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TV-Kritik

"Unser Lied für Liverpool": Der beste Act hat tatsächlich gewonnen!

Beim Eurovision-Vorentscheid setzten sich Lord of the Lost mit eingängigem Glam-Rock, glitzernder Androgynität und jeder Menge Pyrotechnik gegen sieben teils enttäuschende Konkurrent*innen durch.


Verdient gewonnen: Pi Stoffers, Niklas Kahl, Chris Harms, Gared Dirge und Klaas Helmecke von der Metal-Band Lord of the Lost nach ihrem Auftritt mit dem Titel "Blood & Glitter" (Bild: IMAGO / Panama Pictures)

Einem mutmaßlich vorhersehbaren TV-Abend im deutschen Fernsehen ist der erfreuliche Twist gelungen: Der beste Act gewinnt tatsächlich den Vorentscheid. Lord of the Lost setzt sich bei "Unser Lied für Liverpool" mit "Blood & Glitter" gegen sieben Konkurrent*innen durch und repräsentiert Deutschland im Mai auf der Eurovision-Bühne mit eingängigem Glam-Rock, glitzernder Androgynität und jeder Menge Pyrotechnik.

Es ist schon fast unverschämt, mit welcher (musikalischen) Vielfalt die ARD sich brüstet – und sich zugleich vergeblich an einer schalen, immergleichen Lagerfeuer-Stimmung versucht. Abermals als Moderatorin aktiv, eröffnet Barbara Schöneberger mit Blaskapelle und Zepter die Sendung und ebnet mit zahlreichen "Wetten, dass…?"-Querverweisen sowie belanglosen Zwischeninterviews den Weg für eine behäbige Schunkelstimmung. Der NDR geht nicht mit der Zeit, sondern beharrt auf seiner übernostalgischen Verklärung des Fernseh-Events.

Überflüssige Gäste und überbetonte Nationalisierung

Auf dem Gottschalk-esken Sofa dürfen Florian Silbereisen, Riccardo Simonetti und Ilse DeLange Platz nehmen und die Sendezeit unnötig in die Länge ziehen, von denen nur letztere durch ihr Wirken in der niederländischen Country-Band "The Common Linnets" ESC-Bezug vorweisen kann. Silbereisen schafft es nur schwer, sich aus seiner Selbstbezogenheit zu lösen und bezieht jede Kritikäußerung über die acht (statt ursprünglich geplanten neun) antretenden Acts auf die eigene Autobiografie. Die Kandidatur von Frida Gold mit "Alle Frauen in mir sind müde" musste von der erkrankten Leadsängerin Alina Süggeler kurzfristig zurückgezogen werden (queer.de berichtete).

Simonetti etwa äußert den Wunsch, Deutsche sollen sich mal wieder am Stolz auf die eigenen Held*innen erproben. Diese – zugegeben, sehr ESC-typische – überbetonte Nationalisierung ist ein den Spätabend durchziehendes Motiv. In seinem Einspieler scheint Sänger und Tänzer Trong sich daher überdeutlich erklären zu wollen, wieso er sich trotz seiner vietnamesischen Herkunft als deutscher ESC-Act bewirbt. "Danke Deutschland, dass ich bei dir meinen Traum leben kann" – diese Zeile fügt er kurzerhand in seinen Song "Dare To Be Different" ein. Trotz seines süßen Charismas und den beeindruckenden akrobatischen Fähigkeiten verbirgt sich hinter dem energetischen Auftritt nicht mehr als belangloser Mutmacher-Pop, dessen plakative Hülle schnell durchsichtig wird.

Bühnenbilder, die nicht wirklich passen

Der Abend zeigt: Einige Songs funktionieren auf der Bühne nicht annähernd so gut wie in ihrer Studioversion. René Miller steht in der Performance seiner Ballade "Concrete Heart" breitbeinig auf einem meterhohen Steingebilde – das nicht nur eine plumpe Metapher für toxische Beziehungen darstellt, sondern auch eine unangenehme Überheblichkeit gegenüber dem Publikum befeuert.

Der spätere Jury-Liebling Will Church verwirrt mit einem dystopischen Bühnenbild, das so gar nicht zu dem sanften "Hold On" passen möchte. Ohnehin ist sein Auftritt trotz überzeugender Stimme belustigend inkonsequent, ist doch seine Aussage ein Plädoyer für das Innehalten bei ausufernden Eigenvorhaben – genau mit diesem Tenor bewirbt er sich bei der weltweit größten Musikveranstaltung und damit potenziell auf massig sozialen und öffentlichkeitswirksamen Druck. Die internationalen Fachjurys sollen den ehemaligen "The Voice"-Kandidaten später mit dem ersten Platz ihrer Wertung belohnen.

