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Sachbuch

Was Ausbeutung von Tieren und Queer­feindlichkeit verbindet

Der üppige Sammelband "Queere Tiere" schaut anhand von Analysen, Anekdoten, Zeichnungen und Gedichten kritisch auf die komplexen Beziehungen zwischen menschlichen und nichtmenschlichen Tieren.


Nichtmenschliche Tiere unterm Regenbogen (Bild: IMAGO / Peter Schickert)

Ich muss gestehen, dass ich vor dem Lesen des Sammelbands "Queere Tiere" (Amazon-Affiliate-Link ) ziemlich ahnungslos war. Ich wusste zum Beispiel nicht so recht, was denn unter den titelgebenden queeren Tieren zu verstehen ist. Der Begriff des Queeren ist ja so divers, dynamisch und widersprüchlich wie das, was er zu beschreiben versucht, und wird mitunter doch recht individuell ausgelegt.

Mir persönlich kommen dabei erst einmal menschliches Begehren und Begierden, soziale Umwälzungen, philosophische Überlegungen und bestimmte Kulturtechniken in den Sinn – an Tiere hätte ich spontan wohl nicht gedacht. Nach der Lektüre habe ich nun zumindest eine Ahnung davon, was die meisten der Mitwirkenden sich unter tierischer Queerness vorstellen, und mit vielem davon kann ich etwas anfangen. Der Weg zu Erkenntnis war allerdings manchmal etwas mühsam. Aber von vorne…

Gute Einführung in die komplexe Materie


Das Buch "Queere Tiere" ist im März 2023 im Berliner Querverlag erschienen

Wer nicht vegan lebt und sich nicht aktiv für Tierrechte einsetzt, der wird von der Herausgeberin India Kandel dankenswerterweise erst einmal in die komplexe Materie eingeführt, denn es gibt viel zu lernen in diesem über 300 Seiten starken Buch. Zum Beispiel erfährt man, warum Aktivist*innen der Tierbefreiungsbewegung den Ausdruck "tierlich" statt "tierisch" bevorzugen oder Tiere als nichtmenschliche, andere Tiere bezeichnen. Überhaupt wird anhand von Sternchen, Anführungszeichen und Fußnoten Distanz zu achtlos gebrauchten Begriffen aufgebaut und Sprache dekonstruiert. Ziel ist es, Ideologien wie Karnismus (die ethische Rechtfertigung des Verzehrs bestimmter Tierarten) oder Speziesismus (die Diskriminierung von Lebewesen aufgrund ihrer Artzugehörigkeit) sichtbar zu machen.

Der Bezug zum Queeren ergibt sich dabei einerseits aus der historischen Verknüpfung verschiedener Emanzipationsbewegungen wie dem Feminismus, dem antikapitalistischen Sozialismus und dem Vegetarianismus sowie andererseits aus den Biografien der Mitwirkenden. Viele der Autor*innen erkennen im ausbeuterischen Umgang mit Tieren eigene Diskriminierungserfahrungen wieder oder nutzen queere Erfahrungen, um über Mensch-Tier-Beziehungen nachzudenken.

Lehrreiches und nachdenklich Stimmendes

Inhaltlich lässt sich der Sammelband als bunte Mischung bezeichnen: Es finden sie autobiografische Anekdoten, Gedichte, Illustrationen und Essays. Während mir der Comic und der Großteil der Lyrik etwas naiv und wenig erhellend vorkamen, fand sich unter den Texten immer wieder Lehrreiches und nachdenklich Stimmendes. Hannah Engelmann-Giths Ethik der Ähnlichkeit, Jeff Mannes' Theorie zu den Ursprüngen des Petplay-Fetischs oder Linus Hannes Ode an ein hilfreiches Pony gehörten für mich ebenso zu den Highlights wie Smillo Ebelings fordernde, aber lohnenswerte Aufforderung, Naturalisierungen und Dualismen im Denken zu überwinden.

