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Gesetzentwurf
Text des Selbstbestimmungsgesetzes jetzt öffentlich einsehbar
Verbände und Interessierte können sich die geplanten Regelungen des Selbstbestimmungsgesetzes nun in ausgeschriebener Form ansehen: Die beteiligten Ministerien veröffentlichten erstmals den Entwurfstext.

Twitter / ChangeGER) Seit Jahren setzen sich nicht nur queere Aktivist*innen für Selbstbestimmung beim Geschlechtseintrag ein (Bild:
- 9. Mai 2023, 12:28h 10 Min.
- Zu Updates springen: Reaktionen Lehmann und Ataman
Ende April konnten Medien, darunter auch queer.de, erstmals konkret über das berichten, was im Entwurf des geplanten Selbstbestimmungsgesetzes steht. Wie berichtet, enthält er einige erstmals bekannt gewordene, weitere Einschränkungen für trans- und intergeschlechtliche sowie nichtbinäre Personen. Nun stellen die beteiligten Ministerien den Gesetzestext auch öffentlich zur Verfügung.
Eingesehen werden kann der Text, den Justiz- und Familienministerium nach langer Bearbeitungsphase jetzt in die regierungsinterne Abstimmung gegeben haben, auf den Webseiten der beiden Ministerien. Außerdem gibt es einen Katalog zu häufig gestellten Fragen.
Prozess zu Verbändeanhörung gestartet
Das Selbstbestimmungsgesetz soll die vereinfachte Änderung von Namen und Geschlechtseintrag transgeschlechtlicher Menschen vor dem Standesamt regeln. Damit würde die teure und menschenrechtswidrige Begutachtungspflicht wenigstens in Bezug auf die amtlichen Einträge wegfallen. Diese Pflicht ist im 1981 in Kraft getretenen und noch immer gültigen Transsexuellengesetz enthalten. Sie führte zu langen und teuren Verfahren, bei denen Antragsteller*innen immer auch der Willkür und übergriffigen Fragen durch Gutachter*innen ausgesetzt gewesen waren.
Der Entwurfstext sei am Dienstag an Länder und Verbände verschickt und auf der Internetseite beider Ministerien veröffentlicht worden, wie es in einer gemeinsamen Presseerklärung von Justiz- und Familienministerium heißt. Und: "Die interessierten Kreise haben nun Gelegenheit, bis zum 30. Mai 2023 Stellung zu nehmen." In der Folge dieser Verbändeanhörung dürfte dann zunächst innerhalb des Regierungskabinetts weiter über den finalen Gesetzestext beraten werden, wie er dann in den Bundestag eingebracht werden soll.
Justizminister Marco Buschmann (FDP) begrüßte die im Entwurf enthaltenen Einschränkungen gegenüber früheren Varianten eines Selbstbestimmungsgesetzes: "Die überfällige Besserstellung von Personen, deren Geschlechtsidentität vom Geschlechtseintrag abweicht, geht nicht zu Lasten anderer Menschen." Der Entwurf wahre "Hausrecht und Privatautonomie" und lasse "Raum für sachgerechte Differenzierungen". Er sei überzeugt, dass man damit eine Lösung gefunden habe, die "eine Chance hat auf breite gesellschaftliche Zustimmung" habe.
Transgeschlechtliche Menschen seien "schon viel zu lange betroffen von Diskriminierung und würdeloser Behandlung". Diesen Zustand werde man "endlich hinter uns lassen", zeigte sich Buschmann zufrieden. Kritiker*innen werfen dem Justizminister allerdings vor, selbst für die erstmalige Aufnahme bestimmter Diskriminierungserlaubnisse im Referent*innenentwurf gesorgt zu haben. Diese gehen über den Regelungsbereich des Gesetzes weit hinaus und versuchen abseits der bloßen Änderung von Namen und Geschlecht Einfluss auf das Leben transgeschlechtlicher Personen zu nehmen.
Vorsichtiger, was die Verbesserung der Lage geschlechtlicher Minderheiten durch das Gesetz angeht, zeigte sich dementsprechend auch Familienministerin Lisa Paus (Grüne). Durch das Vorankommen beim Gesetz komme man auch beim Schutz vor Diskriminierung und den Rechten trans- und intergeschlechtlicher sowie nichtbinärer Menschen voran. Man gebe den Betroffenen "einen Teil ihrer Würde zurück, die ihnen von Staats wegen jahrzehntelang vorenthalten wurde". Mit der nun eingeleiteten Verbändeanhörung sei zudem die Möglichkeit gegeben, die Stellungnahmen aus der Community einzuholen.
