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Kinotipp

Liebe entsteht, wo sie entsteht

In "Eismayer" verliebt sich ein junger, selbstbewusster Rekrut des österreichischen Bundesheers in seinen sadistischen Ausbilder – und umgekehrt. Das mehrfach preisgekrönte Drama, das auf einer wahren Geschichte beruht, läuft jetzt im Kino.


Vizeleutnant Charles Eismayer (Gerhard Liebmann, li.) und Rekrut Mario Falak (Luka Dimić) in "Eismayer" (Bild: Salzgeber)

Vizeleutnant Charles Eismayer, Ausbilder beim österreichischen Bundesheer, hat zwei Gesichter. Als Ausbilder ist er ein extrem harter Hund, berüchtigt als übler Schleifer, der seine Rekruten auf das Härteste rannimmt, wenn sie den Regeln – wie sein Vorgesetzter vorwurfsvoll sagt, seinen Regeln – nicht entsprechen. Eismayer will ein 300 Prozent echter Kerl sein. Als solcher hat er natürlich auch Frau und Kind.

Eismayer ist aber auch schwul – im Geheimen. Er vögelt anonym in der Dunkelheit, gelegentlich auch mal einen Rekruten, sodass es schon Gerüchte gibt, die Eismayer bewegen, noch härter und erbarmungsloser den Soldaten gegenüber aufzutreten.

Zwischendurch und wie es aussieht, in jeder freien Minute, raucht Eismayer – vielleicht um seine innere Zerrissenheit für einen Moment nicht so spüren zu müssen; vielleicht aus purer Gewohnheit, vielleicht, wie Sigmund Freud möglicherweise vermutet hätte, aus einer unbewussten Selbstagressivität heraus. Who knows?

Rekrut Falak bringt Eismayer zum Auftauen

Ein Doppelleben kann mitunter lebenslang halten. Bei Eismayer funkt nun allerdings das Schicksal dazwischen – und das gleich mit zwei heftigen Einschlägen. Unter Eismayers neuen Rekruten ist einer, der auf provozierende Weise Paroli bietet: Mario Falak, von Eismayer wegen seiner dunkleren Hautfarbe abwertend als "Tschusch" bezeichnet. Falak hat schon mit wenigen Worten das Potenzial, Eismayer zum kompletten Ausrasten zu bringen – erst recht, als er im Anschluss an eine Dusch-Rangelei mit einem Kameraden, nach der er völlig überzogen von Eismayer erst mit dem Hals an die Wand gedrückt und dann zu einer Strafrunde auf dem Exerzierplatz verdonnert wird, direkt so wie er nackt aus der Dusche kommt, die Baracke verlässt und zu seiner "Ehrenrunde" schreitet.

Falak bringt Eismayer ins Vibrieren. Umgekehrt aber auch. Nachdem Eismayer unter dem Vorwand einer Fernsehgerät-Anschlussaktion Falak abends nach Dienstende in seine Wohnung hineinmanövriert hat, wo Falak schließlich auch die Nacht verbringt, entsteht zwischen den beiden eine Liebesbeziehung. Natürlich keine spannungsfreie, denn Falak ist offen schwul, Eismayer aber nach außen hin hetero Macho, Ehemann und Familienvater. Eismayer ist wie gefangen; man könnte auch sagen vereist. Die erotische Beziehung zu Falak bringt ihn zum Auftauen.

Gleichzeitig klopft das Schicksal bei Eismayer aber auch noch ganz anders an die Tür: Offenbar als Folge seines Kettenrauchens ist Eismayer lebensbedrohlich an Lungenkrebs erkrankt. In dieser Situation ist es nun plötzlich Falak, der von seinem ehemaligen Ausbilder ein hartes Training verlangt. Und es mit ihm zusammen konsequent durchzieht, bis Eismayer schließlich an seinen Einsatzort zurückkehren kann, wenn auch nicht mehr als Ausbilder.

Jahrzehntelang die eigene Homosexualität bekämpft


Poster zum Film: "Eismayer" startet am 1. Juni 2023 in deutschen Kinos und läuft im Mai bereits in der Queerfilmnacht

Das im Mai 2023 in der Queerfilmnacht gezeigte Drama "Eismayer" (regulärer Kinostart ist am 1. Juni) symbolisiert den Gemütszustand seines Protagonisten durch ein an markanten Stellen gezeigtes stummes Bild eines Ruinenraums in eisiger Landschaft. Die ansonsten nackten Backsteinwände sind weißlich, wie von einer leichten Gefrierschicht überzogen, und rot, als wäre die Ruine Schauplatz eines kriegerischen Gemetzels gewesen. Der Raum wirkt, obwohl er zur Winterlandschaft hin ruinenhaft offen ist, wie ein eisiges Gefängnis. In der letzten Einstellung dieses "Eis-Stillebens" gibt die Kamera über den Raum hinaus den Blick frei auf die zwar eisig erscheinende, aber lebendige Wald-Winterlandschaft.

