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Neu im Querverlag

Queer­femi­nistische Tugendhaftigkeit

In Kevin Junks zweitem Roman "Saturns Sommer" ist ein queerer Freundeskreis auf Sinnsuche im sommerlichen Berlin. Dabei entsteht eine Art literarischer Safe Space, den man zugleich als radikale Utopie und realitätsferne Träumerei lesen kann.


Kevin Junk, geboren 1989, lebt und arbeitet in Berlin (Bild: ZLB)

Sommer in Berlin: Tom hat seine letzte Therapiestunde hinter sich, jetzt kann er sich endlich ganz der Arbeit an seinem Manuskript widmen, ein Verlag möchte seine Lyrik veröffentlichen. Doch ähnlich wie seine beste Freundin und Mitbewohnerin Pina, die gerade ihren anstrengenden Job bei einer Kunstgalerie gekündigt hat, steckt er fest. Auch Alex ist kurz nach der Mastektomie auf der Suche – nach Identität, den passenden Pronomen und einer Möglichkeit, die Beziehung mit einem Geliebten in Rom weiterzuführen.

Die drei wissen nicht so recht, wie es weitergehen soll mit ihrem Leben und verbringen die heißen Tage mit ihren Freund*innen aus der queeren Community. Sie tanzen, trinken, kiffen, haben Sex, lassen sich tätowieren und philosophieren über Himmels- und die eigenen Körper.

Queere Selbstverständlichkeit

Kevin Junks zweiter Roman "Saturns Sommer" (Amazon-Affiliate-Link ) mag wie ein wahr gewordener Traum anmuten: Ein queerer Schriftsteller schreibt frei und offen über queere Figuren, ohne Zugeständnisse an den heteronormativen Mainstream oder auf ein breites Publikum zu schielen. Man kann das post-emanzipatorisch nennen, es sind Geschichten, in denen kein Coming-out mehr nötig ist und cis Heterosexuelle nur am Rand vorkommen. Nach Hermes Phettbergs Vorschlag entgenderte Personenbezeichnungen wie "Freundy" finden sich hier ebenso selbstverständlich wie "FLINTA" und "enby". In "Saturns Sommer" wird niemand an die Hand genommen, Junk stößt seine Leser*innen einfach mitten hinein in seinen literarischen Kosmos aus nonbinären Schwulen, trans Schaman*innen, feministischen Lesben und genderqueeren Muslimas.

Nicht nur bezüglich der metaphernreichen Sprache, die manchmal ins Pathetische ausufert, gibt sich der Autor furchtlos. In zahlreichen Sexszenen scheut er nicht davor zurück, genau hinzuschauen, streift Rippenbögen, kriecht in Achselhöhlen und dringt mit der Zunge in Körperöffnungen vor. Ein Clubbesuch samt Drogenrausch wird ebenso eindringlich geschildert und zeigt Junk als einen aufmerksamen Beobachter seines Berliner Umfelds. Man muss dabei den Sprech mit seinen vielen Anglizismen wie "hot" und "nice" nicht mögen, aber man kann anerkennen, dass es dem Schriftsteller gelungen ist, einen bestimmten Sound und ein Lebensgefühl einzufangen.

Die Figuren sprechen mit derselben Stimme


Der Roman "Saturns Sommer" ist im März 2023 im Berliner Querverlag erschienen

Doch trotz all der fein beobachteten Details und der dichten Atmosphäre empfand ich "Saturns Sommer" nie als ganz glaubwürdig. Die auf den ersten Blick so vielfältigen Figuren unterscheiden sich beim genaueren Hinsehen nur oberflächlich und entwickeln kein Eigenleben. In einer Kolumne für das Blog 54books hat Junk einmal geschrieben, dass er der Falle einer autobiografischen Nabelschau entgeht, indem er seine Geschichten auf mehrere Figuren aufteilt. Das scheint mir in diesem Fall nicht auszureichen, denn es wirkt, als würden sie alle mit derselben Stimme sprechen.

Dieser Eindruck wird noch dadurch verstärkt, dass der Freundeskreis stark verklärt wird: Alle sind stets liebe- und verständnisvoll miteinander, Unstimmigkeiten und Konflikte existieren quasi nicht. Die vorbildlichen, reismilchtrinkenden Held*­innen fühlen sich zwar auf diffuse Weise revolutionär und verachten alles, was "Mittelstand", "bürgerlich" und "neoliberal" ist, einen wirklichen Aufstand oder Kontroversen meidet der Roman allerdings.

Satire oder nicht?

Die queer­femi­nistische Tugendhaftigkeit nimmt dabei mitunter groteske Züge an, wenn die Protagonist*­innen immer wieder ihre eigene Reflektiertheit zur Schau stellen und sich selbst zurechtweisen, bevor sie eine Grenze überschreiten: Pina ermahnt sich da beispielsweise als Zuschauerin einer Performance, die halbnackten Tänzer*­innen nicht "hot" zu finden und diese nicht zu objektifizieren. Alex verbietet sich trotz seines Interesses am Yoga, eine Trainerausbildung zu machen, da das kulturelle Aneignung wäre. Und Tom singt in seinem Yogakurs die Mantren nicht mit, die kann er "von weißen Menschen nicht hören, ohne sich dabei wie ein neoliberales Klischee vorzukommen".

