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Filmkritik

Zu dick aufgetragen: "The Whale" jetzt im Kino

Schwule Liebe als das Ende der Welt: Oscar-Preisträger Brendan Fraser gibt in "The Whale" eine ganz gute Performance, kann den viel zu pathetischen und plumpen Film von Regisseur Darren Aronofsky aber nicht retten.


Brendan Fraser wurde für seine Rolle als übergewichtiger schwuler Englischlehrer mehrfach ausgezeichnet (Bild: A24)

Nun kommt der neueste Film von Regisseur Darren Aronofsky über einen letal adipösen schwulen Mann am Ende seines Lebens also endlich auch in die deutschen Kinos. Viel war seit der Premiere in Venedig vor einem Jahr bereits über "The Whale" zu lesen. Da haben sich Menschen in allen Medien, von sozialen bis Massen-, darüber beklagt, dass Hauptdarsteller Brendan Fraser als heterosexueller und (nicht ausreichend) übergewichtiger Mann, einen homosexuellen und stark adipösen Mann spielt. Dass der Schauspieler im so genannten "Fat suit", einem Polsteranzug, der ihn als bedeutend fetter kostümiert, zu sehen ist, kritisierten nicht nur dickere Schauspielende wie der schwule Daniel Franzese (queer.de berichtete).

In den letzten Monaten, seitdem der Film rund um die Erde seine Kinopremieren feiert, waren diese Beschwerden von mehr oder weniger ausführlichen Bekundungen begleitet, dass sich die Kritik nicht gegen Fraser richte beziehungsweise Fraser super sei, gemocht werde, einer der eigenen Lieblingsschauspieler sei und und und. Diese Erklärungen wirkten mindestens etwas gezwungen.

So bedrückend die persönliche Geschichte des Schauspielers auch ist – er hatte sich aus der Maschinerie Hollywoods zurückgezogen, nachdem er sexuell belästigt wurde und weil er nach Film-Stunts schwere körperliche Schäden davongetragen hat, wie er in einem Interview mit "GQ" erzählte. Fraser kämpfte danach mit Depressionen, Schmerzen und Übergewicht. So bedrückend diese Geschichte auch ist, aus künstlerischer Perspektive hat Frasers Schaffenspause wohl nicht viele Meilensteine der Filmkunst verhindert. Als Actionstar der frühen 2000er hat er in einigen Publikumserfolgen mitgespielt und ist vielen Menschen in guter Erinnerung als sympathischer Hauptcharakter. Doch jetzt zu lesen, dass er einigen Menschen gar der liebste Darsteller aus Hollywood und es doch so erfreulich sei, dass er wieder beachtet und besetzt wird, wirkt doch gar etwas herablassend.

Brendan Fraser – Top? "The Whale" – Flop?

Die Kritik ist sich dann auch größtenteils einig, dass Fraser eine gute Schauspielleistung abliefert. Bei der diesjährigen Oscar-Verleihung erhielt er die Auszeichnung als bester Hauptdarsteller (queer.de berichtete). Auch diejenigen, die die Darstellung fettleibiger Menschen kritisieren, stimmen hier zu: Gut gemacht, Brendan! Es sei aber der Rest des Films unmöglich, geschmacklos, eine Unverschämtheit gegenüber dicken Menschen etc. Also, Fraser Top, "The Whale" Flop?


Charlie (Brendan Fraser) kann sich nicht mehr allein um sich kümmern, sein Apartment verlässt er nie (Bild: A24)

Ganz so einfach ist es nicht. Frasers Schauspiel ist gut, aber lang nicht großartig. "The Whale" ist etwas blöde, aber nicht schlecht. Vielmehr lässt sich anhand dieses Falls gut die Frage stellen, was wir von der Kunst erwarten. Doch erst einen Schritt zurück, ganz klassisch: Worum geht es überhaupt?

In seiner dunklen und mit Büchern vollgestellten Wohnung sitzt Charlie (Brendan Fraser) die meiste Zeit auf dem Sofa. Er unterrichtet zwar Kurse in englischer Literatur an der Universität, allerdings nur online und immer, ohne die Kamera einzuschalten. Sein einziger wirklicher Kontakt zur Außenwelt ist die befreundete Krankenpflegerin Liz (Hong Chau), die ihn mit Einkäufen, Essen und Medizinprodukten aus dem Sanitätshandel versorgt. Denn Charlie kann sich nicht mehr allein um sich kümmern. Er wiegt fast 300 Kilogramm, kann gerade so, aber auch nur noch mit Gehhilfe, vom Bett zum Sofa gelangen. Charlies einziges Ventil, das noch annähernd Freude oder zumindest Zufriedenheit und Beruhigung, Geborgenheit bei ihm erzeugen kann, ist das Essen. Und das selbst dann noch, als sein Herz bereits kurz vor dem Versagen aufgrund extremer Verfettung steht.

