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Folge 14 von 53
Schwule Symbole im Film: Spiegel
Spiegel können nicht nur spiegeln, sondern dienen auch der eigenen Reflexion und der narzisstischen Liebe. In Märchen und vielen Filmen spielen sie mit unserer Wahrnehmung und Realität

Nachdenkliche Momente vor einem Spiegel in "Edge of Seventeen" (1998)
- Von
2. April 2023, 01:42h - 20 Min.
Diese Artikelserie wurde gefördert von der Homosexuellen Selbsthilfe e.V., www.hs-verein.de
Spiegel und Reflexionsfähigkeit – sich selbst und andere erkennen
Mit den Reflexionen des Wassers gab es für Menschen schon immer die Möglichkeit, sich selbst gespiegelt zu beobachten. Das Spiegelbild schien dabei schon immer mehr zu spiegeln als die bloße Reflexion, sondern erweckte den Anschein, als könne es auch das Unbekannte wiedergeben. Der Umgang mit unserem Spiegelbild sagt viel darüber aus, wie wir uns selbst sehen, und ist ein wichtiges Symbol der Selbsterkenntnis. In übertragener Bedeutung kann ein Mensch einem anderen einen "Spiegel vorhalten" oder sich spiegelnd verhalten und so nicht nur Reflexionsfähigkeit, sondern auch Sozialverhalten zeigen.
Alleine vor dem Spiegel – Reflexion
In vielen Filmen stehen schwule Männer in einem Moment der Ruhe und Konzentration vor einem Spiegel. Sie verharren, schauen sich genau an und denken über sich und ihre Situation nach. Meistens wird dabei nicht gesprochen. In diesen Szenen sind die Protagonisten oft halbnackt in Bad oder Schlafzimmer und in Bezug auf Raum und Kleidung erotisch eingebunden.
Von den mehr als 20 gefundenen Filmbeispielen möchte ich nur auf die bekannteren Filme hinweisen und auf einige, die auch online verfügbar sind. Blicke in den Spiegel zur Reflexion der eigenen Situation finden sich u.a. in dem Spielfilm "Tod in Venedig" (1971), wobei die Novelle von Thomas Mann deutlicher macht, dass Aschenbach hier über sein müdes Gesicht und seine grauen Haare reflektiert. Außerdem ist ein Spiegel zur Reflexion auch in "Coming Out" (1989), "Edge of Seventeen" (1998), "Alles wegen Benjamin" (2002) und "No night is too long" (2002). In "Strapped" (2010) nimmt der Stricher beim Blick in den Spiegel seinen Kapuzenpullover herunter, was den Aspekt eines unverstellten Blickes auf sich selbst noch erhöht. Vito Russo weist zu Recht darauf hin, dass am Ende des Thrillers "Cruising" angedeutet wird, dass die Morde auch den Ermittler Steve Burns (D: Al Pacino) verändert haben und dass er eventuell auch selbst gemordet hat. Das ist für Russo der Grund, warum Burns in der letzten Einstellung "in einen Spiegel starrt" ("Die schwule Traumfabrik", 1990, S. 188).
Kurzfilme sind häufiger online verfügbar. In "The Bridge" (2005, 2:05 Min., hier online) geht es um ein Paar vor einem Spiegel, in "Signage" (2007, 10:35 Min., hier online) denkt ein Mann eine halbe Minute lang wohl über sein Alter nach, im spanischen "Junto a ti" (2013, 0:30 Min., hier online) geht es um den verzweifelten Angel, der von einer Hochzeit kommt, und in "Dare the gap" (2014, 1:30 Min, hier online) löst der Blick in den Spiegel am Morgen die Erinnerung an die letzte Nacht mit einem Mann aus. Der Kurzfilm "Like Father, Like Daughter" (2012, hier online) mit einer schwulen Nebenhandlung ist ein Beispiel für eine recht phantasielose Einblendung von Spiegel-Szenen im Minutentakt.
Alleine vor dem Spiegel – ausgesprochene Reflexion
Manchmal werden die Gedanken und Gefühle der Protagonisten ausgesprochen oder sind aus dem Off zu hören und verdeutlichen so deren Gefühlswelt. Dazu gehört die Szene in "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt" (1971, 7:00 Min., hier online), in der Clemens vor seinem Spiegel sitzt und dabei zu dem Schluss kommt, dass erst mit Daniel für ihn ein neues Leben anfange: "Erst jetzt wurde mir klar, dass mein ganzes Leben bisher trostlos und grau war."
In "Closing Numbers" (1993) führt Frank Mills vor dem Spiegel ein Selbstgespräch über seine Einstellung zu seinem schwulen Sohn: "Erwartest du ernsthaft von mir, dass ich das akzeptiere?" In "Erdbeer und Schokolade" (1994) spiegelt sich David in einem Schaufenster und macht sich (aus dem Off) Gedanken darüber, warum er sich auf den schwulen Diego einlässt: "Oder machst du das mit dem Schwulen nur, um dich von deinen eigenen Problemen abzulenken?" In "Pornography – Ein Thriller" (2009) betont ein Mann: "Manchmal, wenn ich in den Spiegel blicke, kommt es mir vor, als ob das nicht wirklich mein Gesicht sei."

