
https://queer.de/?45487
München
Aiwanger: Drag-Lesung ist Gefährdung des Kindeswohls
Der stellvertretende Ministerpräsident Bayerns fordert ein Einschreiten des Jugendamtes gegen eine geplante Draglesung für Kinder in einer Stadtteilbücherei.

Raimond Spekking / wikipedia) Aiwanger, hier 2019 bei "Hart aber fair", ist seit November 2018 stellvertretender bayerischer Ministerpräsident (Bild:
- 6. Mai 2023, 20:37h 3 Min.
Eine für Mitte Juni geplante Drag-Lesung für Kinder in einer städtischen Bibliothek in München sorgt weiter für geschürte Empörung im beginnenden Landtags-Wahlkampf. "Das ist Kindswohlgefährdung und ein Fall fürs Jugendamt, keine Weltoffenheit wie es die Grünen verharmlosen", sagte Bayerns Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger der "Bild"-Zeitung, die die harmlose Lesung seit Tagen zum Politikum macht.
Der stellvertretende Ministerpräsident und Wirtschaftsminister, der als Landespolitiker mit Wahlkreis in Landshut keine Verbindung oder Kompetenz zu der Veranstaltung in München hat, forderte in der Zeitung ein Einschreiten des Jugendamtes und einen Stopp durch die Stadtverwaltung, notfalls durch Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). Zu der von der Politik eigentlich unabhängigen Veranstaltung zitiert "Bild" Aiwanger weiter mit den Worten: "Die Grünen wollen hier wohl an ihren pädophilen Wurzeln wieder anknüpfen."

Auf Twitter sorgte Aiwangers Stimmungsmache am Samstag für einige extrem menschenfeindliche Äußerungen
Die Veranstaltung "Wir lesen euch die Welt, wie sie euch gefällt" mit Dragqueen Vicky Voyage, Dragking Eric BigClit und trans Jungautorin Julana Gleisenberg soll am 13. Juni in der Bibliothek Bogenhausen stattfinden (queer.de berichtete). Unter dem gleichen Titel hatten Voyage, Gleisenberg und weitere Personen auch schon im letzten Jahr eine Lesung für Kinder während der CSD-Wochen abgehalten – ganz ohne Empörung wie auch in diesem Februar, als sie zu einem "Drag Queen Abend" in der Stadtbibliothek Moosach zu Gast waren. Die Hamburger Drag Queen Olivia Jones liest schon lange Kindern vor – bereits vor sieben Jahren nutzte die AfD das zur queerfeindlichen Stimmungsmache (queer.de berichtete).
Wahlkampf-Horrormärchen "Frühsexualisierung"
In den letzten Tagen hatten bereits CSU und AfD Stimmung gegen das Münchner Event gemacht. CSU-Generalsekretär Martin Huber sprach von "woker Frühsexualisierung", der stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende im Stadtrat Hans Theiss erfand eine geplante "#Sexualkunde durch Drag Queens" und die CSU-Fraktion im Bezirksausschuss München-Bogenhausen kündigte einen Antrag an, um das Event zu stoppen. Auch die AfD-Fraktion im Landtag sprach bei Twitter von "Frühsexualisierung": "Diesem Treiben können wir nicht taten- u wortlos zusehen".
Offenbar aufgeschreckt durch die "Bild"-Mobilmachung stimmte auch SPD-OB Reiter in die Stimmungsmache ein: "Ich habe für diese Art Programm kein Verständnis und glaube nicht, dass das für Vierjährige geeignet ist", sagte er der Zeitung. "Ich würde mit meinen Enkeln nicht hingehen." Politiker*innen unter anderem der Grünen hatten in den letzten Tagen das Angebot hingegen verteidigt und zu erklären versucht. Geboten werde "ein kindgerechter Blick auf unsere vielfältige Gesellschaft", sagte etwa Florian Siekmann von den Grünen im Landtag.
Stadtrat Thomas Niederbühl von der Rosa Liste sagte der "Abenzeitung": "Diese ganze Aufregung entspricht der Realität überhaupt nicht. Es geht überhaupt nicht um Sexualität". Von Frühsexualisierung sei nur deshalb die Rede, weil es um Transsexualität gehe. "Es ist eine rechte Strategie, das bei Transsexuellen immer gleich zu entdecken." In den USA gab es in den letzten Jahren in der Tat zunehmend rechte Mobilmachungen gegen Drag-Veranstaltungen, zuletzt auch in der Schweiz oder Österreich.
Die Münchner Stadtbibliothek hatte den geplanten Auftritt in sozialen Netzwerken verteidigt: "Unser breit aufgestelltes Programm richtet sich an eine vielfältige Stadtgesellschaft. Daher haben wir auch Lesungen zum Thema Diversität im Programm", teilte sie mit. In diesem Fall handelt es sich um ein Angebot für Familien mit Kindern ab 4 Jahren. Es werden altersgerechte Bilderbücher vorgelesen. Im Vordergrund stehen Themen wie Rollenwechsel und Verkleidung, die Kinder in diesem Alter sehr beschäftigen. Es liegt im Ermessen der Eltern, diese Veranstaltung mit ihren Kindern zu besuchen." (cw/dpa)
