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Dokumentarfilm

Drei queere Muslime über ihre Haltung zur Religion

Eine neue ARD-Doku gibt einen Einblick in das schwierige Verhältnis von Queerness und Islam. Sie zeigt, wie sehr gelebte Religion Menschen verletzen, für andere aber auch eine große Hilfe sein kann. Und sie macht deutlich, wie Selbstbefreiung gelingen kann.


Die Protagonisten der Doku "Queer und muslimisch" (v.l.n.r.): Abbas, Marco und Ahmed (Bild: NDR)
  • Von Michael Freckmann
    22. Februar 2023, 04:09h, 1 Kommentar

Jenseits der sich mittlerweile gefühlt im Kreis drehenden Debatten des "Synodalen Wegs" rund um den Umgang der katholischen Kirche mit queeren Menschen gerät eine andere lebensweltliche Realität oft aus dem Blickfeld. Es ist die Perspektive auf Menschen, die queer sind und in einem muslimisch geprägten Umfeld aufgewachsen oder zum Islam konvertiert sind. So wie Abbas, Ahmed und Marco. Sie alle sind queer, haben dabei aber ganz unterschiedliche Verhältnisse zum Islam. Von ihnen berichtet der Dokumentarfilm "Queer und muslimisch" von Lennart Herberhold, der jetzt in der ARD-Mediathek verfügbar ist.

Abbas ist vor seinem Vater geflohen, vor dem Umfeld, das ihn geprägt hat, aus seinem Zuhause im Libanon. Er kam nach Hamburg und wartet dort seit 2019 auf seine Asylentscheidung. Für ihn hat das in Hamburg hängende Bild "Wanderer über dem Nebelmeer" von Caspar David Friedrich eine besondere Bedeutung. Es steht geradezu symptomatisch für viele Menschen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben: Der für sich allein über den Felsen und Niederungen stehende Einzelne, der erhaben den Blick in die Ferne richtet. Dieser Klassiker der deutschen Romantik war immer Ausdruck der Einheit mit sich selbst und der Freiheit. Jedoch auch der Einsamkeit.

Für Abbas ist das Bild offenbar hauptsächlich ein Motiv der Befreiung. Er berichtet, wie er emotional eingezwängt zwischen Traditionen, Erwartungen und Gewalt im Libanon festsaß. Ihm war klar: "Ich bin nichts als das, was die anderen wollen." Er überlegte, was für ihn ein möglicher Weg dort heraus sein könnte. Bis ihm aufging: "Die ganze Welt ist der Weg". So wurde ihm klar, dass es schlichtweg überall besser wäre als dort, wo er bis dahin gewesen war.

Erfahrung der Mehrfachdiskriminierung

Auch Ahmed hat eine wilde und schmerzliche Entwicklung hinter sich. Er ist in Berlin geboren und aufgewachsen. Ahmed beschreibt, wie es ihn innerlich zerriss, dass er zwar mit seiner Familie zusammen sein wollte, deren Wertvorstellungen dies aber unmöglich machten. Deutlich wird an seinem Beispiel auch die Erfahrung der Mehrfachdiskriminierung. Denn neben der Queerfeindlichkeit aus seiner Herkunftscommunity schlagen ihm in seinem Berliner Alltag immer wieder rassistische Töne entgegen. Umso schmerzhafter muss die Erfahrung gewesen sein, dass in dem für ihn eigentlich so wichtigen Rückzugsort der eigenen Familie die Anfeindungen von außen einfach nur durch Anfeindungen im Inneren ersetzt wurden.

Der dritte Protagonist des Films ist Marco. Er ist trans Mann und in Frankfurt geboren. In seinem Prozess der Selbstfindung empfindet er den Islam als Stütze gegen seine Ängste. Als Ausdruck des Gottvertrauens, aber auch des selbstbestimmten Handelns, erzählt er, wie er bei einem Krankenhausaufenthalt in der dortigen Kapelle einen Stuhl in Richtung Mekka ausgerichtet und dann gebetet hat. Religion erscheint hier nicht als lebloses Befolgen erstarrter Regeln, sondern als lebendiger Ausdruck eigener Glaubenssehnsucht.

Geschichten von Unterdrückung und Befreiung

Die Rolle, die der Islam für die drei gezeigten Männer spielt, ist höchst verschieden. Während Abbas im Libanon viel Schlimmes erfahren hat, was dort immer im Namen der Religion ausgeübt wurde, ist für Marco der Weg zu derselben Religion eine Befreiung. Er hat mittlerweile eine Ausbildung zum Imam gemacht und arbeitet in Frankfurt in einer Begegnungsstätte für liberale Muslim*innen. Ahmed wiederum beschreibt, dass er einen abstrakteren Begriff von Glauben und Spiritualität entwickelt hat, auch um Schmerzvolles, das andere ihm gegenüber immer unter der Berufung auf "Gott" geäußert haben, nicht erneut zu durchleben.

Anhand dieser drei Männer beleuchtet der Film die Beziehungen von Familie, Religion, Alltagskultur einerseits und von individueller Sexualität und Identität andererseits. Es geht um das Individuum, das in verschiedenen Kollektiven einen Platz Ort finden will und muss. Und es dabei besonders schwer hat, wenn der ihm zugewiesene Ort nicht zu ihm passt und der selbstgewählte ihm zunächst verbaut ist.

Eigene Haltung zur Religion gefunden

Spürbar wird in den gezeigten Lebensgeschichten die gesellschaftliche Gewalt, denen die drei Protagonisten ausgesetzt waren und sind. Es geht dabei immer um den Umgang mit Vorurteilen, die aus ganz unterschiedlichen Richtungen kommen. Solchen aus den Familien, die nur "das Beste" für ihre Kinder wollen. Aber auch solchen, die von Menschen kommen, die sich in der deutschen Mehrheitsgesellschaft für liberal und aufgeklärt halten. Letzteres wird besonders klar, wenn Marco von der Ablehnung spricht, die er auch aus queeren Kreisen erfahren hat, als er erklärte, sich dem Islam zuwenden zu wollen.

Damit bricht der Film den vielerorts verbreiteten Gegensatz von moderner Individualität einerseits und Religiosität andererseits auf und zeigt, dass queer und religiös eben nicht notwendigerweise Gegensätze sein müssen. So, wie es konservative Kräfte, etwa im Islam wie auch im Christentum, gerne hätten.

Der Film macht Facetten des Lebens von Menschen sichtbar, die queer und muslimisch sind, reduzierte sie aber nicht auf diese beiden Merkmale. Es wird deutlich, wie sehr Abbas, Marco und Ahmed durch eigene Initiative dem destruktiven Teufelskreis, der gelebte Religion auch sein kann, entkommen sind. Alle drei haben ihre eine eigene Haltung zur Religion gefunden – nicht als stumme Vereinzelte, sondern als selbstbestimmt Handelnde.