Von dieser Situation ausgehend, erkundet "The Whale" im Grunde einen Fall extremer Depression. Charlie hat nach dem Tod seines Partners und großer Liebe Alan ebenfalls nach und nach seinen Willen zu leben und seine Verbindungen zur Welt verloren und bewusst aufgegeben. Sein Mittel der Verdrängung: das exzessive Essen. Ist das nun bereits "fat phobic" – also feindlich gegenüber übergewichtigen Menschen? Nein, natürlich nicht. Der Vorwurf, eine sehr negative Geschichte zu erzählen, sei bereits unterschwellige Feindseligkeit, ist absurd. Es gibt schließlich keine Happy-End-Verpflichtung in der Kunst. Die entrüstete Anschuldigung, "The Whale" spreche über alle Menschen, deren Gewicht über dem Durchschnitt liegt, ist schlicht bevormundend.

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Unbeeindruckende Geschichte, überzogen inszeniert


Poster zum Film. "The Whale" startet am 27. April 2023 bundesweit in den Kinos

Charlies Geschichte ist erstmal gar nichts. Sie kann spannend sein oder langweilig oder verwerflich, menschenfeindlich, geschmacklos, große Kunst, nicht der Rede wert. Entscheidend ist die Machart. Woran sich diejenigen, die nicht bei "deprimierende Geschichte = fettfeindlich" stehenbleiben und den Film dennoch scharf kritisieren, zu stören scheinen, ist der filmische Stil, mit der "The Whale" seine Geschichte erzählt. Für Regisseur Darren Aronofsky ist nämlich "Subtilität" die meiste Zeit ein Fremdwort. Wie alle Filme aus seinem Oeuvre ist auch der neueste schwergewichtige Eintrag Kino mit dem Holzhammer, in dem dick aufgetragen, mit allen Zaunpfählen gewunken und dabei laut schreiend die eigene Interpretation verkündet wird – bis zu dem Grad, ab dem nichts mehr zu verstehen ist.

Den gesamten Film hindurch ist Aronofsky darum bemüht, nah an der Vorlage – einem Theaterstück von Samuel D. Hunter, der auch für den Film das Drehbuch schrieb – zu bleiben. Als Kammerspiel theaterhaft inszeniert, verlassen wir nie Charlies Wohnung, sondern sitzen eigentlich nur mit ihm auf der Couch. Das wirkt erstmal ungewöhnlich ruhig und im Kleinen bleibend für Aronofsky. Keine komplett panische Kamera wie "Requiem für einen Traum" (2000), kein Bodyhorror-Albtraum wie in "Black Swan" (2010), und kein… was auch immer da in "Noah" (2014) für ein Humbug passiert ist.

Und doch ist "The Whale" leider nicht weniger plakativ: Mit Streichmusik, die irgendwo zwischen elegisch und unheilverkündend wohnt, wird immer wieder satt und schmierig dick aufgetragen und versucht, dem Publikum die Tragik einzuprügeln. Es sind die großen Emotionen, die nicht missverstanden werden können, hinter denen Aronofsky her zu sein scheint. So wird der schwule Liebeskummer zum wörtlichen Untergang der Welt, zur selbstzerstörenden Apokalypse. Das Problem ist nur etwas, dass diese Gigantgefühle, wenn sie genauso monumental ausgespielt werden wie in "Vom Winde verweht", aber ohne Ironie eben in einer kleinen muffig wirkenden Küche bleiben, schnell zu viel werden und gar etwas albern wirken.

Unsensibel gegenüber Mehrgewichtigen und Queers?

Es ist weniger eine Frage, ob "The Whale" unsensibel mit dicken oder queeren Menschen umgeht. Kunst muss schließlich nicht jeden Menschen der Gegenwart repräsentieren und schon gar nicht nett sein oder nur für Wohlbefinden sorgen. Nein, das Problem ist eher, dass hier ein Kunstverständnis, eine Machart ausgespielt wird, die etwas gestrig wirkt, weil sie ein wenig infantil erscheint. Aronofsky liefert ganz unironischen Pathos, meint die großen Gesten, meint die Schwere ernst, spielt sie aber auch wieder nicht weit genug aus, als dass sie gebrochen gelesen werden können. Selbstironie oder gar Camp sind hier nicht zu finden.

