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Offener Brief

"Times"-Autor*­innen kritisieren Trans-Berichterstattung der eigenen Zeitung

Über 200 Journalist*innen der "New York Times", einige von ihnen Redakteur*innen im Haus, haben ihrem Arbeitgeber in einem offenen Brief Vorwürfe gemacht. Der Grund: Die Trans-Berichterstattung.


Das Gebäude der "The New York Times" (Bild: Haxorjoe / wikipedia)

Die "New York Times" zählt eindeutig zu den größten, wichtigsten und meistgelesenen Zeitungen der ganzen Welt. Etwa acht Millionen Abonnent*innen hatte die Zeitung allein in 2021, von den jährlichen Besuchen beim Online-Angebot ganz zu schweigen.

Doch in Sachen Transrechte und US-Kulturkampf nutzt das eher linksliberal ausgerichtete Medienhaus seine Reichweite weniger, um mehr Verstehen oder den Rückgang von Ausgrenzung zu erzeugen. Vielmehr soll bei der Berichterstattung über diese Geschlechtsthemen ein "unheimlicher Mix aus Pseudowissenschaft und euphemistischer, aufgeladener Sprache" zur Anwendung kommen.

Und wer wirft dem traditionsreichen Unternehmen das vor? Mitarbeiter*innen der Zeitung selbst. In einem offenen Brief haben 200 Autor*innen der "Times" diese Form der Berichterstattung kritisiert – einige davon innerhalb des Hauses angestellt, die meisten als freie Journalist*innen für das Blatt tätig.

Trans als Krankheit dargestellt

Man habe "schwere Bedenken" betreffend einen redaktionellen Bias bei der Berichterstattung über transgeschlechtliche, nichtbinäre und geschlechtlich nonkonforme Menschen, heißt es in dem Brief. Zwar machten viele Mitarbeiter*innen ihren Job bei solchen Themen gut. Doch betrachte man die Titelseiten der Zeitung, seien allein in den vergangenen acht Monaten über 15.000 Wörter allein dafür in das graue Papier gedruckt worden, über die geschlechtsaffirmierende Gesundheitsversorgung transgeschlechtlicher Minderjähriger zu debattieren. Quellenangaben der dabei verwandten Informationen? Oft nicht vorhanden.

So habe ein Artikel etwa ein transgeschlechtliches Kind, das nach geschlechtsaffirmierender medizinischer Versorgung gesucht hatte, als "patient zero" (Patient*in Null) bezeichnet und damit suggeriert, dass Transgeschlechtlichkeit so etwas wie eine Krankheit sei. Eine zum Thema genannte Quelle sei als Person eingeführt worden, die über ihre individuelle Entscheidung gesprochen habe, zu detransitionieren, also eine begonnene Transition abzubrechen und rückgängig zu machen. Dabei sei die Frau in Wahrheit Vorsitzende einer Vereinigung, die Missinformationen zu Transthemen verbreite und sich in explizite Anti-Trans-Hassgruppen einreihe. Das erinnert an den Umgang deutscher Medien mit der "Detrans"-Aktivistin Sabeth Bank von der deutschen Abteilung der sogenannten "LGB Alliance" (queer.de berichtete).

Die Konsequenz solcher Berichterstattung? Im vergangenen Jahr habe etwa der Justizminister von Arkansas in einem Rechtsstreit drei Artikel der "Times" zitiert. In der juristischen Auseinandersetzung ging es um das mit drakonischen Strafen unterlegte Verbot des Bundesstaates, transgeschlechtlichen Kindern und Jugendlichen geschlechtsaffirmierende medizinische Behandlung zu gewähren. Auch vor einem Parlamentskommittee zu Gesundheitsthemen im Bundesstaat Nebraska seien "Times"-Artikel erst kürzlich als Quelle zur Untermauerung solcher Verbote herangezogen worden – inklusive Hinweis auf die große Reputation der Zeitung.

Wiederholt sich Geschichte?

Die Autor*innen erinnern auch an die Rolle der Zeitung bei der Dämonisierung von Homosexuellen in den 60er und 70er Jahren. Nach dieser Negativberichterstattung auch über die New Yorker Queer-Community, aus der die weltweit begangenen Pride-Paraden und Christopher Street Days hervorgegangen sind, habe sich die Zeitung redaktionell dazu entschieden, nicht mehr über Homosexuelle zu berichten. Einem hausinternen Leitfaden zufolge sei es etwa verboten worden, das Wort "gay" zu verwenden.

In der Folge war dann konsequent nicht über das HI-Virus und Aids berichtet und erst 1983 mit diesem Boykott aufgehört worden. Da waren bereits über 500 New-Yorker*innen an der Krankheit verstorben. Auch innerhalb der Zeitung habe in dieser Zeit ein Klima der Angst unter homosexuellen Mitarbeiter*innen geherrscht, ausgehend von der Führung.

Und: Auch in der dann anlaufenden Berichterstattung über die Epidemie, voll von schwulen- und homosexuellenfeindlichen Auslassungen und Einfärbungen, sei in der "Times" von einem "patient zero" die Rede gewesen. Dabei war der kanadische Flugbegleiter Gaëtan Dugas fälschlicherweise in diese Rolle gedrängt worden.

