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Folge 8 von 53
Schwule Symbole im Film: Trinken
In dieser Folge geht es nur um Getränke, die ihre ganz eigenen Geschichten haben. Schwule scheinen dabei mit Prosecco und einigen Cocktails sogar ihre ganz eigenen Getränke zu haben.

Eine Anspielung auf Bacchus, den Gott des Weines und des Rausches, in Derek Jarmans "Caravaggio" (1986)
19. Februar 2023, 07:03h, Von
Diese Artikelserie wurde gefördert von der Homosexuellen Selbsthilfe e.V., www.hs-verein.de
Trinken – der Wunsch nach zwei Gespritzten
Das gemeinsame Trinken und die damit einhergehenden Trinkrituale wie das Anstoßen und Zuprosten auf das gegenseitige Wohl stärken das Zusammengehörigkeitsgefühl. Trinkkulturen und -rituale dienen dem Bedürfnis nach Gemeinsamkeit und Verbindung und treffen Aussagen über soziale Beziehungen. Auch einzelne Getränke wie Cocktails haben je nach Inszenierung verschiedene symbolische Bedeutungen. Dies hängt u. a. davon ab, um welche Getränke es sich handelt und ob die bestellten Getränke aus der sozialen Norm herausfallen.
Getränke – Ausdruck der Persönlichkeit
Verschiedene Getränke können – vor allem, wenn sie vergleichend nebeneinander gestellt werden – die Persönlichkeit der Trinkenden gut zum Ausdruck bringen. In "This car up" (2003) wird die Anziehung zwischen einem Bier trinkenden Kurier und einem Wein trinkenden reichen Mann durch Parallelschnitt deutlich gemacht. Auch drei Szenen aus der US-Serie "Queer as Folk" lassen sich hier anführen: Während der Chiropraktiker David Cameron Wein trinkt, bestellt sich der jüngere Michael eine Pepsi (Folge 1/5). In einer späteren Folge unterhält sich Michael über das Alter, nimmt die Bestellung seiner Pepsi zurück und bestellt sich doch lieber einen Wein (Folge 5/13). Die Party-Maus Emmett trinkt einen Cosmopolitan, während sich der eher biedere Ted ein Glas Wasser bestellt (Folge 3/12).

Ein längeres Gespräch über Wein und Pepsi-Cola macht deutlich, dass Michael Novotny und David Cameron nicht viel gemeinsam haben ("Queer as Folk", USA, Folge 1/5)
Auch Gabriel in "Trick" (1999) ist recht brav und bestellt sich dazu passend eine Cola light. In "Férfiakt" (2006) trifft sich der junge Zsolt (Fruchtsaft) mit dem älteren Tibor (Wein). Tibors neues Buch "Der bittere Kelch" verweist sprichwörtlich auf ein Getränk, das zunächst süß schmeckt und dann in Bitterkeit und Leiden umschlägt – was seinem Verhältnis zu Zsolt entspricht.
Kaffee, Café au lait und Cappuccino – Sex von beiden Seiten der Kaffeetasse

