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"Feiertag des unabhängigen Verlegens"
Die queere Indiebookday-Top-Ten
Am 25. März 2023 wird in Deutschland zum zehnten Mal der Indiebookday begangen. Wir feiern das Jubiläum mit einer queeren Buch-Top-Ten.

Symbolbild: Wir empfehlen zehn Bücher unterm Regenbogen (Bild: IMAGO / ingimage)
- 25. März 2023, 07:31h - 7 Min.
Als "Feiertag des unabhängigen Verlegens" wurde der Indiebookday 2013 auf Initiative des Hamburger Mairisch Verlages ins Leben gerufen. Sinn der Sache war, Publikationen aus kleinen und unabhängigen Verlagen mehr Sichtbarkeit und Aufmerksamkeit zu bescheren. Das Prinzip: Die Lesenden wurden dazu aufgerufen, in Buchhandlungen zu laufen, gezielt Bücher aus Indie-Verlagen zu kaufen oder zu bestellen und ihre Trophäen anschließend unter dem Hashtag #indiebookday in den sozialen Netzwerken zu posten.
Die Aktion kam so gut an, dass sie zur Institution wurde und inzwischen unter anderem in Großbritannien, den Niederlanden und Portugal übernommen wurde. Zum zehnten Jubiläum haben wir uns von den Salzgeber Buchverlagen zehn Titel empfehlen lassen, die nicht nur Indie, sondern vor allem queer sind.
1. Die Welt ist schlecht und du bist echt unausstehlich
Unseren Rezensenten überzeugte diese Story-Sammlung des kanadischen Autors Daniel Zomparelli bei ihrem Erscheinen nicht so recht, doch nachdem Zomparelli letzten Herbst mit der Anthologie "Queer Little Nightmares" zur literarischen Halloween-Sensation wurde, ist es Zeit für eine Neubewertung. Nicht zuletzt deshalb, weil der kritische Rezensent schon damals einräumte, dass seine hartnäckige Suche nach einem erzählerischen Kern "die falsche Herangehensweise" an das Buch sein könnte. Was Zomparellis Stärke ausmacht, ist eben nicht das Konstruieren von Geschichten, sondern deren Sezierung in die absurd-komischen Augenblicke, die schwules Chatten, Feiern, Daten, Lieben und Auf-der-Höhe-der-Zeit-Sein-Wollen mit sich bringt. Um das auf den Punkt zu bringen, genügen ihm manchmal vier Zeilen, die mit der Geschichte davor oder danach zwar nichts zu tun haben, aber einfach nur für sich grandios sind. Also noch mal lesen – diesmal mit der Indie-Brille.
➤ Authentische Figuren in der Dating-Hölle (30.12.2018)
2. One Man Show
Die Arbeiten des schwulen US-Malers Bernard Perlin (1918 – 2014) kennt hierzulande kaum jemand. Daran hat auch der 2016 erschienene Text-/Bildband "One Man Show" wenig geändert. Vielleicht, weil er nur mit englischen Texten erhältlich ist. Dabei weiß das von Kurator Michael Schreiber herausgegebene, sehr elegante und bildstarke 272-Seiten-Buch auch zu faszinieren, wenn die Texte nicht gelesen werden können. Die Vielfalt von Perlins künstlerischem Werk spricht ihre eigene Sprache: Sie deckt von Kriegspropaganda-Artworks über abstrakte Fantasie-Gemälde bis hin zu "Night Pictures", die von schwulen Clubs der Fünfzigerjahre inspiriert wurden, und Künstler-Porträts von Truman Capote, Vincent Price und George Platt Lynes alles ab. Ein Buch, das auch beim hundertsten Aufschlagen noch neue künstlerische und vor allem schwule Entdeckungen mit sich bringt.
