Hauptmenü Accesskey 1 Hauptinhalt 2 Footer 3 Suche 4 Impressum 8 Kontakt 9 Startseite 0
Neu Presse TV-Tipps Termine
© Queer Communications GmbH
https://queer.de/?44887

Ampel-Vorhaben

Recht auf geschlechts­angleichende Operationen lässt auf sich warten

Die Bundesregierung wollte eigentlich die transspezifische Gesundheitsversorgung endlich als Regelleistung verankern. Doch wie beim Selbstbestimmungsgesetz ist unklar, wie lange Betroffene warten müssen.


Kommt diese Reform, könnten viele schon so lange wartende trans Personen hier endlich hinein geschoben werden: Der Operationssaal (Bild: Stefan Bellini / wikipedia)

Das Selbstbestimmungsgesetz, das es transgeschlechtlichen Menschen künftig erleichtern soll, ihren Namen und ihren Geschlechtseintrag zu ändern, lässt weiter auf sich warten. Doch neben der Frage der Papiere steht für trans Personen noch die medizinische Versorgung auf der Agenda.

Wie sieht es also bei der gesetzlichen Gewährleistung operativer Eingriffe aus, die von Krankenkassen bislang nur in geringem Umfang und nach aufwändigen Anträgen getragen werden? Vermutlich müssen sich Betroffene noch gedulden – und sich in der Zwischenzeit weiter fadenscheinige Ablehnungen der Kostenübernahmen vonseiten ihrer Krankenkassen anhören.

Ursprünglich enthalten, dann verschwunden

In ihrem im Jahr 2021 in den Bundestag eingebrachten Entwurf für ein Selbstbestimmungsgesetz hatten sich die Grünen neben dem angepassten Änderungsverfahren des Geschlechtseintrags auch für eine erstmalige rechtssichere Verankerung des Anspruchs auf medizinische Leistungen ausgesprochen. Und auch im Koalitionsvertrag der Ampelkoalition hatten sich die Koalitionäre eigentlich darauf geeinigt. Dort heißt es nach einer Aufzählung dessen, was das Selbstbestimmungsgesetz enthalten solle, in einem weiteren Satz: "Die Kosten geschlechtsangleichender Behandlungen müssen vollständig von der GKV übernommen werden."

Doch als Justizminister Marco Buschmann (FDP) und Familienministerin Lisa Paus (Grüne) vergangenes Jahr die Eckpunkte zum kommenden Gesetz vorstellten, fehlten die medizinischen Aspekte (queer.de berichtete). Auf Nachfrage aus der Reihe der anwesenden Journalist*innen hatte Buschmann auf den Zuständigkeitsbereich des Gesundheitsministerium verwiesen: "Auch dieses Projekt wird die Koalition zügig angehen und ich bin mir sehr sicher, dass Karl Lauterbach uns da auch beizeiten einen Entwurf vorlegen wird".

Das aber ist auch acht Monate später noch nicht passiert. Also fragte queer.de beim Gesundheitsministerium an, wie es um die Umsetzung der Ankündigung aussieht. Die Antwort jedoch ist denkbar knapp – und enttäuschend. Die Umsetzungsmöglichkeiten würden "derzeit geprüft". Und: "Die Umsetzung bleibt insoweit abzuwarten."

Taktische Ausklammerung

Justizminister Marco Buschmann hatte zuletzt mehrfach betont, dass es im Selbstbestimmungsgesetz um den Personenstand und den Namen gehe, nicht um medizinische Fragen. Das sei eben "etwas völlig anderes als die Frage einer geschlechtsangleichenden Operation". Die Koalitionäre versuchten damit auch, Mutmaßungen von Transfeind*innen vorweg zu nehmen.

Die hatten das Transsexuellengesetz mit seinen teuren, zeitaufwändigen und menschenrechtlich äußerst bedenklichen Begutachtungsprozessen sowie dem langen standesamtlichen Verfahren auch als Bollwerk gegen "zu frühe" geschlechtsangleichende Operationen verteidigt. Und alles, was transgeschlechtlichen Personen Steine in den Weg legt, scheint in diesem Diskurs bislang nur recht und billig zu sein.

Im Umkehrschlus könnte es durch ein Selbstbestimmungsgesetz zu einer Beschleunigung bei den OPs kommen, war der Berliner Ampelkoalition vorgeworfen worden. Genauer gesagt: zu einer Verkürzung der Zeit zwischen äußerem Coming-out und Eingriff.

