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Folge 9 von 53

Schwule Symbole im Film: Rauchen

Sigmund Freud hat mal gesagt, dass eine Zigarre manchmal nur eine Zigarre sei. Manchmal ist sie es aber halt auch nicht – und dann ist sie Phallus, Kommunikationsmittel und vieles mehr.


Eine Zigarette als Phallussymbol: Der Stricher in "Tonight It's Me" (2014)

Diese Artikelserie wurde gefördert von der Homosexuellen Selbsthilfe e.V., www.hs-verein.de

Zigarren und Zigaretten als Phallussymbole – "You have to choose: cigars or women?"

Wegen ihrer äußeren Form sind Zigaretten und Zigarren weit verbreitete Phallussymbole. Die Art, wie ein Raucher die Zigarette zum Mund führt, zwischen den Lippen hält und den Rauch genießt, kann Assoziationen zu Oralverkehr wecken. In den meisten für dieses Thema relevanten Filmszenen geht es um rauchende Männer, die die Zigarette oder Zigarre in den Mund nehmen. Es verwundert, warum ein Phallussymbol im Mund eines Mannes von dem Autor Friedrich W. Doucet ("Taschenbuch der Sexualsymbole", 1971, S. 157-158) als heterosexuell interpretiert wird.

Zigarren

Wegen ihrer Größe sind Zigarren als Phallussymbole geeigneter als Zigaretten. Das Motiv des jugendlichen Laurent, wie er in "Herzflimmern" (1971) eine Zigarre raucht, wurde auf diversen Filmpostern übernommen und belegt die angenommene gute Vermarktbarkeit der Szene. Die im Film an Laurent gerichtete Frage "You have to choose: cigars or women?" bezieht sich im Kontext von homoerotischen Szenen mit seinen Brüdern, einem Geistlichen und bei den Pfadfindern auf seine sexuelle Orientierung. Vergleichbare Szenen mit Zigarre rauchenden Schwulen sind auch in dem Western "Töte, Django" (1967) und Erotik-Klamotte "Muschimaus mag's grad heraus" (1973) zu sehen. Im Film "Die Liebesvögel" (1979) wird der Penis im homosexuellen Kontext übrigens als "Pfeife" bezeichnet.

In neueren Filmen wird die phallische Bedeutung einer Zigarre durch die direkte Verbindung mit einer Sexszene deutlicher in Szene gesetzt, wie in "Brotherhood II" (2001), "Just for Leather" (2004, hier online) und der schwulen Vampir-Serie "The Lair" (1/2). Meistens sind Zigarren nur Bildsymbole. Eine Ausnahme ist "Queer as Folk" (3/7), wo es über eine Zigarre aus Kuba heißt: "Rein ins Maul und saugen" und dann Hinweise auf die beste "Technik" erfolgen.


Eine Zigarre als Phallussymbol im Film "Just for Leather" (2004)

Zigaretten

Wesentlich häufiger werden jedoch Zigaretten phallisch inszeniert. Bildkräftig ist die von einem Stricher in den Mund gesteckte Zigarette in "Tonight It's Me" (2014, hier online), während dieser vor seinem Freier kniet, auch wenn dieses Motiv nur auf dem Poster und nicht im Film zu sehen ist. Unterhaltsam ist eine Szene in "The Fluffer" (2001), in der Sean von seinem zukünftigen Chef eine Zigarette in den Mund gesteckt bekommt, als er sich als Mitarbeiter für einen Pornofilm bewerben möchte. Die Zigarette ist quasi eine Art Vorverweis auf seine angestrebte Tätigkeit als Fluffer, bei der ein Penis in seinem Mund mehr oder weniger zu seinem Aufgabenbereich gehört. (Ein so genannter "Fluffer" soll den männlichen Darstellern bei einer Pornoproduktion – üblicherweise durch orale oder manuelle Stimulation – zu einer Erektion verhelfen.)

Bei selbstgedrehten Zigaretten lässt sich das Lecken am Phallussymbol mit einer Nahaufnahme der Hände und des Mundes ebenfalls erotisch inszenieren, wie in "Der junge Törless" (1966) und "Wir waren ein Mann" (1979). "Sich das Rauchen abzugewöhnen, ist gar nicht so schwer", betont der schwule Peter Lovett in der Sitcom "Happily Divorced" (2/12): "Sie müssen nur etwas anderes finden, was Sie sich in den Mund stecken können."

