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Literatur
Schwules Schreiben
In seinem neuen Buch "Den Schwulen lass hier mal weg" beleuchtet Detlef Grumbach kenntnisreich und ohne Scheuklappen deutschsprachige Literatur von Klaus Mann bis Ralf König. Die Lektüre lohnt aber vor allem, um unbekanntere Autoren wie Friedo Lampe neu- und wiederzuentdecken.

Detlef Grumbach gehörte 1992 zu den Gründern des Männerschwarm Verlags (Bild: Jens Wormstaedt)
13. Mai 2023, 05:03h - 3 Min. Von
Detlef Grumbach dürfte wohl vielen Buchbegeisterten kein Unbekannter sein: Der Wahl-Hamburger hat den Buchladen Männerschwarm sowie den gleichnamigen Verlag mitaufgebaut und damit das schwule Literaturgeschehen in Deutschland wesentlich geprägt. Aber nicht nur als Buchhändler und Verleger hat Grumbach sich einen Namen gemacht, auch als Journalist von Reportagen über queeres Leben oder die Verknüpfungen der Edeka-Gruppe mit der NSDAP hat er für Aufsehen gesorgt.
In dem Band "Den Schwulen lass mal weg" finden sich nun Aufsätze, Reden und Rezensionen versammelt, die Grumbach zwischen 1984 und 2019 verfasst hat. Ralf König und seinen schamlosen Comics wird da gehuldigt, Schwules bei Martin Walser unter die Lupe genommen, und gleich drei Texte beschäftigen sich mit Klaus Mann. Grumbach erweist sich dabei als ebenso kenntnis- wie geistreicher Autor, dem man gerne auf seinen literarischen Spurensuchen folgt. Während die Reden etwas persönlicher und lebhafter sind, erweist sich die Mehrzahl der Texte allerdings als eher nüchterne Angelegenheit – es braucht schon ein gewisses Grundinteresse vonseiten der Leser*innen an den besprochenen Schriftstellern, um von Grumbachs Leidenschaft mitgerissen zu werden.
Neugierig machender Rückblick

Die Sammlung "Den Schwulen lass hier mal weg" ist Anfang Mai 2023 im Männerschwarm Verlag erschienen
Die Lektüre dieser Sammlung lohnt sich aber vor allem, um unbekanntere und in Vergessenheit geratene Autoren neu- oder wiederzuentdecken. Der Text über Friedo Lampe, der sich dem magischen Realismus zugehörig fühlte und filmische Darstellungstechniken für seine Erzählungen genutzt hat, macht ebenso neugierig wie der Rückblick auf das literarische Schaffen während der Aids-Krise.
Grumbachs Fokus mag eventuell in Zeiten von Queerness, LSBTTIQA* und Intersektionalität etwas eng wirken. Er betrachtet meist Literatur aus dem 20. Jahrhundert von weißen Männern, ein Bezug zum Jetzt erschließt sich nicht immer sofort, wenn man zum Beispiel an Themen wie der Rezeption von Walser-Romanen nicht generell interessiert ist. Allein aber schon sein Blick auf Wolfgang Koeppens Werk, zeigt welche Relevanz Grumbachs Texte haben: Wo sich die Diskussion um Koeppens "Tauben im Gras" momentan vor allem um die Nutzung des N-Worts dreht, da führt "Den Schwulen lass hier mal weg" eindrücklich Koeppens Avantgardismus und Antifaschismus vor Augen und widmet sich seinem komplexen Werk auf angemessen Weise. Ohne zu verklären und mit einem Gespür für Widersprüche werden hier Verbindungen zwischen Werk, Autor und gesellschaftlichen Umständen offengelegt.
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Ermunterung zum genauen Hinschauen
Dass Grumbach es sich nicht verkneifen kann, die Debatte um "Tauben im Gras" als scheinheilig abzutun, erscheint hingegen leichtfertig und gedankenlos. Er behauptet, dass der Roman auf den Index gesetzt und damit eine Art Wirklichkeitsverweigerung vollzogen würde. Die gewaltvolle Wirkung des N-Worts auf Betroffene und den Umstand, dass diese sicherlich nicht auf die Lektüre von Koeppens Roman angewiesen sind, um sich schmerzhafte Realitäten bewusst zu machen, lässt Grumbach dabei unter den Tisch fallen.
Solche persönlichen Urteile streut Grumbach allerdings nur sparsam ein. Meist nimmt der Autor sich zurück, wirft eher Fragen auf, statt zu belehren, und überlässt es den Leser*innen, eigene Schlüsse zu ziehen. Grumbachs wacher Blick auf Literatur und Gesellschaft macht lediglich vor, wie das ablaufen kann, wenn man ohne Scheuklappen, aber mit Haltung liest und deutet. Wie heißt es einmal in "Lass den Schwulen mal weg" so schön: "Hinschauen, genau hinschauen, das hilft."
Detlef Grumbach: Den Schwulen lass hier mal weg. Aufsätze und Reden zur Literatur. 272 Seiten. Männerschwarm Verlag. Berlin 2023. Taschenbuch: 20 € (ISBN 78-3-86300-356-2)

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