Der schwule Spielfilm "Coffee Date" (2006)
Im Englischen kann "coffee" sexualisiert werden, indem z. B. die Frage "Willst du zum Kaffee hochkommen?" mit dem Wunsch nach Sex gleichgesetzt wird (s. Urbandictionary). Die Formulierung "Kaffee von der falschen Seite der Tasse getrunken" verweist umgangssprachlich auf Analverkehr (s. Urbandictionary). Solche Zusammenhänge erklären die Titel des schwulen Langfilms "Coffee Date" (2006) sowie der schwulen Kurzfilme "Coffee" (2004, hier online), "Coffee Club" (2011) und "Coffee and a Bite" (2012). In seltenen Fällen wird aus dem Subtext ein Text: Emmett mag in "Queer as Folk" (USA, Folge 3/2) den Kaffee wie die Männer: "stark, geschmackvoll und immer heiß".
Die Bezeichnung "Café au lait", eigentlich Kaffee mit Milch, bezieht sich in der amerikanischen Umgangssprache häufig auf unterschiedliche Hautfarben (s. Urbandictionary). In dem Kurzfilm "Recruiting" (2005, hier online) wird ein Mann bei einem Café au lait gefragt, ob er schwul ist – auch wegen der von ihm gelesenen Zeitschrift und weil er das Wort "fabulous" verwendet.
Auch ein Cappuccino (Espresso und Milchschaum) verweist aufgrund seiner Ingredienzien umgangssprachlich auf Sex zwischen Menschen mit unterschiedlichen Hautfarben (s. Urbandictionary). Einen "Cappuccino gemacht" zu haben bedeutet, dass sich das Sperma schäumend im Mund befindet (s. Urbandictionary). Solche sexualisierten Bedeutungen liegen wohl dem Titel des schwulen Kurzfilms "Cappuccino" (2010) zugrunde und dezent arbeiten damit auch auch die Serien "Beverly Hills, 90210" (Folge 4/26) und "Postmortem" (2005, hier online). Dass ich – außerhalb von Pornographie – keinen Hinweis auf einen "Café Latte" im Sinne von Erektion gefunden habe, mag vielleicht daran liegen, dass dieses Wortspiel nur im Deutschen funktioniert und diese Anspielung als zu plump wahrgenommen werden könnte.
Tee – "soft", "weiblich" und "schwul"
In "Ein Kampf auf Leben und Tod" ("Zurück in die Vergangenheit", Folge 4/12, 1992) trinkt ein Schwuler beiläufig anmutend statt einem Kaffee lieber einen Tee. Etwas deutlicher ist der Kurzfilm "Coffee or Tea?" (2012), wobei sich Titel und Inhalt dieses Films auf die Frage nach Sex mit einem Mann oder einer Frau beziehen. In den USA wird ein Kaffee als "stark" und "männlich" bzw. ein Tea als "soft", "weiblich" und "schwul" wahrgenommen. Es ist daher passend, wenn nach "The Routledge Dictionary of Modern American Slang and Unconventional English" (2009, S. 752) in den USA mit "Pink Tea" umgangssprachlich ein femininer schwuler Mann bezeichnet wird.
Soziale Verbundenheit und Ablehnung
Das wohl bekannteste Trinkritual ist das schon seit dem Mittelalter bekannte Anstoßen. In "The Sum of Us" (dt. Titel: "Die Summe der Gefühle", 1994) stößt Harry Mitchell mit seinem schwulen Sohn Jeff in geselliger Runde an und zeigt damit seine Nähe zu ihm.
Wie das Ablehnen einer Zigarette (Folge 9) ist auch die Ablehnung eines Getränkes immer als äußeres Zeichen einer sozialen Abgrenzung inszeniert. Beispiele finden sich in "Das Bildnis des Dorian Gray" (2009), worin der Maler von Dorian kein Getränk annehmen möchte, und in "Der letzte Freund fürs Leben" (2017).

Vater und schwuler Sohn in "Die Summe der Gefühle" (1994)
Weitere Subtexte – emotionale Kälte und blutrotes Wasser
Der Subtext von Szenen mit Getränken bezieht sich oft auf klischeehafte Zuschreibungen. Diese können deutlich ausfallen wie die Bestellung von zwei "Gespritzten" in "Jeffrey" (1995), was auf einen Orgasmus verweist. In "Después del invierno" (2012, 9:20 Min., hier online), wo die Jahreszeiten auf die Gefühlswelt übertragen werden, trinkt ein schwuler Mann ein heißes Getränk gegen die emotionale Kälte.
Der schwule russische Komponist Pjotr Tschaikowsky starb 1893 an der Cholera, weil er vermutlich aus Unachtsamkeit ein Glas nicht abgekochtes Wasser trank. In "Die Akte Tschaikowsky" (2015) wird an dieser Stelle ein blutrotes Glas Wasser gezeigt. Ansonsten wird "ein Glas Wasser" eher im Kontext von Anspruchslosigkeit und existenziellen Wünschen inszeniert – wie die Bitte um ein Glas Wasser in "Oscar Wilde" (1997) – oder als Ausdruck einer Lebenseinstellung (halb voll oder halb leer). Erwähnen lässt sich an dieser Stelle auch noch "It's in the Water" (1997), wo sich im konservativen Texas mehrere Männer und Frauen outen und die intoleranten Einwohner die Befürchtung haben, das dies am Trinkwasser liegen könnte.