Der Spiegel in "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt"
Onanieren vor dem Spiegel – Reflexion und Einsamkeit
Manche Heterosexuelle fragen sich, ob sich schwule Männer – im Gegensatz zu Heterosexuellen – auch an ihrem eigenen männlichen Spiegelbild sexuell erregen können. Damit wäre Narzissmus ein spezifisch schwules (und lesbisches) Thema und das Wichsen schwuler Männer vor einem Spiegel Ausdruck von Narzissmus. Dazu passt eine Filmszene in "Liebesspiele junger Mädchen" (1972), worin sich die Vermutung von Homosexualität bei einem Schüler auch darauf begründet, dass er länger als andere vor dem Spiegel steht.
Es gibt diverse Filmszenen, in denen schwule Männer vor ihrem Spiegelbild wichsen, wie in "Eine Liebe wie andere auch" (1983), "Coming Out" (1989), "Arie" (2005), "Oben ist es still" (2013) und im Kurzfilm "Brüder" (2005, 19:55 Min., s. a. 22:55 Min., hier online). Sie tun dies jedoch nicht, um sich an dem Mann, den sie sehen, zu erregen. Wie beim Thema Onanieren im Allgemeinen schon ausgeführt (Folge 5), werden Wichs-Szenen fast immer als Sinnbild für Einsamkeit eingesetzt, wobei sich mit einem Spiegel noch deutlicher vermitteln lässt, wie Schwule mit ihrem Begehren (angeblich) auf sich selbst zurückgeworfen werden. In "Broken Sky" (2006) wird ein Mann von seinem Partner abgewiesen und versucht danach, sich an seinem eigenen Spiegelbild sexuell zu erregen – übrigens erfolglos. Das Wichsen von David in "David's Birthday" (2009) ist eine der wenigen Ausnahmen, in denen Wichsen nicht nur wie eine selbstbewusste, sondern auch wie eine narzisstische Handlung wirkt.

Wichsen vor einem Spiegel aus Einsamkeit in "Arie" (2005)
"Spiegelbild im goldnen Auge"
Der Film "Spiegelbild im goldnen Auge" (1967) gilt wegen "der Vielzahl von Spiegelmotiven" als "filmhistorisch bemerkenswert", wobei sich der Titel vor allem auf die Darstellung des homosexuellen Majors Weldon Penderton (D: Marlon Brando) bezieht. Der "emotional gänzlich isolierte" und "abstoßend eitle Weldon" wird in vielen Szenen gezeigt, in denen er sich im Spiegel betrachtet. "Fast alle Innenräume des Schauplatzes sind mit Spiegeln ausgestattet, in vielen Einstellungen ist die Kamera auf einen Spiegel gerichtet und zeigt die handelnden Personen als Reflexion." Ein Streit zwischen Weldon und seiner Frau Leonora spiegelt sich im Auge einer dritten Person wider (Wikipedia). Vito Russo schreibt zu diesem Film: "Die schockierendste Szene zeigt Brando vor einem Spiegel, wo er sich Make-up und Cold Cream ins Gesicht kleistert", weil damit (stereotyp) seine "weibliche" Rolle gezeigt wird ("Die schwule Traumfabrik", 1990, S. 134).

