Das Urteil des Amtsgerichts Hamburg ist nicht rechtskräftig. Der Verteidiger des Angeklagten kündigte Berufung an (Bild: IMAGO / wolterfoto)
Wegen eines folgenreichen Faustschlags gegen eine trans Frau an der Reeperbahn hat das Amtsgericht Hamburg einen jungen Mann zu einem Anti-Gewalt-Training verurteilt. Das Jugendschöffengericht sprach den 22-Jährigen am Mittwoch wegen Körperverletzung schuldig. Er habe der Nebenklägerin Samia Stöcker in der Nacht zum 17. Juli 2021 mit der Faust ins Gesicht geschlagen, woraufhin sie "kerzengerade" zu Boden gestürzt sei. Weil der Angeklagte zur Tatzeit Heranwachsender war, verurteilte ihn das Gericht nach Jugendstrafrecht.
Die damals 33-Jährige wurde bei dem Sturz bewusstlos und erlitt einen Schädelbruch. Stöcker hatte als Zeugin im Prozess ausgesagt, dass sie sich an den Vorfall selbst nicht erinnern könne. Sie sei erst auf der Intensivstation im Krankenhaus aufgewacht und habe von einer Polizistin von dem Geschehen erfahren. Einen Tag später nahm sie im Krankenhausbett ein Facebook-Video auf, in dem sie um über den Angriff berichtete.
Es sei ihr ein Anliegen, transfeindliche Übergriffe in die Öffentlichkeit zu tragen, erklärte Stöcker. "Jede Bedrohung, jeder Angriff sollte zur Anzeige gebracht werden."
"Scheiß Transe, verpiss dich!" gerufen
Der Tat waren zunächst verbale Anfeindungen vorausgegangen. Aus einer Gruppe junger Männer soll "Scheiß Transe, verpiss dich!" in Richtung der damals 33-Jährigen gerufen worden sein. Diese Äußerung stammte nach Überzeugung der Kammer aber nicht von dem Angeklagten.
Das Gericht bestimmte ferner, dass der 22-Jährige dem Opfer 4.500 Euro an Schmerzensgeld zahlen muss. Außerdem muss er für alle künftigen Behandlungskosten der weiter unter den Folgen der Tat leidenden Frau aufkommen, sofern sie nicht von Versicherungen übernommen werden. Die Folgen des Sturzes beeinträchtigten sie bis heute, erklärte Stöcker im Prozess. Zehn Jahre lang habe sie unter dem Namen Sina Valentina als selbstständige Travestie-Künstlerin gearbeitet, jetzt sei sie traumatisiert und arbeitsunfähig.
Der Staatsanwalt hatte für den wegen Körperverletzung vorbestraften Angeklagten eine Verurteilung zu zehn Arbeitsleistungen à sechs Stunden und ein Anti-Gewalttraining beantragt. Der Verteidiger hatte Freispruch gefordert. Er kündigte Berufung gegen das Urteil an. Im Prozess hatte er sich an einer Täter-Opfer-Umkehr versucht (queer.de berichtete).
Stöcker von Urteil enttäuscht
Nach der transfeindlichen Äußerung aus der Gruppe habe die Nebenklägerin Respekt eingefordert, sagte Richterin Eda Bacak. Dabei habe sie mit dem Zeigefinger nahe vor dem Gesicht eines jungen Mannes herumgewedelt. Dann sei der Angeklagte gekommen und habe sie geschubst. Die 33-Jährige sei gestolpert und habe den Angreifer ebenfalls geschubst, aber nicht geschlagen. Dann habe der Angeklagte so zugeschlagen, dass die Nebenklägerin zu Boden stürzte. Der Schlag sei keine Notwehr gewesen.
Der Verteidiger hatte in seinem Plädoyer gesagt, die Aufzeichnungen einer Videokamera zeigten eine Notwehrsituation. Der Angeklagte habe einen Faustschlag der damals mit etwa 1,5 Promille alkoholisierten trans Frau abgeblockt und erst danach zugeschlagen. Auch die Polizei habe in einer Bildunterschrift festgestellt, dass die Nebenklägerin zu einem Faustschlag ausholte.
"Mein Mandant hat nicht gewollt, dass es Ihnen schlecht geht", sagte der Verteidiger mit Blick auf die Folgen des Sturzes in Richtung des Opfers. Dieses verließ bei der Bemerkung den Gerichtssaal. Von dem Urteil zeigte sich die heute 35-Jährige im Anschluss enttäuscht: "Ich hätte mir eine Freiheitsstrafe gewünscht." (cw/dpa)