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Gedichte und Poems

Die Verletzlichkeit des schwulen Begehrens

Andrew McMillans Verse im jetzt übersetzten Lyrikband "Physical" spiegeln das männliche Begehren in seinen mannigfaltigen Facetten wider – und erzeugen damit ihrerseits Begehren.


Andrew McMillan, Jahrgang 1988, lebt und arbeitet in Manchester (Bild: Urszula Soltys)

Als "Hymnen an den männlichen Körper" wird der just erschienene Gedichtband "Physical" (Amazon-Affiliate-Link ) von Andrew McMillan im Ankündigungstext des März-Verlags geradezu angepriesen. Und in der Tat ist der männliche Körper omnipräsent in den hier vorliegenden Versen. Doch was für die eine oder andere auf den ersten Blick abschreckend wirken könnte – braucht es tatsächlich noch mehr männliche Körper, die ins Zentrum des Bewusstseins gerückt werden? – entpuppt sich bei näherer Betrachtung als naheliegende Möglichkeit, die Verletzlichkeit und Fragilität von Männlichkeit offenzulegen.

Und das gelingt McMillan in den meisten der hier vorliegenden Gedichte überaus gut. Das Schöne an dem Gedichtband ist dabei, dass die darin enthaltenen Verse keinerlei Scheuklappen kennen: Sie gehen immer wieder dahin, wo es – im wahrsten Sinne des Wortes – weh tut. Sie spiegeln ein Begehren wider, dass sich nach Triumph und Unterwerfung sehnt. Nach Stärke gleichermaßen wie nach Schwäche, nach Gewalt ebenso wie nach Zärtlichkeit. Diese Pole treffen im Laufe des Bandes immer wieder aufeinander, und je öfter sie sich begegnen, aneinander reiben, desto mehr gelangt man zu der Erkenntnis, dass sie untrennbar miteinander verbunden sind und eine isolierte Betrachtung des einen Feldes immer die Exklusion des anderen nach sich ziehen würde.

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Fragilität und Männlichkeit


Der Lyrikband "Physical" ist vor wenigen Tagen im Berliner März Verlag erschienen

Wiederholt werfen die Verse dabei indirekt die Frage auf, was es bedeuten kann, ein Mann zu sein. "jemand anderes spielend – werfe ich dich um (…) ich versuche zu sein was erwartet wird – aber es stirbt ohne wirklich dagewesen zu sein", heißt es an einer Stelle. Erkennbar wird darin ein von der äußeren Erwartungshaltung zugerichtetes Ich, das sich ganz offensichtlich danach sehnt, die von außen erwartete Dominanzhaltung zu erfüllen, dabei aber kläglich scheitert.

Darin wird implizit zugleich die Idee einer beliebig formbaren Identitätsmasse verworfen, die sich je nach sozialer Umgebung flexibel an vorherrschende Ideen und Erwartungen anpassen kann, ohne dabei zu leugnen, dass der Wunsch danach uns allen auf die eine oder andere Weise innewohnt. Folgerichtig sagte McMillan vor einigen Jahren im Gespräch mit dem "Guardian", dass es stets Ziel seiner Arbeit sei, möglichst "direkt und ehrlich" zu schreiben, weil dies die einzige Möglichkeit sei, der "Wahrheit ein Stück näher zu kommen."

Fließender Rhythmus der Verse

Für seinen im englischen Original bereits 2015 erschienen Band erhielt McMillan seinerzeit als erster Lyriker überhaupt den begehrten "Guardian First Book Award". Dennoch war sein Wirkungsgrenzen jenseits der Landesgrenzen zunächst beschränkt. Insofern ist es dem März Verlag zu verdanken, dass McMillans Band nun auch für das deutschsprachige Publikum zugänglich gemacht wurde.