In dezenter Form lassen sich Zigaretten als Phallussymbole sogar für Kinder inszenieren: Um seinen Sohn Bart Simpson von der angenommenen Homosexualität zu "heilen", setzt ihn sein Vater Homer vor ein Zigaretten-Werbeplakat mit rauchenden Frauen. Infolge dieser "Konversionstherapie" wünscht sich Bart jedoch keine Frau, sondern nur eine Zigarette ("Simpsons" 8/15, hier Szene online, 6:53-7:22 Min.).


Eine Konversionstherapie, die zum Wunsch nach einer Zigarette führt ("Simpsons" 8/15)

Pornos mit dem Motiv des Rauchens als Phallussymbol

In Schwulenpornos wird die phallische Bedeutung der Zigarette manchmal allein durch den Titel deutlich gemacht ("Cock Smoker", "Cock Smokers" und "Man Smokers 5"), der als Blickfang auch Referenzen zu bekannten Tabakmarken aufweist. Manchmal wird durch die visuelle Gestaltung die phallische Bedeutung klar, weil Rauchen und Oralverkehr in einem Bild gezeigt werden ("Oral Officers", "Raw Straight Smokers") oder die Zigarre bzw. Zigarette zusammen mit einem erigierten ("Gay Studs") oder auch nicht erigierten Penis ("Smokin' hot") zu sehen ist.


Rauchen als Verweis auf den Penis ("Cock Smokers")

Männer rauchen – in "männlicher" und "weiblicher" Form

Tabakgenuss symbolisiert meist Männlichkeit, was sich mit daraus erklärt, dass Frauen früher kaum rauchten. In manchen Kulturkreisen ist Rauchen bis heute ein Zeichen von Männlichkeit. Manche rauchende Frauen sehen aber gerade deshalb in der Zigarette ein Gleichberechtigungssymbol und ein sichtbares Zeichen ihrer Emanzipation. Geschlechtsspezifische Unterschiede in der Darstellung des Rauchens lassen sich in Filmen nach wie vor erkennen. Je nach Genre und den jeweiligen Figuren lassen sich diese Unterschiede vor allem über die Handhabung der Zigarette verdeutlichen.

Männliches Rauchen

Am deutlichsten lässt sich eine als "männlich" wahrgenommene Form des Rauchens über die Handhabung der Zigarette verdeutlichen. Auf dem Cover von "Atomic Age" (2012) hält ein Mann die Zigarette nicht wie üblich zwischen Zeige- und Mittelfinger, sondern zwischen Zeigefinger und Daumen, was als männlicher und cooler wahrgenommen wird und in diesem Film mit prügelnden Männern in schwarzen Lederjacken seine Entsprechung findet.

Die Männlichkeit des Rauchens wird in "Hitch" (2000) dadurch hervorgehoben, dass deutlich mit dem Klischee bzw. der Ikone des einstigen Marlboro-Mannes gespielt wird. Auf dem Poster von "Triple Crossed" (2013) gehört die Zigarette wie die Tätowierungen und eine GI-Plakette zur männlich-maskulinen Selbstdarstellung. Überbetont maskulin inszeniert sind auch alle Raucher-Szenen mit Schwulen aus der Lederszene wie in dem oben schon genannten Film "Just for Leather" (2004). In "Frühstück?" (2002) raucht nur der an sexuellen Abenteuern interessierte (und damit männlich assoziierte) Till, während sein braver und schüchterner (und damit weiblich assoziierter) Lover Nichtraucher ist.


Betont männliches Rauchen in "Atomic Age" (2012)

Weibliches Rauchen

Peter Collett weist in seinem Buch "Ich sehe was, was du nicht sagst" (2008, S. 339-359, hier S. 345) gut auf eine feminin wirkende Handhabung von Zigaretten hin: "Dabei werden die Finger meistens ausgestreckt, sodass der Handteller sichtbar ist. Dadurch entsteht insgesamt ein Eindruck der Wehrlosigkeit. […] Frauen bedienen sich dieser Haltung unbewusst, um Aufmerksamkeit auf ihr Handgelenk zu ziehen, einem weichen, verletzlichen Körperteil." Collett verweist darauf, dass sich auch Oscar Wilde auf eine "affektierte Weise" dieser bestimmten "effeminierten Geste" bediente. In einzelnen Szenen in dem Biopic "Oscar Wilde" (1997) ist dies gut wiedergegeben.