Also entschieden sich die zuständigen Stellen, die die queeren Gesetzesreformen aushandeln und vorbereiten, zu einer Ausklammerung der medizinsichen Aspekte aus dem Selbstbestimmungsgesetz. Das widersprach zwar der Namensherkunft des Gesetzes. Denn die spielt auch auf die reproduktive Selbstbestimmung und damit auf die medizinischen Rechte von Frauen und anderen, die schwanger werden können, gegenüber dem Gesundheitssystem an. Es brachte aber sicher Vorteile in der aufgeheizten Diskursschlacht.

Nur: Kommt die Sicherung der medizinischen Rechte transgeschlechtlicher Menschen dann auch wirklich? Die Antwort aus dem Bundesgesundheitsministerium lässt zumindest darauf hoffen.

Auch Umfang unklar

Ob das am Ende aber dazu führt, dass transgeschlechtliche Patient*innen kostendeckenden Zugang zu denjenigen Leistungen haben, die von den zuständigen Fachgesellschaften als wirksam empfohlen werden, ist damit nicht beantwortet. Auf die Frage danach ging der Ministeriumssprecher nicht ein.

In der bereits 2018 erschienenen "S3-Leitlinie Geschlechtsinkongruenz, Geschlechtsdysphorie und Trans-Gesundheit" hatten die Fachgesellschaften die Evidenzen zusammengetragen, die es zu verschiedenen verfügbaren Behandlungen wie Gesichtsfeminisierungen, der Bildung eines Penis oder der permanenten Entfernung von Körperbehaarung gibt. Nur fühlen sich Krankenkassen und die zuständigen Gremien der medizinischen Selbstverwaltung bisher nicht dazu gedrängt, aus den wissenschaftlichen Erkenntnissen auch die nötigen Schlüsse zu ziehen.

Dabei weist die Forschung darauf hin, dass Patient*innen bisher zwar Angleichungen von Genitalien und Brust unter bestimmten Bedingungen bezahlt bekommen können. Eine wissenschaftliche Grundlage hat diese Eingrenzung allerdings nicht: Andere Maßnahmen zeigen ebenso große Evidenzen bei der Minderung des Leidensdrucks durch Geschlechtsdysphorie sowie Diskriminierung und werden als Teil eines individuell zugeschnittenen Behandlungskonzeptes empfohlen.

Zudem gilt der Zugang zu solchen Behandlungen als möglicher Ausweg aus einer Ausgrenzungs- und Verarmungsspirale. An deren Ende entwickeln nicht wenige transgeschlechtliche Personen aufgrund von Arbeitslosigkeit, Armut, Stigmatisierung und Gewalterfahrungen schwerwiegende Folgeerscheinungen wie Angstörungen und Depressionen.

Hein & Fiete: Mehr Platz, mehr Gesundheitsvorsorge

Hamburgs schwuler Infoladen Hein & Fiete erhält zusätzliche Senatsgelder, um neue Räume im Dachgeschoss anzumieten.
#1 Welch UeberraschungAnonym
  • 07.03.2023, 15:48h
  • DIESE Bundesregierung wird *gar* nichts mehr machen. Das hat sie in anderen Bereichen bereits mehrfach bewiesen, da sind wir als eh schon "nervige Randgruppe" ja noch "irrelevanter" (nach Politsicht, wohlgemerkt).

    Und man kann sich bei dem Debakel, das die Ampel gerade in allen Bereichen veranstaltet, von stümperhaft bis vorsätzlich Fakten torpedierend, sicher sein, dass SPD und Grüne gewiss NICHT der nächsten Regierung vorstehen werden (die "Hauptsache dagegen"-Partei eh nicht). Und wie "progressiv" und mit Menschenrechten auf einer Linie ein Bündnis unter Schwarz aussehen wird, weiß mensch jetzt schon (zumal ich auch die Beteiligung der Blauen mittlerweile für realistisch halte, da die Union ja wichtige ideologische Punkte mit denen teilen und eine Zusammenarbeit in einigen Punkten und Bereichen ja - trotz "Unvereinbarkeitsklausel" und "Brandmauer gegen rechts"-Gefasel) abseits der Bundes-Union durchaus passieren.
  • Antworten » | Direktlink »
#2 VestigeAnonym
  • 07.03.2023, 15:53h
  • Da kommt nichts, es wird schlimmer und nicht besser.

