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Evangelische Kirche

"Amen aber sexy": Schwuler Pfarrer geht neue Wege auf Instagram

Es darf auch mal "Mammamia" statt "Vaterunser" sein: Der evangelische Pfarrer Tim Lahr aus Köln möchte mit bunten Gottesdiensten und queerer Bibelauslegung neue Zugänge zum Glauben schaffen.


Der evangelische Pfarrer Tim Lahr versteht sich als "Community-Manager" (Bild: privat)
  • Von Ann-Marie Utz, dpa
    26. April 2023, 05:47h 17 3 Min.

Auf dem Altar liegt eine Regenbogen-Fahne, die Kirche ist bunt geschmückt. Davor: ein junger evangelischer Pfarrer. Er trägt weiße Sneakers über einem locker sitzenden Talar, in der Hand hat er ein Smartphone. Tim Lahr hält Gottesdienste, die traditionelle Christ*innen vielleicht stutzen lassen.

"Kirche ist noch nicht empathisch genug, sie versetzt sich zu wenig in die Lebenswelten und geht nicht genug auf die Bedürfnisse von jungen Menschen ein", kritisiert der 33-Jährige. Im Fokus stünden Familien mit Kindern und ältere, oft traditionellere Menschen, "die gerne Kaffeekränzchen machen und aufgetaute Schwarzwälder Kirschtorte essen", sagt er und schmunzelt.

Der junge Pfarrer möchte das ändern. Er hält Gottesdienste für alle – vor allem aber für queere Menschen, die nicht heterosexuell sind, oder deren Geschlechtsidentität von dem Geschlecht abweicht, das ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Für sie gebe es "bislang fast keinen Raum in der Kirche".

Sein queerer Gottesdienst in Köln wird gut besucht

Der queere Gottesdienst, der bisher an verschiedenen Standorten in Köln stattfindet, wird gut besucht. "Ich war überrascht, auf wie wenig Kritik ich tatsächlich gestoßen bin", erzählt Lahr. Er arbeite in diesen Gottesdiensten viel mit Musik. Biblische Texte werden queer ausgelegt und als Alternative zum Vaterunser gibt es auch mal ein "Mammamia". "Für uns als Kirche ist das ein sehr spannender Erprobungsraum, von dem wir hoffentlich viel lernen werden", erzählt Jens Iven von der Evangelischen Kirche im Rheinland.

Auf seinem Instagram-Kanal "Amen aber sexy" gibt Tim Lahr Einblicke in den Alltag eines schwulen Pfarrers. Dort zeigt er sich lachend und tanzend im schwarzen Hoodie oder spricht auch mal seine eigenen Probleme aus der Kindheit an. "Ich verstehe mich als Community-Manager", erzählt er der Deutschen Presse-Agentur. "Online öffnen sich die Menschen, und es wird sogar zu einer Art neuem Seelsorge-Kanal." 14.000 Follower*innen hat er mittlerweile. Auf TikTok sind es knapp 1.000.

@amen_aber_sexy

Da sich in einem einzigen Tik-Tok nicht alles sagen lässt, begrenze ich mich zunächst auf die Bibelstellen im 1. Testament. Weitere TikToks folgen. Die Bibelstellen, die im Video angesprochen werden: 3. Mose 18,22 Du sollst nicht bei einem Mann liegen wie bei einer Frau; es ist ein Gräuel. (LU17) 3. Mose 20,13 Wenn jemand bei einem Manne schläft wie bei einer Frau, so haben sie beide getan, was ein Gräuel ist, und sollen des Todes sterben; ihre Blutschuld komme über sie. Übrigens die einzigen Stellen, die zu dem Thema im 1. Testament stehen. Vverdammt wenig, wenn man überlegt wie dick das 1. Testament ist! Diese Stellen müssen im Kontext gelesen werden. Sie können nicht einfach daraus gelöst werden. Im 3. Buch Mose steht eine Reihe an Regeln und Gesetzen, komischer Weise werden aber immer nur die beiden oben genannten Stellen von bibeltreuen Christ*innen herausgepickt. Bei der Frage, ob man zum Beispiel gemischtes Gewebe tragen darf (3. Mose 19,19), oder dass man kein blutiges Fleisch Essen dürfe (3. Mose 19,26), fällt die Bibelauslegung dann oft nicht mehr so streng aus. An anderer Stelle empfiehlt die Bibel übrigens vegan zu leben. Das Wort Homosxualit@t kommt in der Bibel kein Mal vor, es kommt erst im 19. Jh. auf. Die beiden Bibelstellen (Lev 18,22 und Lev 20,13) beziehen sich allein auf An@lverkehr und umschreiben diesen dazu noch umständlich. Was wir aber heute unter Homosxualit@t verstehen, ist nicht allein An@lverkehr, sondern es ist noch viel mehr gemeint. Heute meinen wir eher die romantischer Liebe zwischen Männern*, die sich auf Augenhöhe lieben. Der An@alsex war im alten Orient auch eine Praxis der Erniedrigung und Vergewaltigung, denn es waren sehr patriarchale Zeiten. Und wenn sich ein Mann, wie eine Frau verhalten hat, hat er seine gesellschaftliche Stellung, also die Geschlechterhierachie verlassen. Zudem dachte man, dass die Samen eines Mannes begrenzt seien und verschwendet werden können. Die Bibelstellen lassen sich also nicht einfach kontextlos zitieren, da wir heute in ganz anderen Zeiten leben. Selbst bibeltreue Christ*innen würden ja heute auch nicht mehr die Todesstrafe für An@lverkehr zwischen Männern fordern!