Ein blutrotes Glas Wasser als Zeichen des Todes in "Die Akte Tschaikowsky" (2015)
Pornofilme – Saft als Sperma und Kaffee als Verweis auf Hautfarbe
In Schwulenpornos steht Saft leicht dechiffrierbar für Sperma ("Lemonade", "Got Juice!", "Boyjuice 8", "Säfte satt"). Passend dazu tragen mehrere Darsteller Namen wie "Joe Juice" und "Jack Juice". Das schwule Porno-Label "Cre8tive Juices" rückt Sperma in den Mittelpunkt seiner Arbeit.
Bei schwulen Pornofilmen wird mit Kaffee und Sahne der Sex zwischen Männern unterschiedlicher Hautfarben ("Cream and Coffee") oder auch eine Erektion ("Café Latte") zum Ausdruck gebracht. Die beiden Titel "Café Cum Leche" und "Cum Leche" sind Wortspiele aus der spanischen Bezeichnung für Milchkaffe ("Café con leche") und dem englischen Wort "cum" (= Sperma), die, wie die Bildgestaltung zeigt, ebenfalls Sex zwischen Männern mit unterschiedlichen Hautfarben meinen. Dass die Darsteller in Schwulenpornos – wie in diesen Beispielen – auf ihre Hautfarbe reduziert werden, kann als rassistisch angesehen werden.
Symbolische Überschneidungen ergeben sich beim Durst nach Blut (Folge 4) wie in "Thirst", bei der Frucht (Folge 7) in Fruchtsäften, wie im Titel von "Juicy Cock", und bei Toilettenanlagen (Folge 29), die im Englischen auch als "tearooms" bekannt sind ("Tearoom. Tete-a-Tetes"). Auch auf den Covern von Schwulenpornos sind Trinkrituale zu sehen. Das Einschenken in "My hot uncle" kann eine freundliche soziale Geste und sexueller "Türöffner" sein. Das Anstoßen mit Gläsern untermauert in Verbindung mit dem Text und der sonstigen Bildgestaltung besondere Momente ("Alumni Weekend", "Brady loves Kevin. A very open relationship", "My first time").

Der Porno "Got Juice!" mit Saft als Sperma und dem Hauptdarsteller "Juice"
Wein – vom alkoholischen und sexuellen Rausch
Wein ist ein altes Kulturgut. In christlicher Tradition ist Wein symbolische Nahrung, die für das Blut von Jesus Christus steht. Im antiken Mythos von Dionysos verbindet sich der Weinrausch mit dem Blutrausch und in Vampirfilmen steht das Begehren nach Rotwein für das nach Blut. Der Wein spielt in Filmen als sexuelles Anregungsmittel, als "Türöffner" und beim Vorspiel für sexuelle Kontakte eine nicht unerhebliche Rolle. Dabei wird der Rausch, den der Wein vermittelt, manchmal in eine direkte Beziehung zum sexuellen Rauscherlebnis gesetzt.
Alkoholischer und sexueller Rausch
In einigen schwulen Filmen ist der Wein Hemmungslöser und "Türöffner" wie in Derek Jarmans "Sebastiane" (1976). In "Oscar Wilde" (1997) zeigt sich dies in einer Szene im Männerbordell, in der Oscar Wilde Rotwein eingeschenkt bekommt und daraufhin sein Etui verschenkt. Auch in "Die Träumer" (2003) von Bernardo Bertolucci wird Wein als Hemmungslöser in einer homoerotischen Situation zwischen Matthew und Théo eingesetzt. Von den Kurzfilmen ist "Placer" (2009) zu nennen, der das Trinken von Rotwein mit dem späteren sexuellen Rauscherlebnis verbindet. In "Cottageboy" (2013) wird Rotwein bei einem jungen Mann als "Türöffner" verwendet und in "Después del invierno" (2012, 13:30 Min., hier online) kuschelt ein schwules Paar vor leeren Weingläsern.

Der Wein in der "Die Träumer" (2003) von Bernardo Bertolucci
Eine Rotweinflasche und Kondome lassen sich wie in "Inflatable Swamp" (2010) leicht als Verweis auf Rausch, Ekstase und eine wilde Nacht dechiffrieren. In manchen Filmen scheint es auch darum zu gehen, dass die Männer – entsprechend der Weisheit "in vino veritas" bzw. "im Wein liegt die Wahrheit" – authentischer werden. Dazu lässt sich eine Filmszene aus "You are not alone" (1978) zählen, auch wenn sie nicht so deutlich ausfällt wie z. B. entsprechende Szenen in den beiden Lesben-Klassikern "Mädchen in Uniform" (1931, 1958). Zu einer bewussten Inszenierung der Bedeutung von Wein kann sogar der Verzicht auf Wein gehören, wenn in "My fair son" (2009) ausdrücklich betont wird: "I don't need wine. You are my wine."