Betont weibliches Rauchen in "Oscar Wilde" (1997)

Eine feminine Form des Rauchens ist im Film "Der junge Törless" (1967) zu sehen: Törless fokussiert die zartgliedrigen und femininen Hände seines Mitschülers Beineberg, als sich dieser eine Zigarette dreht. Dies entspricht auch der Literaturvorlage, wo Törless sagt: "Diese schmalen dunklen Hände, die eben geschickt den Tabak in das Papier rollten, waren doch eigentlich schön. Magere Finger, ovale, schön gewölbte Nägel: es lag eine gewisse Vornehmheit in ihnen" (Robert Musil: "Die Verwirrungen des Zöglings Törleß", (2018, S. 14). In "Das Paradies der flotten Sünder" (1968) geht es zwar nicht um Homosexualität, aber im Rahmen von Travestie versucht ein Mann in Frauenkleidern auch beim Rauchen wie eine Frau zu wirken, was ebenfalls die zumindest klischeehaft angenommenen Unterschiede zwischen den Geschlechtern verdeutlicht.

Pornos mit dem Motiv des männlichen und weiblichen Rauchens


Der Porno "The Boss" mit Phallussymbol, Farbsymbolik und Attributen der Hierarchie und Dominanz

In Schwulenpornos kommt das Rauchen von Zigarren fast nur in Verbindung mit männlichen Attributen wie große Statur, Körperbehaarung, Tätowierungen ("Hairy Boyz 31"), Uniformen ("Nightstick", "Plow me" und "Wilde Cops") vor. In ähnlicher Form gilt dies auch für rauchende Militärangehörige ("Hot Smoking Military Studs"). Die Zigarre auf dem Cover von "The Boss" bringt über Text- und Bildgestaltung noch Aspekte von beruflichem Erfolg, Hierarchie und Dominanz mit ins Spiel. Nur ganz selten wird in Pornos Rauchen mit jungen und femininen Männern in Verbindung gebracht. Eine Ausnahme bildet "Smoked chicken" mit einem Wortspiel über geräuchertes Hühnchen.

Sehr irritierend ist die Form der Vermarktung von Schwulenpornos durch die ehemalige Pornodarstellerin Dolly Buster, die sich auch als Produzentin und Regisseurin von Pornos betätigte. Auf allen Covern ihrer schwulen Porno-Reihe "Dolly Busters Buster Boys" sieht man ausgerechnet sie als Frau auf dem Cover mit einer Zigarre im Mund, was hinsichtlich der Zielgruppe der schwulen Männer für diese Filme als unpassend erscheint.

Raucher unter sich – unterstützte Kommunikation, sexuelle Substitution

Zigaretten werden oft im Kontext von Kommunikation inszeniert und charakterisieren die Protagonisten und ihr Verhältnis zueinander. Dies geschieht durch das Anbieten von Zigaretten, die Bitte um Feuer und durch gemeinsames Rauchen. Dabei ist es relevant, welche Person um Feuer bittet oder eine Zigarette anbietet und welche Personen sich eine Zigarette teilen. In der US-Filmkritik gibt es seit den Neunzigerjahren den Begriff des "smoxploitation films" (Kofferwort aus "smoke" und "exploitation"), in denen das Rauchen von Zigaretten erotisiert wird (s. "Lexikon der Filmbegriffe" der Uni Kiel).

Zusammen rauchen, Zigarette anbieten und annehmen

Kenneth Angers "Fireworks" (1947, hier online, 5:15 Min.) gilt heute als erste überzeugende filmische Selbstdarstellung eines Schwulen. Der Film zeigt eine Szene, in der ein Mann einen Matrosen um Feuer bittet, von diesem jedoch zusammengeschlagen wird. Die Reaktion des Matrosen ist nur dadurch verständlich, dass er diese Bitte als sexuelle Anmache verstanden hat.


Ein Mann bittet um Feuer in "Fireworks" (1947)

Derjenige, der einem anderen Mann eine Zigarette anbietet, oder der, der nach Feuer oder einer Zigarette fragt, ist meistens der, der den anderen für sich gewinnen und ggf. sexuell verführen möchte. Bei einem ungleichen Männerpaar ist dies meistens der Ältere bzw. Erfahrenere. Um Feuer zu bitten ist in vielen Filmen eine sexuelle Anmache wie in "Brille mit Goldrand" (1987), "Felix" (2000) und "Back Room" (2004). In "Laundromat" (2008) erleichtert die angebotene Zigarette die Kontaktaufnahme zwischen einem älteren und einem jüngeren Schwulen.

