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Fake-Beratungsportal "Kein Mädchen"

Wie Abtreibungsgegner*­innen trans Jungs von Transitionen abhalten wollen

Dass Abtreibungsgegner*innen gezielt ungewollt Schwangere mit falschen Informationen ins Visier nehmen, ist bekannt. Neu ist, dass sie nun auch mit einer Webseite versuchen, trans Jungs ihre Identität auszureden.


Mit dieser Webseite wird versucht, trans Jungs mit Desinformation zu erreichen (Bild: Screenshot / "Kein Mädchen")

Die Situation von ungewollt Schwangeren – zumeist Frauen – und diejenige von transgeschlechtlichen Personen rund um ihr Coming-out wirkt auf den ersten Blick grundverschieden. Auf den zweiten aber zeigen sich Gemeinsamkeiten: Beide Gruppen sehen sich in Deutschland vom einen auf den anderen Moment in die Lage versetzt, über existentielle Fragen ihres Lebens nicht mehr allein entscheiden zu können.

Denn für beide Gruppen gilt: Wollen sie die Versorgung in Anspruch nehmen, die jetzt notwendig wird, müssen sie sich in ein medizinisches und rechtliches System hinein begeben und sind auf die Unterstützung Fremder angewiesen. Die aber wollen im Tausch gegen ihre Dienste häufig ein Wörtchen mitreden bei Entscheidungen, die eigentlich nur eine Person treffen kann. Die Gesetze und die öffentliche Moral wollen es so. Bei trans Jugendlichen kommt noch die Ungewissheit hinzu, ob sie von der eigenen Familie akzeptiert werden.

Perfekter Nährboden für die radikale Rechte und christliche Fundamentalist*innen: Immer öfter versuchen die, ihre giftigen Botschaften genau in dem Moment loszuwerden, in dem Menschen dringend und manchmal verzweifelt auf Information, auf Ratschlag angewiesen sind. Die klassische Strategie, Desinformationen zu Schwangerschaftsabbrüchen zu verbreiten, wird von ihnen nun auch in Deutschland auf transmännliche Jugendliche angewandt.

Lügen als rechte Polit-Taktik

"Ich bin kein Mädchen!" heißt es auf der auffällig unauffälligen Webseite "Kein Mädchen" prominent. "Bin ich trans? – Oder anders gefragt: Wer bin ich?" paraphrasiert die Seite in der Aufmachung psychosozialer Beratungsangebote, umrahmt von Bildern nachdenklich bis traurig wirkender Menschen, die augenscheinlich queere Mädchen und junge Frauen darstellen sollen. Und verspricht: "Du brauchst Hilfe? Wir sind für dich da!"

Doch das ist glatt gelogen. Denn hinter "Kein Mädchen" versteckt sich niemand geringeres als der Magdeburger Ehe-Familie-Leben e.V. mit der Vorstandsvorsitzenden Hedwig von Beverfoerde. Die ist fundamentalistisch-katholische Aktivistin und Mitbegründerin der sogenannten "Demo für Alle". Ihre Hochzeit hatte die queerfeindliche Initiative 2015 bei der Mobilisierung gegen einen queerfreundlicheren Bildungsplan in Baden-Württemberg und die Ehe für Alle. Seither ist die Initiative nie weg gewesen.

"Demo für Alle", das war natürlich auch gelogen. Denn es geht und ging bei den zusammen mit Beatrix von Storch von der AfD organisierten Veranstaltungen und Kampagnen nicht darum, einen Raum oder gleiche Rechte für alle zu schaffen. "Alle", das sind in der Vorstellung der rechten Akteurinnen vor allem weiße, christlich-fundamentalistische, heterosexuelle Kleinfamilien: Vater, Mutter, Kinder samt ungeborener Föten.

Zuletzt versuchte sich der Verein 2022 juristisch erfolglos gegen eine pikante Information zu wehren. Der grüne Bundestagsabgeordnete Andreas Audretsch hatte die Finanzierung der rechten Aktivist*innen auch durch den Wladimir Putin nahe stehenden russischen Oligarchen Konstantin Malofejew öffentlich gemacht. Den Rechtsstreit aber verlor man, schlicht, weil die Behauptungen wahr waren. Die "Demo für Alle" erhielt Finanzmittel aus der rechten Stiftung CitizenGo, die ihre Mittel wiederum von Malofejew hatte.