Ein früher Film mit viel Spiegel-Symbolik: "Spiegelbild im goldnen Auge" (1967)
"Der talentierte Mr. Ripley"
In Unterrichtsmaterialien zu "Der talentierte Mr. Ripley" (1999, hier als PDF) wird nicht nur auf die Homoerotik zwischen Tom Ripley und Dickie eingegangen, sondern auch auf die Bedeutung der "zahlreichen Spiegelungsszenen", um damit "Toms Seelenzustand aufzuzeigen". "Beim Schachspiel in der Badewanne spiegelt sich Tom im Wasser, nachdem er Dickie seine Gedanken preisgegeben hat" und im Zug nach San Remo spiegelt sich Toms und Dickies Gesicht im Abteilfenster, was eine "visuelle Verschmelzung der beiden Charaktere" zum Ausdruck bringen soll.
"Maricón" und "Bed Buddies"
Am Ende des spanischen Kurzfilms "Maricón" (2005) schreibt ein Mann nach einem One-Night-Stand das Wort "Maricón" auf den Spiegel im Flur seines Sexpartners. Das Wort ist abwertend und lässt sich mit "Schwuchtel" übersetzen. Damit ist der Spiegel mit der Schrift nicht nur prägend für den Filmtitel, sondern als Träger dieser Nachricht noch deutlicher ein Mittel der Reflexion über die vorige Nacht.
Es ist eine Ausnahme, wenn in einem Kurzfilm wie "Bed Buddies" (2015) drei Freunde nach einer gemeinsamen Nacht über die Grenze zwischen Freundschaft und Liebe reflektieren und dabei – zufällig anmutend – gleichzeitig in drei ovalen Spiegeln zu sehen sind.

Drei Männer und drei Spiegel in "Bed Buddies" (2015, Ausschnitt)
Der Spiegel als Metapher
Wenn in schwulen Filmen der Spiegel als Metapher eingesetzt wird, geht es in unterschiedlichen Variationen fast immer ebenfalls um die Reflexion der eigenen Situation oder die Situation eines anderen. So heißt es in der Schlussszene von "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt" (1971, 1:00:10 h, hier online): "Wenn Schwule zusammen sind, entsteht eine gespannte Atmosphäre. Man sieht in dem anderen ein Spiegelbild der eigenen Schwierigkeiten." Hermann J. Huber weist im Kontext des Films "Gewalt und Leidenschaft" (1974) darauf hin, dass der Professor (D: Burt Lancaster) den jungen Konrad (D: Helmut Berger) als eine Art Spiegelbild von sich selbst sieht ("Gewalt und Leidenschaft", 1989, S. 78) und in Rainer Werner Fassbinders "Querelle" (1982) sagt der Vorgesetzte über Querelle: "Es ist, als wenn er sich in sich selbst spiegeln würde. Als betrachte er sich unter einem Vergrößerungsglas." In "Drift" (2000) wird die Suche nach der großen Liebe als ein Kampf mit dem Spiegel bezeichnet und mit der Äußerung von Patrick zu seinem Freund in dem Kurzfilm "Der Brief" (2008) "Du hast Angst vor dem, was du im Spiegel siehst" ist die Angst vor seiner nicht eingestandenen Homosexualität gemeint.
Auch einzelne Folgen der US-Serie "Queer as Folk" greifen den Spiegel als Metapher auf, wie in einer Szene, in der Michael seinen biologischen Vater kennen lernt und dieser angibt, dass er Michael wie in einem Spiegel wahrnehme (Folge 2/13). Später wird betont, dass Freunde wie ein Spiegelbild sein könnten (Folge 4/3).
Sich spiegelnd verhalten – Sozialverhalten
Eine inhaltliche Nähe zu Spiegeln haben Szenen, in denen sich Schwule weitgehend synchron zu ihrem Gegenüber bewegen. Als pädagogische Übung wie in "You are not alone" (1978) macht dies eine Aussage darüber, wie man sich auf andere einstellen kann und harmonisiert. Wer mitbekommt, dass sich ein fremder Mensch, scheinbar unabsichtlich, genauso verhält und bewegt wie man selbst, denkt dabei wohl sofort auch an innere Übereinstimmung. Dazu gehören die gespiegelten Bewegungen in "Shame no more" (1999), "This car up" (2003), "Park Bench" (2007) und die gespiegelten Bewegungen beim ersten Sex von zwei Brüdern in "From Beginning to End" (2009).