Dugas war 1984 an Aids verstorben. Allein die Fantasie über den Schwulen, der im Rahmen seiner beruflichen Kontakte rund um Flugzeuge und Flughäfen innerhalb und außerhalb der Vereinigten Staaten viele sexuelle Begegnungen hatte, reichte aus: Dugas, der vermeintliche "patient zero", musste absichtlich andere mit dem Virus angesteckt haben. Die Rhetorik von "Patient*in Null" aber tauche jetzt mit Verweis auf das Qualitätsmedium "The New York Times" bei der Verabschiedung und Verteidigung transfeindlicher Gesetze in den Bundesstaaten wieder auf, so der offene Brief.

Die Unterzeichner*innen erwarten von ihrem Arbeitgeber, dass die vorurteilsbeladene Stimmung im Haus aufhöre. "Manche von uns sind trans, nichtbinär oder geschlechtlich nonkonform und wir stören uns an dem Fakt, dass unsere Arbeit, nicht aber unsere Person gut genug für das Leitmedium ist." Und: "Manche von uns sind cis und wir haben die, die wir lieben, dabei gesehen, wie sie ihr wahres Ich entdeckt und dafür gekämpft haben und dabei oft gegen den Strom aus Bigotterie und Pseudowissenschaft anschwimmen mussten, der von genau derjenigen Berichterstattung geschürt wird, gegen die wir hier protestieren", schreiben die Autor*innen des offenen Briefs.

Berichterstattung verteidigt

Ein Sprecher der Zeitung, Charlie Stadtlander, verteidigte die im offenen Brief kritisierten Artikel bereits. Die Geschichten seien tiefgreifend und empathisch dargestellt worden, sagte er. "Unser Journalismus bemüht sich darum, die Erfahrungen, Ideen und Debatten in der Geselleschaft zu untersuchen, zu befragen und zu reflektieren – um den Leser*innen zu helfen, sie zu verstehen. Die Berichterstattung hat exakt dies getan und wir sind stolz darauf", sagte er. Die kritisierten Artikel repräsentierten darüber hinaus nur einen Teil der Berichterstattung und Meinungsartikel der Zeitung.

Bereits am Mittwoch hatten über 130 LGBTI-Organisationen in einem gemeinsamen Statement die Berichterstattung in der "New York Times" kritisiert. Demnach habe die Berichterstattung insbesondere im vergangenen Jahr an Qualität abgenommen. Wiederholt seien cisgeschlechtliche Stimmen präsentiert worden, die falsche und schädliche Missinformationen zum Thema verbreiten würden. Sie verwiesen auch darauf, dass die anhaltende Berichterstattung in Medien wie der "Times" nachweislich zu einer Verschlechterung der mentalen Gesundheit bei transgeschlechtlichen Jugendlichen geführt habe.

In den Vereinigten Staaten herrscht seit geraumer Zeit ein Kulturkampf um den Status und die Rechte transgeschlechtlicher Personen. Dabei setzen viele republikanisch geführte Bundesstaaten auf Verbote gegenüber transgeschlechtlichen Jugendlichen und ihren Ärzt*innen, medizinisch zu transitionieren (queer.de berichtete). Zudem zwingen sie sie dazu, Klos ihres Geburtsgeschlecht zu nutzen und in den Sportunterricht dieses Geschlechts zu gehen.

Gegenwärtig versuchen zudem einige Staaten, Lehrkräfte darauf zu verpflichten, ein Kind gegenüber seinen Eltern zu outen, wenn es in der Schule von sich als transgeschlechtlich spricht. In Texas ist die geschlechtsaffirmierende medizinische Behandlung von höchster Stelle als "Kindesmisshandlung" eingestuft worden (queer.de berichtete). Immer wieder kommt es aber auch zu Forderungen, trans Menschen und ihre Unterstützer*innen einfach zu ermorden (queer.de berichtete). Und: Die transfeindliche, falsche Berichterstattung schwappt teilweise auch nach Deutschland über (queer.de berichtete). (jk)

#1 Elena
  • 16.02.2023, 21:08h
  • Dass die Times, zeitweise unter berechtigter Kritik steht, ist nichts Neues. Dass es verschiedene Strömungen, in einem Haus dieser Größe gibt, ist zu erwarten. Dass, in einem Land, das in einen Kulturkampf um Trans* Personen verfällt - ich könnte heulen - selbst eine liberal sein wollende Stimme der bürgerlichen Mitte, in diese destruktive Auseinandersetzung hineingezogen wird. Ist mehr als bedenklich.
    Grüße Elena
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#2 canSarahAnonym
#3 SersphinaAnonym
  • 18.02.2023, 02:19h
  • Die NYT hat darauf geantwortet mit einem J. K. Rowling verteidigenden Artikel... Ganz tolles "liberales" Magazin, das abgesehen von der Transfeindlichkeit Antisemitismus als Markenkern hat.
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#4 AepfelchenAnonym