    Das ICD-11 der WHO, das trans sein aus der Liste der 'psychischen Störungen' gestrichen hat, wird in Deutschland nicht umgesetzt, weder vom Gesundheitsministerium noch vom Gemeinsamen Bundesausschuß des Gesundheitswesens. Entsprechend sind trans Personen in Deutschland immer noch 'psychisch gestört' und werden im Gesundheitssystem auch so behandelt.

    Das heißt: trans Personen mit Bedürfnis nach somatischen Maßnahmen werden von Psychomedizinern verhört und müssen Zwangstherapien absolvieren, deren Ziel: 'Versöhnung mit dem Geburtsgeschlecht (!)', also: reparative Therapien. 'Normal machen'. Scheitert das, kommt die somatische Maßnahme erst in Frage, wird aber dennoch meist abgelehnt.

    Einzig die Bundespsychotherapeutenkammmer hat sich für die Abschaffung der
    Zwangstherapien eingesetzt.

    Die erwähnte S3-Behandlungsleitlinie ist ebenso eine deutsche
    Sonderleistung: 'informierte Zustimmung' bedeutet in dieser von forensischen Psychiatern der Deutschen Gesellschaft für Sexualforschung verfaßten Leitlinie, daß eine 'Fachkraft' über die Anliegen der jeweiligen trans Person allein und nach Gutdünken entscheidet. Es ist erwähnenswert, daß die DGFS von einem Rassehygieniker gegründet wurde.

    Es ging schlicht darum, daß sich 2018 die Entscheidung der WHO, trans zu ent-pathologisieren, deutlich abzeichnete und das Transsexuellengesetz womöglich abgeschafft würde. Darum entschloß sich die in großer
    Mehrheit reaktionäre und trans feindliche deutsche Psychomedizin, so vorzugehen.

    Eigentlich gehört die ganze Geschichte des 'System trans' in Deutschland hierher.

    Das kann ich hier unmöglich leisten. Stattdessen nur ein kurzer Hinweis: im Gegensatz zu vielen anderen Ländern ist das deutsche Gesundheitssystem nicht direkt der Regierung weisungsgebunden, sondern regelt sich über den Gemeinsamen Bundesausschuß selbst, Patienten haben keinerlei Mitspracherecht. Dennoch muß das Gesundheitssystem zumindest pro forma gesetzeskonform agieren. Darum liegt die Verantwortung beim Bundesgesundheitsministerium, seitdem die Passagen zur trans Gesundheitsversorgung auf hoch interessante Weise aus dem 2021 von SPD, CDU/CSU und AfD niedergestimmten Selbstbestimmungsgesetz verschwanden.
  • Antworten » | Direktlink »
#3 Two SpiritsAnonym
  • 07.03.2023, 17:42h
  • Meine Ergänzung dazu, die 2018 S-3 Richtlinie ist im Jahr 2023 passé. Nun muss eine Neue Regelung her.
    Die Zeitgemäß ist und tatsächlich auf die Bedürfnisse der betroffene eingeht. Die GKV und ihr Medizinischer Dienst der Kassen hat bisher die S-3 Regelung ständig missachtet und ignoriert. Diese Missstände müssen beseitig werden. Ich habe das Persönlich erlebt. Als betroffene muss das eingeklagt werden. Da die S-3 Regelung für die GKV reine Makulatur sollte jeder betroffene klar sein. Es gibt nur den Klageweg vor Gerichten. Die Nächste Hürde erwächst nun, die Richter haben über Transgender Probleme überhaupt keinen blassen schimmer Ahnung . Lieber werden Entscheidungen auf die nächst höhere Instanz vertagt. Das kostet wiederum mehr Geld für die Klagende. Ob das System ist kann ich nicht beantworten. Ich sehen nur eines, dass es eine neue S-3 Regelung geben wird die genauso ignoriert und missachtet wird wie die 2018er Regelung. Es muss gesetzlich dagegen eingewirkt werden das es zu keinen Ping Pong zwischen den MDK und der GKV mehr kommen darf. Es wieder zusehen und beobachten bei Epilationen und vielen anderen dingen die Transgender betreffen. Mit kann man das machen da wir nur 0.01% der Bevölkerung sind und nur interesse wecken wenn eine wie wir gewaltsam Ableben.
  • Antworten » | Direktlink »
#4 FennekAnonym
  • 07.03.2023, 21:15h
  • Und wieder mal brechen SPD, FDP und Grüne ihre Versprechen...

    Und ehrlich gesagt:
    ich glaube mittlerweile, die haben gar nicht mehr vor, das alles umzusetzen, sondern wollen bis zur nächsten Wahl immer wieder neu vertrösten.

