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In seinem Debütroman "Unendlich ist die Nacht" um zwei Männer in Berlin – der eine aus dem Iran, der andere aus der DDR – nähert sich Pedro Kadivar dem Thema Migration mit Mitteln der Literatur.
Zwei Männer ohne Namen erzählen ihre Geschichte. Beide sind geflohen. Der eine vor der Revolution von 1979 aus dem Iran nach Europa. Der andere innerdeutsch aus der DDR in den Westen. Nun leben beide in Berlin, zusammen in einer Wohnung, schlafen in einem Bett, warten aufeinander nach der Arbeit, stellen sich die großen Fragen, führen eine Beziehung. Obwohl sie seit vielen Jahren bereits zusammen sind, kriselt es. Doch über die Probleme zu reden, fällt schwer. Stattdessen findet bei beiden eine innere Migration in die Sphären der Kunst, Literatur und Philosophie statt.
In seinem gerade erschienenen Romandebüt "Unendlich ist die Nacht" (Amazon-Affiliate-Link ) nähert sich der Schriftsteller und Theatermacher Pedro Kadivar dem Thema Migration, diesmal mit den Mitteln der Literatur. In seinem lesenswerten Essay "Kleines Buch der Migration" hatte er bereits eine kunsthistorische Einordnung vorgenommen und autofiktional seine Migrationserfahrung mit einer Betrachtung des Themas durch die europäische Kunst- und Kulturgeschichte hinweg verknüpft. Migration ist als Phänomen so alt wie die Menschheit selbst. Und doch ist es heute relevanter denn je. Die politischen Unruhen im Iran der letzten Monate haben erst wieder gezeigt, dass oft die Flucht die einzige Option für viele queere Menschen ist (queer.de berichtete). Stimmen wie der indisch-amerikanische Politikwissenschaftler Parag Khanna sprechen gar vom "Zeitalter der Migration".
Die beiden Hauptfiguren in "Unendlich ist die Nacht" nehmen beide die Rolle der erzählenden Instanz ein. Im Wechsel spricht jeweils einer der beiden ein Kapitel in der Ich-Form. Die Idee, multiperspektivisch zu erzählen, erscheint direkt großartig geeignet. Diese clevere Konstruktion der Parallelführung erlaubt so nämlich den Vergleich unterschiedlicher und eben eigentlich unvergleichbarer Erfahrungen. Zumindest in der Theorie.
Flucht als disruptives Ereignis
Die italienische Philosophin Donatella Di Cesare plädiert unter anderem für ein Menschenrecht auf Migration. In ihrer Analyse "Philosophie der Migration" kommt sie zu dem Befund, dass "der Migrant" durch seine bloße Existenz gegen bestehende fundamentale Prinzipien staatlicher Ordnung verstoße und deshalb von politisch reaktionären Kräften vehement angefeindet wird. Diese Erfahrung findet sich, auf die individuelle Ebene heruntergebrochen, in "Unendlich ist die Nacht" literarisch eingefangen. Beide Figuren schildern ihr Fremdsein in der Fremde bis in die Sprache hinein.
Aus dem Iran stammend, erlebt die eine Figur das durch die Flucht aus der Welt gerissen Sein umso drastischer, da das Verhältnis zur eigenen Muttersprache in Frage gestellt wird. Sie versucht über Jahre, kein Persisch zu sprechen, und durch eine Veränderung des Sprechens auch die Beziehung zur Welt, die Rolle darin zu verwandeln. Flüchtet sich ins Französische, in die französische Literatur, studiert in Paris, will zu Proust promovieren. Der unwiederbringliche Verlust des Lebens im Iran begegnet die Figur, indem sie sich umso tiefer in die europäische Kulturgeschichte stürzt.
Doch auch die andere Figur fühlt sich durch ihre Sprache als fremd markiert, von anderen Menschen als nicht am richtigen Ort befindlich wahrgenommen. Es sind die Irritationen der Umwelt über subtile sprachliche Eigenheiten, die über Jahrzehnte der Abschottung hinweg in der DDR zu einer eigenen Sprache, einem eigenen Soziolekt gereift sind. Hier zeigt sich das Potential der Konstruktion des Romans – wenn deutlich wird, dass die sprachliche Identität, die Heimat eben noch innerhalb ein und derselben Sprache umgrenzt und ausgestoßen sein kann. Anders als sein Partner sucht diese Figur ihren Halt in der Philosophie.