Der LSVD kündigte bereits an, die Regelungen des Entwurfs in den nächsten Wochen genau zu analysieren. Der Verband werde sich im weiteren Verfahren für die Verbesserungen einsetzen, die aus der Sicht der Betroffenen notwendig seien. "Insbesondere der Verweis auf das Hausrecht, die Wirksamkeitsfrist, die Regelungen für Minderjährige sowie Ausnahmen beim Offenbarungsverbot werfen Fragen auf, die einer kritischen Auseinandersetzung bedürfen." Nach der Erklärung beim Standesamt sollen die Änderung erst mit drei Monaten Verzögerung gültig werden.
Mit Blick auf diesen Entwurf sei "dennoch nicht allen Mitgliedern der queeren Communities zum Feiern zumute", schränkte auch der Bundesverband Trans* seine Freude ein. "Es ist kein Geheimnis, dass das Selbstbestimmungsgesetz Gegner*innen hat, welche gezielt Ängste schüren, um das Gesetzesvorhaben zu gefährden. Die starke Verbreitung des trans*feindlichen Narrativs, wonach geschlechtergetrennte Toiletten, Saunen oder Unterkünfte durch das Gesetz weniger geschützt seien, hat zu massiver Verunsicherung geführt. Dies spiegelt sich leider schmerzhaft in dem Gesetzentwurf", erklärt Kalle Hümpfner vom Verband. Man brauche "eine deutliche Abgrenzung von trans*feindlichen Erzählungen und ein klares Bekenntnis für die Stärkung der Teilhabe von trans*, intergeschlechtlichen und nicht-binären Personen". Das sei enorm wichtig, um Diskriminierung abzubauen.
Hausrechtsverweis auch im Entwurfstext
Viele Regelungen im "Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag" entsprechen zwar den Eckpunkten, die Marco Buschmann und Lisa Paus im Juni vergangenen Jahres vorgestellt hatten. Trotz der Kritik der Antidiskriminierungsstelle des Bundes hat es aber der angekündigte und vielfach kritisierte Verweis auf das Hausrecht in den Entwurf geschafft. Hinzu kommen weitere, neue Einschränkungen.
In der Frage des Hausrechts hatte sich Marco Buschmann mit der Aufnahme eines Hinweises in das Gesetz durchgesetzt. Es sei "daher etwa im Rahmen des Hausrechts weiterhin möglich", heißt es im Entwurf, "aus sachlichem Grund, etwa um den Schutz der Intimsphäre oder der persönlichen Sicherheit Rechnung zu tragen (zum Beispiel beim Zugang zu Saunen oder Fitnessstudios für Frauen oder zu Umkleidekabinen) im Einzelfall zu differenzieren". Die Rechtslage nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz bleibe "unverändert".
Welche tatsächlichen Rechtsfolgen sich aus dem Passus ergeben, scheint jedoch offen. Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes widerspricht der Interpretation, wonach der Ausschluss transgeschlechtlicher Personen aus bestimmten geschlechtsexklusiven Räumen rechtlich möglich sei (queer.de berichtete).
Regelungen zu Krieg, Haft, Sport und mehr
Neu war beim erstmaligen Bekanntwerden der Inhalte, dass der Text die Abgabe einer Versicherung beim Standesamt vorsieht. Demnach sollen Personen, wenn sie ihren Namen und ihren Geschlechtseintrag ändern wollen, versichern, dass der gewählte Geschlechtseintrag der Geschlechtsidentität "am besten entspricht" und ihnen "die Tragweite der durch die Erklärung bewirkten Folgen bewusst ist".
Ebenfalls erstmalig wurde eine bislang nicht diskutierte Regelung zum Verteidigungsfall in den Gesetzentwurf aufgenommen. Damit will die Regierung offenbar verhindern, dass sich cisgeschlechtliche Männer durch eine Änderung des Geschlechtseintrags einer Einberufung entziehen. Befindet sich Deutschland im Verteidigungsfall, sind Änderungen des Geschlechtseintrags weiter möglich, eine aktuelle Änderung von "männlich" zu einem anderen Eintrag gelte allerdings nicht für den Dienst an der Waffe. Eine Ausnahme bei "unbilliger Härte" im Einzelfall findet sich im nun vorgelegten Entwurf anders als in dem vor zwei Wochen bekannt gewordenen nicht mehr.