➤ Bernard Perlins "One-Man Show" (01.04.2016)
3. Der Gesang des Blutes
Tennessee Williams sagte über seinen queeren Schriftstellerkollegen James Purdy (1914-2009): "Purdy mag diejenigen schockieren und vergrämen, die auf den ausgetretenen Wegen der Literatur wandern, aber er wird gewiss diejenigen begeistern, die für neue Gefühle und neue Erfahrungen offen sind." Ein Geheimtipp blieben Purdys homoerotisch grundierte, stets zwischen Brutalität und Schönheit schwankenden Gesellschaftsromane trotz diverser Preise und Auszeichnungen irgendwie immer – im deutschsprachigen Raum, wo viele seiner Bücher nicht übersetzt wurden oder vergriffen sind, sowieso. Im letzten Jahr sorgte in den USA die Veröffentlichung einer neuen Biografie ("James Purdy: Life of a Contrarian Writer") für einen neuen Purdy-Popularitätsschub, der sich im nächsten Jahr zum 110. Geburtstag des Schriftstellers fortsetzen dürfte. "Der Gesang des Blutes", eine Außenseiterballade über die spannungsgeladene Freundschaft zwischen einen Vietnam-Veteran und einem Mörder ist das perfekte Indiebook zur Wiedereinstimmung
4. Super 8
Im queer.de-Interview sagte Filmemacher Michael Brynntrup über sein Buch "Super 8": "Wenn es das Freiheitliche und die Leichtigkeit vermittelt, die die Super-8-Zeit prägten, und vielleicht dazu ermutigt, auch mal Grenzen zu überschreiten, würde mich das freuen." Tatsächlich vermittelt der reich bebilderte 357 Seiten-Band nicht nur das Alles-ist-möglich-Gefühl der schwulen Künstlerszene der Achtzigerjahre, sondern macht durch Brynntrups mal kluge, mal verspielte, aber immer kreativ-energische Text- und Bildwelten nicht nur Lust, sondern auch Mut, das Unmögliche zu wagen.
➤ "Man darf auch mal radikal sein, auch mit sich selbst" (23.10.2022)
5. Zaunwerk – Szenen aus dem Gesträuch
Felix Rexhausens Indie-Status ist schon deshalb unbestritten, weil der Autor sich stets zwischen Journalismus und Satire, erotischer Fantasterei und scharfsinnigem Zeitzeugentum hin und herbewegte. Der posthum erschienene Text "Zaunwerk – Szenen aus dem Gesträuch" ist bezeichnend für die Rexhausen'sche Irrlichterei. Obwohl er eigentlich ein Roman ist, beginnt er mit den Worten "Dieses Buch ist kein Roman". Der Rest: Mal beißende Gesellschaftskritik, mal schwelgerische Klappen-Litanei, aber in jedem Fall messerscharf beobachtete und treffsicher wiedergegebene Abbildung der Lebenswelt homosexueller Männer in der Bundesrepublik der Sechzigerjahre. Seit letztem Jahr ist das Ganze auch als Hörbuch erhältlich – kongenial eingelesen von Klaus Nierhoff.
➤ Wie der erste schwule Roman der Bundesrepublik durch Zufall entdeckt wurde (07.05.2022)
6. 100 Boyfriends
Autor, Musiker und Performance-Künstler Brontez Purnell ist sowas wie der Papst der queeren Indie-Kultur Amerikas. Diesen Ruf erwarb er sich mit seiner Punkband The Younger Lovers und mit seiner eigenen Dance-Company. Inzwischen pflegt er ihn mit konsequent durchgeknallten Postings bei Instagram und einem unvergleichlichen Stil als Schriftsteller. Ein wunderbarer Einstieg in Purnells wilde Gedankenwelt ist der Geschichtenband "100 Boyfriends". Da wird so hemmungslos von vermurksten Liebschaften, aus dem Ruder laufenden Dates, Drogentrips, Rockstar-Lifestyle und der ungeschönten Lebenswelt schwarzer schwuler Männer berichtet, dass das Lesen trotz aller Abgründe und sozialkritischer Seitenhiebe unweigerlich zur Party wird.