Wem an dieser Stelle angesichts all der Fremdworte schon der Schädel brummt, der sei gewarnt, denn "Queere Tiere" macht es seinen Leser*innen nicht immer leicht. Wenn etwa die Kompetenz der Kompetenzlosigkeit gelobt oder Kritik an der Konsumkritik geübt wird, ist man als Leser*in gefordert, aufmerksam zu bleiben, um den vielfältigen Argumenten folgen zu können. Das ist oftmals im besten Sinne anstrengend, denn viele der Texte in dieser Sammlung begnügen sich nicht damit, dass man sie einfach abnickt und sich bestätigt fühlt. Sie wollen spürbar zum Nachdenken anregen.

Ausgangspunkt für weitere Diskussionen

Einige der zwei Dutzend Beiträge ließen mich aber auch ratlos zurück. Da wird vage von einer Welt geträumt, in der alle Lebewesen frei und keinen Herrschaftsverhältnissen unterworfen sind, da wird ein universales Wir und die Selbstbestimmung der Tiere beschworen. Wie das in der Praxis aussehen soll, bleibt dabei fraglich. Ebenso denkfaul erschienen mir manche Texte, in denen mit Begriffen wie "Eurozentrismus", "Kapitalismus" und "Kolonialismus" um sich geworfen wird, um stark generalisierende Annahmen zu treffen, die letztlich zu nicht mehr als Allgemeinplätzen führen. In diesen Momenten wirkt es, als würde "Queere Tiere" das machen, was man im Englischen so schön als "preaching to the choir" bezeichnet – es wird sich an einen Kreis von Eingeweihten gerichtet, der die Erfahrungen, Ideale und Denkweisen der Autor*innen bereits teilt.

So bleiben mir nach der Lektüre viele Fragen, zum Beispiel, in welchem Maße die Anti-Speziesisten Grenzen zwischen Pflanzen, Pilzen und Tieren ziehen. Auch das derzeitige Massenaussterben von Insekten und Reptilien wird leider nicht näher betrachtet.

Das kann man der Sammlung aber nicht vorwerfen, die sich ihrer Lücken und Widersprüche durchaus bewusst ist und sich vor allem als ein Ausgangspunkt für weitere Diskussionen versteht. Vielleicht bekehrt "Queere Tiere" niemandem zum Veganismus, aber das Buch liefert doch wichtige Denkanstöße und stellt zur Debatte, wie wir mit Tieren umgehen, wie wir über sie sprechen und was das mit uns, den menschlichen Tieren, macht.

Infos zum Buch

India Kandel (Hg.): Queere Tiere. Queere Perspektiven auf Veganismus und Mensch-Tier-Verhältnisse. 336 Seiten. Querverlag. Berlin 2023. Taschenbuch: 20 € (ISBN 978-3-89656-324-8)

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#1 GrummmyAnonym
  • 18.03.2023, 15:21h
  • Toller Artikel, danke dafür.
    Diskriminierungs-Erfahrungen haben wahrscheinlich häufig zur Folge das Betroffene empathischer mit Unterdrückten sind. Das sorgt dann für gewisse Gemeinsamkeit mit Natur- und Tierschutz, die aber eher emotional wären und nicht unbedingt weltanschaulich. Leider kann das auch ausgenutzt werden. Meine Erfahrung ist sas LGBTQ+in ihrer Hilfsbereitschaft häufig in die Selbstausbeutung gehen. Wir müssen nicht immer die besseren Menschen sein oder blind jedem glauben, der sich zum Unterdrücken erklärt. Das kann auch die AFD.
    Auch: LGBTQ+ sind schon Menschen und keine andere Spezies.

    Ich hab das Buch nicht gelesen, aber "preaching to the choir" kann ich generell gut nachvollziehen... Manchmal werden einfach nur Schlagworte wiederholt. Gefühlt geht es dann darum an eine Zielgruppe verkaufen und diese zu vereinnahmen, statt irgendwen tatsächlich zu überzeugen.
    Aber hier scheint hier ja zum großen Teil um echte Denkanstöße zu gehen.
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#2 nichtbinärePersonAnonym
#3 VestigeAnonym
  • 18.03.2023, 16:22h
  • Klar. Kommt auch immer wieder. Leute, die Fleisch essen, können nicht denken/nicht reflektieren und sind ferngesteuert. Schlechte Menschen!