In vino veritas in "You are not alone" (1978)
Kulturhistorische Bezüge – der Gott des Weines
In Bezug auf Bacchus, den Gott des Weines und des Rausches aus der griechischen Mythologie, betont in Derek Jarmans "Caravaggio" (1986, 2:40 Min., hier Szene online) der gleichnamige Held: "Ich malte mich als Bacchus und übernahm sein Schicksal", während er sich dazu mit Wein und Männern vergnügt. Bacchus dient hier als homoerotisch-historische Referenz, wie man sie auch in Bezug auf Michelangelos Bacchus-Statue finden kann. Soweit ersichtlich, handeln offenbar alle schwulen Filme, in denen Wein als Bedeutungsträger vorkommt, vom Rotwein, der sich von der Farbsymbolik Rot (Folge 33) her besser eignet als der in doppelter Hinsicht eher farblose Weißwein.
Rotwein – als Blut
Der Kurzfilm "Chapo" (2012) fällt hier ein wenig aus dem Rahmen, weil darin ein Jugendlicher sehr viel Rotwein trinkt und von seinem Gastgeber später vergewaltigt wird. Zwischen Rotwein und Blut kann ein assoziativer Zusammenhang hergestellt werden, wie u. a. in der schwarzen Komödie "Sitcom" (1998). In "WC masculino" (2017) wird das Einschenken von Rotwein durch Parallelschnitt in Verbindung mit Blut bei einem homophoben Überfall gebracht und steht daher im Zusammenhang mit dem Mord. In "Apartment Zero" (1988) bringt ein Mann seinen Geliebten um und reicht der Leiche anschließend ein Glas Rotwein.

Der Rotwein passt zum Mord in "Apartment Zero" (1988)
Rotwein – als Blut in Vampirfilmen
Klassisch ist die Gleichsetzung von Rotwein mit Blut in Vampirfilmen (Folge 53). Bei einem Vampir wird das Aussaugen eines Menschen wie eine sexuelle Handlung dargestellt und manchmal mit einem Orgasmus verglichen (s. Wikipedia). In solchen Filmen bzw. Szenen ist daher auch das Trinken von Rotwein sexualisiert. Mittlerweile gibt es moderne Versionen von Vampirfilmen wie "Interview with a vampire" (1994) und "What I want from You" (2012). In "Watch over me" (2010) bietet sich ein eher modernes Getränk für die Assoziierung mit Blut an – hier bestellt sich ein schwuler Vampir lieber eine Bloody Mary.

Die "Bloody Mary" in "Watch over me" (2010) verweist als Cocktail auf ein klischeehaft schwules Getränk, aber auch auf Blut und – nur sehr indirekt – auf Rotwein
Pornos – frischer Wein und frische Männer
In Schwulenpornos ist Wein kein großes Thema. Im Porno "Fresh off the Vine" verkörpert auch der Mann auf dem Cover ein hohes Maß an Frische und Natürlichkeit. Der Pornodarsteller "D-vine" hatte offenbar keinen Wein vor Augen, als er sich diesen Namen gab, sondern dachte vermutlich an die bekannte Dragqueen Divine (1945-1988), die vor allem durch die Filme von John Waters bekannt wurde.