Sich spiegelnd verhaltende schwule Männer in "Park Bench" (2007)
Spiegel und Narzissmus – sich selbst lieben
Vor rund 2000 Jahren erzählte Ovid in seinen "Metamorphosen" die homoerotische Sage vom schönen Jüngling Narcissus, der sich weder in Frauen noch in Männer verliebte. Als er sich in sein eigenes Spiegelbild im Wasser verliebte, ertrank er bei dem Versuch, seinem Spiegelbild bzw. sich selbst näher zu kommen. Der Begriff "Narzissmus" bezieht sich auf diese Sage und meint Selbstverliebtheit, die im Film sehr häufig durch einen Spiegel zum Ausdruck gebracht wird. Auch die Motive Selbsterkenntnis, Selbstfindung und egozentrische Sexualität sind im Narcissus-Mythos angelegt.
Schwule Selbstliebe und der Spiegel
Die erste relevante Szene in der Filmgeschichte ist wohl die in "The Soilers" (1923, 19:28 und 23:10 Min., hier online), wo sich ein Mann, der sich stereotyp schwul verhält, in einem Spiegel betrachtet und sich dabei selbst Luftküsschen zuwirft. In "Pfahl in meinem Fleisch" (1969) und den späteren Filmen "Kopfüber" (1998) und "Birthday Time" (2000) wird das Spiegelbild in erkennbar selbstverliebter Weise geküsst. (Es ist ein gänzlich anderes Küssen als in "Formula 17" von 2004, wo Bai Probleme hat, einen Mann zu küssen und mit einem Spiegel vorher das Küssen üben soll).
Der japanische Autor Yukio Mishima wird in "Mishima" (1985) als Narzisst gezeigt, wie er sich nach dem Sport, den er nicht nur aus sportlichen, sondern auch aus ästhetischen Gründen betreibt, im Spiegel beobachtet und sich in späteren Jahren nicht mehr im Spiegel ansehen möchte. Das bekannteste Beispiel ist aber wohl Pedro Almodóvars "Gesetz der Begierde" (1987), worin in der Anfangsszene ein junger Mann nach Regieanweisungen alleine vor einem Spiegel erotisch posiert und sich so sexuell erregen soll.
In "Sitcom" (1998) verändert sich mit Nikolas' Coming-out auch sein Blick in den Spiegel. Zuerst ist es ein zaghafter schüchterner Blick, kurze Zeit danach hat er die Brille abgelegt, sich modische Kleidung zugelegt und fährt sich beim narzisstischen Blick in den Spiegel galant durch die Haare. In "Im Spiegel des Sommers" (2006) betrachtet sich Xavier Dolan (als Julien) auf ähnliche Art narzisstisch in einem Spiegel, und als Regisseur hat er den Film sogar nach einem Spiegel benannt.

Das kanadische Wunderkind Xavier Dolan als Darsteller des narzisstischen Julien in "Im Spiegel des Sommers" (2006)
In "Watch out" (2008) bestimmt der schwule Narzisst Jonathan die gesamte Handlung, er macht von sich Polaroid-Fotos wegen der Vergänglichkeit seiner Schönheit und ist auch in vielen Szenen vor einem Spiegel zu sehen. In dem Animationsfilm "Mr. Carefree Butterfly" (2017, 0:15 Min., hier online) fragt sich der schwule Protagonist, warum er eigentlich so hübsch ist.
In der US-Serie "Queer as Folk" wird Brian als typischer egozentrischer Narzisst dargestellt. Deutlich wird dies, als er sich im Spiegel betrachtet und zu sich selber sagt: "Ich würde dich ficken" (Folge 1/2). Drei Folgen später stellt er sich noch einmal vor den Spiegel, als er darüber nachdenkt, sich zu prostituieren (Folge 1/5).
"Narcissus" und "Das Bildnis des Dorian Gray"
Es gibt zwei wichtige kulturhistorische Bezüge, auf die Filme mit Spiegel-Szenen gerne zurückgreifen. Einer dieser Bezüge ist die homoerotische Sage vom schönen Jüngling Narcissus, auf den der Film "Pink Narcissus" (1971) durch seinen Titel unmittelbaren Bezug nimmt und der die antike Sage als homoerotisches Kitschkunstwerk auch mit einer ganzen Spiegelgalerie präsentiert. In dem koreanischen Film "A Crimson Mark" (2004, 5:13 Min., hier online) ist es nur ein kurzer Hinweis, der die Liebe zwischen zwei Angestellten mit Narcissus in Verbindung bringt.
Die filmhistorisch bedeutendste Narzissmus-Variation ist aber wohl Oscar Wildes mehr als 20-mal verfilmter Roman "Das Bildnis des Dorian Gray". Der narzisstische Dorian Gray träumt davon, ewig jung zu bleiben. Diese Sehnsucht erfüllt sich und nicht er, sondern ein Gemälde von ihm altert an seiner Stelle. Auf diese Weise wird das Gemälde zum "Spiegel seiner Seele" (Axel Schock / Manuela Kay: "Out im Kino", 2003, S. 56-57). Die narzisstische Liebe enthält schon in Wildes Text homoerotische Anspielungen. Die Filmfassung "Das Bildnis des Dorian Gray" (2009) unterstützt das narzisstische Element mit mehreren Spiegel-Szenen.
Auch Rosa von Praunheim zeigt in seinem Film "Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt" (1971, hier online) nicht nur eine Spiegel-Szene (7:00 Min.), sondern geht im Kontext von Narzissmus auch auf Wildes "Das Bildnis des Dorian Gray" ein (9:25 Min.).
Wildes Narzissmus-Story wird in "Seeing Heaven" (2010) gekonnt variiert. Der junge attraktive Paul möchte allerdings nicht durch ein Gemälde, sondern durch die Mitwirkung in einem Pornofilm ewig jung bleiben: "Ich werde älter, aber die Aufnahmen bleiben gleich." Die Geschichte wird sogar ausgebaut. Pauls Spiegelbild – als Reflexion eines Spiegels und von Wasser in einer Pfütze – zeigt nicht nur ihn, sondern auch seinen fiktiven Bruder, den Paul als eine Art Spiegelbild von sich selbst wahrnimmt.