Eine Zigarette bzw. den Rauch teilen

Sich den Rauch einer Zigarette zu teilen ist eine besondere Form der Intimität zwischen zwei Männern. Das gemeinsames Rauchen trotz bestehender Hindernisse möglich ist, hat Jean Genet in seinem "Un chant d'amour" (1950, hier online, ab 11:15) beeindruckend inszeniert: Durch ein Loch in einer Gefängnismauer teilen sich zwei Gefangene durch einen Strohhalm Zigarettenrauch, wodurch das Rauchen zur sexualisierten Kommunikation bzw. zum Ersatz für Sexualität wird und auch wie ein Kuss und der Austausch eines gemeinsamen Lebensatems wahrnehmbar ist. Die Arte-Kompilation "Die Zigarette im Film" (hier online) zeigt eine kurze Szene aus "Un chant d'amour" (3:55 Min.) und viele weitere Filmszenen, mit denen sich die Bedeutung der Zigarette u. a. für den Film Noir (00:50 Min.) und als postkoitales Ritual (2:00 Min.) gut vermitteln lässt.


Immer noch ein Meisterwerk: Jean Genet und sein "Un chant d'amour" (1950)

Auch die Filme, die ihn nachahmen wollten – wie z. B. "Un chant d'amour (nouveau)" (2012) – kommen an die künstlerische Qualität Genets nicht heran. Schwule, die sich beim Rauchen den Rauch teilen, sieht man in u. a. in den Filmen "Drowning" (2009), "15: The Movie" (2003) und "Tattoo / Tatuagem" (2013). Das Rauchen einer Zigarette aus der Hand eines anderen Mannes wirkt, wie in "Atomic Age" (2012) und "Sleepless Knights" (2012), wie das sprichwörtliche "Aus-der-Hand-Fressen" – hingebungsvoll und ergeben.

Besonders intensiv wirkt es in Filmszenen auch dann, wenn sich zwei Männer eine Zigarette teilen wie in "Score" (1974), "Styx" (2004), "Chanson der Liebe" (2007) und "The Boy who couldn't swim" (2011, hier online, 23:30 Min.).


Das Teilen einer Zigarette in "Score" (1974)

Die Übergabe einer Zigarette in "Sunshine Secret" (2011) erinnert wohl nicht zufällig an Michelangelos Fresko "Die Erschaffung Adams".


Eine schwule Raucherversion von "Die Erschaffung Adams" ("Sunshine Secret", 2011)

Die erste Zigarette und das Husten

Weil Rauchen mit Sex gleichgesetzt wird, ist es meistens als ein Hinweis auf die sexuelle Unerfahrenheit zu verstehen, wenn ein Mann betont, dass die ihm angebotene Zigarette die erste in seinem Leben sei, wie es Ben im Kurzfilm "Dare" (2005) und im Langfilm "Dare" (2009) tut.

In ähnlicher Form bringt auch Husten nach einer angebotenen Zigarette meistens wohl die sexuelle Unerfahrenheit junger Schwuler zum Ausdruck, wie bei Adam in "Late Summer" (2001, hier online, 4:20 Min.), Rafael in "Eulogy for a Vampire" (2009), Florian in "Ich fühl mich Disco" (2013) und Benjamin in "Choirboy" (2014, hier online, 5:50 Min.).

Zigarette ablehnen

Die Ablehnung einer angebotenen Zigarette ist fast immer als soziale Abgrenzung inszeniert und ein Indiz für eine atmosphärische Spannung, wie in "Boy Crush" (2009, hier online, 4:50) oder "The Mountain King" (2000; hier online, 1:55). Das ist z. B. dann der Fall, wenn ein heterosexueller Mann dadurch seine Distanz zu einem Schwulen verdeutlicht ("Die neunschwänzige Katze", 1971) oder ein Schwuler einen anderen nicht mag ("Candy Boy", 2007; hier online, 6:45 Min.). In "Postmortem" (2005, hier online, 4:00 Min.) wird durch eine abgelehnte Zigarette auch deutlich, dass die Männer Ex-Lover sind und sie weniger verbindet. Unklar bleibt der Grund der Ablehnung in "El Inicio" (2010, hier online, 3:55 Min.).

