Der vierte Verhandlungstag gegen den Lagerarbeiter Nuradi A., der Malte C. beim Münsteraner Christopher Street Day tödlich verletzte, brachte Medienberichten zufolge ein bislang unbekanntes Detail ans Licht.
Am 27. August vergangenen Jahres hatte der 20-Jährige zunächst einige CSD-Teilnehmer*innen sexuell belästigt und sie dann frauen- und lesbenfeindlich sowie transphob angepöbelt. Als Malte C. die Teilnehmer*innen gegen die Attacke Nuradi A.s verteidigte, soll der ihm zunächst "Du bist kein richtiger Mann" entgegen gerufen haben. Auch der Ausdruck "Trans-Schweine" soll während der Auseinandersetzung gefallen sein. Dann schlug er den transgeschlechtlichen jungen Mann mit zwei Schlägen nieder.
Einige Tage später war Malte C. an den beim Sturz zugezogenen Verletzungen verstorben (queer.de berichtete). Die Polizei konnte den Tatverdächtigen am selben Tag festnehmen (queer.de berichtete).
Mehrfacher Polizeikontakt am Tattag
Zwar flüchtete Nuradi A. nach der Tat. Doch jetzt wurde bekannt, dass er womöglich am selben Tag hätte festgenommen werden können. Denn: Noch am Abend geriet der ehemalige Meister im Jugendboxen mehrfach mit der Polizei aneinander. Am Donnerstag berichtete ein Polizist, dass er etwa eine Stunde nach der tödlichen Attacke auf Malte C. den später Tatverdächtigen und zwei Begleiter kontrolliert hatte.
Nuradi A. sei dem Beamten sehr aufgebracht, aggressiv und distanzlos erschienen, wie er vor Gericht erzählte. Zudem habe er zwar angetrunken gewirkt, sich aber verständlich artikulieren können. Wohl auch wegen dieses Verhaltens hatten die Beamten den drei Kontrollierten einen Platzverweis für ihren Aufenthaltsort, das Cineplex-Kino, erteilt. Doch den Platzverweis habe Nuradi A. erst nicht befolgen wollen. Schließlich habe er sich widerwillig gefügt.
Damit war das auffällige Verhalten des jungen Mannes an jenem Tag jedoch noch nicht beendet. Zwei weitere Stunden später, gegen 23 Uhr, war es am Servatiiplatz zu einem Polizeieinsatz gekommen. Dieser Einsatz wurde dann von Nuradi A. gestört. Die Folge: Ein weiterer Platzverweis.
Das Verhalten Nuradi A.s könnte auch an dem liegen, was der beste Freund des Angeklagten zuvor vor Gericht ausgesagt hatte. Demnach nahm er an jenem Tag eine große Menge Drogen zu sich. Der 20-jährige Zeuge hatte erklärt, er habe seinen gleichaltrigen Freund am Tattag getroffen, um mit ihm Drogen zu besorgen – nämlich Gras und "Lyrica"-Tabletten.
Die verschreibungspflichtigen Pillen mit dem Wirkstoff Pregabalin werden bei Nervenschmerzen und Angststörungen angewandt, werden aber auch wegen ihrer euphorisierenden Wirkung abseits ihres eigentlichen Zwecks konsumiert. Auf dem Rückweg vom Einkauf sei die Gruppe dann am Christopher Street Day vorbei gekommen. Nuradi A. soll da neben "zehn Tabletten" auch "eine Flasche Wodka" intus gehabt haben.
Was ist ein Hassverbrechen?
Im Prozess gegen Nuradi A. sind zehn Verhandlungstage angesetzt. Weil der Täter die Tat gestanden hat, geht es nur noch um die Aufklärung der Tatumstände. Ein Punkt: Die Motivation des jungen Mannes. Denn eine vom Gericht bestellte Gutachterin will wegen einer unterdrückten Homosexualität in den Schlägen kein Hassverbrechen erkennen (queer.de berichtete).
Während der CSD-Parade war eine Schweigeminute abgehalten worden, wozu sich die Teilnehmer*innen zu Boden gesetzt hatten. Weil Nuradi A. und seine Begleiter jedoch stehengeblieben waren, hatte ein Fotograf bei seiner Arbeit ungewollt Aufnahmen der drei jungen Männer angefertigt. Nuradi A. soll sich dann seinen Schilderungen vor Gericht zufolge an den Fotografen gewandt und ihm um Löschung der Aufnahme gebeten haben. Begründung: Sein Vater könne die Fotos sehen und ihn für schwul halten.
Der mutmaßliche familiäre Druck auf Nuradi A. wird auch vor dem Hintergrund gedeutet, dass die Familie aus Tschetschenien stammt. In der muslimischen russischen Teilrepublik herrscht eine besonders aggressive Queerfeindlichkeit vor. Die staatlichen Stellen gehen mit tödlicher Gewalt gegen diejenigen vor, die sich nicht in das vorgesehene Weltbild von Geschlecht und Sexualität fügen können oder wollen.
Vor der Tat soll Nuradi A. seit acht Jahren mit seiner Mutter in Deutschland gewohnt haben. Sein Vater aber soll noch immer in Tschetschenien leben. 2018 hat Nuradi A. in Münster einen Hauptschulabschluss gemacht. Zuvor hatte er sich als begnadeter Jugendboxer einen Namen gemacht – bis sein Boxstall ihn wegen seines Verhaltens vor die Tür gesetzt hatte. (jk)
Man hat oft das Gefühlt, das Schicksal der Täter interessiert mehr als das Schicksal der Opfer.
Sorry, aber viele Menschen haben ihre Päckchen zu tragen oder ihnen geht es nicht gut; aber die lassen das dennoch nicht an anderen Menschen aus.
Wir reden hier nicht über einen Ladendiebstahl, weil jemand kein Geld und Hunger hat. Sondern wir reden über Gewalttaten. Sowas muss frühzeitig mit aller Konsequenz und Härte sanktioniert werden. Nicht nur als Strafe für die begangene Tat, sondern auch um solchen Menschen frühzeitig klar zu machen, dass das nicht toleriert wird. Das schützt potentielle zukünftige Opfer, aber auch die Täter selbst, ehe sie noch schlimmeres tun und ihr Leben endgültig versauen.