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Lernplattform
Mit Intrahealth zu einer besseren Trans- & Inter-Gesundheitsversorgung
Damit trans- und intergeschlechtliche Patient*innen irgendwann einmal weniger Diskriminierung im Gesundheitssystem erleben, stellt eine neue Plattform ab jetzt Lerninhalte für Fachkräfte bereit.

Die neue Selbstlernplattform intrahealth.de vermittelt Basiswissen zur Gesundheitsversorgung von intergeschlechtlichen und trans Menschen (Bild: FH Dortmund / Michael Milewski)
- 23. April 2023, 03:16h - 4 Min.
Mitglieder geschlechtlicher Minderheiten kennen es: Einerseits sind sie aufgrund ihrer geschlechtlichen Situation in vielen Fällen auf regelmäßige Versorgung durch das Gesundheitssystem angewiesen. Andererseits kann bereits der Besuch einer Praxis wegen einer Erkältung schnell zu einer frustrierenden Erfahrung werden.
Dann nämlich, wenn schon das Aufrufen zu einer öffentlichen Misgender-Attacke wird, man im Ärzt*innengespräch überschwänglich für interessant erklärt und kommentiert oder gleich als renitente*r Patient*in abgestempelt wird, weil man sich gegen solche Behandlung zur Wehr setzt. Damit sich das ändert, versucht die neue Lernplattform Intrahealth Ausbildungsinhalte für einen besseren Umgang mit trans- und intergeschlechtlichen Patient*innen zu vermitteln. Der Name steht für Inter, Trans und Health, also Gesundheit.
Barrieren abbauen

Prof. Dr. Gabriele Dennert lehrt am Fachbereich Angewandte Sozialwissenschaften der FH Dortmund. Sie hat das Projekt "Intrahealth" geleitet. (Bild: FH Dortmund)
Drei von vier Personen aus der Gruppe hätten bereits Diskriminierungserfahrungen in Einrichtungen der Gesundheitsversorgung erlebt, begründen die Forscher*innen von Fachhochschule und Technischer Hochschule Dortmund sowie den Kliniken Köln das Engagement. Zusammen mit einem divers besetzten Beirat haben sie Inhalte entwickelt, mit denen Barrieren wie als problematisch erlebte Kommunikation abgebaut werden sollen.
Die digitale Plattform soll nicht nur Expert*innenwissen, sondern auch Einblicke in die Lebensrealitäten inter- und transgeschlechtlicher Menschen in Deutschland und ihre Erfahrungen insbesondere im Kontext der Gesundheitsversorgung widerspiegeln.
"In unserer Selbstlernumgebung ist uns eine Ansprache auf Augenhöhe ohne mahnenden Zeigefinger wichtig", betont Professorin Dr. Gabriele Dennert, Projektleiterin und Lehrende am Fachbereich Angewandte Sozialwissenschaften der FH Dortmund. "Denn wir können Menschen nicht zu einem anderen Verhalten zwingen, sondern nur erklären, und so Personen erreichen, die sich darauf einlassen wollen." Das Team hinter Intrahealth habe bereits zahlreiche Anfragen zum Projekt aus der Gesundheitsbranche bekommen. Bei der Verbreitung setze es auf Multiplikator*innen in Kliniken, Pflegediensten, Praxen und Ausbildungsstätten.
Studie als Grundlage
Der oben genannte Anteil bei den Diskriminierungserfahrungen stammt aus einer Studie, die die Forscher*innen als Grundlage für die Lernplattform erstellt hatten. Dazu hatten sie nahezu 600 trans- und intergeschlechtliche Personen befragt. Fast 77 Prozent der Befragten berichteten demnach von Diskriminierungserfahrungen in der ärztlichen und psychotherapeutischen Versorgung, darunter herabwürdigende Behandlungen, sexuelle Belästigung und sogar körperliche Gewalt. Das führe dazu, dass "ein erheblicher Teil weitere Gesundheitsvorsorge nicht in Anspruch nimmt, obwohl der Bedarf da ist", erklärt Gabriele Dennert die dringende Notwendigkeit der weiteren Sensibilisierung von Fachkräften.
Auch könne es immer wieder nicht zu fachgerechten Behandlungen kommen, weil Mediziner*innen aufgrund der Art und Weise, wie sie das Geschlecht ihrer Patient*innen wahrnehmen, zu falschen Schlüsse kämen. Die Forschenden haben zudem erfragt, welches Wissen Fachkräfte im Gesundheitswesen benötigen, um geschlechtersensibel versorgen zu können.
Aufbau mit einzelnen Lernmodulen
Die fertiggestellte Online-Lernplattform soll in mehreren Lernpfaden Basiswissen zu den Themen Geschlecht und Gesundheit sowie zu Grundlagen der Kontaktgestaltung und Kommunikation vermitteln.
"In Kliniken, Arztpraxen oder Pflegeeinrichtungen treffen die Vorerfahrungen von inter* und trans Menschen auf die Unsicherheiten der Fachkräfte", sagt Gabriele Dennert. Das sei "vom Ergebnis her oftmals für beide Seiten nicht gut". Wichtig sei es hingegen, die richtigen Fragen zu stellen. Das fange bei der gewünschten Anrede an und gehe bis hin zu den konkreten Organen, die in der Versorgung eine Rolle spielen.
Für die einzelnen Module sind jeweils 15 bis 20 Minuten veranschlagt. Neben Texten und Grafiken gibt es kurze Videos mit Patient*innen sowie mit Fachkräften, die Probleme erklären, Lösungen aufzeigen und das Wissen "kompetent und authentisch" an die Lernenden bringen.
Das vom Bundesministerium für Gesundheit geförderte Angebot ist kostenfrei. Die unter einer freien Lizenz veröffentlichten Inhalte ermöglichen den Einsatz sowohl in Studium und Ausbildung als auch im Beruf selbst. "Alle Inhalte können von jedem nicht-kommerziell genutzt werden", sagt Professorin Dr. Petra Werner. Die Kommunikationswissenschaftlerin der TH Köln verantwortet den mediendidaktischen Teil des Projekts. "Dank der Creative-Commons-Lizenzierung ist es leicht, die Inhalte von intrahealth.de in bestehende Lehrformate zu integrieren." (jk)

Links zum Thema:
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