Die Übersetzungen von März-Verleger Richard Stoiber und dem Autor und Theatermacher Mazlum Nergiz sind dabei über alle Zweifel erhaben, einerseits nah am Original und zugleich nicht um eine stets wortwörtliche Übersetzung bemüht – die dann meist doch zu sehr übers Knie gebrochen erschiene. Auf herkömmliche Interpunktionen wird wie im Original komplett verzichtet, sodass die Verse einen ganz eigenen, fließenden Rhythmus entfalten.

Einziger Wermutstropfen ist dabei die Strukturierung des Bandes: Erst folgen die Übersetzungen, in der zweite Hälfte die Originale. Gelungener wäre es an dieser Stelle gewesen, je auf einer Doppelseite Original und Übersetzung zusammenzuführen – wie man es etwa von den Gedichtbänden Kate Tempests aus dem Suhrkamp-Verlag kennt – was die Möglichkeit böte, Rhythmus und inhaltliche Facetten eines Gedichts zweisprachig zu erforschen, ohne dafür mühsam blättern und suchen zu müssen. Doch fällt dieser Kritikpunkt am Ende nicht groß ins Gewicht, denn dafür überwiegt die Freude darüber, McMillan nun erstmals in deutscher Übersetzung lesen zu können.

Infos zum Buch

Andrew McMillan: Physical. Gedichte und Poems. Zweisprachige Ausgabe. Aus dem Englischen von Mazlum Nergiz und Richard Stoiber. 180 Seiten. März Verlag. Berlin 2023. Gebundene Ausgabe: 26 € (ISBN 978-3-7550-0016-7)

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#1 Ith_Anonym
  • 01.04.2023, 14:42h
  • Fehlt leider die sachliche Info, ob die "Mannigfaltigkeit" Körper einschließt, die nicht-cis, nicht stereotyp männlich oder nicht "heterolike" sind.
    Aber da es Sissy-Mag ist, wird es in der Mannigfaltigkeit dann vermutlich schon keine Körper ohne Schwanz geben.

    Wahrscheinlich sollte ich wirklich einfach nicht mehr draufklicken, auch oder besonders wenn die Titelunterschrift Inklusion suggeriert. Man existiert für diese Szene nicht. Deswegen ist die Frage nach dem Trans-Vorkommen etwas, das in der Rezension nicht existiert, weil keine Cisse findet, dass die Rezension für ein Publikum gedacht sein könnte, in dem trans-Männer mitlesen; und das wiederum spiegelt wider, dass es im Band selbst ebenfalls nicht existiert, sonst hätte sich das Vorkommen nämlich als störendes Element aufgedrängt und wäre mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erwähnt worden.
    Jeden Tag, den man vergeblich darauf wartet, dass sich das mit dem Nicht-Existieren-Dürfen ändert, stirbt man ein kleines bisschen mehr. Bis da irgendwann nichts mehr ist.
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#2 PoesieAnonym
#3 cujoAnonym
  • 02.04.2023, 00:00h
  • Antwort auf #1 von Ith_
  • Du findest auch nicht jeden Körper erotisch.
    Ich kann es verstehen, dass es für Transmenschen besonders schwierig ist, aber daraus einen Vorwurf zu machen, weil es in der schwulen Subkultur einen Männlichkeitskult gibt, halte ich für zumdindestens schwierig. Zumal es einfach so viele mannigfaltige Kulte gibt und für jeden was dabei ist. Was gerade am angesagtesten scheint, muss ja nicht auf jeden zutreffen.
    Ich finde viele Transmänner sehr gutaussehenden. Aber ich kann mit einer Prothese nichts anfangen und mit einer Vagina noch weniger. Ich schließe nicht aus, mich in einen Menschen verlieben zu können, aber wenn es nur um den reinen Sex und die reine Begierde geht, ist es mir egal, welcher Teil davon gesellschaftlich geprägt ist.
    Feminine Männer sind für mich Männer, aber sie sprechen mich nicht sexuell an, so wie mein bäriges Auftreten auch nicht jedem zusagt, so what? Daraus konstruiere ich keinen passiv aggressiven Vorwurf!
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