    Während die Guten Menschen im Bioladen einkaufen, weil sie sich's leisten können, und denen sozioökonomisch unter ihnen nicht etwa durch Machtgefälle, nein nein - moralisch überlegen sind.

    Man kann zB wissen, daß im 5./4. Jh.v. Chr. die Athener Oberschicht, genauer, die Männer dieser Oberschicht, bis zur Hypochondrie (eingebildete Krankheiten) besessen waren von ihrer Diätetik, sich dafür Ärzte hielten, wieso? Um sich von den thetes, abhängig Beschäftigte, aber mit Bürgerrecht, sozial abzuheben und abzusetzen.

    Ich habe selbst in den frühen 80ern schon erlebt, wie grün-alternative Studenten, sämtlich Bürgerfrätze, wonnevoll andere Leute als 'Tierleichenfresser' beschimpften und ihnen die Klassenverachtung auch ansonsten (bin Arbeiterkind) aus allen Poren triefte.

    Bezeichnenderweise ist es diesen Leuten völlig egal, daß man sich schon Anfang 2020 von Hartz IV nicht gesund ernähren konnte:

    www.der-paritaetische.de/alle-meldungen/arm-abgehaengt-ausge
    grenzt-studie-des-paritaetischen-belegt-akute-mangellagen-ei
    nes-lebens-mit-hart/


    Klassenfragen - igitt, das Armenpack. Unmoralisch! Insofern könnte das Buch ja richtungsweisend sein, das Abhängen derer, die nicht mithalten können, ist in 'der queeren community' ja ohnehin systematisch - und hier die moralische Rechtfertigung!
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#4 AyidaProfil
  • 18.03.2023, 19:04hHessen
  • Antwort auf #3 von Vestige
  • Ich bin vegan und fast nie im Bioladen, weil ich mir das nicht leisten kann. Ich kaufe meistens bei Lidl, aber auch bei anderen Discountern. Die Auswahl veganer Produkte ist dort inzwischen ziemlich groß. Veganismus ist eine ethische Bewegung, die gegen die Ausbeutung von Tieren ist. Außerdem sind bio und Veganismus zwei komplett unterschiedliche Dinge. Und nein, vegan sein ist nicht pauschal gesünder (obwohl Studie belegen, dass Veganer*inne seltener bestimmte Volkskrankheiten haben; die gute alte Kausalität vs Korrelation Frage).
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#5 Tom3kAnonym
  • 18.03.2023, 23:00h
  • Mich sprang grad nur die Überschrift an -
    denn mir geht immer noch (und ging gerade wieder) das hier bei queer überlieferte Zitat des bayerischen Ministerpräsidenten durch den Kopf, der offensichtlich ungehindert Tiervergleiche anstellen darf...
    Also, da wäre auch eine Verbindung: Söder (inzwischen wohl beim plural majestatis; denn alle Bayern kann er nicht meinen mit seinem "Wir"), der Hormonmissbrauch in der Schweinemast harmloser (und überhaupt vergleichbar!) findet als Hormonblocker bei trans* Kindern.

    Da ist völlig wurscht was ich esse; ich könnte nur k*.
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#6 VestigeAnonym
  • 18.03.2023, 23:55h
  • Antwort auf #5 von Tom3k
  • Was den letzten kleinen Absatz anbelangt, Tom3k, d'accord ...

    Vielleicht hab' ich für meinen Teil die Antwort auf die Frage gesucht, was ich mir eigentlich davon verspreche, hier mitzuschreiben. Dieser Artikel und thread hat sie mir gegeben: wenn sich jetzt auch noch die Veganer-Moralapostel in 'der community' ausbreiten, kann ich es endgültig vergessen, die mir wichtigen Themen einzubringen.

    Ich kann ja jetzt als trans Frau in meiner Situiertheit 'unterwürfige Reproduktion von Geschlechterklischees', 'schuld am Patriarchat', 'boomer' jetzt noch/wieder um 'Tierleichenfresser' ergänzen, das ist doch was! Ich bin gar nicht mehrfach marginalisiert, ich bin ein schlechter Mensch und eigentlich an allem schuld.