"Unendlich ist die Nacht" setzt bei der Ebene der Sprache als Medium der Kommunikation an, um die Erfahrung der Migration zu analysieren. Es erscheint daher geradezu paradox, dass der Roman auch genau auf dieser Ebene scheitert. Mit gleich zwei erzählenden Instanzen ist es beachtlich, wie wenig Austausch und tatsächliche Unterhaltung über die Handlung hinweg geschieht. Die kommunikativen Probleme, an denen die Beziehung der Figuren krankt, befällt leider auch nach wenigen Seiten die Romanerzählung. Beide Erzähler bleiben in großer Distanz zum Geschehen, den Figuren um sie herum und schließlich auch zu sich selbst. Doch statt das Gefühl von Entfremdung in der Sprache fühlbar zu machen, ist der Effekt hauptsächlich ein die Handlung untermalendes Maß an klinischer Kälte und Desinteresse.
Eine ungewollt kalte Welt
Gerne würde mensch diesen Figuren näherkommen und die hochinteressante Konstellation der parallelen und doch so verschiedenen Fluchterfahrungen im Leben der beiden Männer erlebbar gemacht nachfühlen. Auch das Potential der kulturellen Verständigung scheint durch – ein deutsches Publikum, für das "der Iran" vielleicht ferner liegt, abholen, indem der Bogen zu "der DDR" gespannt wird, und umgekehrt. Doch "Unendlich ist die Nacht" lässt dieser Ausgangssituation nicht viel folgen. Der Roman hebt zur ganz großen Erzählung an, kokettiert sogar mehrfach mit der eigenen Gemachtheit, als die erzählenden Figuren erklären, dass sie eigentlich keinen Roman, keine Prosa schreiben wollen, wobei mensch ja das Ergebnis der Überwindung dieser Einstellung bereits in Händen hält. Diese Suchbewegung, die Sehnsucht, eine Ausdrucksweise für die eigenen Erfahrungen zu finden, ist an sich eine hoch literarische. "Unendlich ist die Nacht" verweist nicht umsonst alle paar Seiten auf Proust. Und doch bleibt die Erzählung dann sehr schmal. Das Buch ist quasi das Gegenteil des Dünnbrettbohrers: sehr viel Material, von dem kaum etwas angebohrt wird. Es bleibt bei Kratzern an der Oberfläche.
Sprachlich unterscheiden sich die beiden erzählenden Figuren kaum voneinander. Schlüge man das Buch zufällig auf, es ließe sich kaum anhand der erzählenden Stimme feststellen, wer da gerade spricht. Auch das ist eine merkwürdige Situation in einem Roman, dessen Ausgangspunkt es ist, dass die Sprache ein konstituierendes Element der Identität, dass die Kommunikation mit der Außenwelt identitätsstiftend ist. Diese fehlende sprachliche Varianz unterstreicht dann noch die Distanz in der Erzählung. Dadurch, dass beide erzählenden Figuren sprachlich nicht voneinander zu unterscheiden sind und nicht in Kommunikation miteinander treten, bleibt die Handlung bei einem steten Beobachten stehen, das jedoch die aufgeworfenen Fragen und angeschnittenen Themenbereiche auch wieder nur oberflächlich berührt. Immer wieder werden große Fragen von den Figuren direkt ausgesprochen ("Was ist eine Liebe ohne Sprache?" u.ä.), ohne dass dann eine erzählte Szene, ein Bild, eine beschriebene Erfahrung folgte, die als literarischer Versuch einer Antwort verstanden werden könnte. Eine solche Prosa in Fragenform, die sich zusätzlich auch noch immer wiederholt, ist schnell ermüdend.
Beide erzählende Figuren sprechen in Abstrakta und bleiben der Welt fern. Durch das daraus folgende fehlende Eintauchen in ihre tatsächlichen Beweggründe bleibt "Unendlich ist die Nacht" figurenpsychologisch rätselhaft bis unterkomplex. Stattdessen bewegen sich beide Erzähler durch Literatur und Philosophie, das entstehende Verweisgewitter wirkt durch die fehlende Beziehung und Nähe zu den Figuren dann aber recht blutarm. "Unendlich ist die Nacht" ist ein sehr interessanter Versuch als Roman und doch leider kein Essay.
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