Ferndiagnose als "One Fits All"-Lösung

Entsprechend um Wahrhaftigkeit bemüht geht es nun auch auf "Kein Mädchen" zu. Hinter ausklappbaren Fragen wie "Woran erkenne ich, dass ich im falschen Körper lebe?" finden sich kleine Infohappen. Die Fragen erwecken zunächst stets den Eindruck, dass die Existenz transgeschlechtlicher Personen nicht in Abrede gestellt wird und es darum geht, herauszufinden, ob man selber trans ist – oder eben nicht.

Doch die stark suggestiv arbeitenden Antworttexte führen dann immer wieder erst implizit und später explizit in die selbe Richtung – nämlich die, dass es eigentlich keine "richtige" Transition geben kann. Das kulminiert in einem erst am Fuß der Webseite unter dem wieder auftauchenden Logo angebrachten Slogan "Wer im Gefühlschaos versinkt, kann keine tragfähige Entscheidung treffen!" Und wer befindet sich schon in der Phase des Coming-outs oder unter geschlechtlichen Dysphoriegefühlen nicht in einem Gefühlschaos?

Unter der Frage "Ist eine Geschlechtsumwandlung für mich der richtige Weg?" wird so getan, als handle es sich hinter der professionell gestalteten Webseite um eine Beratungsstelle, die tatsächlich Kontakt mit Kindern und Jugendlichen hätte. Die Frage nach der "Umwandlung" nämlich sei "eine der häufigsten Fragen, die uns gestellt wird".

Doch statt Hinweise darauf zu geben, wie sich die Frage – ergebnisoffen – beantworten ließe, werden Argumente aufgeführt, warum die User*innen sich vermeintlich auf einen falschen Weg hätten leiten lassen. Es geht um soziale Erwartungen an Mädchen, Geschlechterrollen und "lächerliche Klischees", gegen die sich die wahre Identität natürlich sträube.

"Irgendwann bist Du über eine Freundin oder im Internet auf das Thema Transgender gestoßen", heißt es mutmaßend. Das Aha-Erlebnis, das "viele Mädchen" angeblich dabei gehabt hätten, sei jedoch trügerisch: "Wenn Du alle äußeren Botschaften einmal ausblendest – auch die von den trans-Seiten", wird die Erzählung weiter ausgeführt, "und ganz im Stillen in Dich hineinhorchst, sagt Dir Dein Gefühl: Ich will kein Mädchen mehr sein. Jedenfalls kein solches, wie es jeder von Dir erwartet." Und: "Wenn Du ganz ehrlich zu Dir bist, hat Dir Dein Gefühl nie gesagt: Ich bin ein Junge, ich bin schon immer ein Junge gewesen."

Spätestens hier wird klar: Die Verantwortlichen hinter der Webseite halten Erzählungen von trans Menschen, die sich schon immer als Junge gefühlt haben, einfach für Lügen. Das Lügen der Anderen aber scheint zu rechtfertigen, selbst zur Lüge zu greifen. Ein Mechanismus, der im Milieu zum Habitus, zu so etwas wie einer generellen Lebenseinstellung geworden ist.

Sei Du selbst – aber nicht so!

Die "ganze Verunsicherung" komme nur, so die Seite weiter, weil "Du Dich insgeheim nicht in das soziale Schema 'typisch Mädchen' stecken lassen willst". "Merkst Du was? Du hast Dir allen Ernstes Gedanken darüber gemacht, Deinen Körper radikal zu verändern, nur damit Du besser in die Gesellschaft passt."

Die Lösung der Fundis und Rechten: "Sei doch ganz einfach so, wie Du bist! Geh Deinen Weg und nicht den der anderen." Die User*innen sollten sich "nicht verunsichern" lassen von dem, was "angeblich typisch für Mädchen ist".

