1 Kommentar
- 04.02.2023, 15:13h
- wer mit wem in welchem körper also, klingt auch etwas kompliziert. :D
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Auf einer abgeschiedenen Insel können Menschen ihre Körper tauschen: "Aus meiner Haut" von Alex Schaad ist ein aufregendes Science-Fiction-Drama, das queere und große philosophische Fragen stellt.
Keine Sorge, versichert Stella, alle gewöhnen sich daran. Daran etwa, dass Stella sich zwar verhält wie eine junge Frau, aber nicht so aussieht. Stattdessen begrüßt der Körper eines Seniors die Ankommenden. Leyla und Tristan sind nervös, zurückhaltend, aber durchaus neugierig, als sie auf die abgeschiedene Insel kommen. Leyla trifft hier die Seele ihrer Schulfreundin Stella im Körper deren Vaters.
"Leyla, wo sind wir hier?!", fragt Tristan seine Freundin deshalb. Die Insel und ihre Gemeinschaft wirken auf den ersten Blick seltsam altertümlich. Doch Tristan und Leyla, ein frischverliebtes, junges Paar, bekommen im Gutshaus eine frische Matratze und eine Flasche Wein, und wie Stella das ankündigt, macht sie offensichtlich stolz.
Viel Spaß beim Körpertausch
Die Stimmung bewegt sich zwischen Jugendfreizeit und okkultem Sektentreffen: Alle sind auf so eine fast unheimliche, spirituelle Art freundlich zueinander, manche sind häufiger hier, andere ganz neu und entsprechend unsicher. Denn das Treffen auf der Insel bietet den Angehörigen die Chance, ihre Körper zu tauschen.
So lebt Stella (Edgar Selge) nur deshalb, weil ihr Vater sich für ihre kranke Tochter geopfert hat. Per Los wird am Eröffnungsabend entschieden, wer in wessen Körper tritt, und am nächsten Tag geht's auch schon los. Das passiert nicht durch einen Effekt-Zauber – die Auserwählten betreten nach einem rituellen Bad einen mehreckigen, weißen Turm und kommen im Körper des*der anderen wieder heraus. Viel Spaß wünscht Stella, deren Vater der Anführer des Ganzen gewesen zu sein scheint. So einfach geht der Körpertausch.
Philosophische Fragen über Anziehung und Nähe
Leyla (Mala Emde) und Tristan (Jonas Dassler) haben mit dem Paar Fabienne (Maryam Zaree) und Mo (Dimitrij Schaad) getauscht. Die davor angenehm ruhige Kamera (Ahmed El Nagar), die Wert legte auf wohlgestaltete Bilder, wird jetzt unruhig, die Bilder genauso dumpf wie die Musik.
Der Körpertausch führt zunächst zu großer Neugierde bei Tristan: Seinem drahtigen Körper ist Mos kräftigerer gewichen, an den behaarten Bauch muss er sich erst gewöhnen, seine Freundin hat allerlei Spaß daran. Beide lernen ihre Seele in einem anderen Körper kennen, und ab hier wird Alex Schaads Langfilmdebut richtig philosophisch.
Denn was heißt es, wenn Tristan (in Mos Körper) Fabienne (in Leylas Körper) küsst? Bezieht sich die Anziehung auf den Körper, auf die Seele, auf beides? Und was sagt – nach dem Zurücktauschen – Leyla in Leylas Körper dazu? Absurd wird es, als zuvor Mo (in Tristans Körper) versucht, Tristan (in Mos Körper) näherzukommen. Endlich mal Sex mit sich selbst haben, das ist in "Aus meiner Haut" möglich – lustig, aber nicht lächerlich.
Leyla geht mit Tristan ins Bett – in Romans Körper
Für Tristan ist das Experiment allerhöchstens unterhaltsam, für Leyla lebensverändernd. Denn in Fabiennes Körper fühlt sie sich einfach wohler als in ihrem, später lässt Roman (Thomas Wodianka) sich auf den Tausch ein. Ihren Männerkörper lernt sie unter der Dusche kennen, sie ist noch glücklicher. Doch natürlich verändert es ihre Beziehung, wenn Tristan Leyla (in Romans Körper) küsst – und ins Bett geht.
Alex Schaad hat ein aufregendes Science-Fiction-Liebesdrama geschaffen. Er inszeniert dicht, atmosphärisch, unterhaltsam und vor allem sensibel. "Aus meiner Haut" lässt sich dank seiner Figuren und der außergewöhnlichen Geschichte genießen, doch es schließen sich durchaus große Fragen an: Lieben wir Körper oder Seelen? Inwieweit definiert unser Körper unseren Geist – oder andersherum? Unter welchen Umständen können wir in einem anderen Körper glücklich sein? Schließlich: Was macht unsere Identität aus?
Das sind zutiefst queere Fragestellungen, die "Aus meiner Haut" weder abschließend beantworten kann noch will, für die der Film aber Anstöße gibt. Dafür hat das Drama den "Queer Lion", den queeren Preis der Filmfestspiele von Venedig, mehr als verdient.
Mehr zum Thema:
» Interview zum Film: Mit wem würden Sie gern den Körper tauschen, Jonas Dassler? (01.02.2023)
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