    Und selbst wenn sie noch ein paar Feigenblätter umsetzen würden, dann blieben die meisten Versprechen auf der Strecke.

    Offenbar ist keine der im Parlament vertretenen Parteien willens und/oder fähig, endlich LGBTI voll gleichzustellen. Dann wird es höchste Zeit, denen mal zu zeigen, dass man gegen uns nicht regieren kann.

    Wir sollten in Zukunft NICHT aus Frust auf die Wahl verzichten - das ändert gar nichts an den Verhältnissen und genau das wollen die. Wir sollten stattdessen Parteien unter der 5%-Hürde wählen. Um denen zu zeigen, wie viele wir sind. Und vielleicht kommt ja sogar dann eine Partei über die 5%-Hürde. Spätestens dann würde keine andere Partei (außer der AfD vielleicht) es noch wagen, LGBTI weiter zu diskriminieren.

    Wenn 10% + x der Wähler LGBTI sind, dann könnten wir viel erreichen. Wir müssten nur an einem Strang ziehen.
  • Antworten » | Direktlink »
#5 IsabellAnonym
  • 07.03.2023, 23:11h
  • Es gibt kein Grund für die Parteien irgendwas an der Situation zu verändern. Aus der Sicht von Parteienstrategien ergibt ein nicht Handel mehr Wählerstimmen. Die politische Atmosphäre bzgl. unseres Anliegen ist so extrem vergiftet. Der Hass hat sein erstes Ziel erreicht, das nächste Ziel ist die Vernichtung.
  • Antworten » | Direktlink »
#6 Paula RoydAnonym
  • 08.03.2023, 01:14h
  • Antwort auf #4 von Fennek
  • Diesem gemeinsamen politischen Streben dürfte jedoch zum einen die Frage entgegenstehen, ob es den vielbeschworenen Zusammenhalt und die Solidarität zwischen den Einzelbuchstaben tatsächlich gibt und man die Probleme der anderen genau so annimmt wie die, die einen unmittelbar selbst betreffen. Zum anderen kann nicht außer Acht gelassen werden, dass Schwule und Lesben eben nicht nur schwul und lesbisch sind, sondern auch Geschäftsleute, Angestellte, Beamte oder Freiberufler, Eltern oder kinderlos/kinderfrei, Biodeutsche oder Migranten und was sonst noch und dass diese Faktoren bzw. Prioritäten ebenso in die Wahlentscheidung einfließen.

    Zudem muss man berücksichtigen, dass Schwule und Lesben in Deutschland als vermutlich größte Einzelgruppen innerhalb der LGBTusw. ihre rechtliche Gleichstellung mittlerweile weitestgehend erreicht haben und die soziale Anerkennung - zumindest nach meiner bisherigen Lebenserfahrung in einer namhaften norddeutschen Millionenstadt - ebenfalls im Wesentlichen erreicht wurde... soll heißen: Für sich selbst haben Schwule und Lesben wenig, was sie noch erkämpfen müssen, und nun wird sich zeigen müssen, wie viel politischer Elan noch vorhanden ist, wenn man sich dick und zufrieden eingerichtet hat.
  • Antworten » | Direktlink »
#7 VestigeAnonym
  • 08.03.2023, 06:05h
  • Hier tagesaktuell zum Kontext:

    taz.de/Transaktivistin-ueber-TERFs/!5920500/

    Das ist der Grund, warum sich die Zustände hinsichtlich trans Gesundheitsversorgung, die ich oben skizziert habe, nur verschlimmern werden, und warum es auch kein entkerntes Pseudo-Selbstbestimmungsgesetz geben wird.

    Trotzdem freue ich mich riesig für Lou Kordts! Sie ist in Deutschland die beste Rechercheurin und Analytikerin in puncto TERFs. Zum Beispiel beruht die ganze Ereigniskette bis zur Intervention der Hirschfeld-Stiftung um das Lesbische Frühlingstreffen 2021 ( sehr gut hier auf queer de) auf ihrer Arbeit.

    Besonders schön ist, daß sie in der taz spricht, wo ein gewisser Herr F. Redakteur für Besondere Aufgaben ist!

    You go girl!

    Tja - eine große Freude zum 8. März, an welchem ich mich als trans Frau in meiner Situiertheit in Berlin nirgends blicken lassen sollte und das auch nicht tue.

