Der Konflikt rund um Vorwürfe sexueller Übergriffe während der lesbischen Datingshow "Princess Charming" scheint sich beruhigt zu haben. Seit Teilnehmerin Wiki ihr anfängliches Geständnis eines Übergriffs im Dezember zurückgenommen und Videoaufnahmen der fraglichen Nacht im Internet veröffentlicht hatte (queer.de berichtete), war ein weiterer öffentlicher Schlagabtausch ausgeblieben.
Inzwischen kündigten die Macher*innen der Reality-TV-Serie an, dass es eine dritte Staffel geben werde. Hat sich also alles in Wohlgefallen aufgelöst?
Das sehen nicht alle so. Denn am Umgang der Produktionsfirma Seapoint und dem Sender RTL gibt es weiterhin Kritik. Ein Punkt, den die feministische TikTokerin Frau Löwenherz gegenüber queer.de aufbringt: Wie gelangte der Videomitschnitt eigentlich aus dem Seapoint-Archiv ins Netz?
Geständnis zurückgezogen
Kurz vor Weihnachten hatte der "Spiegel" ausführlich über den Konflikt berichtet. Dem Magazin gegenüber hatte Teilnehmerin Wiki erstmals ihr Geständnis zurückgezogen, einen sexuellen Übergriff an der "Princess"-Mitbewerberin Jo begangen zu haben (queer.de berichtete). Ursprünglich hatte sie sich öffentlich zu der Grenzüberschreitung bekannt. Der Grund: Videoaufnahmen, die die fragliche Situation zeigen.
Dem Rückzug des Geständnisses ging eine Intervention der Verantwortlichen der Show voraus. Ende November hatten die sich zu Wort gemeldet und Jo ungeachtet des Geständnisses von Wiki öffentlich vorgeworfen, über die Situation zwischen ihr und der Mitbewerberin "nachweislich falsche Darstellungen" verbreitet zu haben. Denn: Seapoint hatte das Videomaterial von einem Strafrechtsexperten sichten lassen (queer.de berichtete).
Der wiederum wollte in den Aufnahmen keinen Beleg für ein strafbares Verhalten, sondern vielmehr einen solchen für ein vorliegendes Einverständnis erkannt haben – eine Einschätzung, die die RTL-Produktionsfirma prompt über den "Prince & Princess"-Account auf der Plattform Instagram kundtat, auf der der Konflikt im Wesentlichen ausgetragen wurde. Das kam zwar beim Publikum nicht besonders gut an. Doch Seapoint bleibt bis heute bei dieser Haltung.
Am Tag des Erscheinens des "Spiegel"-Artikels veröffentlichte Wiki dann den fälschlich als "Rohmaterial" bezeichneten Zusammenschnitt von Videoaufnahmen der fraglichen Nacht auf ihrem eigenen Youtube-Account. Außerdem reaktivierte sie ihr Instagram-Konto und verwies in einem neuen Statement auf den Clip.
Riesiges Interesse an Mitschnitt
Das Interesse jedenfalls scheint riesig: Mehr als 141.000 Mal wurde das Video inzwischen abgerufen. Auch Wiki sieht sich durch die Aufnahmen entlastet – eine Einschätzung, der in der Folge nicht nur die mutmaßlich Betroffene Jo entgegengetreten war. Ihrer Auffassung nach zeige das Video die Situation genau so, wie sie sie erinnere. An ihren Vorwürfen hält sie unverändert fest. Die unabgesprochene Veröffentlichung der Videoaufnahmen, die sie in dem fraglichen Moment zeigen, hat sie als erneute Grenzverletzung kritisiert.
Die "Spiegel"-Journalist*innen Anton Rainer und Lara Schulschenk aber wollten in den Aufnahmen im Dezember "eine für Außenstehende grundlegend andere Situation" als die von Jo ursprünglich geschilderte erkannt haben. Schon der Umstand, dass die beiden Frauen Zärtlichkeiten austauschten, scheint für sie nicht in ihr Bild eines sexuellen Übergriffs gepasst zu haben.
So versteigen sie sich sogar zu den Behauptungen, dass keine Abwehrversuche zu sehen seien. Und "auch das Festhalten der Hände, das Jo in ihrem Instagram-Video geschildert hat", sei "so nicht zu erkennen". Eine Sichtung des Materials durch queer.de kommt aber zu anderen Schlüssen. So lässt sich etwa das Festhalten der Hände über dem Kopf ganz einfach per Screenshot belegen (Link zum Screenshot) (Bild: Youtube, Seapoint). Doch was ist beim Festhalten körperlicher, was psychischer Zwang?
