Noch kein halbes Jahr ist es her, dass Neonazis in Zürich eine Drag-Lesestunde für Kinder störten (queer.de berichtete). Am vergangenen Wochenende wurde in der Schweizer Metropole erneut mehrere Dragqueens angegriffen. Wir haben mit einer der Betroffenen, Vio La Cornuta, über den Vorfall gesprochen.
Vio, kannst du uns erzählen, was vorgefallen ist?
Zusammen mit anderen Dragqueens wurden wir am Samstag eingeladen, um eine neue queere Partyreihe in Zürich etwas bunt aufzumischen und gute Stimmung zu machen. Nach der Party waren wir auf dem Heimweg zu fünft unterwegs, Miss Miss Chris, Lady Wukai und eine junge Frau und ein junger Mann.
Und da wurdet ihr verbal und körperlich angegriffen?
Genau, drei junge Männer haben sich von hinten angenähert. Man hat gleich gemerkt, die wollen Stress. Miss Miss Chris und der junge Mann und die Frau waren ca. 20 Meter hinter Lady Wukai und mir. Zuerst wurden sie verbal beleidigt und angepöbelt und dann kamen sie auch noch zu uns. Miss Miss Chris wurde zusammengeschlagen.
Nach dem Vorfall habt ihr die Polizei angerufen?
Ja, Miss Miss Chris lag blutend am Boden. Ich hab laut um Hilfe gerufen. Ich habe zu Olivia, der jungen Frau, die mit uns dabei war, gesagt: Jetzt rufst du bitte die Polizei an. Ich wollte den Ort nicht verlassen, bevor die Polizei kommt. Ich habe es so behandelt wie ein Autounfall, da verlässt du die Unfallstelle ja auch nicht einfach, bevor die Polizei kommt. Wir hatten einfach auch Angst, dass wir den drei Tätern nochmals über den Weg laufen.
Die Polizei riet euch dazu, am nächsten Tag Anzeige zu erstatten.
Ja, genau. Sie haben uns nach Hause geschickt und meinten, sie haben keine Kapazität jemanden vorbeizuschicken. Wir sollen am nächsten Tag Anzeige erstatten.
Das habt ihr dann gemacht?
Ja, am übernächsten Tag, am Dienstag haben wir Anzeige erstattet. Miss Miss Chris sollte sich eigentlich noch ausruhen, sie hat eine schwere Gehirnerschütterung.
Du wurdest nicht körperlich angegriffen?
Nein, ich habe einfach geschrien. Ich hatte das schon öfter im Leben, dass mein Schreien mir geholfen hat. Lady Wukai war in Schockstarre.
Du bist häufiger in Drag unterwegs, bereitest du dich innerlich auf solche Situationen vor, oder ist das schon eher die Ausnahme, das sowas passiert?
Dass es zu physischer Gewalt kommt, ist schon eher außergewöhnlich. Verbal kommt häufiger vor. Ich habe letztes Jahr einen Selbstverteidungskurs für LGBTIQ-Menschen besucht, und dort wurde unter anderem auch geraten zu schreien, wenn sowas passiert.
Miss Miss Chris nach dem Angriff (Bild: privat)
Was müsste passieren, dass solche Gewalt nicht mehr vorkommt?
Ich bin einfach froh, dass keine Waffen im Spiel waren. Schwierig zu sagen, weil man jeden Fall einzeln betrachten muss. Ich glaube, es war eine Affekthandlung. Die drei waren generell auf Krawall aus, nicht speziell darauf aus, Queers anzugreifen. Das ist so eine Generation, die dazwischen ist, für die sind wir wie abnormal. Für junge Leute, denke ich, ist es gar kein Problem und auch ältere Menschen haben weniger ein Problem. Vieles ist hausgemacht, also kommt von den Eltern oder noch von den Großeltern.
Krass, dass Drags sich so einer starken Gefahr aussetzen.
Mir geht es persönlich einfach darum, dass Menschen verstehen sollten, dass ich auf meinem Arbeitsweg war. Und meine Kleidung war meine Arbeitskleidung. Ich würde mir wünschen, dass Menschen nicht so schockiert reagieren, wenn sie eine Dragqueen auf der Straße sehen. Auf der Bühne vergöttert man uns und auf der Straße werden wir komisch angeschaut. Ich möchte auch weiterhin so unterwegs sein. Wir haben nicht immer die Möglichkeit, uns vor Ort zu schminken. Außerdem hat auch einfach die Zivilcourage gefehlt. Ich bewege mich im öffentlichen Raum, ich will aufklären. Ich sage den Leuten, ja, ich gehe jetzt arbeiten, ich habe eine Show.
Du wirst dich auch weiterhin im öffentlichen Raum als Drag bewegen?
Ich kenne schon viele Drag-Künstler*innen, die nur noch mit Taxi und Uber unterwegs sind. Das verstehe ich. Ich möchte mich weiterhin so bewegen können. Ich wurde körperlich nicht angegriffen, ich weiß nicht, was das mit mir gemacht hätte.
Gibt es Unterschiede zwischen Stadt/Land oder zwischen verschiedenen Städten?
Genau das hat mich der Polizist auch gefragt, und ich muss schon sagen, solche Dinge erlebe ich leider immer nur in Zürich. In Luzern, wo ich wohne, gucken die Leute vielleicht einfach doof. Aber einen Angriff habe ich noch nie erlebt.
Hast du einen Wunsch für die Zukunft?
Ja, dass alle einfach rumlaufen können, wie sie wollen. Es sollte egal sein, ob jemand im Leder-Harness, in Drag oder mit lackierten Fingernägeln neben dir im Zug sitzt. Und dass Homo- und Queerfeindlichkeit einfach aufhört. Wir sind Teil der Gesellschaft. Als Dragqueen wirst du oft auch komplett übersexualisiert, dabei sind wir einfach Kunstfiguren, das verstehen viele nicht. Man müsste mehr aufklären. Definitiv.
In brenzligen Situationen werde und rede ich immer sehr laut, damit umstehende sogleich aufmerksam werden.
Neulich erst hat mich ein ca. 40 bis 50 jähriger Typ heftigst an der Schulter angerempelt auf dem Gehweg. Ich habe mich umgedreht bin hinter ihm her und sagte ganz offen heraus aus meiner Wut heraus, bleib stehen Du Wichser, ich hau dir ein paar in die Fresse. Aber er ging schnell weiter. Ich war so aufgebracht und hätte tatsächlich zugeschlagen.
Und über die Reaktion der Polizei zu diesen Vorfall kann ich nur mit den Kopf schütteln.
Und Mädels, beim nächsten mal das Pfefferspray bereithalten. Ein muß wenn ihr in Arbeitskleidung unterwegs seit.