Auch Erläuterungen zur Auslegung des Geschlechts im Falle von Inhaftierungen, zum Sport sowie zu krankenkassen- und abstammungsrechtlichen Folgen sind im Entwurf enthalten. Die Unterbringung von Strafgefangenen müsse "sich nicht allein am Geschlechtseintrag orientieren". Das Gesetz "gebietet mithin nicht, dass Personen immer entsprechend ihrem personenstandsrechtlichen Geschlechtseintrag in einer entsprechenden Anstalt untergebracht werden." Die konkrete Gestaltung solcher Regeln obliegt jedoch den Ländern.
"Die Bewertung sportlicher Leistungen" könne "unabhängig von dem aktuellen Geschlechtseintrag geregelt werden", besagt der Entwurf über das Gesetz. Und: Keinen Einfluss sollen rechtliche Transitionen auch auf Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen haben: "Auf den aktuellen Geschlechtseintrag kommt es nicht an, wenn medizinische Leistungen zu ergreifen sind." Zudem wird klargestellt, dass das SBGG nicht auf Gesetze und Verordnungen, die Regelungen über Schwangerschaft, Gebär- oder Zeugungsfähigkeit betreffen, angewendet werden könne. Ebenso bleibt ein trans Mann im Rechtsverhältnis zu seinem Kind eine "Mutter". In Geburtsurkunden soll zumindest die Bezeichnung "Vater" oder "Mutter" nachträglich in "Elternteil" geändert werden können.
Ein Paragraf im Gesetzentwurf geht darauf ein, wie sich das SBGG auf Quotenregelungen in Gremien und Organen auswirkt. Grundsätzlich gilt, dass das im Personenstandsregister eingetragene Geschlecht zum Zeitpunkt der Besetzung maßgeblich ist. Erfolgt eine Änderung des Geschlechtseintrags nach der Besetzung, so ist die "Unterschreitung der Mindestanzahl oder Mindestquote [...] erst bei der nächsten Bestellung zu berücksichtigen".
Auch eine Modifikation des schon im Transsexuellengesetz enthaltenen "Offenbarungsverbots" ist im Gesetz enthalten. So sind behördliche Offenbarungen personenbezogener Daten erstmals als Ordnungswidrigkeit eingestuft. Allerdings sieht der Entwurf Ausnahmen vor. So darf ein früherer Geschlechtseintrag oder Vorname eines Menschen "ohne Zustimmung dieser Person nicht offenbart oder ausgeforscht werden, es sei denn, dass besondere Gründe des öffentlichen Interesses dies einfordern oder ein rechtliches Interesse glaubhaft gemacht wird". Bewusste Zuwiderhandlungen könnten mit bis zu 10.000 Euro bestraft werden. Unklar ist, wie ein Gericht das bewusste Handeln von Behördenmitarbeiter*innen im Zweifelsfall feststellen könnte. Ein Verbot von Misgendern oder Deadnaming ist im Entwurf indes nicht enthalten, wie die Ministerien jetzt noch ein mal betonten. (jk)
Update 13:10 Uhr: Sven Lehmann fordert Streichung von Hausrechtsverweis
Auch Sven Lehmann begrüßte die Veröffentlichung des Gesetzes, ohne auf Kritik zu verzichten. An einigen Stellen müsse der Entwurf verbessert werden, kommentierte er. Eine Wartezeit von drei Monaten vor Inkrafttreten einer beim Standesamt erklärten Änderung sei zu lang und sollte verkürzt werden. Wie das Transsexuellengesetz sehe auch der Entwurf für das Selbstbestimmungsgesetz "noch zu viele Ausnahmen im Offenbarungsverbot vor, etwa für ehemalige Partner*innen".
Den Verweis auf die Gültigkeit des Hausrechts im Gesetz nennt Lehmann "unnötig", zumal in der Begründung ausgeführt werde, dass sich an den Regeln zum Hausrecht und seiner Begrenzung etwa durch den Diskriminierungsschutz aufgrund des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes nichts ändert. "Der Verweis auf das Hausrecht im Gesetz löst bei den Betroffenen massive Ängste vor neuen Ausschlüssen aus, gerade angesichts transfeindlicher Entwicklungen überall auf der Welt. Wenn Teile des Gesetzentwurfs Angst bei denen auslöst, die er schützen soll, dann müssen sie verändert werden", forderte der Queerbeauftragte der Bundesregierung.
