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Bildband

Schamlose Ständer

Warum der neue Gruenholtz-Fotoband "The Fine Art of Erections" das Zeug hat, zu einem entspannteren Verhältnis zum eigenen Stehvermögen beizutragen.


Das Fotobuch "The Fine Art of Erections" ist im März 2023 bei Salzgeber erschienen. Mehr Bilder aus dem hocherotischen Band zeigen wir in der unten verlinkten Galerie (Bild: Salzgeber)
  • Von Axel Neustädter
    26. März 2023, 06:05h 2 5 Min.

Wenn man zum Erscheinungstermin von "The Fine Art of Erections" (Amazon-Affiliate-Link ) die Begriffe "Erektion" und "schwul" gemeinsam googelte, kam als erster Treffer die queer.de-Story über eine Viagra-bedingte Dauererektion des Sängers Danny Polaris ("Schwuler mit Dauer-Erektion seit zwei Wochen im Krankenhaus"). Es folgten Beiträge mit Titeln wie "Ständerprobleme und die Psyche", "Erektionsprobleme", "Tote Hose" oder "Beim passiven Sex verliere ich meine Erektion".

Daraus könnte man den Schluss ziehen, dass die homosexuelle Erektion im theoretischen Kontext eher mit Problemen als mit Lust assoziiert wird. Was bei näherer Betrachtung des schwulen Sexgebarens nicht weiter verwundert. Wer nicht dank einer Beziehung auf viel Zeit und Kuschelkurs setzen kann, muss im zuweilen recht gehetzten Dating- und Cruising-Geschehen vor allem auf Anhieb funktionieren. Beim Sexdate im entscheidenden Moment keinen hochzubekommen oder auf Annäherungen in Sauna, Darkroom oder Cruising-Area nicht mit prompter Versteifung zu reagieren, schlägt nicht nur potenzielle Sexpartner in die Flucht, sondern wirkt sich auch auf die eigene Moral aus. Das Resultat sind Verunsicherung, Triebstau oder eben der Griff zu Viagra – der zwar mitnichten so prekäre Folgen haben muss wie bei Danny Polaris, aber auch nicht zwangsläufig ein entspanntes Verhältnis zur eigenen Erektion fördert.

Erektionsspritzen am Pornoset

All das weiß Fotograf Kenneth Gruenholtz. Als schwuler New Yorker ist er mit den sexuellen Leistungsgedanken homosexueller Großstädter bestens vertraut, und spätestens seit er für seinen ersten Fotoband "Uncensored" (Amazon-Affiliate-Link ) die Dreharbeiten der Pornos von Lucas Entertainment mit der Fotokamera begleitete (siehe Beitrag "Die Privatheit hinter dem Exhibitionismus"), sind ihm auch die professionellen Methoden zur Erlangung eines Ständers geläufig.

Im Vorwort seines kürzlich erschienenen neuen Buches berichtet Gruenholtz über die "Uncensored"-Shootings, dass "manche Models noch Stunden später mit einer Erektion herumlaufen – wegen der Erektionsspritzen, die etwa eine halbe Stunde vor Drehbeginn zur Verfügung gestellt werden, und dann oft nochmals mittendrin zur Auffrischung." Die Injektionen als solche durfte er nicht mit der Kamera dokumentieren, wohl aber ihre Folge: Kerle, die auch lange nach dem Dreh noch mit steifen Schwänzen herumrannten, die sich "aufreizend und albern zugleich" in die Gegend reckten.

Penisversteifungen ohne sexuelle Notwendigkeit

Man könnte meinen, die Gelegenheit, die Dauererektionen der Pornostars mit der Kamera festzuhalten sei der Ausgangspunkt für Gruenholtz' Folgeprojekt gewesen, das zunächst zu einer digitalen Foto-Kollektion mit dem Titel "The Fine Art of Arousal" auf seiner Website führte und nun in dem opulenten Fotoband "The Fine Art of Erections" mündet. Aber das stimmt nicht ganz. Vielmehr geht es dem Künstler hier explizit nicht um Porno, sondern um Penisversteifungen, die frei von Druck, sexueller Notwendigkeit oder gar chemischer Hilfe zustande kamen.

Demzufolge zeigen die Bilder, die Gruenholtz für seinen neuen Fotoband ausgewählt hat, großenteils Models, die im Laufe gewöhnlicher Mode- und Nackt-Shootings einen Ständer bekamen, sei es, weil er in Momenten der Entspannung auftrat oder weil er eine individuelle Reaktion auf die eigene Nacktheit war. Gruenholtz: "Einmal hielt es eines meiner Models für geboten, mich darüber aufzuklären, dass er seit der Pubertät immer eine Erektion bekam, sobald er in Gegenwart anderer nackt war – ein ständiger Quell von Scham bei Arztbesuchen und in der Gemeinschaftsdusche."