Mehr Schilfgras im deutschen Fernsehen

Die märchenhafte Illusion in Anica Russos "Once Upon A Dream" in Nachtlicht und Glitzerkleid möchte nicht aufgehen. Die unglückliche Kameraführung enttarnt zudem das massige Schilfgras sofort als Props. Die etwas ratlosen Strophen gehen unter, neben unterhaltsamerer Konkurrenz wirkt dieser – stark an der bulgarischen Kandidatin Victoria im Jahr 2021 angelehnte – Beitrag zu schwerfällig. Schöneberger quittiert das mit einem kecken Plädoyer für mehr Schilfgras im deutschen Fernsehen, sie könne auch für die Moderation der nächsten Landesgartenschau gebucht werden.

Direktlink | Das ESC-Medley der Vorentscheids-Acts
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Die vierköpfige Band Lonely Spring hat sich während ihrer Schulzeit im bayerischen Passau gegründet und legt mit "Misfits" eine punkige Hymne für all diejenigen vor, die sich sozial verstoßen fühlen. Leider stiehlt das mit Schaufensterpuppen überfüllte, unübersichtliche Bühnenbild dem Song jegliche Dynamik, den Musikern fehlt hinter den unzähligen Silhouetten der Raum zur Entfaltung.

In dem poppigem Folk-Track "Melodies of Hope" steht Patty Gurdy das Instrument im Weg: Auch wenn die Drehleier – auf die sich auch ihr Künstlername bezieht – zentraler Bestandteil der Inszenierung ist, macht sie nur selten von ihr Gebrauch. Der Performance dieses durchaus tanzbaren Songs fehlt es an Beweglichkeit, ihrem Wurzelrock an Kontext. Trotz ihrer großen Fangemeinde, bei der sie sich im Einspieler für die Spenden zum Wiederaufbau ihres in der Ahrtal-Flutkatastrophe zerstörten Tonstudios bedankt, belegt sie den letzten Platz.

Ikke Hüftgold sorgt für Stadion-Atmosphäre

Schöneberger bezeichnet ihn als "Räuber Hotzenplotz meets Rammstein", er selbst bezeichnet sich als den "unerwünschten Besuch": Wildcard-Gewinner und Malle-Schlagersänger Ikke Hüftgold kokettiert in seinem "Lied mit gutem Text" mit der schlechten ESC-Platzierung Deutschlands in den vergangenen Jahren und liefert einen chaotischen, aber durchaus dynamischen Auftritt, der einen spannenden Stilbruch bringt.

Mit platten Lyrics wie "La La La ist international!" und einem (unangenehm präsenten) Fanclub in stilgetreuen Perücken und Plastikanzügen, die Schöneberger konsequent den "roten Block" nennt, wirbelt Hüftgold das brav vor sich hinklatschende Publikum in den Kölner MMC Studios mit einer stadionähnlichen Atmosphäre auf. Die Zuschauer*innen würdigen das mit 101 Televoting-Punkten.

Und gerade als Schöneberger an dem "Franziska-Giffey-Pult", wie sie es bezeichnet, die Fachjury-Punkte bekannt gibt (seltsamerweise noch während des offenen Publikumsvotings) und sich durch den meilenweiten Vorsprung von Will Church gewohnte Frustration über das Wahlverhalten im deutschen Vorentscheid breitmacht, bringt der zu lang geratene Fernsehabend die überraschende Wendung: Die Zuschauer*innen küren mit 146 Televoting-Punkten den besten Act Lord of the Lost als Gewinner des Abends – eine hinsichtlich Ästhetik, Authentizität und Eingängigkeit unübertroffener Beitrag, der sich im internationalen Vergleich in diesem Jahrgang durchaus nicht verstecken muss.

