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Autobiografische Erinnerungen
Wucherndes Schuldgefühl und Zuflucht bei Greta Garbo
Ein Buch, das gefehlt hat: In "Gegen das Schweigen" berichtet die feministische Sprachwissenschaftlerin Luise F. Pusch als eine der ersten Zeitzeuginnen vom lesbischen Leben in den 1950er und 1960er Jahren.

Luise F. Pusch ist Autorin des Standardwerks "Deutsch als Männersprache" (Bild: Joey Horsley)
- Von Susanne Lück
12. März 2023, 06:13h,
"Eine todeswürdige Untat kosmischen Ausmaßes" habe sie in den Augen der Gesellschaft der 1950er und 1960er Jahre begangen, indem sie sich in eine Mitschülerin verliebte. So erlebt Luise F. Pusch ihre Kindheit und frühe Jugend in Westfalen in einem andauernden Gefühl des Verfolgtwerdens und Sichversteckenmüssens. Umso entschlossener wird sie später für sich und für die Frauen kämpfen: als (Mit-)Begründerin der feministischen Linguistik, als Verfechterin von Binnen-I, Genderpause und generischem Femininum und Verfasserin des Standardwerks "Deutsch als Männersprache". Den Weg dorthin aber beschreibt Luise F. Pusch in ihrem autobiografischen Buch "Gegen das Schweigen" (Amazon-Affiliate-Link ) als einen mühevollen immerwährenden Kampf gegen innerlich wucherndes Schuldgefühl und von außen unterdrückten Entfaltungsdrang.
"Wie das meiste im damaligen Lesbenleben spielte sich diese Quälerei weitgehend unter der Oberfläche ab", schreibt sie über ihre nie ausgesprochenen Gefühle. Menschen, die offen mit ihr darüber gesprochen hätten, die sie aufgefangen und gestärkt hätten, vermisst sie während ihrer prägenden frühen Lebensjahre schmerzlich. Weder die ängstlich den sozialen Status verteidigende Familie noch die indoktrinierten Seelsorger ihrer Zeit können dem verunsicherten Mädchen helfen.
Herzzereißende Erinnerungen, getragen von trockenem Humor

Das Buch "Gegen das Schweigen" ist im Berliner AvivA Verlag erschienen
Davon zu lesen ist herzzerreißend. Der niemals wehleidige Ton des Buches, oftmals von Luise F. Puschs trockenem Humor getragen, macht es uns leicht, authentisch mitzufühlen. Wir können uns mit ihr zurückerinnern, wenn sie Zuflucht bei Lilli Palmer, Greta Garbo und klassischer Musik findet, und ihr applaudieren, wenn sie sich schwört, es später einmal allen zu zeigen. Dass es dafür zunächst jahrelanger Psychotherapien bedurfte, ist schwer zu ertragen. Aber nach der Lektüre nicht mehr so überraschend.
Es gibt nicht viele lesbische Stimmen aus dieser Zeit, die hör- oder lesbar wären. Luise F. Puschs dringlichstes Anliegen ist heute: "Wir müssen uns zu Wort melden und sichtbar sein, damit künftigen Generationen von Lesben und Schwulen die Tortur erspart bleibt und sie als gleichwertige Menschen in unserer Gesellschaft aufwachsen können." Ein klarer Appell: Bleibt laut, bleibt kämpferisch, bleibt offen! Lasst Anlaufstellen, Ansprechpartner*innen, Vorbilder für queere Jugendliche nicht verschwinden.
Ein Buch, das gefehlt hat, denn es erinnert uns daran, dass wir uns des Erreichten nicht allzu sicher wähnen sollten. Dass diese spezielle Tortur im eigenen Land noch nicht einmal ein Menschenleben zurückliegt. Mädchen im Iran oder in Qatar, in Russland, Polen, Ungarn oder in afrikanischen Ländern aber erfahren sie jetzt in diesem Augenblick.

Luise F. Pusch: Gegen das Schweigen. Meine etwas andere Kindheit und Jugend. 227 Seiten. AvivA Verlag. Berlin 2022. Hardcover-Ausgabe mit Leseband: 22 € (ISBN: 978-3-949302-09-1)
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Das klingt nach einer Selbstverständlichkeit, die wir längst verloren haben um umso mehr erneut dafür leben und kämpfen zu müssen.
Als Landei weiß ich, wie wohl viele von uns, um die schlicht lebensnotwendige Bedeutung.