
https://queer.de/?45570
Kommentar
Selbstbestimmungsgesetz: So, wie es ist, kann es nicht bleiben
Der von der Bundesregierung veröffentlichte Entwurf für das Selbstbestimmungsgesetz ist voll von überzogenen Einschränkungen ohne sachliche Gründe. Die Ampel-Performance in Sachen Trans-Rechte ist unter aller Würde.

C.Suthorn / cc-by-sa-4.0 / commons.wikimedia.org) Seit Jahren wird in Deutschland für einen selbstbestimmten Geschlechtseintrag demonstriert, hier 2018 vor dem Kanzler*innenamt und für die "Dritte Option" (Bild:
13. Mai 2023, 04:50h 5 Min. Von
Am Dienstag veröffentlichten das Justiz- und das Familienministerium den Entwurf für das Selbstbestimmungsgesetz. Damit ist endlich die Phase der Verbändeanhörung eingeleitet. Bis zum Ende des Monats sollen nun die Stellungnahmen ausgearbeitet werden (queer.de berichtete).
Es braucht keine hellseherischen Fähigkeiten, um zu erahnen, dass LGBTI-, Trans- und Inter-Verbände bereits ihre argumentativen Schwerter schärfen. Denn der Gesetzentwurf strotzt nur so vor Generalverdächtigungen gegenüber transgeschlechtlichen Personen, insbesondere Frauen.
Kooperatives Grafitti-Schandwerk
Statt einfach den profanen Amtsakt der Änderung von Namens- und Personenstand zu regeln, haben sich die verschiedensten professionellen Bedenkenträger*innen im Entwurf verewigt – wie auf einer Hauswand, bei der versäumt wurde, dem ersten aufgesprühten Schriftzug gleich tags darauf mit Hochdruckreiniger und Farbe zu Leibe zu rücken und zu signalisieren: Hier nicht! Stattdessen stolzierte Justizminister Marco Buschmann auch noch sündenstolz mit bunt verschmierten Fingern durch die Medien.
Man stelle sich vor, das Gesetz zur Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare hätte einen Katalog solcher Bemerkungen enthalten! Etwa die, dass durch den Homo-Eheschluss die Vertragsfreiheit im Rahmen der Privatautonomie nicht angetastet ist, Krankenkassen nach dem Läuten der Hochzeitsglocken nicht zu reproduktionsmedizinischen Leistungen verpflichtet sind, Pornhub keine Schwulenpornos im Bereich für Hetero- und "Lesben"filmchen einblenden muss und auch gleichgeschlechtliche Paare 85 Cent Portogebühren für einen Standardbrief zu zahlen haben. Freilich alles im Rahmen des AGG. Es wäre ein Wink mit dem Zaunpfahl gewesen. Eine Einladung an die Dominanzgesellschaft, dass Ausgrenzung und Diskriminierung auch weiterhin auf eine gewisse Duldung setzen dürfen.
Doch bei trans- und intergeschlechtlichen Personen, binär oder Enbies, geschieht genau dies. Und das, nachdem sich der Gesetzgeber mit dem Transsexuellengesetz – auch all die Entscheidungen des Verfassungsgerichts belegen das – bereits so massiv und über Jahrzehnte an ihnen vergangen hatte.
Überzogene Einschränkungen ohne sachliche Gründe
Ach, müssten wir nur die formal folgenlosen Bemerkungen hinnehmen! Da wären dann noch etwa die völlig überzogenen Einschränkungen bei Jugendlichen. So wird aus einem prinzipiell guten Ansatz – angesichts der nach wie vor prekären und unter Beschuss stehenden Existenz transgeschlechtlicher Personen auf Prozess und Einvernehmlichkeit in den Familien zu setzen – eine Bestärkung genau dieser Anschläge auf die Leben geschlechtlicher Minderheiten.
Wieso um alles in der Welt muss man erst 18 werden, um die neuen Rechte gegenüber dem Standesamt auch wirklich eigenständig in Anspruch nehmen zu können? Auch das wird Eltern und Gesellschaft suggerieren, dass es sich bei Trans- oder Intergeschlechtlichkeit mehr um eine Lifestyle-Entscheidung besonders progressiver, linksgrünversiffter Erwachsener handelt, nicht um eine absolut existentielle Angelegenheit, die man sich eben gerade nicht aussuchen kann.
