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Literatur
Eine schwule Amour fou im berüchtigsten Viertel von Bukarest
In Adrian Schiops preisgekröntem Roman "Soldaten. Geschichte aus dem Ferentari" wird gefickt, geblasen und gesoffen wie bei Genet, Bukowski und Fassbinder, und doch geht es um die Sehnsucht nach Liebe. Jetzt ist er auf Deutsch erschienen.

Symbolbild: Wohnhäuser in Ferentari, dem ärmsten Stadtteil der rumänischen Hauptstadt Bukarest (Bild: Tiia Monto / wikipedia)
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7. Mai 2023, 09:28h - 4 Min.
Osteuropa ist literarisch noch immer ein oft unentdecktes Gebiet – vor allem, wenn es um queere Literatur geht. Kein Wunder, mag man meinen, so sind queere Geschichten aus diesen Ländern selten, und gelangen auch nicht immer zu uns in deutscher Übersetzung. Adrian Schiops Roman "Soldaten. Geschichte aus dem Ferentari" (Amazon-Affiliate-Link ) ist eine Ausnahme: Er gilt als einer der ersten queeren Romane Rumäniens und besitzt mittlerweile Kultstatus. Der Roman wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Preis für das beste Buch des Jahres 2014 und dem Preis der Literaturzeitschrift "Observator Cultural" für den besten Roman des Jahres. Zur Popularität von Autor und Buch in Rumänien hat zudem die erfolgreiche Verfilmung von Ivana Mladenović aus dem Jahr 2017 beigetragen.
Doch worum geht es? Der Ferentari ist der ärmste Stadtteil der rumänischen Hauptstadt Bukarest, geprägt von Kriminalität und Obdachlosigkeit. In diese undurchschaubare und oft zwielichtige Welt zieht es den Ich-Erzähler Adrian, nachdem ihm seine Freundin Ana den Laufpass gegeben und er seinen Job als Journalist an den Nagel gehängt hat. Adrian ist schwul oder vielleicht bi, in jedem Fall fehlt ihm nach der Trennung von Ana die Vertrautheit eines Menschen, aber auch der Sex:
Ihr Geschlecht, auch wenn ich ziemlich schnell gelernt hatte, es zu bedienen, war der letzte Teil ihres Körpers, mit dem ich mich angefreundet hatte, ungefähr zwei Jahre lang war es mir fremd geblieben; ich konnte nur schwer ejakulieren und oft dachte ich an Jungs, um es abzukürzen.
Der Lover aus der Gangsterfamilie

Schiops Roman "Soldaten" ist Ende April 2023 im Verlag Text/Rahmen erschienen
Neben der Arbeit an einer Dissertation über die Manele-Kultur – einer Musikrichtung, die traditionelle Roma-Musik und Pop-Kultur vereint – vertreibt sich Adrian die Zeit in den heruntergekommenen Kneipen des Viertels und lernt dabei den Rom Alberto kennen, einen ehemaligen Häftling, der aus einer berüchtigten Gangsterfamilie stammt.
Ohne es zu planen, entwickelt sich zwischen den beiden Männern schon bald eine sehr heftige, aber im Alltag problematische Liebesbeziehung:
Ich wusste nichts über diesen Typen, warum war er im Gefängnis gewesen (er konnte zum Beispiel jemanden erstochen haben), wer weiß, er hatte mehr Zeit in irgendwelchen Gefängnissen verbracht als in Freiheit, er lebte in einer rohen, zwielichtigen Welt, mit der ich fast noch nie Kontakt hatte. Er war warmherzig, wirklich, merkwürdig warmherzig, aber er hatte eine brutale Art und eine geringe Frustrationstoleranz.
Was im Weiteren geschieht, hieße, zu spoilern – in jedem Fall besticht Adrian Schiops Roman durch eine geradezu archaische Kraft – und Detailbeschreibungen, die irgendwo zwischen Jean Genet, Charles Bukowski und Rainer Werner Fassbinder oszillieren. Da wird gefickt, geblasen und gesoffen, werden Schwänze gelutscht und Nächte durchzecht, in Adrians Lieblingskneipe hat man förmlich das unangenehme Gemisch aus Suff-, Schweiß- und Sexgerüchen in der Nase – die Kneipe ist obendrein Rückzugsort der "Sandler" (österreichisch für Bettler).
Die unstillbare Sehnsucht nach Liebe

Adrian Schiop, Jahrgang 1973, lebt selbst in Ferentari
Das alles ist zuweilen fast etwas zu drastisch, auch nicht ohne Klischees, und die Amour fou des Adrian schwächelt an mancher Stelle der mehr als 300 Seiten. Und dennoch ist der Roman ein sehr lesenswertes, leidenschaftliches Stück Geschichte über die Marginalisierten, die es in Rumänien, dem zweitärmsten Land der EU, sicher noch schwerer haben als hierzulande. Und letztlich handelt die Story, wie so viele gute Romane vor ihr, von der unstillbaren Sehnsucht nach Liebe, die allzu oft nur flüchtig ist.
Adrian Schiop beendet seinen Roman mit einem Gedicht, das die Sehnsucht seiner Hauptfigur poetisch auf den Punkt bringt:
es ist keine Liebe es ist Frieden und Mitgefühl und Angst dass du niemals verstanden wirst es sind die Freunde und die Gespräche und die Angst dass alle heiraten werden und du alleine bleibst es sind das Geld und die Sicherheit und die Angst dass du nie geliebt werden wirst dass du ein komischer Kauz bleiben wirst, ein verängstigter, es sind die Nächte, in denen du alleine schlafen wirst die Freunde die Eltern die Vorahnung, dass du alt und einsam sterben wirst, und auf einem schrecklich schmutzigen Bett
Adrian Schiop: Soldaten. Geschichte aus dem Ferentari. Roman. Aus dem Rumänischen von Eva Ruth Wemme. 352 Seiten. Buchverlag Text/Rahmen. Wien 2023. Taschenbuch: 18 € (ISBN 978-3-903365-12-4)
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