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Spektakel in Liverpool
Eurovision 2023: Das sind die Songs
Nur noch ein Monat, dann werden wieder europaweit Punkte, Komplimente und Geläster vergeben. Ein Überblick mit Video-Galerie aller Beiträge.

Lord of the Lost (Deutschland), Käärijä (Finnland), Marco Mengoni (Italien) und Loreen (Schweden)
10. April 2023, 10:40h 4 Min. Von
"United by Music" – das ist das Motto, unter dem 37 Länder in diesem Jahr im Kampf um den Siegerpokal in den musikalischen Ring des Eurovision Song Contest steigen. Der damit propagierte unpolitische Charakter des Wettbewerbs wird in Liverpool durch die europäische Rundfunkanstalt EBU erneut nur schwerlich zu vertreten sein, steht doch das TV-Event unter dem Schatten zahlreicher Zerrüttungen innerhalb der europäischen Innen- und Außenpolitik und insbesondere des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine.
Zum ersten Mal seit 1980 findet der ESC daher auch nicht im Gewinnerland statt. Nach dem Sieg der ukrainischen Band Kalush Orchestra ("Stefania") im Vorjahr wird der Contest in knapp einen Monat in der Liverpool-Arena starten, im Heimatland des letztjährigen Zweitplatzierten Sam Ryder ("Space Man").
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Doch die BBC will bei den drei Shows und Rahmenprogramm stark mit dem Rundfunk Suspilne zusammenarbeiten und die ukrainische Kultur angemessen würdigen. So wird der TV-Journalist Timur Miroshnychenko, der den ESC 2017 in Kiew mitmoderierte, in den Shows eingesetzt. Die Moderation übernehmen der schwule ESC-Kommentator und Talkmaster Graham Norton, die britischen Sängerinnen Alesha Dixon und Hannah Waddingham sowie die Rock-Musikerin Julija Sanina.
Die Ukraine spielt auch bei den Wettquoten eine Rolle: Mit ihrem Electro-Song "Heart of Steel" belegt das ukrainische Duo Tvorchi – nur wenig überraschend – fortwährend die vordersten Ränge, allerdings nicht den Spitzenplatz. Musikalisch verblasst der Beitrag hinter der deutlich stärkeren Konkurrenz.
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Schaut man sich die diesjährigen Favoriten an, wird klar: Der ESC 2023 ist ein überaus tanzbarer Jahrgang, der vor Leben pulsiert und die Freude an der Ausgelassenheit zelebriert. Das queere Musikspektakel dürfte im Mai daher besonders in großen Public-Viewing-Kontexten zünden – in der gelungenen Zurückeroberung des Feierns nach der Pandemie.
Die Favorit*innen
Die Schwedin Loreen könnte es erneut rocken, wenn man den Wettbüros Glauben schenkt. 2012 schuf sie mit "Euphoria" eine eingängige Siegerhymne. Elf Jahre später gelingt ihr dieser Zauber erneut: "Tattoo" ist eine stimmgewaltige und aufwendig inszenierte Europop-Nummer, mit der sie berührt – das wirkt beileibe etwas kalkuliert, beeindruckt aber nichtsdestoweniger.
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Eine gewaltige Welle schräger Androgynität schwappt aus Finnland direkt in die Liverpool-Arena und trägt den Rapper Käärijä weit nach vorne, wenn nicht gar an die Spitze der Punketabelle. "Cha Cha Cha" ist aggressives Gewitter und großer Pop-Spaß zugleich: Der Künstler tritt in seiner aufsehenerregenden Performance in neongrüner Puffjacke in den Boxring – und macht dabei sofort klar, dass er nicht nur metaphorisch um den Sieg kämpft.
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Weit vorne mitmischen dürfte auch der virale Hit "Queen of Kings": Die 21-jährige bisexuelle Norwegerin Alessandra, in Viking-Kostüm und bekrönt, sorgt mit ihrem Techno-Pop für den größten Ohrwurm des Abends. In dem flotten "Who The Hell Is Edgar?" kritisieren die Österreicherinnen Teya und Salena selbstbewusst die ausbeuterische Musikindustrie und bedienen sich der witzigen Referenz zu dem US-amerikanischen Schriftsteller Edgar Allan Poe, der sich von seinen kreativen Erzeugnissen nicht finanzieren konnte. In dem französischen Beitrag "Évidemment" vermischt La Zarra verrucht-verführerisch landestypische Chanson-Elemente mit elegantem Discopop.
Balladen werden es schwer haben
All diese Beiträge frönen der Bewegung, der Dynamik – die bei einer stimmigen Performance gute Stimmung bereiten und Punkte holen dürften. Gegen diese Tendenz haben es zahlreiche zaghafte Einreichungen – wie etwa die niederländische Ballade "Burning Daylight", dem schmähenden "Future Lover" aus Armenien oder dem überraschend nichtssagenden "Due Vite" aus dem ESC-Power-House Italien – schwer, die zwar ordentliche musikalische Qualitäten aufweisen, affektiv jedoch nicht sofort aufblühen. Zu den ersten Proben mit den finalen Inszenierungen können sich manche Bewertungen allerdings noch verändern – und bei den Punkten entscheiden die Jurys kräftig mit, wenngleich dieses Mal nur noch beim Finale.
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Den auffälligsten Beitrag liefert derweil die kroatische Band Let 3 mit ihrem provokativen Titel "Mama ŠC!" in militärischem Drag-Look. "Mutter kaufte einen Traktor" oder "liebte einen Trottel", heißt es hier im Text; Atomraketen werden auf der Bühne in die Luft gereckt. Hinter diesem chaotischen Auftritt wird eine Parodie-Antwort auf Putin vermutet – die uneindeutige Metaphorik verhinderte einen Ausschluss des Beitrags aufgrund politischer Inhalte.
Die deutsche Teilnehmerband Lord of the Lost belegt mit ihrem Metal-Track "Blood & Glitter" bei den Wettquoten einen stabilen Platz im Mittelfeld (allerdings aller Teilnehmenden). Es bleibt abzuwarten, ob ihnen mit ihrem androgynen Lack- & Leder-Look und einer explosiven Show ein Überraschungserfolg gelingen wird. Zumindest bietet das Kandidat*innen-Feld sonst nur wenige genretypische Konkurrenz. Deutschland ist als Teil der "Big Five" direkt für das Finale am 13. Mai qualifiziert. Dieses kommentiert Peter Urban, der dem ESC seit 1997 in der ARD seine Stimme leiht, zum letzten Mal.

Nicht umsonst nennt man den als Show der Hausfrauen u Gays.
Stimmt das Klischee?