Direktlink | Lord Of The Lost hat mit "Blood & Glitter" gewonnen
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#1 M von JascheroffAnonym
  • 04.03.2023, 08:21h
  • Das ist der Sieger, den diese Sendung gestern Abend verdient hat. Eine Show, die einfach nicht enden will und Songs, die es nicht wert sind dafür anzurufen. Gäste die alle Klischees bedienen und eine Moderatorin, die selbst nicht an das Konzept des Vorentscheids glaubt. Nehmt dem NDR endlich dieses Format weg und gebt es einer Produktionsfirma, die nicht von alten weißen Männern geführt wird. Es ist einfach nur peinlich...
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#2 WadimAnonym
  • 04.03.2023, 09:15h
  • Antwort auf #1 von M von Jascheroff
  • Deine rigorose Meinung sowie die Behauptungen des Autors des Artikels sind keine Wahrheit in der letzten Instanz. Mir hat Show im Ganzem gefallen. Und ich habe für "Lord of the Lost" angerufen, weil die Band reale Chancen hat, in die top fünf zu gelangen bzw. gar zu gewinnen.
    Wetten?
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#3 weweweweweAnonym
  • 04.03.2023, 09:40h
  • Letzter Platz, wir kommen (schon wieder).

    Jedes Jahr wird ein grottenschlechter Song gehypet.

    So auch dieses Jahr.

    Das wird ein miserabler ESC. Keine guten Songs.
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#4 Germany Zero PointsAnonym
  • 04.03.2023, 10:05h
  • Es glaubt doch wohl wirklich niemand, dass dieser Abklatsch des italienischen Siegers Maneskin auch nur den Hauch einer Chance hat.

    Imitationen vergangener Sieger waren beim ESC noch nie erfolgreich.
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#5 ESC oh wehAnonym
  • 04.03.2023, 10:30h
  • da geb ich meinem vorredner absolut recht...maneskin lookalikes....no chance.zero points....
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#6 5centsAnonym
  • 04.03.2023, 10:33h
  • Erwähnenswert noch das Medley am Ende, das neben Peinlichkeiten (Ikke covert Verka) auch Gutes brachte und die Leute mindestens genausogut vorstellte wie die Einspielfilme. Das sollte man zur Auflockerung und für die zusätzlichen Eindrücke über die Acts nach vorne holen. Positiv fiel auch ganz am Ende auf, wie gut die Teilnehmer miteinander konnten. Da hätte man bereits während der Show was draus machen können.

    Die war länglich und zu zulabernd. Bitte mehr Geld investieren, dass die zu überbrückenden Umbauten auf der Bühne schneller gehen. Schaffen andere Länder auch. Auch Tontechnik scheint verbesserbar (einige Beiträge waren im TV-Ton kaum zu verstehen und meine Hoffnung ist, dass das nicht (nur) an ihnen lag). Manches Staging und manche Kamerafahrten schadeten dem jeweiligen Song - haben hier auch die Künstler die Verantwortung wie die einzelnen Länder beim ESC oder trägt der NDR die "Schuld"?

    Offenbar umstrittenes Jury-Voting im Vorentscheid: Wenn auch beim ESC selbst vorhanden, sehr dafür. Machen andere Länder auch, kann Peinlichkeiten aus dem Televote (gab einige davon in letzten Jahren) verhindern und gibt einen Eindruck auf die 50 Prozent Jurystimmen im Finale. Etwas mehr Transparenz über Zusammensetzung wäre aber gut.

    (Jury im Finale: Bin grundsätzlich weiter dafür. Größter Nachteil ist, dass diese Punkte im Finale einzeln in den Länderschalten vergeben werden, was tw. falsche Eindrücke über die Gunst der Bevölkerung der einzelnen Länder liefert. Die Juryregeln (u.a. Bewertung nach mehreren Kriterien) sind eigentlich gut und transparent, können nach Besetzung aber auch zu willkürrlich oder zu einseitig ggü bestimmter Genres (oder gar Musiklabels) werden. Deutsche Jury ist ja oft, was zugleich Auftritte bei den schlimmen NDR-Shows rund ums Finale hat. Ich würde zwei der fünf Sitze nicht an "Vertreter der Musikindustrie" geben, sondern an Fanclubs oder Fanmedien.)

    Lord of the Lost? Können was, wirken sympathisch und eingespielt und sicher die (soweit bisher bekannt) beste Band im Teilnehmerfeld. Song etwas beliebig und nichts übermäßig zündendes, aber mit gutem Staging und etwas PR ist mindestens oberes Mittelfeld machbar.

