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Roman
Kann eine Liebe zwischen cis Mann und cis Frau queer sein?
Der neue Bi-Roman "Sophie und Leon – Eine queere Liebesgeschichte" von Rico Feiner erkundet die Grenzen von Geschlechterrollen und zeigt Regenbogenpotenziale innerhalb einer hetero Beziehung auf.
- Von Samu/elle Striewski
1. April 2023, 03:24h 5 Min.
"Sophie und Leon – Eine queere Liebesgeschichte" (Amazon-Affiliate-Link ), so heißt Rico Feiners kürzlich im Selbstverlag erschienener, jüngster Roman. Mit einem Zitat von Viola Baum kündigt der Schweizer Autor an, worum es ihm auf den gut 300 Seiten seiner Erzählung gehen soll:
Wer immer nur schwarz-weiß denkt, wird nie einen Regenbogen sehen.
Was ist das für ein Regenbogen, den Feiner mit seiner queeren Liebesgeschichte über zwei cis Menschen an den Himmel zeichnet? Ohne viel Vorspiel lädt uns der Roman unvermittelt in die Schweiz ein, wo wir den ersten Protagonisten kennenlernen: Leon, 17 Jahre alt, "androgyn", "bedächtig und sanft", sportlich und zugleich "etwas Kuscheliges, Feminines" ausstrahlend, ist nicht nur für die gleichaltrige Mädchen ein Hingucker. Während er beim Kiosk seines Onkels sitzt, der nach dem frühen Tod seines Vaters zu einer zentralen, männlichen Bezugsperson für ihn wurde, tritt sein literarisches Gegenüber auf die Spielfläche: Sophie, "Expertin für Feuerstühle" und von einem anwesenden Möchtegern-Rocker "als heiße Braut" beschrieben. Später heißt es, sie "fluchte zuweilen wie ein Kutscher, rauchte Pfeife und strahlte Power aus". Kurzum zwei sehr individuelle Charaktere, die alles daransetzen, den klassischen Geschlechterbildern zu widerstehen.
Nach einem kurzen ersten Flirt mit Leon verabschiedet sich Sophie:
"Dann also bis zum nächsten Weekend!" "Darauf freue ich mich aber sehr!", kam es spontan aus Leons Mund. Er wurde knallrot im Gesicht. Sophie schenkte ihm ein Lächeln. "Auch mir hüpft beim Gedanken, dich wiederzusehen, das Herz!" Sie sagte das betont aufrichtig und ohne irgendwelche Ironie.
Große Liebe oder schnelllebige Affäre?

"Sophie und Leon" ist Ende 2022 im Rediroma-Verlag erschienen
Und kurz darauf sagt sie Leon ins Gesicht: "Hab mich vergangene Nacht im Traum gefragt, ob ich wohl bei dir landen könnte! Du bist nämlich ganz mein Typ!" Was der Roman hier wagt, lässt sich bereits als erstes "Queeren" einer Liebesgeschichte beschreiben. Während es in den meisten, sehr voraussehbaren Hollywood-Romcoms nach einem ersten, heißen Treffen viele künstlich herbeigeführte Schwierigkeiten geben muss, damit das Publikum bis zum Ende den Atem anhalten kann (Kommen sie noch zusammen oder nicht? Überraschung, sie werden ein Paar!), widersteht diese Geschichte jeglicher artifiziellen Dramatik. Stattdessen traut sich der Autor an das wirkliche Drama (von gr. δρᾶμα für "Handlung") heran, das sich entfaltet, wenn sich zwei Menschen näherkommen und versuchen herauszufinden, welche Formen der Intimität sie miteinander eingehen wollen. In diesem Fall bedeutet das zunächst einmal eine realistische Einschätzung von Sophie: "Vielleicht haben wir beide die große Liebe entdeckt. Oder es bahnt sich eine schnelllebige Affäre an. Auch nicht schlecht. So oder so, irgendwann werden sich unsere Wege wieder trennen. Das ist zwar kein Naturgesetz, gehört aber wohl zur Natur des Menschen."