Das ist auch vollkommen in Ordnung. Es ist sogar sehr effektiv. Aber eben nicht besonders kunstvoll. Schreiende Kinder sind auf dieselbe Weise sehr gut darin, ihre Missstimmung zum Ausdruck zu bringen, weil sie noch nicht gelernt haben, was Moderation, Abstufung und Indirektheit sind. Menschen, die gerne von Kunst gesagt bekommen, wie sie zu verstehen ist, werden auch in "The Whale" etwas finden können. Schlecht gemacht, ist der Film nämlich nicht. Er ist einfach nur etwas plump.

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Infos zum Film

The Whale. Drama. USA 2022. Regie: Darren Aronofsky. Cast: Brendan Fraser, Sadie Sink, Ty Simpkins, Hong Chau, Samantha Morton, Sathya Sridharan. Laufzeit: 117 Minuten. Sprache: deutsche Synchronfassung. FSK 12. Verleih: Plaion Pictures. Kinostart: 27. April 2023.

#1 DominikAnonym
  • 26.04.2023, 05:43h
  • Zur Qualität des Films oder der Leistung des Hauptdarstellers kann ich nichts sagen, da ich mir den Film noch nicht angeschaut habe. Grundsätzlich finde ich es aber gut, wenn die Thematik "Depression/Fettleibigkeit" endlich auch mal im Kino eine Rolle spielt und wenn diese auch explizit (und eben nicht beschönigend) gezeigt wird. Auf fettleibige Menschen blickt die Gesellschaft nämlich, seien wir ehrlich, leider sehr herablassend und drängt sie nur allzu häufig an den Rand. Wenn der Film es schafft, hier ein wenig mehr Verständnis für die Lebenssituation eines depressiven und fettleibigen Menschen zu schaffen, dann ist doch schon viel erreicht. Über die Qualität kann ich aber, wie gesagt, noch nichts sagen, da ich den Film noch nicht gesehen habe.
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#2 LothiAnonym
  • 26.04.2023, 06:59h
  • Antwort auf #1 von Dominik
  • Guter Kommentar. Auch ich habe diesen Film noch nicht gesehen und bin aber neugierig welch schauspielerisches Können hier abverlangt wird. Kritik hin oder her.
    Die Geschichte drumherum stimmt mich vorher schon etwas traurig. Seit ich 18 Jahre alt bin, versuche ich immer auf mein Körpergewicht zu achten. Da bin ich furchtbar eitel mit. Es gab eine Zeit da stieg mein Gewicht auf über 85 Kg. Da schlugen sämtliche Alarmglocken in mir und ich zwang mich abzunehmen. Was mir nicht besonders schwer fällt. Heute stehe ich mit meinem Körpergewicht da wo ich es haben will, wieder bei 70 Kg.
    Mit 18 J. waren es 69 Kg.
    Übergewicht ist beileibe nicht zu unterschätzen. Auch wie in den USA ein Deutsches Problem. Diabetes können die Folgen sein. Oder schlimmer noch Hüft OPs.
    Doch deswegen lehne ich solch ein Personenkreis nicht grundsätzlich ab. Viele können ja nichts dafür, da sie wohl genetisch so veranlagt sind.
    Allerdings gab es da tatsächlich mal einen sehr,sehr dickleibigen, sehr jähzornigen u.homophoben Heimleiter, der mich mit 16 wegen einer Bettgeschichte persönlich ins Erziehungsheim verfrachtete und mir somit 2 Jahre meines Lebens raubte. Diesen fetten Mann hasse ich heute noch.
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#3 jbcgn69Anonym
  • 26.04.2023, 07:29h
  • Ich verstehe nicht warum die Rezension sich an dem Kunstgedanken festbeißt.

    wer hat denn gesagt dass alles große Kunst sein muss.

    Es geht in dem Film darum, das ein Vater versucht eine Bindung zu seiner Tochter aufzubauen.
    Ausgehend von dieser Geschichte werden Themen wie religiöser Fanatismus, Fettleibigkeit und Depression behandelt.
    Eigentlich the american condition.
    Der Film stellt bewusst relativ extreme Positionen her um mit (ja ein bisschen Pathos) darauf hinzuweisen, dass man eben nicht alle Fetten, Religösen oder Depressiven über einen Kamm schweren kann.
    Seine Meinung z.B. zur Religion bringt der der Autor/Regisseur trotzdem klar hervor.
    Die betonte Positivität der Hauptfigur soll gerade zeigen, dass auch fette deprimierte Schwule liebenswert sein können.
    Das wäre meine Hauptkritik. Die Intelligenz und das Umfeld der Hauptfigur passen nicht optimal zum Verhalten.

    Für ein amerikanisches Publikum glaube ich hat der Film etwas nahezu Aufklärendes und die Comeback Story von Brendan Fraser fügt zu dem Pathos noch ein bisschen Schmalz hinzu der den nötigen Hype bringt um den Mainstream dazu zu bekommen den Film anzusehen.
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