Ein Buch gegen die Scham

Womit nach dem (Leistungs-)Druck der zweite Begriff genannt wäre, dem Gruenholtz mit seinem neuen Buch den Garaus machen will: Scham. Das erklärte Ziel seines neuen Projekts ist es, Erektionen als "Naturphänomen, fernab sexueller Aktivitäten" und als "etwas Reines und Schönes" zu präsentieren. Das klingt ein bisschen esoterisch, aber es klappt. Tatsächlich atmet "The Fine Art of Erections" eine große Intimität, Ruhe und Entspanntheit. Konzeptuell ist das Ganze lose als Verlauf eines Tages vom Morgen bis zur Nacht aufgebaut. Gezeigt werden auf 176 Seiten 108 Fotos von rund 40 unterschiedlichen nackten Männern beim Lümmeln auf Betten, in Badezimmern und in der Natur.

Im Gegensatz zum reinen Schwarz-Weiß-Konzept von "Uncensored" sind diesmal auch farbige Fotos dabei. Eine gelungene Wahl. Nicht nur sind die betreffenden Motive ein schöner Kontrapunkt zum eleganten, aber auch etwas artifiziell wirkenden Schwarz-Weiß, sie vermitteln auch eine Unmittelbarkeit, die gut zum Thema passt. Weiterhin sind diesmal vergleichsweise wenig Bilder von Paaren und sexuellen Interaktionen zu sehen, dafür jedoch jede Menge Solo-Aufnahmen. Die Reduktion leuchtet ein, denn die Konzentration auf einzelne Models verstärkt nicht nur deren eigene Präsenz, sondern auch die ihrer Erektionen. Letztere scheinen oft beiläufig beim Hanteltraining, Duschen oder Vollführen von Yoga-Ritualen aufzutreten, aber auch Onanie und narzisstische Selbstbetrachtungen spielen eine Rolle.

Jedes Bild eine durchdachte Komposition

Im hinteren Teil des Buches sind zudem einige Motive von Bondage-Sessions zu sehen. Ebenfalls ein stimmiger Kunstgriff, geht es beim Bondage doch wesentlich um eine Sinnlichkeit, die aus dem Abgeben von Selbstkontrolle erwächst, ein Prinzip, das auch ungeplanten Erektionen zugrunde liegt.
Stichworte wie "beiläufig" und "ungeplant" sind in diesem Fall nicht mit "uninszeniert" zu verwechseln.

Gruenholtz nimmt seine Position als Fine-Artist sehr ernst, bei ihm ist jedes Bild eine durchdachte Komposition. Ebenso wenig sollte erwartet werden, dass das Hohelied auf die druckbefreite Erregtheit gleichzeitig als Manifest gegen Body-Shaming oder schwulen Körperkult funktioniert. Dazu ist Gruenholtz' Hang zur Perfektion viel zu groß. Seine Männer sind das, was er in ihnen sieht und aus ihnen macht: ideale Mannsbilder mit Muskeln, Dreitagebärten, Brusthaaren, Knackärschen und mal stärker, mal schwächer erigiertem Gemächt. Sie sind dazu da das eingangs genannte Problemdenken vergessen zu machen und Lust auf ungehetzte, unprekäre Erektionen zu erzeugen. Das gelingt ihnen. Damit tragen sie vielleicht mehr zu einem entspannten Verhältnis zum eigenen Stehvermögen bei als Viagra.

Infos zum Buch

Gruenholtz: The Fine Art of Erections. Fotoband. 176 Seiten. 108 Abbildungen in Schwarz-Weiß und Farbe. Salzgeber Buchverlage. Berlin 2023. Hardcover: 59 € (ISBN 978-3-95985-665-2)

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#1 Julian SAnonym
  • 26.03.2023, 16:16h
  • Ich bin froh, dass dieser Bildband versucht, den Umgang mit Erektionen zu entkrampfen. Das ist eine ganz normale Körperreaktion (nicht nur) bei Erregung.

    Es gibt übrigens auch keinen Grund, da etwas unkenntlich zu machen, da Erektionen in Kunst nicht pornographisch sind und deshalb frei gezeigt werden dürfen. (Auch wenn prüde, verklemmte Spießer versuchen, das zu ändern.) Die Kunstgeschichte ist voll von Erektionen.
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#2 VitelliaAnonym
  • 28.03.2023, 12:37h
  • Antwort auf #1 von Julian S
  • Guter Beitrag!
    So ist es, Kunst hat nichts mit Pornografie zu tun.
    Verklemmte Spießer, wie Sie schreiben, braucht niemand - und sind mir auch ein Gräuel.
    Ihre doofen Moralpredigten habe ich schon öfters gelesen. Meistens natürlich von den Frommen.
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