Ein schwuler Winzer aus dem Porno "Fresh off the Vine"
Sekt und Prosecco – auf den muskulösen Oberkörper spritzen
Bei Sekt- und Prosecco-Flaschen kann das sinnliche Erlebnis schon beim Öffnen der Flaschen beginnen, weil so überschäumende sexuelle Bedürfnisse angezeigt werden. Anders ausgedrückt: Das Herausspritzen von Sekt aus einer gerade geöffneten Sektflasche kann je nach Inszenierung ein Symbol für einen Orgasmus sein und der mit einer Hand umklammerte Flaschenhals ein Phallus-Symbol. Prosecco ist ein klischeehaftes Getränk von Schwulen (Szenebezeichnung "Tuntenbrause") bzw. Frauen und daher gut geeignet für Anspielungen auf Männlichkeit und Geschlechterrollen.
Das Öffnen der Sektflasche – ein Orgasmus
In einigen Filmen steht das Öffnen einer Sekt- bzw. Champagnerflasche in deutlich schwulem Zusammenhang für eruptiv herausspritzendes Sperma, wie in "Eine Liebe wie andere auch" (1983), "Clapham Junction" (2007), der Serie "The A List New York" (2010-2011) und in "Peter von Kant" (2022). Noch deutlicher sind Szenen in "Baby Cake" (2010, 1:15 Min., hier online) wegen der Nahaufnahme und in "Brotherhood II" (2001) wegen der erotischen Einbindung in eine Pool-Party, wo auch die Flasche deutlich zum Phallus-Symbol wird.

In "Baby Cake" (2010) wird ein Baby mit Sperma gezeugt und seine Geburt mit einem Sperma-Symbol gefeiert
In "Another Gay Sequel" (2008) ploppt der Sektkorken direkt im Anschluss an eine Sexszene. Es wirkt symbolisch verstärkend, wenn die Sektflasche – wie in einem schwulen "Tatort" (Folge 455, 2000) – von dem (namenlosen) Freund des Mordopfers beim Öffnen zwischen seinen Beinen gehalten wird. Im Intro der schwulen Restaurant-Serie "Durchgehend warme Küche" (1991-1994, nur die 28 Folgen von 2/1-3/4) ist eine überschäumende Sektflasche in Hüfthöhe sogar besonders präsent.
Andere Getränke – Orgasmus-Variationen

Eine überschäumende Bierflasche in "Guy 101" (2006)
Die gleiche sexuelle Symbolik lässt sich auch bei anderen überschäumenden Getränken beobachten, wie bei einem überschäumenden Glas in "Pfahl in meinem Fleisch" (1969) und einer überschäumenden Bierflasche in "Guy 101" (2006). In "Der Sprinter" (1987, 1:00 Min., hier online) wird das Thema leicht variiert: Ein Glas mit Wasser schäumt über, als eine Portion "Sportlereiweiß", was sich hier leicht als Sperma dechiffrieren lässt, beigemischt wird.
Der Film "Endstation Sehnsucht" (1948) wird als ein frühes Beispiel für eine solche Inszenierung angesehen. Die Szene, in der Kowalsky (D: Marlon Brando) die "Flasche öffnet, den Schaum über seinen muskulösen Oberkörper spritzt und dann sichtlich genussvoll […] an den Mund setzt, hat einen eindeutig erotischen Gehalt". Das Zitat stammt von Friedrich W. Doucet ("Taschenbuch der Sexualsymbole", 1971, S. 116), der diese Filmszene offenbar heterosexuell deutet. Wegen der Einbettung des Filmdialogs, der Homosexualität des Autors der Vorlage, Tennessee Williams, und der Form der Inszenierung (der Mann und nicht die Frau nimmt die Flasche an den Mund) ist – mit etwas Phantasie – auch eine schwule Interpretation möglich.
Prosecco und Homosexualität
Das Wissen um Prosecco als schwules Klischee wird mittlerweile breit vorausgesetzt, weil der nur aus Andeutungen bestehende Humor sonst kaum funktionieren würde: In einer Folge der Serie "Der Tatortreiniger" (2/4) betont ein Schwuler (klischeekonträr), dass er einen Wodka einem "warmen Prosecco" vorziehe, und Thomas provoziert in "Familie Braun" (2015) seinen Neonazi-Kumpel Kai mit einem Spruch über Prosecco. In der Schwulenszene war Prosecco als "Tuntenbrause" schon ein Kultgetränk, bevor er als schwuler Running Gag in "T(r)aumschiff Surprise" (2004) eingebaut wurde (queer.de).
Weitere Bedeutungen – stereotype Süße und Phallus
Eine Gruppe von Schwulen hat sich in "Liebesgrüße aus der Lederhose" (3. Teil, 1977) in einem Hotel eingecheckt und lobt den Champagner des Hotels, weil es "eine besonders süße Sorte" ist. Was heute als Kommentar fast untergehen würde, entsprach früher einer weit verbreiteten stereotypen Vorstellung.
In "Beneath the Skin" (2015, 1:19:00 Std., hier online) ist Joshua nackt, als er die Sektflasche direkt vor sein Geschlechtsteil hält und damit seinem Freund zum Geburtstag gratuliert. Er öffnet sie zwar nicht und macht dafür sich zum Geschenk, aber als Phallus-Symbol ist die Flasche dennoch leicht erkennbar.