Auch die Nutzer*innen in den Kommentarspalten erkennen auf dem Video entweder einen klaren Übergriff oder die restlose Entlastung der Beschuldigten – wohl je nachdem, was sie selber für grenzverletzendes Verhalten und was für eine legitime Form der sexuellen Interaktion halten. So oder so: Der veröffentlichte Mitschnitt verfehlte nicht seine Wirkung. Rund um den Konflikt wurde es über die Feiertage erstaunlich ruhig. Und damit auch um die Kritik an den "Princess"-Verantwortlichen.
Wie kam das Video ins Netz?
Doch Leonie Plaar bleibt weiter kritisch. Die feministische TikTokerin, die unter dem Namen "Frau Löwenherz" bekannt ist und der über 70.000 User*innen auf der Plattform folgen, hatte sich schon Monate vor dem öffentlichen Bekanntwerden des Konflikts in einem Video mit dem Thema beschäftigt – damals noch ohne Nennung von Namen. Denn sie war früh in die Auseinandersetzung eingeweiht.
Plaar findet den Weg seltsam, den der Videozusammenschnitt von Seapoint bis hinein ins Netz genommen hat, wo er nun frei verfügbar ist: "Ich finde, dass auch angesichts des komplett unterschiedlichen Umgangs mit Jo und Wiki durch Seapoint, als es darum ging, das Material zu sichten, die Frage im Raum steht, ob RTL/Seapoint es darauf angelegt hatten, dass das Video über Wiki ins Netz gelangt."
Denn: Während Jo zunächst nur eine Vorführung des Materials angeboten worden war, stellten die Verantwortlichen das Video der Mitbewerberin Wiki digital zur Verfügung. Nur so konnte es schließlich auf die Plattform Youtube gelangen. Doch hat Wiki mit der Veröffentlichung des Materials nicht die Urheber*innenrechte der Produktionsfirma verletzt, wenn es vorher keine Absprachen dazu gab?
Nachfrage bei den Verantwortlichen, ob RTL/Seapoint der ehemaligen Kandidatin die Rechte für den Videozusammenschnitt überlassen oder urheber*innenrechtliche Schritte in der Angelegenheit unternommen wurden. Eine Sprecherin antwortet, dass es zu der von Teilnehmerin Jo beschriebenen Situation "unterschiedliche Auffassungen" gebe. Man habe alles getan, um dazu beizutragen, die Situation zu "klären" und beide Seiten bei der Aufarbeitung zu unterstützen.
Man bitte zudem um Verständnis dafür, "dass wir uns dazu nicht mehr öffentlich äußern werden" Das gelte "auch für vertragliche Details". Eine Anfrage an Teilnehmerin Wiki, ob Seapoint ihr den Zusammenschnitt für eine Veröffentlichung im Internet zur Verfügung gestellt beziehungsweise die Nutzungsrechte hierzu an sie abgetreten hat, verbleibt ebenfalls unbeantwortet. Ein klares Dementi jedenfalls sähe anders aus.
Wie wird mit lesbischen Anliegen umgegangen?
Plaar bedrückt das Verhalten von Seapoint auch deshalb, weil "Princess Charming" mit der ersten deutschen Staffel zunächst als so wertvolle Repräsentation der lesbischen Community im TV gefeiert worden war, in dem auch die Anliegen der Gruppe verhandelt werden konnten. In einem Schreiben an Jo hatte Seapoint ebenfalls mit der Wichtigkeit der Show für die lesbische Community argumentiert.
Die Thematisierung von Konsens aber gehöre für Plaar "ganz fest zur lesbischen Community dazu", und zwar auch, weil "wir oft selbst Fetischisierung, Übergriffigkeiten bis hin zu sexualisierter Gewalt durch andere" ausgesetzt seien. Nur sei die lesbische Community dann selber nicht frei davon.
Aber wenn Seapoint "Princess Charming" für so wichtig für Lesben hält: Welche Community werde da eigentlich genau repräsentiert, wenn mit der Verhandlung von sexueller Gewalt so umgegangen werde? Und, entgegnet sie den Verantwortlichen der Show: "Woher kommt denn die aktuelle Kritik am Format?" Sie wertet das Interesse am Konflikt und die kritischen Kommentare als Beleg dafür, dass für die lesbische Community eben auch die Verhandlung von sexueller Gewalt und Grenzverletzungen relevant ist – und zwar auch abseits strafrechtlicher Fragen.