Doch das ist bemerkenswert, sind doch die katholische Kirche oder die radikale Rechte bislang nicht dadurch aufgefallen, ein besonders vielfältiges Bild von Frauen und Mädchen gegen ihre Eingrenzung zu verteidigen. Die behauptete Offenheit gegenüber vielfältigen Lebensmodellen von Mädchen ist aufs Neue glatt gelogen.

Vielmehr geht es in den Kreisen, die sich stark mit den gegen Schwangerschaftsabbrüche vorgehenden, sogenannten "Lebensschützer*innen" überschneiden, genau im Gegenteil selbst darum, Mädchen und Frauen zu reduzieren. Nämlich auf ein aus der Bibel und der kulturellen Überlieferung hergeleitetes Verständnis: Heterosexuell, komplementär zu Jungs und Männern, mütterlich, schwach, abhängig.

Den eigenen Weg statt den der anderen zu gehen, ist nicht vorgesehen. Das wird auch in den Ansprachen der Webseite deutlich, die Jugendlichen erzählen, was sie denken und fühlen, statt ihnen die Fähigkeit zu vermitteln, das selber ausdrücken zu können.

Selbes Vorgehen wie bei Fake-Schwangerenberatung

Die Aktivist*innen vom queerfeministischen Berliner "What the fuck"-Bündnis organisieren sich seit Jahren gegen die Lebensschützer*innen, die sich ein mal im Jahr beim "Marsch für das Leben" in Berlin treffen. 2014 trug Beatrix von Storch dabei sogar das Fronttransparent. Ella Nowak, Sprecherin von "What the fuck", zeigt sich auf Nachfrage schockiert über "Kein Mädchen". Die Webseite weise starke Ähnlichkeit mit Internetauftritten falscher Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen auf, etwa "Pro Femina".

Die ähnlich wie "Pro Familia" klingende Organisation versuche, durch manipulative Beratungsmethoden ungewollt Schwangere zum Austragen eines Fötus zu bewegen. Dazu setze man Betroffene "psychisch massiv unter Druck", so Nowak.

"Besonders in der Aufmachung der Websites von 'Kein Mädchen' und 'Pro Femina' gibt es auffällige Überschneidungen", erklärt die Feministin. Beide seien optisch ansprechend und zielgruppengerecht gestaltet, in ihrer Bildsprache unauffällig und im Ton gemäßigt. Fragen dominierten – "das suggeriert den Besucher*innen eine offene Haltung und gibt ihnen das Gefühl, dort auch mit ihren Zweifeln gut aufgehoben zu sein."

Die Fragen seien aber so gestaltet, dass sie möglichen Suchanfragen entsprechen, etwa "Bin ich schwanger?" oder "Soll ich abtreiben?". Das soll bei Netzsuchen für eine Platzierung möglichst oberhalb seriöser Beratungsangebote sorgen.

Nowak nennt das Vorgehen "perfide". Es richte sich an Personen, die "sich in einer schwierigen Situation befinden und eigentlich einen Unterstützungsbedarf haben". Auch bei den Webseiten zum Thema Schwangerschaft wirke die Startseite noch einladend, wechsle später aber schnell zu Panikmache und Fehlinformation. Auf "Kein Mädchen" würden Pubertätsblocker zum Beispiel als "frühe und fatale Weichensteller" bezeichnet. Die Gesundheitsrisiken würden aufgebauscht und zu einem Papier eines bekannten transfeindlichen Forschers verlinkt.

Und eine weitere Ähnlichkeit ist den Aktivist*innen aufgefallen: Auf der Bühne des Marsches für das Leben etwa würden weinende Menschen von dem "Fehler" berichten, den sie mit einer Abtreibung begangen hätten. Auch das moderierte Forum von "Pro Femina" schalte nur solche Beiträge frei, die dem Narrativ entsprächen. Auf "Kein Mädchen" werde wiederum prominent die Geschichte der Detrans-Aktivistin Nele platziert, die auf queer.de bereits Thema war.