    Felicia Ewert, Lou Kordts und Jeja Klein vertreten viele mir wichtige Themen ja vortrefflich, da brauch' ich es nicht zu tun.

    Den Veganismus halte ich nicht auch noch aus - Vestige signing out. Auf Nimmerwiedersehen allerseits.
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#7 VitelliaAnonym
  • 19.03.2023, 15:35h
  • Das ganze Buch ist bestimmt interessant.
    Die Vielfalt, gerade bei Tieren zu lesen und ihr ganz unterschiedliches Verhalten, ist interessant.

    Was sagen aber Veganer, dass auch Tiere Fleisch fressen? (Nicht nur der Mensch, der schon seit Jahrhunderten Fleisch isst)
    Fleisch ist bei vielen Tieren die Nahrung. Auch Hunde und Katzen fressen Fleisch, Löwen und Tiger fressen Fleisch usw.
    ==> Ganz schlimm in puncto Tiere quälen treibt es die Katze.
    Die Maus hat Angst vor der Katze und rennt weg.
    Wenn die Katze schneller ist, packt sie die Maus mit ihren scharfen Zähnen.
    Die Maus ist dann noch lange nicht tot. Die Katze frisst längere Zeit an der Maus herum, dass sie Schmerzen hat!
    Da ist jede Mausfalle besser. Ein kurzer Schlag runter und die Maus ist tot und hat keine Schmerzen.
    Viele Veganer (besonders PETA) lehnen aber Mausefallen ab, wenn man eine Maus z. B. im Keller hat.
    Sie wollen nur solche Mausefallen, die es auch gibt, in denen die Maus noch leben kann, dass man sie draußen wieder laufen lässt.
    Mich interessiert aber nicht, was PETA will.
    Wenn ich eine Maus im Keller hätte, dann schleunigst weg mit ihr, mit einer normalen Mausefalle - und nicht die Falle mit der Maus noch draußen herumtragen und überlegen, wo ich die Maus rauslassen soll.
    So ein Unsinn, als ob Mäuse, die sich schnell vermehren, unter Artenschutz stünden.
    PETA übertreibt meiner Meinung nach.

    Aber, das Buch ist sicher interessant.
    Der ganze Beitrag von Queer ist gut geschrieben, weil er vieles erklärt über den Inhalt des Buches.
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#8 Tom3kAnonym
  • 20.03.2023, 12:50h
  • Oh Vestige,

    ich hoffe doch, das bezog sich nur auf diesen Beitrag! Du kannst Dich mit Deiner wichtigen Stimme doch hoffentlich nicht ganz vergraulen lasssen, nur weil irgendwo auch mal ein paar Veganer zu Wort kommen.
    Hier gibts doch Artikel von bis...
    Hier beim Artikel ists mir egal; aber anderswo würd ich mich freuen, Dich wieder zu lesen!

    ...

    Noch ne andere Verbindung, in Bezug auf die Überschrift/das Buch... könnte die Autor_nliste sein.

    Ganz alle konnte ich jetzt nicht ergooglen, jdf. nicht ohne facebook, aber so der erste Überblick ergibt: Die Schreibenden kommen aus den Bereichen Feminismus, Kunst/Performance (gleich einige), Lebensberatung/Coaching, einer Kombi aus Klima-Vegan-Feminismus, Museumforschung, Antidiskriminierungsarbeit, Sexualbildung, Philosophie, Psychologie, Sozialwissenschaft, evtl. social media management(?), Sozialarbeit, Anglistik, .... eine hat immerhin wohl eine Art Gnadenhof/ein paar Schafe und evtl. ist noch ein Tierheilpraktiker dabei.
    Trotzdem... jetzt nicht die Kombo, bei der mir "Sachbuch" zu "Mensch-Tier-Verhältnisse" so ganz überein will - zumindest nicht, wenn es wie hier Überschrift und Bild suggerieren um (landwirtschaftliche) Tierhaltung geht.
    Vielleicht sollte es das aber auch nie.
    Bei Veganismus bin ich wie bei vielen anderen *ismen raus.
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#9 LothiAnonym