    Trong hätte ich gerne mit einem besseren und weniger weichen Song nocheinmal beim Vorentscheid.
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#7 Julian SAnonym
  • 04.03.2023, 10:37h
  • Die ARD hat wieder mal dieselben methodischen Fehler gemacht, die sie immer wieder machen.

    Nur mal zwei Beispiele:

    1. Man hat die Telefon-Votings noch offen gelassen, als die Jury-Votings schon verkündet wurden. Das hat natürlich Einfluss auf die eigene Wahl. Wenn jemand in den Jury-Votings mit weitem Abstand vorne war, rufen seine Fans vielleicht weniger an. Wenn jemand weiter hinten liegt, ist das Motivation, noch öfter anzurufen.

    Das wäre so, als würde man bei politischen Wahlen schon übertags Hochrechnungen präsentieren, was aus gutem Grund strikt verboten ist.

    2. Die Telefon-Votings waren wieder mal zu lange geöffnet. So bekommt man kein repräsentatives Ergebnis, was die Zuschauer am besten fanden, sondern so misst man nur, wer die meisten Fans hat bzw. wer seine Fans am besten mobilisieren konnte.

    Fazit:
    Jeder darf Fehler machen, aber wenn man dieselben Fehler immer und immer wieder macht, ist es kein Fehler, sondern dann ist das Vorsatz.

    Dann sollte man vielleicht den Verantwortlichen den ESC entreißen und das an andere geben. Oder ganz aussteigen.
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#8 FennekAnonym
  • 04.03.2023, 10:41h
  • Antwort auf #5 von ESC oh weh
  • Da muss auch ich mich leider anschließen...

    Der ESC ist kein Lookalike-Wettbewerb, keine Mini-Playback-Show oder Starimitatoren-Schaulaufen.

    So ein billiger Abklatsch voriger Erfolge wird meistens vom Publikum massiv abgestraft.
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#9 FennekAnonym
  • 04.03.2023, 10:47h
  • Antwort auf #7 von Julian S
  • >> Die Telefon-Votings waren wieder mal zu lange geöffnet. So bekommt man kein repräsentatives Ergebnis, was die Zuschauer am besten fanden, sondern so misst man nur, wer die meisten Fans hat bzw. wer seine Fans am besten mobilisieren konnte. <<

    Ja, das hat man ja auch ganz deutlich gesehen:

    Diejenigen Newcomer, die bei den Ländervotings gut abgeschnitten hatten, aber eben noch nicht diese Fanbase haben, waren bei den Telefonvotings auf einmal ganz hinten.

    Und diejenigen, die schon länger im Geschäft sind und eine große Fanbase haben, wie z.B. der Sieger-Act, der mit großen Bands in deren Vorprogramm tourt, oder auch dieser "Ikke Hüftgold", der schon viele Mallorca-Hits hatte und dessen Fans auf TikTok schon bewiesen hatten, wie leidenschaftlich sie für ihn voten, haben dann auf einmal Erfolg. Ikke Hüftgold war z.B. nach dem Juryvoting auf dem letzten Platz und beim Telefonvoting auf dem zweiten Platz.

    Das Problem ist nur:
    deren Fans im eigenen Land haben halt bei dem Votings aller europäischen Länder null Gewicht.

    Man sollte nicht diejenigen zum ESC schicken, die in Deutschland die meisten Fans haben, sondern wer den besten Beitrag hat.

    Dafür braucht man ein halbwegs repräsentatives Ergebnis. Und dafür müssen wiederum die Telefonvotings kürzer sein, damit das Ergebnis repräsentativ ist und nicht nur widerspiegelt, wer die meisten Fans hat.

    Aber die ARD lernt es einfach nicht.
    Oder die wollen es nicht lernen.
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#10 langsamAnonym
  • 04.03.2023, 11:08h
  • Lord of The Lost sind schon seit über 15 Jahren im Geschäft und kein Maneskin-Abklatsch.

    en.wikipedia.org/wiki/Lord_of_the_Lost

    So ist bereits das (Unter-)Genre ein anderes. Im Bereich Dark Rock, Gothic u.ä. ist die Band erfolgreich und solide. Aber solide ist hier das Problem: Es fehlt etwas das Zündende, das Mitreißende, das Individuellere, auch das Dringliche und zugleich das Verspielte, das etwa Maneskin ausmachte, um auf den Vergleich zurückzukommen. Man ist hier halt nicht die Vorband von Iron Maiden auf einem Rockkonzert, sondern beim ESC.
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