Dieses Youtube-Video über die Detrans-Aktivistin Nele bietet "Kein Mädchen" ebenfalls als in die Webseite eingebundenen Content (Bild: Screenshot)

Es brauche "ganz dringend kritische Öffentlichkeit und politischen Druck" auf derlei Fake-Beratungsangebote. Und eine rechtliche Verbesserung auf beiden Feldern. Die Reform beim Schwangerschaftsabbruch werde seit Jahren verschleppt und aktuell durch FDP-Justizminister Marco Buschmann erschwert. Der, so Nowak, richte ja gegenwärtig auch beim Selbstbestimmungsgesetz für transgeschlechtliche Menschen "unendlich viel Schaden" an (queer.de berichtete).

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#1 PrideProfil
#2 VestigeAnonym
  • 16.03.2023, 15:04h
  • Antwort auf #1 von Pride
  • Schließe mich an. Mit der Bemerkung, daß zwischen den 'Argumenten' dieser rechten Abtreibungsgegner und denen der TERFs in dieser Angelegenheit kein Unterschied besteht. Weil es nämlich keinen gibt.

    Jeja Klein: wie immer brilliant.
  • Antworten » | Direktlink »
#3 Möff RöfflplockAnonym
  • 16.03.2023, 17:38h
  • Die Umtriebigkeit der katholischen Fundis stoppt dort im Übrigen nicht. So kann man in der rechtkatholischen Tagespost doch tatsächlich lesen, dass die Website ein wissenschaftlich fundiertes Angebot sei. Würde bei mir nicht gerade die Hütte brennen, würd ich ja direkt ob solchen Qualitätsjournalismus ne Anzeige wegen Werbung für Konversionstherapien vorbereiten...

    www.die-tagespost.de/leben/familie/wirklich-kein-maedchen-ar
    t-236203


    Und sei es nur um das wissenschaftlich fundiert durch fundamentalisiert zu ersetzen.
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#4 VestigeAnonym
#5 PrideProfil
#6 Two SpiritsAnonym
  • 16.03.2023, 18:29h
  • Ich finde das furchtbar das eine Transfrau so unter psychologischen Druck gebracht wird, sie sich wieder zum Mann machen lässt. Eine grauenhafte Vorstellung für mich. Da ich erst nach vielen Jahren mich dazu entschlossen habe eine Frau zu werden, obwohl ich wusste das ich innerlich schon längst dazu bereit war. Aus Angst vor Repression! Heute würden solche christlichen und rechte Spinner an mir zerschellen wie ein Ruderboot an einen Eisberg in der See. So wie ich jetzt bin, das ist gut so, Bei jüngeren Menschen haben die verbrecherischen Spinner ein leichtes Spiel da sie psychologisch noch nicht so gefestigt sind, wie ich es bin. Wir als Gemeinde müssten einfach diesen Jungen Menschen vor solchen Katholischen Extremisten und TERF Organisationen mehr Schutz bieten. Diese Leute spielen mit jungen Menschenleben um an ihnen zu befriedigen. Was ist das für Staat der solche Umtriebe nicht verhindert.
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#7 Abolish AuthorityAnonym
  • 16.03.2023, 23:34h
  • "Die aber wollen im Tausch gegen ihre Dienste häufig ein Wörtchen mitreden bei Entscheidungen, die eigentlich nur eine Person treffen kann. Die Gesetze und die öffentliche Moral wollen es so."

    DAS (Bit, und die antiautoritäre Perspektive darin, hat mir richtig gut gefallen!)

    BRAVO
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#8 la_passanteAnonym
#9 Elena
#10 VestigeAnonym
  • 17.03.2023, 19:34h
  • Antwort auf #9 von Elena
  • Gern geschehen!

    Mich hat der Artikel auch erfreut, Absatz für Absatz, als ich ihn las, weil ich die 'Tagespost' seit ein paar Jahren als trans Haß-Schleuder im Visier habe. Und das Gunda-Werner-Institut ist keine kleine Butze mit zwei Halbtagsstellen in Kleinwummersdorf ...und jetzt spätestens darf sich die 'Tagespost' beobachtet fühlen seitens Leuten, die ihrem Mißfallen effektiver Ausdruck verleihen können als ein Häuflein trans Personen. Sehr schön.
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