Phallus in "Beneath the Skin" (2015)
Milch und Bier – "Weiblichkeit" und "Männlichkeit"
Milch ist ein archetypisches Symbol für "Weiblichkeit", weil sie mit dem Stillen verbunden wird, und kann – wie in den Ausdrücken "Milchbubi" und "Milchgesicht" – ein Symbol für Kindlichkeit darstellen. Bier ist dagegen das klischeehafte Getränk von Männern (s. a. Artikel in der "Süddeutschen Zeitung", 7. Mai 2010), dessen erster Genuss bei einem Jugendlichen als Initiation gefeiert werden kann. Sehr viel Bier kann für Einsamkeit und Grenzüberschreitung stehen. In Verbindung mit Geschlechter-Stereotypen können Milch und Bier zu Homosexualität in Bezug gesetzt werden.
Milch – "weiblich"
In "The Score" (1974) bekommt Eddie von einer Frau ein Glas Milch und von einem Mann ein Glas Scotch angeboten. Dass er von beiden probiert, sagt in dieser Form der Inszenierung und des späteren Verlaufs auch etwas über seine sexuelle Experimentierfreude aus und dass ihm der Scotch besser schmeckt, auch etwas über seinen sexuellen Geschmack. Nur wegen der Zuschreibung von Milch ist es lustig, wenn sich der schwule Wieland in "Der Sprinter" (1984) in einer Kneipe ein Glas Milch bestellt. In "Breakfast on Pluto" (2005) symbolisieren zwei Milchflaschen die Brüste einer Frau und verweisen auf das Verhältnis des schwulen Protagonisten zu seiner Mutter.

Die Fragen nach Geschlecht und Getränk werden in "The Score" (1974) verbunden
Bier – "männlich"
Weil Schwule klischeehaft keine "richtigen" Männer sind, kann mit Bier auf sexuelle Vorlieben angespielt werden, wie in "Unsere Bar soll sauber bleiben" ("Cheers", Folge 1/16, 1983), wo die als schwul angesehenen Gäste statt eines normalen Biers ein "light beer" bestellen. Die Folge endet damit, dass ein Hetero einen Kuss von zwei Schwulen auf die Wange bekommt und daraufhin sagt "Besser als Bier".
In neueren Filmen verändert sich zwar nicht das Klischee, aber der Umgang damit: In "Lovely Faggot" (2013) rülpst der schwule Peter nach seinem Dosenbier genauso wie sein Hetero-Freund. Er macht dies jedoch nur deshalb, um zu zeigen, dass er schwul, aber keine "Schwuchtel" ("faggot") ist. Weil er mit Bier seine "Männlichkeit" beweisen möchte, liegt damit die bewusste Inszenierung von Bier als männlich-heterosexuelles Klischee-Getränk vor. Das Trinken von Bier lässt sich in einem bestimmten Alter auch als Initiationsritual inszenieren, wie bei Will, der in "Transamerica" (2005) nur deshalb ein Bier bekommt, weil er nun 18 Jahre alt geworden ist.
In vielen Fällen ist Bier bei (nicht femininen) Männern ein sozial übliches Getränk im Kontext von Männlichkeit wie bei den beiden Männern in "That Friday" (2013), die sich bei einem Bier an der Theke kennen lernen. In "Brokeback Mountain" (2005) ist das Biertrinken Ausdruck von herber Männlichkeit. Viele Bierflaschen weisen allerdings – z. B. in "Brokeback Mountain" (2005) und in "The Morning After" (2012) – nicht auf "viel Männlichkeit", sondern nur auf viele Probleme hin.

Eine Filmszene mit vielen Bierflaschen und vielen Problemen in "Brokeback Mountain" (2005)
Hochprozentiger Alkohol – sehr "männlich"
"Männlichkeit" kann mit hochprozentigem Alkohol überbetont werden, wie in "The Fruit Machine" (1988) mit dem Satz: "Wir sind Kerle – junge Männer." Wenn ein junger Mann nach dem Trinken von Hochprozentigem wie in "Wastelands" (2013) husten muss, ist dies – ähnlich wie Husten bei der ersten Zigarette – als Hinweis auf die verlorene sexuelle Unschuld zu betrachten.