In seinem kurzen, sehr monologischen Coming-out seiner Frau gegenüber berichtet Eismayer, wie seine Eltern reagierten, als er ihnen von seiner Homosexualität, um die er immer wusste, erzählte: Während seine Mutter ihm mitgab: "Nur nicht darüber reden! Das geht vorbei", hat sein Vater ihn bis zu seinem Tod nie wieder angeschaut. Eismayer wurde als Junge in die Armee geschickt, um zu beweisen, dass er doch ein echter Mann sei. Und beweisen wollte er das vor allem sich selbst: mit einer scheinbar von keinerlei Gefühlswallung beeinträchtigten Hyper-Maskulinität.

Am Ende des Films, der den ultimativen Ausbruch vom Eismayer aus seinem emotionalen Gefrierzustand zeigt, kommt es zur Liebeserklärung samt etwas schrägem Heiratsantrag vor versammelter Kameradenmannschaft. Zu den Stärken des mittlerweile mehrfach preisgekrönten Films, bei dem David Wagner das Drehbuch geschrieben und zugleich Regie geführt hat, gehört, dass der Film an keiner einzigen Stelle flach oder kitschig ist. Die Heiratsantrags-Schlusssequenz hätte reichlich Chance für übertriebene Hollywood-Gefühligkeit geboten. Wagner gelingt es aber, die Szene, die inmitten eines als Hetero-Eskapaden-Pausenplausch beginnenden lockeren Beisammenseins der mit Kohle geschwärzten Gesichtern dasitzenden Kameraden spielt, gleichermaßen rührend wie witzig und auch überraschend im kommunikativen Hin und Her zu gestalten.

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Großes schauspielerisches Können

Das ist punktgenaue Kinokunst, die der Film auch ansonsten durchgängig zeigt, wobei ein zentraler Genuss- wie Erfolgsfaktor das schauspielerische Können von Gerhard Liebmann ist, der die innere Zerrissenheit und ganz allmähliche Öffnung Eismayers brillant verkörpert. Auch Luka Dimić als charmant extrovertiert frecher und einfach auch hübscher Rekrut Mario Falak überzeugt. Ebenso, wenn auch in einer Nebenrolle, Christopher Schärf als Hauptmann Karnaval, der die modernen Heeres-Führungsprinzipien vertretend, Eismayer wiederholt zur Rede stellt, wobei man sich kaum des Eindrucks erwehren kann, dass hinter der freundlich-konstruktiven Fassade des Hauptmanns ein Dominanzanspruch lauert, der kaum weniger machtorientiert und sadismusfrei ist wie das ursprüngliche Gehabe von Eismayer.

Der auf einer wahren Begebenheit basierende Film zeigt stimmig, dass Eismayer und Falak vom ersten Moment an stark aufeinander reagieren – erst herausfordernd-aggressiv, dann liebevoll-erotisch. Stellen könnte man sich die Frage, wieso sich Falak überhaupt in den ihn so hart bis sadistisch behandelnden, gefühlskalt wirkenden und obendrein noch sehr viel älteren Eismayer verliebt. Darüber können die Zuschauenden nur spekulieren. Es muss aber auch nicht alles erklärt werden. Auch nicht in einem Film. Liebe entsteht, wo sie entsteht. Und manchmal kommen dabei ganz unwahrscheinliche und faszinierende Geschichten heraus. "Eismayer" ist eine davon.

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Infos zum Film

Eismayer. Drama. Österreich 2022. Regie: David Wagner. Cast: Gerhard Liebmann, Luka Dimić, Julia Koschitz, Anton Noori, Christopher Schärf, Karl Fischer, Lion Tatzber. Laufzeit: 87 Minuten. Sprache: deutsche Originalfassung. FSK 12. Verleih: Salzgeber. Kinostart: 1. Juni 2023. Im Mai 2023 läuft der Film bereits in der Queerfilmnacht
Galerie:
Eismayer
8 Bilder

#1 Chris89Anonym
  • 07.05.2023, 12:03h
  • Ein interessanter Film, wenn hier in der Provinz möglich werde ich ihn mir anschauen.

    Allerdings wäre ein Spoileralarm im Vorfeld nett gewesen. Das Ende komplett zu verraten finde ich schon etwas unschön.
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