Eine Zeichnung als Narcissus-Referenz in "Seeing Heaven" (2010)
"Die Simpsons" – wenn Homer mit sich selber Sex hat
Erstaunlich facettenreich wird Narzissmus in der US-Serie "Die Simpsons" dargestellt. So erfreut sich Homer (in alkoholisiert-verklärter Betrachtungsweise) im Spiegel nicht nur seiner Attraktivität (Folge 4/16), sondern spricht sein Spiegelbild auch mit "Hallo, Hübscher" an (Folge 2/4) und möchte seine eigene Telefonnummer haben (Folge 9/23). Es gibt unterhaltsame Szenen, in denen sich Homer eine Marge-Perücke aufsetzt und sein Ebenbild liebt (Folge 5/16), seine eigenen "weiblich" wirkenden Brüste als erotisch empfindet (Folge 18/1) und sich an einem Spiegel verletzt (Folge 21/9).

Homer bekommt nach dem Sex mit seinem Spiegelbild acht Kinder ("Die Simpsons", Folge 16/10)
In der deutlichsten Szene küsst Homer einen aus dem Spiegelbild entstandenen zweiten Homer und bekommt mit ihm acht Kinder (Folge 16/10). Den Produzenten gefiel die Vorstellung, dass Homer "beide Seiten der Beziehung" darstellen und "mit sich selber schlafen" kann (DVD-Kommentar zu Folge 5/16). Der facettenreiche Umgang mit Narzissmus spiegelt damit nicht nur die Kreativität der Produzenten, sondern auch die Wandlungsfähigkeit einer alten griechisch-römischen Sage wider, bei der die Liebe zum eigenen Körper in homoerotischer Lesart als eine Liebe zum gleichgeschlechtlichen Körper rezipierbar ist.
Schwuler Sex vor dem Spiegel

Sex vor dem Spiegel in "Eating Out 3" (2009)
Manchmal wird der Sex von Schwulen vor einem Spiegel inszeniert und wirkt dadurch erotischer und ausdrucksstärker. So verbindet "Gegen die Schwerkraft" (1997) den Spiegel mit einem Coming-out, indem sich die beiden Männer erst in dem Moment als begehrenswert "erkennen", als sie sich gegenseitig im Spiegel sehen. In "Another Gay Movie" (2006) wird vor dem Spiegel Sport getrieben, die Muskeln werden präsentiert und später wird narzisstisch getanzt. Auch "Eating Out 3" (2009) und "Everybody Is Having Sex but Ryan" (2009, 9:25 Min., hier online) zeigen Sex vor einem Spiegel in anregenden, wenn auch nicht unbedingt symbolisch bedeutsamen Szenen.
Pornos – Spiegel und Narzissmus
In Schwulenpornos wirken Spiegel mit ihrer unmittelbar sexuellen Wirkung fast immer wie ein Ausdruck von Narzissmus. Diese Wirkung wird erreicht, wenn sich Männer nackt ("Twink Butt!") bzw. halbnackt ("Leather inside") auf ihr Spiegelbild beziehen. Besonders deutlich wird Narzissmus, wenn sich die Männer mit einer Erektion im Spiegel begutachten ("Flirting with Porn", "Jocks from Brazil") oder Sex mit anderen vor einem Spiegel haben ("Raw Mirrored Sex").
Eine Wichs-Szene vor einem Spiegel ist in dem Kult-Porno "Score" (1974) enthalten. Der Porno "Blue Danube" (= Blaue Donau) verweist mit seinem umgangssprachlich doppeldeutigen Titel und in Verbindung mit der Bildgestaltung auf das (übertriebene) Onanieren vor einem Spiegel hin. (Eine Erklärung zu "Blue Danube": "When your penis goes blue from wanking it too hard. Excessively choking the chicken all day, until the head of your cock goes blue, or even purple"; s. Urbandictionary).

