Das Schauen des neuen Krimis "Polizeiruf 110: Daniel A." lässt mich innerlich zerrissen zurück. Eine Aussage, von der ich nicht erwartete, sie mal über einen "Polizeiruf" zu treffen.
Aber von vorn: Kindergärtner Daniel und Grundschullehrerin Nathalie treffen sich abends in einer Kneipe – ein klassisches Date, bis Daniel in seinen Transporter steigt. Nathalie aber trifft auf ihren Nachbarn, der sich übergriffig verhält, sie verfolgt – und sie im Streit so hart gegen ein Auto stößt, dass Nathalie dabei ums Leben kommt. Am nächsten Morgen beginnen die Ermittlungen, und die Polizei versteht schnell, dass sie Daniel, den mysteriösen Mann aus der Kneipe, finden müssen, entweder als Täter oder als Zeuge. Problem: Daniel ist trans Mann, aber noch nicht geoutet; zur Polizei zu gehen, ist für ihn unvorstellbar, weil dort sein Vater arbeitet.
So viel zur Haupthandlung, die natürlich, so will es das Format, von vielen Nebenhandlungen begleitet wird. Am wichtigsten ist dabei die Einführung von Melly Böwe (Lina Beckmann), einer lieben, etwas vertrödelten Seele, als neuer Ermittlerin neben der toughen, unzugänglichen Katrin König (Anneke Kim Sarnau). Die Dynamik zwischen den beiden Frauen – und generell die Dynamik der Figuren auf dem Revier – ist dabei äußerst unterhaltsam anzuschauen, da diese Polizeistation die Atmosphäre eines Open-Concept-Workspaces hat, in dem alle nach dem Weggang eines Kollegen unfassbar angespannt sind und niemand außer den beiden Ermittlerinnen wirklich Lust zur Arbeit hat.
Gerade die Beziehung zwischen Böwe und König lässt viel Raum für spannende Entwicklungen in den nächsten Ausgaben des Rostocker Polizeirufs. Böwe ist in ihrer den Menschen zugeneigten Art ein Lichtblick in der Folge, die insgesamt doch sehr ins Düstere geht.
Die grundsätzlichen Ansätze sind lobenswert
Kommen wir zum Kernthema: Daniel A, dargestellt durch den trans Schauspieler Jonathan Perleth. Perleth, zum Zeitpunkt der Produktion gerade frisch von der Schauspielschule, bewegt sich souverän vor der Kamera und verleiht Daniel eine eindringliche Intensität. Regie führt Dustin Loose – der einiges richtig gemacht hat, angefangen dabei, einen trans Mann auch als trans Mann zu besetzen.
Die grundsätzlichen Ansätze und Intentionen seiner "Polizeiruf"-Episode sind lobenswert. Er interessiert sich für schwierige, menschliche Dynamiken – innerhalb von Familien, aber auch innerhalb des Polizei-Kollegiums. Einfache Antworten gibt es bei ihm nicht. Es ist schätzenswert, dass er sich dieses Themas annimmt und wirklich versucht, eine differenzierte, komplexe, nachvollziehbare Geschichte ohne Stereotype zu erzählen. Das Problem ist, dass es ihm und Drehbuchautor Benjamin Hessler einfach nicht gelingt.
Wie cis Personen sich trans Menschen vorstellen
Allein, dass trans Mann Daniel A. vorher Daniela hieß – das ist eine so dämliche, von cis Vorstellungen triefende Trope, dass es fast schwer zu glauben ist. Warum ist es so schwer, ihm einen anderen Namen zu geben? Man ist sehr progressiv, man hat sich viele Gedanken gemacht, aber er musste Daniel heißen. Ab Minute zwei beginnt also für mich das Trans-Bullshit-Bingo. Was werden sie als nächstes inszenieren? Wird er sich lange im Spiegel anschauen? Wird er mit Nachdruck solche Sachen sagen wie: "Das ist mein wahres Ich!"? Wird er sich Make-up aggressiv abwischen? Müssen wir ungefähr dreimal zuschauen, wie er sich auszieht, seinen Binder von seiner Brust abwickelt? Ja, ja und nochmals ja.
Daniel mit Binder vor dem Spiegel Bild: NDR / Christine Schröder)
Bin ich hier fies? Ebenfalls ja. Ich ringe mit mir, solche Rezensionen zu schreiben, denn einerseits bin ich dankbar, andererseits kann das aber nicht bedeuten, dass ich sämtliche Ansprüche fallen lasse. Sicher, es freut mich absolut, dass trans Menschen im Öffentlich-Rechtlichen vorkommen und dass zumindest versucht wird, uns nicht ausschließlich als Mörder und Freaks darzustellen. Denn die Darstellung von trans Menschen beeinflusst eben, wie Menschen uns behandeln, als was sie uns sehen. Gerade mit einem "Polizeiruf" kann man ein Publikum erreichen, das sich vielleicht nicht unbedingt Aufklärungsformate auf Youtube anschauen würde.
Der trans Mann bleibt die "biologische" Frau
Also, warum? Was ist da schiefgelaufen? Warum ist der große, befreiende Moment am Ende die Ermittlerin, die sagt: "Keine Sorge, die DNA [des Täters] ist die eines Mannes – eines biologischen Mannes!" Sicher, hier spricht die Figur, aber durch sie hindurch sprechen die Vorstellungen des Drehbuchs und der Inszenierung: Daniel identifiziert sich nur als Mann, doch "biologisch" ist und bleibt er in dieser Welt eine Frau. Hier ein bisschen komplexer ans Vokabular heranzugehen, wäre wünschenswert gewesen. Denken wir an Armin, Daniels Freund, einem Automechaniker, ebenfalls trans Mann und schon lange in seiner Transition. Er ist also jemand, der das hormonelle System eines Mannes hat, als Mann lebt und wie ein Mann aussieht (was immer das heißt), jemand, der "M" im Pass stehen hat. Aber, so wäre sich der "Polizeiruf" bestimmt sicher, "biologisch" ist er eine Frau.
