die Krise geriet. Dies machte sie sensibel für die sozialen Folgen von Strukturbrüchen, wie sie einmal in einem SWR-Interview sagte. In ihrer Jugend bekam sie auch die ersten "verwunderten bis intoleranten" Reaktionen auf ihre Homosexualität zu spüren. Heute sagt sie, dass ihr besonders die Unterstützung ihrer Familie und von Freund*innen dabei geholfen habe, damit umzugehen. Ihre Ruderleidenschaft beschrieb sie als Vorgeschmack auf die Arbeit am Verfassungsgericht. Denn der Ruder-Achter und der Senat in Karlsruhe bestehen beide aus jeweils acht Personen.
Direktorin des GenderKompetenzZentrums
Trotz Spitzenleistungen und Auslandsaufenthalten musste sie während ihres Studiums auch manchen Widerstand überwinden. So wollte sie zu dem Umgang des Rechts mit sexueller Belästigung am Arbeitsplatz promovieren. Doch ihr Professor fand das Thema nicht spannend genug. Sie kämpfte sich durch und fand dann doch einen anderen Doktorvater und erhielt ein Stipendium der Heinrich-Böll-Stiftung. "Wenn da eine Mauer ist, musst du dir einen anderen Weg suchen. Ich habe Haare geschnitten und Zeitungen ausgetragen und geputzt, um das dann doch zu finanzieren.", sagte sie einmal dem "Zeit-Magazin". Schon früh widmete sie sich dem Thema Geschlechtergerechtigkeit. 1988 verfasste sie eine Schrift gegen sexualisierte Darstellungen von Frauen. Zudem war sie Mitglied der feministischen Rechtszeitschrift "Streit".
Seit 2002 hat sie den Lehrstuhl für öffentliches Recht und Geschlechterforschung an der Berliner Humboldt Universität inne. Von 2003 bis 2010 war sie auch Direktorin des damals neu gegründeten GenderKompetenzZentrums, mit dem sie die Bundesregierung beriet. Baer beschäftigte sich in ihrer rechtswissenschaftlichen Forschung seither unter anderem mit den Themen Gender, Antidiskriminierung, Feminismus und Gleichstellung. 2005 wurde sie dann auch noch Vize-Präsidentin der Humboldt-Universität.
Erste offen lesbische Verfassungsrichterin
Als sie 2011 ans Bundesverfassungsgericht kam, war sie erst Mitte 40. Zu diesem Zeitpunkt waren unter den seit der Gründung des Gerichts mehr als 100 Richter*innen am Bundesverfassungsgericht gerade einmal 15 Frauen gewesen. Die "Financial Times Deutschland" nannte sie "Prof. Dr. Ungewöhnlich". Baer selbst beschrieb sich hingegen als "Robinia Hood". Sie sagte einmal, sie möge sie es gar nicht, auf die Attribute Frau, lesbisch und Richterin reduziert zu werden. Dementsprechend irritiert hat es sie dann auch, dass in den Reihen ihrer eigenen Unterstützer*innen sich viele auf die Schulter klopften. Sie lobten sich gegenseitig, "jemanden wie sie", zur Richterin gemacht zu haben.
Angekommen im Gericht war sie freudig überrascht von der dort herrschenden Offenheit ihr gegenüber. Und sie entschloss sich dazu, auf diese Offenheit zu reagieren, indem sie mit ihrer Partnerin in die Öffentlichkeit ging. "Man muss auch bereit sein, sich zu zeigen, und sich nicht verstecken, oder einbunkern," sagte Baer einmal rückblickend. Neu war dann, dass auf der Homepage des Bundesverfassungsgerichts zum ersten Mal bei einer Richterin "verpartnert" stand.
Entscheidung über Adoptionsrecht für homosexuelle Paare
In ihrer zwölfjährigen Amtszeit war sie unter anderem beteiligt bei dem Gerichtsentscheid zum sogenannten Betreuungsgeld. Eltern sollten Geld erhalten, wenn sie ihre Kinder nicht in eine Kindertagesstätte gaben, sondern zuhause behielten. Baer betonte, dass dieses Instrument erst recht zur "Verfestigung von Rollenerwartungen" führe. Am Ende kippte das Bundesverfassungsgericht das Betreuungsgeld. In der Anhörung zu den Hartz-IV Sanktionen äußerte sich Baer kritisch dazu, dass diese damals nur sehr starr angewandt werden konnten. Auch in dem Verfahren um die Einschränkung des Streikrechts kleiner Gewerkschaften machte sie sich für diese Organisationen stark.
Besondere Aufmerksamkeit erhielt Baer in dem Verfahren, dass die Höhe der Sätze für Asylbewerbende behandelte. Seit mehr als 20 Jahren waren diese weit unter dem damaligen Hartz VI-Niveau angesiedelt. Das Gericht kippte diese Regelung. Auch bei der Entscheidung, homosexuellen Paaren bei Adoptionen mehr Rechte einzuräumen, war Suanne Baer beteiligt. Rückblickend erinnerte sie sich einmal, dass sie bei diesem Verfahren gespannt auf die Reaktionen ihrer Kolleg*innen war. Denn diese mussten bei den Beratungen im Gericht gegenüber ihr als homosexueller Frau darüber sprechen, welche Vorurteile es gegenüber queeren Menschen in der Gesellschaft gab. Dass am Ende die Entscheidung einstimmig fiel, war für Baer ein "großer Moment".
Engagement für die queere Community
Susanne Baer engagierte sich auch innerhalb der queeren Community immer wieder. So war sie etwa 2014 Schirmfrau der "Positiven Begegnungen", Europas größter HIV-Selbsthilfekonferenz. Schirmfrau war sie dann auch 2016 beim CSD in Karlsruhe. Von der LAG Lesben NRW wurde Baer 2013 für ihr offenes Auftreten als lesbische Frau mit dem CouLe Preis für Couragierte Lesben ausgezeichnet. 2016 wurde Baer sogar von der "taz" als Nachfolgerin für Joachim Gauck im Amt der Bundespräsidentin vorgeschlagen.
Bei allen Vorteilen, die das Richterinnenamt mit sich bringe, so erklärte es Susanne Baer einmal, fände sie es ein wenig schade, sich nicht engagiert politisch äußern zu können. Zudem sei sie ein neugieriger Mensch und hasse Langeweile. Es bleibt daher abzuwarten, was die jetzt erst 58-jährige ehemalige Richterin des Bundesverfassungsgerichts mit der ihr nun freigewordenen Zeit zukünftig anfangen wird.
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Natürlich hoffe ich dennoch, dass das BVerfG die Bezeichnung *unabhängiges* Verfassungsorgan trotzdem irgendwie im Fokus behält und sich die Richter*innen ihrer Verantwortung bewusst sind - bei den ganzen reaktionären Rückschritten der letzten Jahre wäre dies - nicht nur aus queerer Sicht - wichtiger denn je.