Diese Direktheit und Ehrlichkeit bewahren die beiden auch einige Seiten später im Vorspiel zu ihrer ersten Liebesnacht:
Seine Schlagfertigkeit amüsierte sie. "Ich hoffe doch sehr, Amigo, dass du deine flinke Zunge nicht nur verbal zu gebrauchen weißt!" "Hoppla! Du bist ja sowas von direkt und unmissverständlich!" Sie lächelte ihm schelmisch zu. "Ich wollte dir nicht auf den Schlips treten." "Nö, bist du nicht. Aber ich bin halt eher der reservierte Typ." "Dann ergänzen wir uns ja aufs Beste!" "Hoffentlich auch anatomisch!" Sophie gluckste vor Vergnügen. "Diese Runde geht an dich!"
Auch der Autor nimmt kein Blatt vor den Mund und ist in seinen Beschreibungen ähnlich direkt und sprunghaft wie die beiden jungen Liebenden. Von einer detaillierten Beschreibung, wie Leon Sophie oral befriedigt, auf der einen zu philosophisch anmutenden Dialogen über Bauhaus-Kunst, Shakespeare-Dramen, Anarchismus, die Weltpolitik der UN und das Leben in der Covid Pandemie auf der nächsten Seite, Feiner lässt kaum ein Thema, kaum ein Label, kaum eine Beziehungskonstellation und kaum ein Körperteil unberührt.
Ein Bi-Paar, das eine poly Beziehung führt
Um auf die einleitende Frage zurückzukommen: Wie queer ist diese Liebesgeschichte? In ihrem ersten Bettgeflüster vertraut Sophie Leon an, dass sie "das erste Mal mit einem Mann bumse" und sich "eher zu Mädels hingezogen" fühle. Daraufhin entgegnet Leon, dass Sophies "sexuelle Orientierung mit […] seinen raren erotischen Aktivitäten" übereinstimme. Er erzählt: "Da war dieser hübsche Junge aus der Nachbarschaft, der leider mit seiner Familie weggezogen ist. Auch die Liebelei mit einem Schulkameraden und vor kurzem mit einem Lehrling war echt aufregend. […] Allerdings schaue ich auch gern den Mädchen nach. Du hast dir einen bisexuellen Burschen angelacht! Wie findest du das?" Sophie entgegnet: "Spannend! Dann sind wir ja gewissermaßen deckungsgleich!"
Aus dem ersten Mal wird bald ein Bi-Paar, dass gemeinsam zunächst eine offene und dann eine poly Beziehung führt, eine Schwangerschaft durchmacht und schließlich zur kleinen Regenbogenfamilie wird. Gemeinsam mit den beiden erleben wir als Leser*innen all die Formen von Diskriminierung, die mit einem solchen Leben einhergehen. Beginnend mit der Bi-Erasure seitens der lesbischen Freundinnen von Sophie über Biphobie eines schwulen Mannes, an dem Leon Interesse hat, zu den "feindselige[n] Blicke[n]", die "[d]as auffällige Paar" in der heterosexuellen Öffentlichkeit ertragen muss. Auch die offene und später poly Beziehung wird nicht bloß als unkomplizierte, lustige Angelegenheit dargestellt, sondern – und so trifft es wohl auf jede zwischenmenschliche Beziehung zu – samt aller Gefühle, von Wut und Trauer bis hin zu Freude und Ausgelassenheit.
"Sophie und Leon": Was durch die Schwarz-weiß-Brille betrachtet nach einer klassischen Hetero-Love-Story aussieht, ist in Wirklichkeit ein kunterbuntes Abenteuer, sprachlich authentisch und im wertschätzendsten Sinne geschrieben von einem "Amateur" (von lat. amator für "Liebhaber, Freund") für all diejenigen Amateure, die bereit sind, die Kunst des Liebens unter dem Zeichen des Regenbogen neu zu erfinden.
Rico Feiner, Sophie und Leon. Eine queere Liebesgeschichte. Roman. 294 Seiten. Rediroma-Verlag. Remscheid 2022. Taschenbuch: 14,95 € (ISBN 978-3985277537). E-Book: 9,99 €

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Gut und treffend ausgedrückt!
Es könnte auch heißen: Wer immer nur schwarz-BRAUN denkt ...
Schwarz, die konservative CDU, die widerwillig der Homo-Ehe zustimmte. für die die Grünen lange Zeit gekämpft hatten.
BRAUN = die Hetzpartei AfD, die die Regenbogen-Farben ganz ablehnt und gegen Fußballer gestänkert hat, die das Regenbogen-Band am Arm trugen.
Eine ganz schlechte Partei, die alle queeren Menschen ausgrenzt - und im Bundestag frech war gegen Tessa Ganserer.