Nett, dass man zeigen möchte, wie wichtig ein selbstbestimmtes Coming-out ist – aber um Himmelswillen doch nicht so. Wir schauen Daniel über eine Stunde dabei zu, wie er sich weigert, zur Polizei zu gehen, aus Angst, seine Identität würde ans Licht kommen. Angst hat er besonders vor seinem Vater, einem aufbrausenden, auf den ersten Blick grausamen Patriarchen, der außerdem noch mit der Schwangerschaft seiner 15-jährigen Tochter und dem neuen, immer schreienden Enkelkind überfordert ist. Daniel hängt an dem Baby und seiner Schwester, will nicht riskieren, sie zu verlieren – okay, nachvollziehbar. Es drängt sich jedoch zunehmend die Frage auf, ob man das nicht irgendwie anders hätte erzählen können.
Es gibt mehr zu erzählen als das "schlimme Geheimnis"
Es werden schließlich Themen angerissen, um die es viel Diskurs in der Community gibt. Es geht um Stealth-Sein (also seine trans Identität nicht zu offenbaren). Es geht um Passing (als cis durchzugehen, obwohl man trans ist). Gerade zwischen Armin und Daniel hätte man interessante Fragen verhandeln können – könnte Armin vielleicht zu einer älteren Schule in der trans Community gehören, hat er das Bedürfnis, stealth zu leben und sich selten als trans zu outen? Gäbe es Konflikte zwischen ihm und dem wesentlich jüngeren, vielleicht durch Social Media geprägten Daniel, der sicher einen ganz anderen, einfacheren Weg in der Transition geht, als Armin es durchmachen musste? Viel Potential.
Das neue Rostocker "Polizeiruf"-Kommissarinnen-Team Melly Böwe und Katrin König mit Daniel A. (Bild: NDR / Christine Schröder)
"Trans Menschen ist ihre Identität wichtiger, als das eine Person gestorben ist", bleibt unterm Strich übrig. Daniel als Figur mit Fehler zu schreiben – gerne, ja. Wer hat schon Lust auf glattgebügelte Repräsentation? Noch dazu handeln Menschen in Angst und Panik natürlich irrational, gerade wenn sie befürchten, ihre Familie zu verlieren. Musste man Daniel jedoch zu einem Typen machen, bei dem man quasi den Fernseher anschreit aufgrund seiner Unfähigkeit? Jemand, dessen "schlimmes Geheimnis" [sic] all seine Freund*innen enorm mitbelastet? Jemand, der genau wie der Mörder seine Ex-Freundin stalkt?
Für cis Regisseur*innen sind wir ein interessantes Thema
Was genau ist der Mehrwert davon, trans Menschen dabei zuzuschauen, wie sie mit ihren "schlimmen Geheimnissen" ringen? Effektiv bedeutet das für uns als Publikum, einer Stunde und fünfzehn Minuten genervten, gestressten, verzweifelten Menschen zuzuschauen, die mehr oder weniger in ihrer eigenen Soße herum rudern, während alle spannende Handlung in den letzten zehn Minuten passiert. Aber nach dem Coming-out, nach dem Moment X geht es eben auch weiter – wie kommt Daniels Vater mit seinem Sohn klar? Ist jetzt plötzlich alles gut? Wie wird Daniels Transition auf seinem Arbeitsplatz aufgenommen? Wie wird Daniel mit dem Tod von Nathalie (über die wir übrigens nichts erfahren) umgehen können? Aber dann ist die Folge eben zu Ende.
Für cis Regisseur*innen sind wir eben ein interessantes Thema. Wir sind spannend. Wir sind etwas, das man verhandeln muss. Trans sein ist dramatisch und belastend. Wir sind nicht Teil des Themas, nein, wir sind das Thema. Hätte ich mir das als jüngerer trans Mann angesehen, hätte ich gedacht: es muss so schlimm sein, trans zu sein. Denn außer von einer vagen Ahnung davon, dass Daniel jetzt irgendwie sein "wahres Selbst" sein kann, wird nichts über trans männliche Identität und Konflikte vermittelt. Und das kann doch nicht den Intentionen entsprechen, die das Drehbuch ursprünglich einmal hatte.
Am Ende stehe ich also so da, wie ich oft dastehe, nachdem ich mir die Darstellungen von trans Menschen durch cis Menschen angeschaut habe: Ich wünschte einfach, es wäre besser.
Der "Polizeiruf 110: Daniel A." wird am Sonntag, den 19. Februar 2023 um 20.15 Uhr im Ersten ausgestrahlt. Anschließend ist die Sendung sechs Monate lang in der ARD Mediathek verfügbar.
Nichts anderes erwartet. Danke für die Bestätigung, Produktion wird ignoriert. Irgendwann raffen es diese Content Creator (ich möchte nicht von Drehbuchautor*innen, Regisseur*innen etc. sprechen, denn das hieße, mensch setzte sich mit dem Thema, das mensch inszeniert, auseinander - was im ÖRR meist nicht passiert. Mensch setzt nur stupide Stichwörter um, "Malen nach (themenfremden) Zahlen", gut gemeintes Belehrungs-TV mit bestenfalls Cringefaktor, schlimmstenfalls mehr Schaden als Nutzen - gut gemeint eben: gut gemeint ist der Feind des tatsächlich gut Gemachten).