➤ "Fuck all y'all" (06.12.2021)
7. Hubert Fichte – Texte und Kontexte
Der Schriftsteller Hubert Fichte (1935 bis 1986) gilt als König Subkultur und Vorvater der Queer Studies. Er hat sich nie an irgendwelche Normen gehalten. So war er zwar offen schwul, lebte aber mit der Fotografin Leonore Mau zusammen, um – wie er es selbst formulierte – aus dem "Ghetto auszubrechen, aus dem Ghetto der Homosexualität und aus dem neuen Ghetto, das die Homosexualität errichtet, nämlich dass man als Homosexueller nicht mit einer Frau zusammenleben solle" (zitiert aus "Die Geschichte der Empfindlichkeit"). Fichte-Kenner Jan-Frederik Bandel hat dem Subkultur-König den Band "Hubert Fichte – Texte und Kontexte" gewidmet, in dem sich ein Dutzend Autor*innen mit Fichtes Werk und Sprache beschäftigen. Im Zentrum stehen "der große und der kleine Tod, Sex und Gewalt, Melancholie und Zärtlichkeit". Super Sache. Super Indie.
8. Flamingo Island
Wer über fünfzehn Jahre im stillen Kämmerlein an der Vision eines digitalen Paralleluniversums voller fröhlicher, muskulöser, dauergeiler Nackedeis mit dicken Dödeln arbeitet, muss schon mit Überzeugung bei der Sache sein. Auf Zach Lynch trifft das zu. Der Digital Artist hat sich mit dem Bildband "Flamingo Island" den Traum von einem schwulen Paradies erfüllt, das frei ist von Sorgen, Schwanzkomplexen und Erektionsstörungen. Das Buch kommt so bunt daher wie der Fundus von Ru Paul's Drag Race, so freizügig wie die Beefcake-Inszenierungen von Bob Mizer und so perfekt animiert wie die queeren Bilderwelten von "Dragon Age". Das perfekte Buch für Indie-Nerds also.
➤ "Eine Gesellschaft, die unbefangen mit Nacktheit und Sex umgeht, scheint mir relativ utopisch" (20.12.2022)
9. Felix
Holger Brüns' zweiter Roman "Felix" ist schon deshalb ein Indiebook, weil er den Ikonen der schwulen Szene ein Denkmal setzt. So berichtet er von einem frühen Konzert Georgette Dees im Waldschlösschen, lässt den Herbst des Erscheinens des Bronski-Beat Albums "The Age of Consent" wiedererstehen, sorgt für ein ambivalentes Wiedersehen mit Fassbinders "Querelle" und zitiert nicht zuletzt immer wieder Rio Reiser, bzw. Ton Steine Scherben. Dass das Buch eine Zeitreise in die BRD der Achtzigerjahre ist, braucht man nach alledem wohl nicht mehr dazusagen. Aber dass es sich im Kern um eine zeitlose schwule Selbstfindungsgeschichte im Spannungsfeld von Liebe, Politik und Freiheit dreht, sollte dann doch erwähnt werden. Denn das macht das eigentliche Lesevergnügen und den aktuellen Mehrwert des Romans aus.
➤ Schwule Liebe zwischen Demo und Hausbesetzung (25.09.2022)
10. Queer Cinema Now
Mehr Indie geht nicht. In "Queer Cinema Now" hat die Redaktion des nicht-heteronormativen Kulturmagazins Sissy über 200 Liebeserklärungen an Filme versammelt, von denen alle queer und die erschlagende Mehrheit Indie sind. So gibt es in dem reich bebilderten 352-Seiten Band nicht nur Wiedersehen mit Liberace, Gilbert & George, Tom of Finland, Robert Mapplethorpe und Queen sowie kluge Analysen von Leinwand-Hits wie "Call me by your name", "Rocketman" und "Freier Fall", sondern auch Dutzende untergegangener queerer Filmperlen von "Albert Nobbs" bis "Zoomer" und von "1985" bis "Messer im Herz" erstmals, wieder oder neu zu entdecken.
➤ Die queere Film-Bibel (15.05.2022)
Alle hier vorgestellten Bücher sind neben diversen anderen spannenden nicht-heteronormativen Büchern und DVDs unter anderem erhältlich im Salzgeber.Shop.

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