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Streamingtipp
Ein schwuler Oskar Schindler
Die neue Netflix-Serie "Transatlantic" erzählt die Geschichte des US-Journalisten Varian Fry, der Anfang der 1940er Jahre zusammen mit dem "Emergency Rescue Committee" über 2.000 jüdischen Künstler*innen und Intellektuellen zur Flucht aus dem besetzten Frankreich verhalf.

Szene aus "Transatlantic": Cory Michael Smith spielt den schwulen Journalisten Varian Fry (Bild: Anika Molnar / Netflix)
7. April 2023, 05:50h 4 Min. Von
Es gibt nur wenige bekannte queere Menschen im Widerstand, die sich aktiv gegen das Hitler-Regime engagiert haben. Sophie Scholls Bruder Hans Scholl soll bisexuell gewesen sein, in England entschlüsselte der schwule Informatiker Alan Turing den Enigma-Code der Deutschen; Turing wurde später zwangssterilisiert und beging nach dem Zweiten Weltkrieg Selbstmord.
Nun kommt eine Serie zu uns, die einen wenig bekannten schwulen Mann ins Zentrum rückt: Varian Fry. Obwohl mitten in Berlin, am Potsdamer Platz, eine Straße nach ihm benannt ist, dürften nur die Wenigsten seine Geschichte kennen. Varian Fry war amerikanischer Journalist, der im Auftrag des "Emergency Rescue Committee" über 2.000 jüdische Menschen sowie Oppositionelle, darunter viele Künstler*innen und Intellektuelle, via Marseille zur Flucht verhalf. Die US-Drehbuchautorin Anna Winger hat nun für Netflix eine siebenteilige Serie namens "Transatlantic" geschrieben, die die Künstler*innen-Szene in Marseille porträtiert – und erzählt, wie Varian Fry den Menschen half.
Marseille als letzte Hoffnung Tausender Verzweifelter

Poster zur Serie: "Transatlantic" kann seit 7. April 2023 auf Netflix gestreamt werden
Marseille – das war zu Beginn der 1940er Jahre Fluchtpunkt, Durchgangsstation und Hafen in eine neue Welt zugleich. Die Stadt wurde zur letzten Hoffnung Tausender Verzweifelter, die vor Hitlers vorrückender Wehrmacht flüchteten. Die Schriftstellerin Anna Seghers, die selbst eine jene Personen war, die von Varian Fry und dem "Emergency Rescue Committee" gerettet wurde, hat die Szenerie in Marseille in ihrem Roman "Transit" beschrieben, als sie in Mexiko im Exil lebte.
Varian Fry, der im Auftrag des Komitees in Marseille mit anfangs 200 Visa einer Anzahl handverlesener Intellektueller die Ausreise in die USA ermöglichen will, wird jedoch vom Ansturm unzähliger Hilfesuchender überwältigt. Mit einigen Mitstreiter*innen, darunter die amerikanische Erbin Mary Jayne Gold und der aus Berlin geflüchtete Otto-Albert Hirschmann, erwägt Fry, eine wachsende Zahl von Flüchtlingen in eine Villa in einem Vorort von Marseille einzuquartieren. Die Zwangsgemeinschaft der Villenbewohner*innen vertreibt sich die Zeit mit Partys mit geschmuggeltem Champagner, spielt Karten oder Boule – und wartet auf die rettende Nachricht, dass das Visum bewilligt wurde. Die Gesellschaft, die sich dort versammelte, war ohne Übertreibung das "Who is who" der damaligen europäischen Künstler*innen- und Intellektuellenszene: Max Ernst, Lion Feuchtwanger, Hannah Arendt, Heinrich und Golo Mann und viele andere.
Bekannte Menschen in privaten Momenten
"Transatlantic" ist auch ein Spiel mit allerlei undurchsichtigen Akteuren, etwa einem amerikanischen Konsul mit Nazi-Sympathien, Vichy-Polizisten und britischen Geheimdienstler*innen. All das liefert Stoff für einen Krimi ganz eigener Art – der allerdings die Künstlerinnen und Intellektuellen etwas in den Hintergrund treten und die Figuren verblassen lässt.

Heimliche Lover: Varian Fry (Cory Michael Smith) und Thomas Lovegrove (Amit Rahav) in "Transatlantic" (Bild: Anika Molnar / Netflix)
Anna Winger ließ sich bei ihrem Drehbuch vom Romanbesteller "The Flight Portfolio" von Julie Orringer beeinflussen. Das Buch ist natürlich noch sehr viel ausführlicher, erzählt Anna Winger, sie musste kürzen – aber die Geschichte selbst faszinierte sie von Anfang an. "Ich liebte die Idee, diese bekannten Leute zu porträtieren, wenn sie mal nicht im Rampenlicht stehen, in ihren privaten Momenten, als sie sehr schlecht vorbereitet waren auf diese Art des Transits in ein anderes Land. Sie erleiden verschiedenste Qualen, wir sehen sie nicht als Giganten, die sie ja waren, sie waren schlau und ihre Leistungen zur Kultur der Zivilisationen war enorm, aber: Sie waren auch Menschen. Ich fand das spannend, weil es zeigt, wie Freundschaft, Kreativität, Liebe, Sex und Romanzen uns daran erinnern, dass wir lebendig sind, auch in einer Krise."
Opulente Bilder, kostbare Kostüme
Die Serie besticht, bei aller Dramatik der einzelnen Schicksale, durch opulente Bilder der südfranzösischen Küste, kostbare Kostüme und eine sehr amerikanische Erzählweise, die leichtfüßig daherkommt und zuweilen etwas in den Kitsch abrutscht. Und doch ist "Transatlantic" eine wunderbare Möglichkeit, der Biografie Varian Frys nahezukommen. Fry hat in der Serie einen schwulen Liebhaber, der ihm seine Villa zur Verfügung stellt – doch die schwule Liebe bleibt nicht unentdeckt und schafft Fry Probleme. Da die USA sich zunächst nicht in den Zweiten Weltkrieg einmischen wollte, wurde Frys Arbeit ohnehin schon mit Argwohn betrachtet, jüdische Künstler*innen und Intellektuelle als Linke gebrandmarkt.
Und auch im richtigen Leben wurde Fry wenig Dankbarkeit entgegengebracht: Er musste sich nach dem Sieg der Allierten über Nazi-Deutschland mit Gelegenheitsjobs und als Lehrer über Wasser halten und starb 1967 im Alter von nur 60 Jahren. Erst 1994 wurde Fry in der Gedenkstätte Yad Vashem in Israel als "Gerechter unter den Völkern" geehrt.
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Der schwule jüdische Wilfried Israel, ein Warenhauserbe aus Berlin konnte dank seiner englischer Mutter und Kontakte zur englischen Regierung Deutschland verlassen und kaufte mir seinem Vermögen tausende jüdischer Männer um 1938 aus deutschen KZs frei. Ebenso finanzierte er die Kindertransporte nach England. Er wurde von der Luftwaffe im gleichen Flugzeug abgeschossen wie der Schauspieler Leslie Howard, der ebenfalls im Widerstand tätig war. Israel war mit Albert Einstein bekannt und Vorbild für die Figur Landauer in Isherwoods Goodbye to Berlin/Cabaret.
en.m.wikipedia.org/wiki/Glamour_Boys_(politicians)
de.m.wikipedia.org/wiki/Wilfrid_Israel