Queerpolitischer SPD-Sprecher verweist aufs Parlament
Jan Plobner, stellvertretender queerpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, zeigte sich erfreut, dass die Ministerien dem Entwurf zum Selbsbestimmungsgesetz "endlich zugestimmt haben und wir uns nach der Verbändeanhörung bald im Parlament damit befassen können". Der Bundestag sei der Ort, an dem die Verhandlungen zum Gesetz laufen sollten. "Dabei muss klar sein, worum es im Kern geht: Wir ermöglichen eine Änderung des Geschlechts und des Vornamens per Selbstauskunft und ohne Gutachten. Wir bauen damit staatliche Diskriminierung ab und erleichtern gesellschaftliche Teilhabe für trans* Personen. Dieser Kern muss – auch mit Blick auf die öffentliche Diskussion – unbedingt Ausgangspunkt jeder Debatte sein."
Update 17:11 Uhr: Ataman: Antidiskriminierungsgesetz ist eindeutig
Auch die Antidiskriminierungsbeauftragte Ferda Ataman forderte, den Text an einigen Stellen nachzubessern. Das größte Problem sehe sie im Begründungstext des neuen Selbstbestimmungsgesetzes. Der gehe an wichtigen Stellen "ungewöhnlich ausschweifend auf Argumente ein, die sich gegen die Akzeptanz geschlechtlicher Vielfalt wenden. Man könnte auch sagen, die Gesetzesbegründung lässt sich auf unsachliche Debatten aus den sozialen Medien ein. Das ist fatal."
Das Selbstbestimmungsgesetz dürfe nicht den Eindruck vermitteln, man müsse die Geschlechtsidentität von trans Menschen nicht immer so genau nehmen, etwa wenn diese Dienstleistungen in Anspruch nehmen. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verbiete Diskriminierungen aufgrund des Geschlechts, stellte Ataman erneut klar. "Allein aufgrund der äußeren Erscheinung darf niemand pauschal ausgeschlossen ausgeschlossen werden – hier ist das AGG eindeutig und das darf nicht in Frage gestellt werden. Der Verweis auf das Hausrecht im Gesetzesentwurf ist deshalb überflüssig."
Nochmal Sven Lehmann
Am Nachmittag erschien auch ein Interview des "Tagesspiegel" mit Sven Lehmann. Dort wies er diejenige Kritik am Gesetzesentwurf zurück, die "sehr brachial daher" komme und behaupte, dass dieser Gesetzentwurf schlechter sei als das Transsexuellengesetz. Das könne Lehmann "in keiner Weise nachvollziehen". Andere Kritikpunkte am Gesetz aber teile der Queerbeauftragte. Er werde sich weiterhin für Verbesserungen am Gesetz einsetzen.
Zur Diskussion um den Verweis auf das Hausrecht führt Lehmann die Bedeutung dieses Hinweises dahingehend aus, es werde "weiterhin verboten bleiben, transgeschlechtliche Menschen wegen ihrer Transgeschlechtlichkeit von Einrichtungen auszuschließen". Das widerspricht allerdings diametral der von Justizminister Marco Buschmann über Monate in verschiedenen Medien vorgetragenen Intention, mit dem Verweis auf das weiterhin geltende Hausrecht den Ausschluss transgeschlechtlicher Frauen zu ermöglichen beziehungsweise weiterhin zu ermöglichen.
Sollte die Bundesregierung am Hausrechtsverweis festhalten, müsse "diese wichtige Klarstellung aus meiner Sicht ins Gesetz", so Lehmann gemäß seiner Interpretation des Hinweises: "Vor allem, wenn dieser Teil des Gesetzentwurfs Angst bei denen auslöst, die er schützen soll." Er halte den Verweis auf das Hausrecht im Gesetz für "nicht notwendig".
Zustimmung auch aus FDP-Bundestagsfraktion
Die FDP-Sprecher*innen für LSBTI sowie für Diversity in der Bundestagsfraktion, Jürgen Lenders und Nicole Bauer, begrüßten den Gesetzesentwurf ebenfalls. "Der von Bundesfamilienministerin Lisa Paus und Bundesjustizminister Marco Buschmann vorgelegt Entwurf wahrt auch das Hausrecht und die Privatautonomie und lässt Raum für sachgerechte Differenzierungen. Die Rechtslage nach dem Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz bleibt unverändert."
