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In Marokko ist Homosexualität gesetzlich verboten. Maryam Touzani zeigt in "Das Blau des Kaftans", wie die Liebe trotzdem Wege findet. Nebenbei dekonstruiert sie klassische Männlichkeits- und Beziehungsbilder.
Marokko ist ein Land der Traditionen. Hier wird noch Handwerk betrieben, das es so kaum noch gibt. In den Laden von Schneider Halim (Saleh Bakri) und seiner Frau Mina (Lubna Azabal) kommen die Kundinnen genau aus diesem Grund. Kaum jemand schneidert noch die traditionellen Kaftane, wie Halim es tut. Doch Marokko ist auch ein Land der traditionellen Geschlechterbilder und Beziehungsstrukturen. Halim und Mina sind seit vielen Jahren verheiratet und entsprechen diesen Bildern voll und ganz – zumindest nach außen. Als der junge Youssef (Ayoub Missioui) als Lehrling im Laden anfängt, kommen er und Halim sich bald näher, und das Gleichgewicht der Ehe gerät ins Wanken…
Seine Premiere feierte "Das Blau des Kaftans" bei den Internationalen Filmfestspielen in Cannes im letzten Jahr. Dort lief er in der Reihe "Un Certain regard" und wurde im Wettbewerb mit dem FIPRESCI-Preis ausgezeichnet (queer.de berichtete). Regisseurin Maryam Touzani war bereits für ihren vorigen Spielfilm "Adam" nach Cannes eingeladen worden. Nun ist "Das Blau des Kaftans" endlich regulär in den deutschen Kinos zu sehen. Und es gilt, aufmerksam die Programme durchzuschauen, um ihn nicht zu verpassen.
Tradition im Handwerk und in der Ehe
In westlichen Großstädten ist immer wieder eine verklärte, romantisierte Sicht auf handwerkliche Arbeit zu beobachten. Die Menschen sitzen in ihren modernen Büros an ihren hochtechnisierten Computern und träumen davon, wie schön das Leben auf dem Land, die Arbeit auf dem Felde, das Schreinerhandwerk doch wäre. Fans dieser Art von Träumerei wird "Das Blau des Kaftans" bereits auf den ersten Blick gefallen. Halims Schneiderarbeit ist der Tradition verpflichtet. Wenn eine Kundin – er schneidert ausschließlich Kaftane für eine weibliche Kundschaft – ihn versucht zu drängen, schneller zu arbeiten, doch eine Nähmaschine zu verwenden, damit sie das bestellte Kleidungsstück früher tragen kann, erteilen Halim und Mina dem stets eine Abfuhr. Die traditionelle Handarbeit ist für sie die einzig richtige Art, zu arbeiten.
Wenn "Das Blau des Kaftans" es dabei bewenden ließe, eine Ode an das Handwerk zu singen, wäre der Film vermutlich ziemlich schnell ziemlich fad. Allerdings dient diese Ausgangsituation Regisseurin Maryam Touzani, die auch zusammen mit Nabil Ayouch das Drehbuch schrieb, im nächsten Schritt nämlich als clevere Vergleichsfolie.
Halim und Mina, der Tradition verpflichtet, sind so nämlich diejenigen, die von der Gesellschaft bedrängt in ihren festen Rollen zum Fortschritt gezwungen sind. Ihr Wandel geschieht nicht aus Opportunismus wie bei den Kundinnen, die etwa sehr für technischen Fortschritt sind, wenn er in Form von Nähmaschinen daherkommt, die ihnen ihr Kleid schneller in die Hände geben. Gesellschaftlicher Fortschritt kommt jedoch nicht in Frage, vor den Kundinnen, den Menschen in der Nachbarschaft, im Teehaus muss Homosexualität verborgen bleiben. Halim und Mina hingegen gehen in die Zukunft aus Notwendigkeit und finden neue Rollen innerhalb der bestehenden Strukturen. Sie leben ein traditionelles Ehemodell, dass sie gleichzeitig bestätigen und unterlaufen, es so unterwandern und umwerten.
Große Leistung in kleinen Gesten
Neben der profunden Tiefe der erzählten Geschichte ist "Das Blau des Kaftan" auch aus filmischer Sicht den Kinogang wert. Regisseurin Maryam Touzani inszeniert die Erzählung auf eine ganz wunderbar zurückhaltende und einfühlsame Weise. Die Kamera schaut die Figuren geradezu mit Liebe und Mitgefühl an und bleibt auch bei schicksalsschlagenden Wendungen in der Geschichte ruhig und bedächtig, akkurat. Mensch gewinnt den Eindruck, auch hier werde das Verhältnis zum Schneiderhandwerk gekonnt umgesetzt. Der Stoff der Geschichte wird ebenso ruhig und gekonnt zum Film geschneidert wie die eleganten Stoffe in Halims Händen zum Kaftan werden.
Über weite Strecken trifft "Das Blau des Kaftans" genau den richtigen Ton. Es sind lediglich ganz vereinzelte Szenen, die plötzlich einen Schritt zu weit gehen, etwas explizit machen, das eigentlich nicht gezeigt werden müsste, etwas zu lange verweilen und kurz drohen, in Kitsch und Gestelltheit abzurutschen. En gros ist der Film von großer Subtilität geprägt. Sowohl in der gezeigten Handlung als auch im Schauspiel steht das Unausgesprochene im Vordergrund. Alle drei Hauptdarstellende, Saleh Bakri, Lubna Azabal und Ayoub Missioui, liefern bemerkenswerte Schauspielleistungen ab, die gerade in der Stille, den kurzen Blicken und den kleinen Gesten viel zum Ausdruck bringen.
"Das Blau des Kaftans" ist traditionelles Filmhandwerk im besten Sinne. Er erzählt auf ergreifende und schmerzhafte Weise von der Komplexität der Liebe und zeigt auf unaufgeregte Art das Streben danach, glücklich zu sein im Konflikt mit traditionellen Beziehungsbildern. Regisseurin und Drehbuchautorin Maryam Touzani sorgt mit ihrem Film für großartiges Kino. Mensch wünscht sich mehr solch umsichtig erzählter Geschichten auf der Leinwand.
Links zum Thema:
» Mehr Infos zum Film auf der Homepage des Verleihs
Mehr queere Kultur:
» auf sissymag.de
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