Narzissmus im Porno: "Twink Butt!"
Spiegel und Wahrnehmung – sich von Spiegeln verzaubern lassen
Ein Spiegel eignet sich auch gut dazu, mit der Wahrnehmung und der Realität zu spielen. Sich im Traum in einem Spiegel anzuschauen steht für Selbsterkenntnis. In Märchen bringt der Spiegel die Wahrheit an den Tag und ist ein Tor zu einer anderen Welt. In Märchen wie "Schneewittchen" oder Andersens "Die Schneekönigin" hat der Spiegel eine magische Bedeutung, in "Harry Potter und der Stein der Weisen" (2001) zeigt er, wie sich die betrachtende Person am liebsten selbst sehen würde, und in Jean Cocteaus "Orphée" (1949) ist der Spiegel ein Tor zur Unterwelt.
Träume und Vampire – Irreales
Spiegel in schwulen Träumen sind in ähnlicher Form wie in Märchen mystisch, surrealistisch verklärt und manchmal ebenso schwer zu verstehen: In "The living end" (1992) ist es der Traum, in einen Spiegel zu fallen, in "The Fruit Machine" (1988) ist es ein erotischer Spiegel-Traum mit einem Mann und in "The Fluffer" (2001) geht es um einen Traum, bei dem sich Männer von beiden Seiten des Spiegels küssen. In "Fantabulous" (2009, 2:15 Min., hier online) träumt ein Jüngling davon, ein Travestiestar zu sein, der sich in einem Spiegel selbst zuzwinkert. In "War within" (2017, 1:50 und 2:22 Min., hier online) sieht ein schwuler Muslim im Spiegel wie in einem Traum neben seiner Freundin plötzlich einen zweiten Mann stehen. Zuvor hat er sein eigenes Spiegelbild angespuckt.
In klassischen Vampirfilmen werden Vampire nicht von Spiegeln erfasst. Aus diesem Grunde kann sich der schwule Vampir Herbert von Krolock in "Tanz der Vampire" (1967, hier Auszug online), im Gegensatz zu Alfred (D: Roman Polański), auch nicht im Spiegel sehen.

In Tanz der Vampire" (1967) ist im Spiegel nur Roman Polański (l.), aber nicht der schwule Vampir Herbert (r.) zu sehen
Einen ähnlich irrealen Hintergrund haben nicht nur andere Vampirfilme, sondern offenbar auch eine Szene in "Pornography. Ein Thriller" (2009), wo betont wird: "Manchmal, wenn ich in den Spiegel blicke, kommt es mir vor, als ob das nicht wirklich mein Gesicht sei."
Kaputte Spiegel – Zerrissenheit
In Filmen verweisen kaputte Spiegel oft auf innerlich zerrissene Persönlichkeiten. Das kann daran liegen, dass in einem sprichwörtlichen Sinne eine Freundschaft oder etwas anderes "einen Riss" bekommen hat. So lässt sich auch der Spiegel interpretieren, der bei einem Streit zwischen zwei Schwulen in "Das Stunden-Hotel von St. Pauli" (1970) kaputtgeht. Deutlicher ist der Riss im Spiegelgesicht von Dorian in "Das Bildnis des Dorian Gray" (2009), als dieser seine Seele dem Teufel verkauft. In "Safe Journey" (2002, 8:35 Min., hier online) und in "Gods prefer Men" (2012, 5:05 Min., hier online) entspricht der kaputte Zustand der Spiegel ungefähr dem Zustand der Männer, die in sie hineinschauen. In "Die Nacht aus Blei" (1985, hier online) von Petr Weigl nach einem Roman von Hans Henny Jahn gehören kaputte Spiegel (5:05 Min, 19:00 Min.), die sich selber wieder zusammensetzen (11:50, 29.25 Min.) zu den stilistischen Mitteln in dem Film, der nur aus surrealistischer Symbolsprache besteht.
Auch Wutanfälle von Schwulen, durch die Spiegel zu Bruch gehen, haben eine ähnliche Bedeutung, wie in "The Last Time I Saw Richard" (2014), "Eden" (2014) und der "Criminal Minds"-Folge "Verdorben" (Folge 8/15, 2013). Hierher gehört auch ein Filmbild, dass in "Amphetamin" (2010) wie ein Spiegel in tausend Teile zerspringt. In "Der Heilige" (1996) steht der kaputte Spiegel mit der Ermordung von St. Sebastian in Verbindung.