Stellenweise war ich versucht, die überzeichnete Gut- und Einmütigkeit als Satire zu lesen, anders konnte ich mir die Figuren nicht erklären. Doch ein Blick auf Junks journalistische Texte zum Beispiel in der "Berliner Zeitung" legt nahe, dass es sich wohl doch nicht um eine Parodie handelt; in seinen Kolumnen ist der Schriftsteller thematisch und vom Sound her ganz nah an der Stimme, die er auch in "Saturns Sommer" nutzt. Ein bisschen erinnert Junks Erzähler dabei an die Tätowiererin in seinem Buch, die allen Mehrfachmarginalisierten Rabattangebote macht. Tiefer wird da oft nicht geschaut, bloß eine Checkliste der Identitäten wird abgehakt, noch ein paar auf irgendeine Weise marginalisierte Figuren in den Ring geworfen, wie Hashtags, die für Buzz sorgen sollen.

Harmonie und Selbstgerechtigkeit

Es gibt sicherlich viel zu bewundern an diesem Roman, zum Beispiel wie er Vorstellungen von Normalität aushebelt, wie er Community als wirkliche Gemeinschaft zelebriert und zeigt, wie selbstverständlich gendersensible Sprache sein kann. Mit Wohlwollen kann man "Saturns Sommer" am Ende vielleicht als eine radikale Utopie begreifen, einen literarischen Safe Space, dessen Harmonie und Einstimmigkeit kein Makel, sondern seine große Stärke sind.

Mir fällt das allerdings schwer, zu realitätsfern erscheinen mir Junks Vorzeigefiguren, die dem Buch stellenweise einen besserwisserischen, selbstgerechten Ton verleihen. Für mich gehören zu Diversität auch immer Differenzen und Dissonanzen, gerade in Zeiten, in denen ideologische Grabenkämpfe und politische Vereinnahmungen die Debatten um Sex, Gender und Queerness prägen. Und Literatur sollte Abgründe auskundschaften, sich dahin vorwagen, wo es unangenehm wird – auch für die eigene Bubble. Das gelingt "Saturns Sommer" leider erst auf den letzten fünfzig Seiten, wenn Toms Trauma langsam entblättert wird. Wenn Figuren auch mal aus Versehen das falsche Pronomen für eine neue Bekanntschaft verwenden. Wenn Widersprüche zutage treten, in denen die Held*innen sich verfangen haben.

Infos zum Buch

Kevin Junk: Saturns Sommer. Roman. 248 Seiten. Querverlag. Berlin 2023. Taschenbuch: 18 € (ISBN 978-3-89656-326-2). E-Book: 12,99 €

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#1 PrideProfil
  • 25.03.2023, 15:30h...
  • Ich weise gern' auf sogar drei umfänglichere Artikel zu Queerness in der heutigen taz hin, ohne ungelesen in dem Medium nun für diese gerade stehen zu wollen.
  • Antworten »  |  Direktlink »
#2 JulzAnonym
  • 25.03.2023, 17:00h
  • Einfach nur super. Danke für diesen Artikel.
    Von früh bis spät darüber zu reflektieren wo wer verletzt wird, ist internalisierte Queerphobie. Verletzungen die wir in der Jugend erfahren, führen zu einer erstickenden Angst sich falsch zu verhalten und andere zu verletzen.
    Wer sich aber ständig selbst hinterfragt wird früheroder später einfach nur resigniert und depressiv. Er ist der normativen Mehrheit psychologisch unterlegen. Die wird sich niemals so selbst Geißeln.
    Auch das Ungewöhnlich-sein gehört zum queer sein. Wer das verdrängt, verdrängt einen Teil seiner selbst.
    Wenn wir nur noch über uns selbst nachdenken und von einer heilen Welt träumen, gewinnen die Rechten.
    Nicht alle Konflikte sind lösbar und wir dürfen uns nicht ständig gegenseitig Vorwürfe machen.
    Positionaler Fundamentalismus ist gift.
    Wir dürfen uns keine Hilflosigkeit einreden. Genauso wenig sind wir die besseren Menschen und auch das müssen wir nicht sein.
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#3 BohemianHipster9000Anonym
  • 29.03.2023, 14:31h
  • So, Bohemian Hipsters in Bohemian Hipstertopia? Ich mag diese Prämisse eigentlich, muss ganz ehrlich sagen, dass der Aspekt mich an dem Buch nicht abturnt, eher fast schon im Gegenteil. Leider bisschen viel dergleichen Content mittlerweile. Besonders wenn queeres Leben nur noch so dargestellt wird, entgehen uns die Lebensrealitäten anderer (glaubhafterer) queerer Charaktere. Aber wie gesagt reihe ich mich da auch leider selbst ganz gut ein. Bohemian Lifestyle ist nice, jede*r der/die was anderes sagt lügt. Nur ist er (bisher) nicht für jede*n verfügbar.
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