    Huhu queer de - wie wär's mal mit einem gemeinsamen Beitrag von Jeja Klein und Lou Kordts?
  • Antworten » | Direktlink »
#8 Bisschen TextAnonym
  • 08.03.2023, 09:27h
  • Antwort auf #6 von Paula Royd
  • "Zudem muss man berücksichtigen, dass Schwule und Lesben (...) ihre rechtliche Gleichstellung mittlerweile weitestgehend erreicht haben und die soziale Anerkennung (...) ebenfalls im Wesentlichen erreicht wurde... soll heißen: Für sich selbst haben Schwule und Lesben wenig, was sie noch erkämpfen müssen, und nun wird sich zeigen müssen, wie viel politischer Elan noch vorhanden ist, wenn man sich dick und zufrieden eingerichtet hat."

    Dieses Gerede von den bösen cis Gays und Lesben bedient natürlich ein schönes Feindbild, hat aber leider - wie so oft bei "alternativen Fakten" - wenig mit der Realität zu tun. Andernfalls müsste die Depressions- und Selbstmordrate bei schwulen und lesbischen Personen ja mittlerweile bei fast null liegen, weil wir uns ja, wie sagst du?, so schön "dick und zufrieden eingerichtet" haben und rechtlich und gesellschaftlich nahezu gleichauf mit den cis Heteros liegen. Diskriminierung in Schule, Uni und Beruf gibt es für uns kaum noch, Benachteiligung im professionellen Leben ebenso wenig. Deshalb sind im Job 2/3 nicht geoutet. Safe, weil sie keine Repressionen befürchten müssen.
    Deshalb tummeln sich in der Fußballbundesliga bekanntlich dutzende von schwulen und lesbischen Spieler*innen, weil sie keine Repressionen befürchten müssen. Deshalb ist das Heiraten für schwule und lesbische Paare in der Kirche kein Problem mehr. Deshalb gibt es auch keine täglichen Nachrichten über schwulen- und lesbenfeindliche Angriffe quer durch die Republik, weil wir keine Repressionen befürchten müssen, weil wir uns "dick und zufrieden eingerichtet" haben...

    Versteh mich nicht falsch: Ich sage *nicht*, dass es uns genauso geht wie trans. Jede Person, die sich mit Diskriminierung von LGBTQIA* befasst, käme nie auf die Idee, das auch nur im Ansatz zu behaupten. Dass ihr deutlich drastischere und systemische Diskriminierung und öffentliche Hetze erdulden müsst, ist bekannt - und hier (leider) oft genug zu lesen (wobei sich das "leider" auf den Umstand bezieht, dass sich solche Taten, (Fehl-)Urteile und Übergriffe gegen euch überhaupt ereignen; nicht darauf, dass über Unrecht gegenüber trans Menschen berichtet wird!)

    Nur: Dieses "die cis Homos tun nichts für uns, weil sie nichts mehr zu befürchten haben, die haben sich dick und zufrieden eingerichtet" ist schlicht gelogen. Es gibt natürlich Einzelpersonen, die das so sehen, die in der tatsächlich seltenen Situation nahezu problemfreien Lebens sind, aber das ist nicht die Lebensrealität der Gruppe. Wenn ich beispielsweise bei einer absoluten Lappalie einen Spruch nur drei Minuten nach Verlassen des Hauses in einer sich selbst als "ehrlichen, aber herzlichen und weltoffenen Metropole" abfeiernden Großstadt zu hören kriege, dass es "SOWAS wie dich früher nicht gegeben hätte, da hätte der Führer Seife draus gemacht!" (biodeutscher Senior) und keinen Kilometer weiter, aus einer Gruppe junger Personen mit Migrationshintergrund gefragt werde, ob ich eine scheiß Schwuchtel sei, weil ich es "wage", regenbogenfarbene Schnürsenkel bei sonst sehr "heteronormativer" Garderobe zu tragen, dann ist das alles, aber gewiss nichts, wo man sich "dick und zufriedenes Einrichten".

    Wenn nämlich bei solchen Nichtigkeiten schon von jung bis alt, deutsch und migriert, verbal ausgeteilt wird, man tagtäglich über Gewalttaten auch (nicht nur, aber auch) an uns liest, dann mag dein "die haben sich dick und schön eingerichtet, weil rechtlich und gesellschaftlich fast gleichgestellt und akzeptiert" schön handlich klingen, hat aber mit der Lebensrealität wenig zu tun. Und genau diesen Punkt hoffe ich, dass wir den irgendwann überwinden können.
  • Antworten » | Direktlink »
#9 Paula RoydAnonym
  • 08.03.2023, 11:34h
  • Antwort auf #8 von Bisschen Text
  • Entschuldige, das wurde wohl in meinem Kommentar nicht klar: Ich bin ein schwuler Cis-Mann und meine Darstellung war nicht explizit als Vorwurf gegen "unseren" mangelnden Gemeinschaftssinn gemeint, sondern sollte zunächst nur mal meine Wahrnehmung der Situation wiedergeben.