In "Lilies" (1996) vermischt sich das Spiegelbild eines Christen mit dem Bild von Jesus
Für die Darstellung von Zerrissenheit ist ein kaputter Spiegel nicht unbedingt notwendig. Das Glas eines Bilderrahmens spiegelt in "Lilies" (1996) das Gesicht des religiösen Bilodeau, das sich mit dem Bild von Jesus Christus in diesem Rahmen überschneidet und damit die Kritik an seinem religiösen Fanatismus auch bildlich untermauert.
Trans* – das Wunschgeschlecht in Scherben

Der Spiegel als wichtiges Element im Drama "I want what I want"
Für trans Personen, die in Filmen eine operative Geschlechtsangleichung anstreben, haben Spiegel in Bezug auf das Zielgeschlecht eine besondere Bedeutung. Der Film "I want what I want" (1972, 1:23:40 h, hier online) wird sogar mit dem Motiv beworben, dass Roy Clark (später Wendy Ross) in den Spiegel schaut und dabei eine Frau erkennt. Mit dem Versuch, sich mit einer Scherbe des zerbrochenen Spiegels selbst zu kastrieren, hat der Spiegel über die Reflexion hinaus noch eine weitere Bedeutungsebene. Auf queer.de ist an diesen Film bereits ausführlich erinnert worden.
In der "Tatort"-Folge "Zwischen den Ohren" boxt die intergeschlechtliche Nadine aus Wut auf einen Spiegel ein und tötet sich danach mit einer der Scherben (Folge 810, 2011). Spätere Filme sind weniger dramatisch angelegt: In "Boy" (2014) betrachtet sich die trans Person Emilie vor dem Spiegel und malt sich darauf einen Penis. In "Something must break" (2014) spuckt Sebastian (bzw. Ellie) ihr Spiegelbild an, weil es offenbar nicht zeigt, was sie sich wünscht.
In einigen Filmen geht es nicht um eine angestrebte Geschlechtsangleichung, aber im weiteren Sinne um die gesellschaftliche Erwartungshaltung bezüglich der Geschlechterrollen. Zu diesen Filmen zählt "Mein Leben in Rosarot" (1997) über den Jungen Ludovic, der lieber ein Mädchen wäre, vor einem Spiegel in übertriebener Weise versucht, "männlich" zu wirken, und sich dabei machohaft an seinen Penis greift. Als sich Logan in "Wild Tigers I Have Known" (2006) als Frau gekleidet im Spiegel betrachtet, geht wegen des kaputten Spiegels ein Riss durch Logans Spiegelgesicht. In "Another Gay Movie" (2006) träumt ein Schwuler von einem Auftritt als Travestiestar, worauf der Spiegel, der dies abbildet, in tausend Scherben zerspringt. In "J. Edgar" (2011) wird in einer langen und intensiven Einstellung gezeigt, wie der FBI-Chef J. Edgar Hoover (D: Leonardo DiCaprio) vor einem Spiegel die Kette und das Kleid seiner Mutter anzieht und dann weinend zusammenbricht. Hoovers angenommene Homosexualität und sein Wunsch, Frauenkleidung zu tragen, wurden in Filmen schon mehrfach aufgegriffen.

Zerrissene Persönlichkeit in "Wild Tigers I Have Known" (2006)
Zwillingsbrüder vor dem Spiegel – doppelte Dualität
In einigen Wochen werde ich noch ausführlich das Thema Zwillingsbrüder behandeln. Es ist jedoch sinnvoll, hier schon mal auf die Filme einzugehen, bei denen das Motiv der Zwillingsbrüder mit dem des Spiegels kombiniert wird. Ein frühes Beispiel dafür ist "Ein irrer Typ" (1977), worin Jean-Paul Belmondo in einer Doppelrolle als heterosexueller Mike Gaucher und als schwuler Bruno Ferrari zu sehen ist und beide Filmfiguren auch vor dem Spiegel ins Gespräch kommen.