Kiffen ist besonders intim

Einen Joint zu rauchen wird in den meisten schwulen Filmen als etwas Positives dargestellt, wie in "Die Träumer" (2003), "Harry & Max" (2004) und "Prora" (2012, hier online, 3:25 Min.). Weil es sozial üblich ist, sich einen Joint zu teilen, kommt es in mehreren Filmen wie z. B. in "Keel" (2003) sogar zu einer besonderen Intimität und körperlichen Nähe zwischen den Männern. Mit Kiffen lassen sich auch positive Bezüge herstellen: In "Coming-out mit Hindernissen" (2006) will sich Jeremy gegenüber anderen als Schwuler outen, wenn sich Robin dafür als Kiffer outet. In "Der Club der gebrochenen Herzen" (2000) bezieht sich die Äußerung "Da hast du etwas so lange gebraucht und dann brauchst du es gar nicht mehr" sowohl auf das Aufhören mit Kiffen als auch auf das Ende einer Beziehung. Tom lehnt in "The Disco Years" (1994, hier online, 00:45 Min.) einen Joint ab, was ausnahmsweise keine soziale Abgrenzung zum Anbietenden darstellt. Diese Situation ist vor seinem Coming-out und der recht brave Tom will wohl nichts machen, was in den Augen anderer als falsch angesehen wird.

Oscar Wilde und das Rauchen

Wie ausführlich und durchdacht Szenen über Rauchen inszeniert werden können, zeigen zwei Filme im Zusammenhang mit Oscar Wilde. Im Biopic "Oscar Wilde" (1997) lehnt Wilde von Robbie Ross – als sie noch kein sexuelles Verhältnis miteinander haben – eine Zigarette ab. Vom frechen Bosie (Lord Alfred Douglas) bekommt Wilde als eine Form der Anmache eine Zigarette in den Mund gesteckt. Später teilt sich Wilde mit Bosie eine Zigarette, was nun als Ausdruck ihres sexuellen Verhältnisses zu verstehen ist. Wilde interessiert sich jedoch auch noch für andere Männer, bietet Strichern Zigaretten an und verschenkt sein Zigarettenetui in einem Männer-Bordell.

In der Verfilmung von Wildes Roman "Das Bildnis des Dorian Gray" (2009) geht es in rund zehn Filmszenen ums Rauchen. Der zunächst schüchterne Dorian Gray lehnt eine Zigarette von Lord Henry Wotton ab, der daraufhin philosophiert, dass sie ein Vergnügen sei, aber einen auch "unbefriedigt" hinterlasse. Später lässt sich Dorian eine Zigarette geben, muss aber husten. Auch sein Zigarettenetui wird mehrfach thematisiert.

Pornos mit dem Motiv des kommunikativen Rauchens

Einige Schwulenpornos setzen deutlich erkennbar Rauchen und Sex mit einem anderen Mann gleich ("Smoke Fuckers", "Smokin' hot Men"). Oralverkehr wird damit als ein ähnlich sinnliches Erlebnis der Beteiligten dargestellt wie Rauchen. Der englische Begriff für Kettenraucher verweist dabei leicht ableitbar auf Promiskuität ("Chain Smoker"). Vom Label "Boys smoking" wurden einige Pornocover so gestaltet, dass sie bekannten Zigarettenschachteln äußerlich ähneln, wobei sich die Titel in mehrdeutiger und leicht verständlicher Form auf Aspekte wie Alter ("NicoTeen"), Geschmack ("Taste me. Full Flavor", "Full Flavor") oder Größe ("King Size") beziehen.



Rauchen und der Sex zu zweit: Das Cover von "NicoTeen"

Rauchen ist böse – Verbote und Grenzüberschreitungen

Das Rauchen von Zigaretten ist in bestimmten Situationen und an manchen Orten auch für Erwachsene verboten. Das Rauchen von Hasch wird je nach Land unterschiedlich stark sanktioniert. Durch eine Inszenierung des Verpönten oder Verbotenen erreichen Regisseure nicht nur einen spannungsvollen dramatischen Rahmen, sondern können Rauchen mit verpönter und in der Öffentlichkeit nicht gern gesehener Homosexualität parallelisieren. Die Gefahr, bei einer illegitim wirkenden Handlung erwischt zu werden, kann zwei Personen miteinander verbinden.

"Entartung"

Der Film "Der junge Törless" (1967) basiert auf einem Roman, der einige Hintergründe besser zum Ausdruck bringt als der Film. Dazu gehört, dass zwischen dem schwulen Sex und dem Rauchen ein moralischer Zusammenhang hergestellt wird. Im Roman heißt es, es mache für Törleß keinen Unterschied, "ob nun sein Laster in geschlechtlichen Ausschweifungen oder in zwanghaft entartetem Zigarettenrauchen […] bestünde" (Robert Musil: "Die Verwirrungen des Zöglings Törleß", 2018, S. 96).