Eine Änderung der Ausweisdokumente wird bei transgeschlechtlichen Jugendlichen und Erwachsenen auch in Zukunft zu handfesten sozialen Konsequenzen in Schule, Ausbildung, Studium und Beruf, im Nahverkehr wie in medizinischen Einrichtungen, Banken und Co führen. Ihnen durch eine dreimonatige Wartezeit und eine einjährige Sperrfrist dann auch noch mit Misstrauen zu begegnen, ist darum überhaupt nicht sachlich gerechtfertigt. Das erinnert im Übrigen gar nicht zufällig an all die Verdächtigungen, denen sich ausgesetzt sieht, wer Vorwürfe sexueller Gewalt erhebt oder eine Schwangerschaft beenden will. Feminismus, war da was?
Hinter gutem Journalismus stecken viel Zeit und harte Arbeit – doch allein aus den Werbeeinnahmen lässt sich ein Onlineportal wie queer.de nicht finanzieren. Mit einer Spende, u.a. per oder Überweisung, kannst Du unsere wichtige Arbeit für die LGBTI-Community sichern und stärken. Abonnent*innen bieten wir ein werbefreies Angebot.
Selbstbestimmung ist nicht Selbstbestimmung
Geschlecht ist eine relationale Kategorie. Es kann nicht nur an und in einem individuellen Menschen existieren. Als Menschen sind wir immer darauf angewiesen, in bestimmten Verhältnissen der Anerkennung zu und von anderen zu leben. Vielleicht hat sich auch deshalb die frühzeitige Benennung der nötigen Reform als "Selbstbestimmungsgesetz" negativ ausgewirkt. Lädt sie doch all diejenigen, die von Abscheu, Ekel, Angst und Projektion nicht lassen wollen, dazu ein, durch das Gesetz vermeintliche Naturprinzipien angetastet zu wähnen.
Transgeschlechtliche Menschen sollen ihre Geschlechtsidentität gegenüber dem Staat und damit gegenüber ihren Mitbürger*innen selbst erklären können. Sie sollen dazu keine vorgebliche Fachexpertise mehr benötigen. Doch das ist etwas so fundamental anderes als die irrige Vorstellung, Menschen könnten ihr eigenes Geschlecht selbst bestimmen. Die Stimmung, die mit diesem Missverständnis gemacht worden ist, lässt sich jetzt auch am Gesetzentwurf wiederentdecken.
Wir sind von cisgeschlechtlichen Menschen abhängig, wenn es darum geht, unsere Leben leben zu können – in den konkreten Körpern, die wir dabei mitbringen. Kein Gesetz über staatliche Einträge kann das ändern. Das ist gut und schlecht zugleich. Unabhängig von der Regelung von Amtsvorgängen wird es in den kommenden Jahren darauf ankommen, die verhärteten Fronten aufzuweichen, Polarisierungen aufzulösen und wieder dritte, vierte, fünfte Positionen hören und ertragen zu können. Ein Gesetz aber, das den Verdacht für Jahre festschreibt, verletzt transgeschlechtliche Menschen. Es erschwert es so, den Schaden aufzuräumen, der in den vergangenen Monaten und Jahren angerichtet worden ist.
Jetzt hängt es an den Verbänden
43 Jahre nach Verabschiedung des Transsexuellengesetzes ist aus dem Sound von Mitleid mit den vermeintlich unheilbar geistig kranken Querulant*innen ein Tonfall geworden, der suggeriert: "Zähneknirschend entlassen wir euch zwar in die von Wissenschaften und Gerichten angeordnete Freiheit – aber nicht, ohne uns und euch selbst vor dieser eurer Freiheit zu schützen!"
Da ist es nur konsequent, dass sich das Elend der Jahre unter Merkel, Seehofer und SPD-Anhang in den vergangenen Monaten mit immer wieder gerissenen Ankündigungen, Versprechungen und Zeitplänen fortgesetzt hat. Die bisherige Performance der Ampel bei der Ausarbeitung des Gesetzes jedenfalls war unter aller Würde. Wir sollten uns darauf gefasst machen, dass das in den vor uns stehenden, harten Wochen sicher nicht besser werden wird.
Hoffentlich schaffen es die Verbände, den Koalitionär*innen noch ein wenig mehr Einsicht und Vernunft abzuringen. Den Leidensgenoss*innen, die sich auch in Hinblick auf den parlamentarischen Prozess noch in die politische Schlacht werfen werden müssen, sei ein robustes Nervenkleid und viel Durchhaltevermögen gewünscht.

Links zum Thema:
» Referent*innenentwurf Selbstbestimmungsgesetz
Es ist doch viel schlimmer. Mit dem Buschmann-Passus werden sie gesetzlich grundlegend eingeführt. Es geht daher nicht um einige Verbesserungen, sondern erst einmal um eine grundsätzliche Ablehnung des Gesetzes.