Originalton – Amen aber Sexy
TikTok / Amen aber Sexy | Tim Lahr auf TikTok
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Neue Zugänge sind wohl dringend nötig – denn die evangelische Kirche kämpft ebenso wie die katholische mit einem starken Mitgliederschwund. Rund 77.300 Menschen haben die evangelische Kirchen im Rheinland und in Westfalen im vergangenen Jahr verlassen – deutlich mehr noch als im Vorjahr.

Lahr. "Läutet lieber die Kirchenglocken im Internet!"

Tim Lahr ist dabei nicht der einzige Wegweiser in eine offene und moderne Kirche. Vor drei Jahren wurde das evangelische Contentnetzwerk "yeet" gegründet, das deutschlandweit mit 35 Influencer*innen auf Instagram, Tiktok, Youtube und mit Podcast-Formaten junge Menschen adressieren möchte. Auch Steffi und Ellen Radtke von "Anders Amen" sind dabei.

Auch außerhalb des Netzwerks und der evangelischen Kirche gibt es christliche Influencer*innen, die mit alternativen Ideen ihren Glauben weitertragen möchten. Zum Beispiel Marcus Schneider aus Wuppertal, der "Breiteste Pastor Deutschlands", wie er sich selbst auf sozialen Netzwerken nennt. Er stemmt Gewichte und drückt über Fitness-Videos und Bankdrücken seinen Glauben aus.

Das findet auch Tim Lahr einen guten Ansatz. "Kirche muss mutiger werden und sich trauen, das zu machen, was Spaß macht." An der konkreten Umsetzung neuer Projekte mangelt es laut Lahr aber noch oft. "Wenn es ums Geld geht, ist die Kirche noch etwas kniepig mit den neuen Formen. Ich bin dann doch oft verwundert, wie viel Geld in Gemeinden zum Beispiel für neue Kirchenglocken ausgegeben wird. Dann denke ich mir oft: Läutet lieber die Kirchenglocken im Internet!"

#1 AnonymAnonym
  • 26.04.2023, 09:04h
  • Wer an etwas glauben will, kann das auch ohne eine Institution wie die Kirche tun.
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#2 Alte BetschwesterAnonym
  • 26.04.2023, 10:10h
  • Sehr erfreulich, dass sich die jungen Kolleg*innen medial so aus dem Schrank trauen.
    Aber auch das muss gesagt werden: so neu ist das nicht!

    In Deutschland feiern wir seit mindestens 25 Jahres an vielen Orten queere Gottesdienste mit sehr selbstbewussten lesbischwulen Gottesdienstgemeinschaften!

    www.lsgg.org/

    Nur Instagram war halt damals noch nicht so machbar wie heute ;-)

    Und kleine kritische Anmerkung: wenn schon für Modernisierung und Glitzer - warum trägt der Kollege dann das völlig amtshierarchische und kryptokatholische Kollarhemed bei seinen Beiträgen?

    Das befremdet dann doch etwas eine alte bunte Betschwester wie mich...
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#3 Ex-EvangelikalAnonym
  • 26.04.2023, 12:27h
  • Die Kirche hat sich immer noch nicht für das Wegschauen entschuldigt. Wegschauen, wenn es um das Schicksal queerer Kids in den fundamentalistischen Familien und Gemeinden in den Landeskirchen geht bzw. ging. Ist anscheinend bis heute egal, wenn Kinder wie ich in cis-Geschlechtlichkeit reingeprügelt wurden. Und dann hat man = ich noch einem ihrer Pastoren von der Gewalt erzählt. Schulterzucken. Für mich ist Kirche überhaupt nicht safe, und daran ändert auch so ein Pastor nichts.
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