Schwuler Sex und Rauchverbot

Viele spätere Filme parallelisieren Rauchen und Homosexualität als verpönte und zum Teil verbotene Handlungen. So ist in "Flames of Passion" (1989) das Rauchen im Zug trotz Rauchverbot als Form der Grenzüberschreitung genauso mutig und selbstbewusst in Szene gesetzt wie das Küssen eines Mannes.

Das Rauchen der Zöglinge Scott und Mark in einem christlichen Umerziehungsheim wird in "Save me" (2007, hier online, u. a. 51:20 Min.) vielschichtig behandelt. Auf dem DVD-Cover ist zu lesen: "Die beiden teilen nachts nicht nur heimlich Zigaretten", was auf ein doppeltes Verbot aufmerksam macht, gegen das sie beide verstoßen. Als Mark seinen Kuss mit Scott bereut, tritt er kurz danach die von ihm erhaltene Kippe aus. Der Kurzfilm "Fliegengewicht" (2014) erzählt eine ähnliche Geschichte von zwei Schülern, die verbotenerweise direkt neben einem Feuermelder rauchen, womit das Rauchen – ähnlich wie ihr homoerotisches Verhältnis – zu einem Spiel mit dem Feuer wird.

Das verbotene Rauchen von Karel im Wartezimmer eines Krankenhauses in "Die jungen Wilden" (2008, hier online, 2:15 Min.) bringt als zusätzliches Element noch HIV/Aids mit ins Spiel. Sein unsafes Sex-Verhalten, womit er sich und andere Männer gefährdet, macht in ähnlicher Weise wie das verbotene Rauchen im Krankenhaus nicht nur eine Aussage zur Gesundheitsgefährdung, sondern zeigt eine Parallele zwischen Sexual- und Sozialverhalten.


Unsafer Sex und das Rauchverhalten in "Die jungen Wilden" (2008)

Der homoerotische Traum in "Défense de fumer" (= "Rauchen verboten"; 2014, hier online) handelt nur vom Rauchen trotz Rauchverbot. Diese Lust an provokanter Grenzüberschreitung im Film entspricht wohl nicht zufällig dem Faible des Regisseurs Bruce LaBruce, dessen zum Teil pornographische Filme über Neonazis und Sex mit Menschen mit Behinderung in ihrem Provokationspotenzial Parallelen erkennen lassen.


Ein homoerotischer Traum Bruce LaBruces: Rauchen trotz Rauchverbot in "Défense de fumer" (2014)

Der Verlust der Unschuld

Auch bei Jugendlichen kann man Rauchen als etwas Positives darstellen, wie z. B. bei den beiden Freunden "Nico und Dani" (2000), bei denen gemeinsames Rauchen wie auch gemeinsamer Sex zur jugendlichen Experimentierfreude und Grenzüberschreitung gehören. Ähnliches gilt für den schon oben erwähnten jugendlichen Laurent in "Herzflimmern" (1971) und für die Jungs in "Heimliche Freundschaften" (1964).

Anders sieht jedoch die Situation beim ungefähr gleichaltrigen Tomek in "Ich, Tomek" (2009) aus: Zu Beginn des Films ist Tomek brav, er fängt erst nach seinem ersten Freier mit dem Rauchen an. Zigaretten sind hier also nicht das positive Signal von Freiheit und jugendlicher Revolte, sondern verdeutlichen das Ende der kindlichen Unschuld und – wie der Sex mit Freiern – die nachhaltige Schädigung von Körper und Psyche.

In "The Fluffer" (2001) erinnert sich der schwule Mikey Racini daran, dass er als Junge von einem Nachbarn eine Zigarre bekam und später sexuell missbraucht wurde. Die Zigarre ist hier als Phallussymbol wahrnehmbar, wodurch auch die Frage des Nachbarn "Wonach schmeckt die Zigarre?" sexualisiert erscheint. Wenn der Jugendliche Gigi gegenüber dem Priester Lorenzo Borrelli in "Pianese Nunzio" (1996) bestreitet, dass mit ihm zusammen zu rauchen (= zusammen Sex zu haben) etwas Schönes sei, steht auch dies in Verbindung mit sexuellem Missbrauch.