    Und nach dieser Wahrnehmung gibt es zum einen einen erheblichen Unterschied zwischen den Alltagserfahrungen von (Cis-)Homosexuellen und Trans-Menschen, wobei ich nur zu ersteren eigene Erfahrungen haben und meinen Eindruck zu letzteren größtenteils aus den Kommentaren zu den entsprechenden Themen auf der Website ziehen kann. Aus diesem Grund finde ich auch Aussagen wie "Anstieg der queerfeindlichen Gewalt" unzureichend, weil sie suggerieren, dass diese Gewalt alle Teilgruppen in gleicher Weise direkt betrifft. Dies ist mindestens auch deshalb nicht hilfreich, weil so verloren geht, welche Gruppen die vulnerabelsten sind.

    Zum anderen habe ich nicht die Erfahrung, dass es diesen großen Zusammenhalt zwischen allen Einzelgruppen gibt oder auch nur tieferes Interesse aneinander, sondern dass die Gruppen doch häufig sehr diskret sind. Solche Aussagen können natürlich nie auf jeden Einzelfall und möglicherweise auch nicht auf die Mehrheit zutreffen, aber in meiner nicht allzu lang zurückliegenden Jungschwuppenzeit, im Zusammenhang mit dem lokalen Queer-Referat an der Universität, auf CSDs und im Alltag habe ich immer eine recht ausgeprägte Trennung zwischen den Einzelgruppen wahrgenommen. Im Queer-Referat saß man natürlich zusammen und unterhielt sich gelöst, aber die interne Grüppchenbildung entlang von Sexualität und Geschlecht war am Ende trotzdem deutlich und "natürlich" sind die Mädels zur Lesbenparty abgedampft und die Jungs als Gruppe zu ihren vornehmlich schwulen Partys.

    Tatsächlich war die Aussage, dass die gesellschaftliche Akzeptanz Schwuler und Lesben flächendeckend erreicht wurde, vermutlich zu weitreichend, wie die von dir angeführten Beispiele verdeutlichen. Auf der anderen Seite ist mein Eindruck der Situation tatsächlich von meinem Leben in Hamburg, als Student einer sozial, ökologisch und ästhetisch orientierten Disziplin und als Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung in eben dieser Disziplin geprägt, also vielleicht tatsächlich nicht unbedingt das repräsentativste Umfeld. Dennoch kann ich festhalten, dass ich persönlich als schwuler Mann in meiner Alltagswelt keine Nachteile ggü. der heterosexuellen Mehrheitsgesellschaft erlebe und daher aus dieser ganz persönlichen Perspektive keinen Bedarf für politische Aktivität gegenüber der Bundesregierung in dieser Hinsicht erkenne.

    Und da ich nicht der einzige in dieser Situation sein dürfte, ergibt sich für mich die Vermutung, dass der politische Aktivismus der Schwulen und Lesben der früheren Jahrzehnte, der vor allem auf die Interessen der Schwulen und Lesben gerichtet war, ob des mittlerweile Erreichten an Schwung verloren hat und dieser Schwung nun einer weiter gefassten queeren Bewegung fehlt.
  • Antworten » | Direktlink »
#10 YannickAnonym
  • 08.03.2023, 11:50h
  • Antwort auf #5 von Isabell
  • Die Taktik dahinter ist ganz offensichtlich:
    man redet jetzt vier Jahre von dem Thema und tut so, als würde man an dessen Umsetzung arbeiten.

    Und vor der nächsten Wahl sagt man dann: "Ah, schade. Leider ganz knapp nicht geschafft. Wenn wir das jetzt umsetzen sollen, müsst ihr wieder uns wählen."

    Aber nichts da!
    Die haben genug Zeit, das umzusetzen.
    Wir lassen uns nicht verarschen...

    Andere Sachen, die weitaus mehr Konsequenzen haben, gehen ja auch viel schneller. Außerdem haben die vor der Wahl behauptet, die fertigen Gesetzentwürfe lägen in der Schublade und bräuchten nur noch verabschiedet zu werden. Was offensichtlich eine Lüge war.
  • Antworten » | Direktlink »

alle (neue zuerst) alle (chronologisch)