In "Ein irrer Typ" (1977) ist Jean-Paul Belmondo zärtlich zu sich selbst
Der schwule Zorro beschriftet in "Zorro mit der heißen Klinge" (1981) mit einem "Z" seinen Spiegel, was nur deshalb erwähnenswert ist, weil er das "Z" mit einem Lippenstift schreibt, was sich als stereotype Form der Darstellung mit Homosexualität in Verbindung bringen lässt.
Der Film "Seeing Heaven" (2010) spielt mehrfach mit dem Motiv des Spiegels und einem fiktiven herbeigesehnten Bruder, von dem angenommen wird, dass er die eigene Persönlichkeit widerzuspiegeln vermag. Das Spiel der beiden schwulen Zwillingsbrüder Jan und Daniel mit einem Spiegel in "Zwillinge" (2010, 1:50 Min., hier online) bleibt etwas unklar. Es erinnert mich ein wenig an "Teenage Kicks" (2016), worin sich Miklós und sein Bruder Tomi doppelt im Spiegel sehen, was ebenfalls im Kontext von Identitätssuche und Dualität inszeniert ist. Dieser Film sei hier erwähnt, auch wenn es dabei "nur" um Brüder, aber nicht um Zwillingsbrüder geht.
Der Spiegel in zwei Arte-Kompilationen
Weil François Ozon einer der wichtigsten Vertreter des queeren Kinos ist, möchte ich auf die Arte-Kompilation "François Ozon aus musikalischer Sicht" (hier online, 2:40-3:30 Min.) hinweisen, die auch auf die Spiegel-Inszenierungen in seinen Filmen eingeht. In "Unter dem Sand" (2000) kommt "in einem Spiegelbild zum Ausdruck", dass eine Frau mit dem Verschwinden ihres Mannes konfrontiert wird. In "Die Zeit, die bleibt" (2005) zeigt das Spiegelbild eines Mannes ihn selbst als kleinen Jungen und führt ihn damit "in die Vergangenheit zurück". In "5 x 2" (2004) kündigen Spiegelungen die Trennung des Paares an, während in "Blicke aufs Meer" (1997), "Jung & schön" (2013) und "Der andere Liebhaber" (2017) die Spiegel "Unbeständigkeit und eine Aufspaltung zum Ausdruck" bringen. An dieser Stelle möchte ich noch ergänzen, dass die Mordphantasie von Franz in Ozons "Tropfen auf heiße Steine" (2000) zwischen zwei Szenen eingebettet ist, in denen sich Franz in drei Spiegeln gleichzeitig betrachtet.
Auch die Arte-Kompilation "Der Spiegel im Film" (00:40-3:45 Min., hier online) sei hier angeführt, weil darin mit "Das Blut eines Dichters" und "Orphée" zwei Filme des bisexuellen Jean Cocteau behandelt und mit Filmszenen zitiert werden. Zunächst zeigen Beispiele, wie der Spiegel für Zeitsprünge in die Vergangenheit eingesetzt wird. "Mit Spiegeln kann man aber auch in düstere Gefilde geführt werden", wie in "Orphée" in die Welt der Toten. Es wird auf verwunschene Spiegel eingegangen und die Spiegel, die, wie in Vampirfilmen, nicht die Realität widerspiegeln. Im Kontext von Dualität werden vor einem Spiegel Selbstgespräche geführt und mit ihm gespaltene Persönlichkeiten dargestellt. Ein kaputter Spiegel deutet – so Arte – "auf Selbstzweifel hin".

In "Orphée" von Jean Cocteau ist der Spiegel ein Tor in die Unterwelt
Pornos – Spieglein, Spieglein an der Wand
Ich habe nur einen Schwulenporno gefunden, der thematisch in dieses Kapitel gehört: "Magic Mirror" (2008) bezieht sich mit dem Text "Mirror, mirror on the wall" unmittelbar auf das Märchen "Schneewittchen" der Brüder Grimm. Als dieser Film einige Jahre später als "Magic World" (2017) noch einmal auf den Markt kam, verwies man auf die Geheimnisse eines Spiegels und dessen magische Welt: "the sexy secrets of a mirror is gorgeously filmed".

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