Rauchen als Ausdruck des sexuellen Missbrauchs in "Pianese Nunzio" (1996)

Hasch und Opium als etwas Negatives

Es ist selten, dass das Rauchen eines Joints als etwas Negatives dargestellt wird. Zwei Kurzfilme sind in einem halbkriminellen Milieu verortet. Hier verweist das Husten eines der Beteiligten nicht – wie ansonsten üblich – auf sexuelle Unschuld. Dass der "gute" und im Kiffen unerfahrene Oli in "Violine" (2012, hier online, 4:10 Min.) husten muss, nachdem er vom "bösen" Dealer Jan einen Joint bekommen hat, wirkt wie ein Zeichen seiner Unerfahrenheit in krimineller Hinsicht. In "Monster in the Closet" (2013, hier online, 1:50 Min.) muss der gutmütige Freier Gene nach einem Joint husten, den er vom kriminellen Stricher Jackson bekommen hat, womit der Stricher durchtrieben erscheint. Wenn Dorian Gray in "Das Bildnis des Dorian Gray" (2009) Opium raucht, ist das Ausdruck seiner Kriminalität und zunehmenden sittlichen Verrohung.

Kriminalität und die Zigarette als Folterwerkzeug

In einer fremden Wohnung oder einem fremden Büro zu rauchen ist Provokation und Grenzüberschreitung. In "Straßenkinder" (1992) will ein als kriminell geschilderter Stricher im Haus eines reichen Freiers rauchen. Das wird ihm jedoch vom Freier, der kultiviert und in sozialer Hinsicht konträr zum Stricher inszeniert ist, verboten. Recht ähnlich verhält es sich mit dem rauchenden Stricher, der auf dem Filmcover von "Komplizen" (2009) rauchend zu sehen ist und aufgrund der assoziativen Verknüpfung mit dem Filmtitel als krimineller "bad boy" wahrgenommen werden soll.

In Pedro Almodovars "Schlechte Erziehung" (2004) raucht Ignacio in der Szene, in der er Señor Berenguer erpresst, was auf Berenguer herausfordernd wirken soll und als bewusste Provokation seine Grenzüberschreitung noch einmal besonders betont.


Die Zigarette als Folterwerkzeug in "No Ordinary Love" (1994)

In zwei Filmen ist die Zigarette selbst auch eine Waffe. In "No Ordinary Love" (1994) drückt der sadistische Tom eine brennende Zigarette in der Hand eines Mannes aus. In "Hot Legs" (1995; hier online, 4:55 Min.) drückt der schwule Kidnapper Gerrie auf der Brust seines gefesselten Opfers David seine brennende Zigarette aus.

Pornos mit rauchenden "bad boys"


Böse Buben mit einer Zigarette in "Bad Boys"

Im Schwulenporno "Booted" ist die Zigarre auf dem Cover im Kontext des Titels ("Fußtritt") und der Symbole der Gefahr (rote Farbe, Nebel) und der Unterwerfung (Schuhe lecken) zu sehen.

In dem Porno "Knast" (aus der Reihe "Bijou-Classics") und "Bad Boys" werden rauchende Männer gezeigt, die im Kontext eines Gefängnisses ironisch als eine Art böse Buben erscheinen sollen. Das Cover von "Bad Boys" kann zudem gut aufzeigen, welche Wirkung im Sinne der Inszenierung von "Männlichkeit" und "Asozialität" erzeugt wird, wenn eine Zigarette im Mund nicht wie üblich festgehalten wird.

Die postkoitale Zigarette – Landung nach dem Höhenflug

Unter der Bezeichnung als "Zigarette danach" bzw. als "postkoitale Zigarette" ist das Ritual nach dem gemeinsamen Sex weithin bekannt. Der Autor Volker Wieprecht versucht eine Erklärung zu finden: Nach dem Orgasmus "verlangt es die meisten nach Erdung, die Zigarette danach erleichtert den Landeanflug. Nach drei, vier Zügen ist man wieder auf dem Boden" ("Das Lexikon der Rituale: Von Abschied bis Zigarette danach", 2010). In Filmen geht es nicht nur um diese "Erdung", sondern auch um das Symbol, was unterschiedlich deutlich auf den zuvor stattgefundenen Sex verweist.

Frühe postkoitale Zigaretten

Alfred Hitchcock erzählt in seinem Film "Cocktail für eine Leiche" (1948, hier online, Auszug) die Geschichte von zwei (homosexuellen) Männern, die einen perfekten Mord begehen wollten. Heute wird auch wissenschaftlich erörtert, welche versteckten Hinweise auf Homosexualität der Film enthält (s. D. A. Miller: "Anal Rope", in: "Inside/Out: Lesbian Theories, Gay Theories", 1991). Es erscheint zumindest so, als wenn Hitchcock Parallelen zwischen dem dargestellten Tötungsakt und einem Sexualakt beabsichtigt hat. Mit diesem Vorwissen kann auch die von Brandon und Philip nach der Ermordung gemeinsam gerauchte Zigarette wie eine postkoitale Zigarette wirken.