Dass ein Übergriff, gegen den sich das Opfer "nicht schreiend und schlagend wehrt", nicht strafrechtlich abgedeckt sei, heiße dementsprechend nicht, "dass es kein Übergriff ist", sondern "dass bei den bestehenden Gesetzen dringender Aufarbeitungsbedarf besteht", gibt Plaar zu bedenken.
Verantwortung für eine gute Show
Jetzt aber "diskutieren die Leute darüber, was auf dem Video zu sehen ist oder was nicht". Über die Verantwortung der Produktionsfirma und des Senders werde jedoch "überhaupt nicht mehr geredet", beklagt die TikTokerin.
Doch nicht nur in einem angemessenen Umgang mit Vorwürfen sexueller Gewalt hatten Kommentator*innen die Verantwortung von Seapoint gesehen. Auch war in den mehrfachen Vorfällen mit sexueller Gewalt die Notwendigkeit gesehen worden, das Format so zu ändern, dass Teilnehmer*innen in zukünftigen Shows mehr Sicherheit geboten würde.
Dazu gehört auch, dass die Macher*innen von "Princess Charming" sogar einen inkonsensuellen Kuss gefilmt und diesen im finalen Material ausgestrahlt hatten – ohne Einordnung, ohne Aufarbeitung. Ein Vorgang, der klar dem Selbstanspruch widerspricht, den Seapoint dann im Konflikt um die Vorwürfe von Jo vorgelegt hatte.
"Körperlichkeit", hatte es da nämlich geheißen, brauche "unbedingt Konsens". Das Wohlergehen der Singles in der "Charmings"-WG habe für die Verantwortlichen demnach "jederzeit höchste Priorität". Und was ist mit den Zuschauer*innen, die in der Show ein Bild von Sexualität und Zärtlichkeit vermittelt bekommen, wonach inkonsensuelle Küsse irgendwie dazu gehören?
Es sind Widersprüche, die Leonie Plaar mit Skepsis auf die kommende dritte Staffel von "Princess Charming" blicken lassen. Sie könne sich demnach vorstellen, dass es einen "minimal diverseren Cast" geben könnte: "Vielleicht bekommen wir eine Schwarze Princess oder eine behinderte Kandidatin." Das Ganze werde aber "wahrscheinlich oberflächlich bleiben". Und: "Eine öffentlichen Auseinandersetzung mit der mangelnden Repräsentation in vergangenen Staffeln von Prince und Princess Charming können wir wohl nicht erwarten."
Es wäre jedenfalls ein Umgang mit den Anliegen von Lesben, der die wirtschaftlichen Interessen von Sender und Produktionsfirma über die politischen Interessen der vertretenen Gruppe stellt. So wie mutmaßlich beim ominösen Weg, den der kontroverse Mitschnitt aus einem Archiv der Kölner Produktionsfirma Seapoint hinein in die Öffentlichkeit des Internets genommen hat.
Direktlink | Schon im August 2022 hatte Leonie Plaar alias Frau Löwenherz anonymisiert innerhalb eines kritischen Beitrags auch über mutmaßliche sexuelle Gewalt am Set von Princess Charming berichtet
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Das ist die systematische Abwertung aller Frauen, die nicht mithalten können, nach den Maßstäben desjenigen Patriarchats, gegen das man ja angeblich ist. Für mich als trans Frau, die ich das Pech habe, Mitte der 60er geboren zu sein, ist das extra bitter, erniedrigend und demütigend. Darum hatte ich gehofft, daß die Serie abgesetzt wird, damit ich nicht zB hier auf queer de Bikini-Bilder der Kandidatinnen sehen muß, wenn ich die Nachrichten lesen will.
Die Mißbrauchs-Geschichte ist wenigstens ein interessanter und wichtiger Aspekt. Es hieß ja viele Jahre lang, daß Mißbrauch, Partnerschaftsgewalt etc nur von Männern ausgeht, weil cis weibliche Täterschaft als unmöglich galt, was ja nicht erst seit wenigen Jahren als Generalverdacht gegen trans Frauen benutzt wird.
Ist es schon passiert, oder passiert es noch, daß behauptet wird, die Person unter Tatverdacht ist in Wirklichkeit eine trans Frau, die sich dort eingeschlichen hat? Noch ein beliebter Generalverdacht.