Überbetonung des "Männlichen" in "The Fruit Machine" (1988)
Pornos – Milch als Sperma, Melken als Masturbation
In schwulen Pornofilmen steht Milch – in Verbindung mit der Gestaltung von DVD-Covern – deutlich erkennbar für Sperma ("Milkshake", "Manmilk Lovers"). Dementsprechend sind Hinweise auf das Melken Metaphern für Masturbieren ("Got milked", "Milk it", "Milked", "Milking massive dicks"), wobei sich Überschneidungen zur Tiermetapher Kuh (Folge 39) ergeben. Mehrere Pornos verwenden spanische Formulierungen für die Milch-Sperma-Metaphorik wie "Leche de cariocas" mit Bezug auf die "Milch" der Einwohner von Rio de Janeiro. Über andere Wortkombinationen ("Milk Chocolate", "Black Milks") werden Bezüge zu People of Color hergestellt. Einige Pornodarsteller tragen Namen wie "Josh Milk" und "Logan Lech".

Milchschokolade als Symbol für die Hautfarbe: "Milk Chocolate"
Cocktails – schwules Klischee in Serie
Die Herkunft des Wortes "Cocktail" ist ungeklärt und Gegenstand von Anekdoten. Sicher ist nur, dass die Bezeichnung um 1800 im englischen Sprachraum aufkam. Vermutlich ist es ein Kofferwort aus "cock" (= Hahn bzw. Penis) und "tail" (= Tierschwanz). Unter "Cocktail" wird nicht nur ein auf Früchten (Folge 8) basierendes Mix-Getränk verstanden, sondern der Name hat heute umgangssprachlich einen Mix an Bedeutungen: Sperma, eine HIV-Medikamenten-Mischung und Analverkehr (s. Urbandictionary). Die alkoholfreie Variation von "Sex on the Beach" heißt manchmal "Safer Sex on the Beach".
"Cocktails" und Fruchtcocktails
Schon mit dem deutschen Titel von Alfred Hitchcocks Film "Cocktail für eine Leiche" (1948), in dem übrigens nur Champagner getrunken wird, ist eine homosexuelle Anspielung möglich und wäre dann Teil des bereits bekannten breiten schwulen Subtextes des Films (s. queer.de).
Andere Filme zeigen, dass das Wort "Cocktail" für sich alleine genommen bereits für eine homosexuelle Anspielung ausreicht. Solche Szenen findet man bei den "Simpsons" (Folge 14/17, mit dem Hinweis auf "Cocktail-Partys" für Männer), in "Criminal Minds" (Folge 8/9), "Beginners" (2010) und "Lost & Broken" (2013). Es ist bezeichnend, dass Peter in "Fran auf Abwegen" ("Happily Divorce", Folge 2/3, 2012) in einer Schwulenbar einen Cocktail trinkt, während Frans heterosexueller Vater neben ihm ein Bier trinkt.

Zwei (schwule) Freunde in Hitchcocks Film "Cocktail für eine Leiche" (1948)
Manchmal beziehen sich schwule Anspielungen in Filmszenen auf Fruchtcocktails, wie der Orangen-Cocktail in einer Schwulenbar in "Zwei irre Typen auf heißer Spur" (1982), der Fruchtcocktail in "Half Baked" (1998) und in "Sombrero" (2008) sowie der "Fruchtpunsch" in "30 Rock" (Folge 1/18). Dabei ist zu berücksichtigen, dass mit bestimmten Frucht-Bezeichnungen (Folge 7) Schwule im englischen Sprachraum auch als "Schwuchtel" abgewertet werden.
Cosmopolitan und Margarita
Manchmal sind es auch ganz bestimmte Cocktails, die in stereotyper Weise Schwulen zugeschrieben werden. Der Cocktail "Cosmopolitan" hat eine hellrote bis pinke Farbe und gilt als Gaydrink par excellence, wie er auch bei den "Simpsons" (Folge 22/11) zu sehen ist. Ende der Neunzigerjahre erlangte er einen Bekanntheitsschub durch die bei Schwulen beliebte Serie "Sex and the City" (1998-2004), in der er das Lieblingsgetränk der Hauptfiguren war.
Auch die "Margarita" gilt als ein Lieblingscocktail der Schwulen und wird in einigen Filmen in schwulem Kontext aufgegriffen, so als Getränk des schwulen Julio bei den "Simpsons" (Folge 14/17), des schwulen Curt in "King Of Queens" (Folge 5/6) und einer Dragqueen in "The Mentalist" (Folge 4/21).