Die Zigarette nach dem Mord in Alfred Hitchcocks "Cocktail für eine Leiche" (1948)

Eindeutig auf den vorausgegangenen schwulen Sex beziehen sich die Zigaretten-Szenen in "The Rocky Horror Picture Show" (1975) und "Die Konsequenz" (1977, hier online, 32:20 Min.), die damit etwas andeuten, was in einem Mainstream-Film der Siebzigerjahre wohl kaum offener hätte gezeigt werden können. Einzig der nur für eine schwule Zielgruppe produzierte Film "A Very Natural Thing" (1974) wird auch beim Sex bereits deutlicher.


Die postkoitale Zigarette in "Die Konsequenz" (1977)

Heutige postkoitale Zigaretten in schwulen Filmen

Die Darstellung der postkoitalen Zigarette hat sich im Laufe der Jahrzehnte stark verändert. Sie scheint heute nicht mehr das verklemmte Symbol des Unzeigbaren, sondern das selbstverständliche Abbild schwuler Lebensrealität zu sein. Die postkoitale Zigarette ist auch dann in vielen schwulen Filmen zu erkennen, wenn der Sex deutlich gezeigt wird. Sie behält die Symbolbedeutung auch dann, wenn über diese Bedeutung nicht weiter reflektiert wird. In den mehr als 15 mir bekannten hierfür einschlägigen Filmen gehören dazu Szenen aus "Postmortem" (2005, hier online, 12:35 Min.) sowie in den breit rezipierten Filmen "Oscar Wilde" (1997), "Brokeback Mountain" (2005) und "Liberace" (2013). Auch die postkoitale Zigarette in "Sexgeflüster" (2007, hier Auszug online, 2:00 Min.) ist gut umgesetzt. Der Film "Test" (2013) wird mit einer solchen Zigarettenszene sogar beworben. In "Queer as Folk" (4/4) wird in unterhaltsamer Weise sogar Teds anstrengende Buchhaltung wie eine sexuelle Handlung inszeniert, die in einer Art postkoitaler Zigarette ihren Abschluss findet.


Die postkoitale Zigarette in "Brokeback Mountain" (2005)

Die postkoitale "Tatort"-Zigarette

Die am breitesten rezipierte postkoitale Zigarette nach schwulem Sex ist wohl die aus "Ätzend" ("Tatort"-Folge 962, 2015). Am Ende dieser Folge lernt Kommissar Robert Karow in einer Bar einen Mann kennen und nimmt ihn mit nach Hause. Die postkoitale Zigarette auf dem Balkon wurde von vielen Medien richtig zu deuten gewusst und war deshalb etwas Besonderes, weil damit erstmals ein "Tatort"-Kommissar als schwul eingeführt wurde.

Unter der Überschrift "Kritik zum 'Tatort' aus Berlin. Die Zigarette danach" beschrieb die "Stuttgarter Zeitung" (15. November 2015) die Wirkung der Szene so: "Das Bild, wie er [Karow] nach einem One-Night-Stand mit einem unbekannten Lover (!) rauchend auf dem Balkon […] steht, bleibt hängen." Der "Focus" (15. November 2015) ist reservierter: "Und wenn er dann in der Morgendämmerung eine Zigarette raucht, ist etwas passiert, was man so bei einem Kommissar in einem 'Tatort' wohl noch nicht erlebt hat." Angesichts einer späteren expliziten Sex-Szene mit Karow (in Folge 989) schreibt die "Neue Zürcher Zeitung" (5. Juni 2016): "Die Aufregung, [die Karow] mit Zigarette im Mund ausgelöst hatte, kann sich ruhig wieder legen. Ja, Karow steht auf Männer. Damit ist er wohl der erste Kommissar im 'Tatort'-Universum, der das offen – gar explizit – auslebt."


Mit einer Zigarette wurde Kommissar Karow als männerliebend eingeführt ("Tatort"-Folge 962)

Postkoitale Zigaretten in Pornos

Kann eine solche Zigarette gleichzeitig sowohl Symbol des Unzeigbaren als auch Abbild schwuler Lebensrealität sein? Der Regisseur Jean Daniel Cadinot hat in seinem Porno "Aime … comme Minet" (1982) die postkoitale Zigarette deutlich pornographisch eingebunden, wobei die Szene wie eine ironische und augenzwinkernde Referenz auf frühere Filme und Zeiten wirkt.