Der schwule Julio (2. v. r.) mit Freund*innen und einem Cosmopolitan bei den "Simpsons" (Folge 22/11)
Martini und Appletini
Der eher farblose Martini mit seiner charakteristischen Olive ist in den Filmen "From Beginning to End" (2009), "Is it just me?" (2010), "Burning Palms" (2010), "Drift" (2010) und in der Serie "Archer" (Folge 1/5) zu sehen.
Der grüne Apple Martini bzw. Appletini wirkt in "How I Met Your Mother" (Folge 5/21) wie ein klischeehaft schwules Getränk inszeniert. Das gleiche gilt für Filmszenen mit J. D. in "Scrubs" (z. B. Folge 5/17) und Alan Harper in "Two and a Half Men" (z. B. Folgen 9/1, 9/6, 9/8, 10/1, 11/2). Der Appletini als schwules Klischee-Getränk ist auch in "The Gay Game" (2009) zu sehen.

Alan Harper (l.) und sein Mitbewohner Walden Schmidt mit Appletinis als schwulem Klischee-Getränk (Folge 9/1)
Aus dem Subtext wird ein Text
Es ist selten, dass die Annahme, dass die Inszenierung dieser Getränke mit Homosexualität in Verbindung steht, durch Äußerungen Dritter ausdrücklich bestätigt wird. Auf der Wiki-Seite von "How I Met Your Mother" wird betont, dass der Appletini in Folge 5/21 eine bewusste Anspielung der Produzent*innen auf die Lieblingsgetränke von J. D. in "Scrubs" und Alan Harper in "Two and a Half Men" ist, weil diese Figuren "ebenfalls oft für homosexuell gehalten werden" (Wiki der Serie). Damit wird bestätigt, dass die Wahl der Getränke tatsächlich in einem homosexuellen Zusammenhang steht.
In einer anderen Form wird in der Serie selbst aus dem Subtext ein Text. In einer Folge von "How I Met Your Mother" (Folge 2/10) werden nicht nur klischeehaft schwule Cocktails gezeigt, sondern es wird auch kritisiert, dass Frauen "leckere rosafarbene Drinks ordern [können], die Männer auch mögen, aber nicht bestellen, weil man sich dann über sie lustig macht". Der offen schwule James bestellt sich einen dieser "rosafarbenen Drinks mit Früchten drin, weil ich das ja kann". Solche Äußerungen gehen leicht über klischeehafte Referenzen hinaus und sind Ausdruck gesellschaftlicher Reflexion über klischeehafte Getränke. Für eine Comedy-Serie ist das bereits viel.
Pornos – Cocktail-Party als Sex-Party
In Schwulenpornos wird der Begriff "Cocktail" synonym für Sex ("Cocktails. Out at last 3", "Bareback Cocktail") bzw. für eine Sex-Party ("Cocktail-Party") verwendet. Die Bildebene ist dabei immer mit zu berücksichtigen. Der Porno "Open Bar" mit Alkoholflaschen und einem Cocktail-Glas erreicht auch über die Bildebene eine sexualisierte Atmosphäre. Der Porno "Sexual Colada" baut auch über die Bildebene und den gleichnamigen Cocktail Assoziationen mit Sex in den Tropen auf. Es gibt auch einige vom Getränkenamen abgeleitete Filmtitel, die sich am besten wohl mit "Schwanz-Geschichten" übersetzen lassen ("Cocktale", "Cock Tales").

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Wenn man so dran geht kann man bei jeder Serie und jedem Film in jede Handlung etwas tieferes hineininterpretieren als da ist. BeimDrag Race wird gefühlt in jeder Folge 'spill the tea' gesagt, wenn die damen etwas lästern möchten. Das fände ich sehr viel schwuler, als die plumpen Versuche den Charakter/sozialen Hintergrund durch trinken und essen dem Zuschauer näher zu bringen.