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Studie
Gesundheitsversorgung: "Eklatante Lücken" bei trans und nichtbinären Menschen
In Deutschland muss in medizinischen Einrichtungen mehr getan werden für geschlechtliche Minderheiten. Das ist das Ergebnis einer Studie von DAH und RKI.

freepik.com) Bei trans und nichtbinären Menschen hat das deutsche Gesundheitssystem noch Raum noch oben (Bild:
- 15. Mai 2023, 16:12h 4 Min.
Eine am Montag veröffentlichte Studie (PDF) der Deutschen Aidshilfe (DAH) und des Robert Koch-Instituts (RKI) kommt zu dem Ergebnis, dass medizinische Einrichtungen und Beratungsstellen zu Fragen der sexuellen Gesundheit in Deutschland auf trans und nichtbinäre Menschen nicht ausreichend vorbereitet sind. Die DAH spricht dabei von "eklatanten Versorgungslücken". Diese seien besonders schlimm, weil die Gruppe besonders häufig von HIV betroffen sei – sie mache 0,7 Prozent der HIV-Positiven, aber nur 0,1 Prozent der Bevölkerung aus. Daher müsse jetzt gehandelt werden.
Mit der Studie liegen erstmals Daten und wissenschaftlich abgesicherte Erkenntnisse zur sexuellen Gesundheit dieser Gruppen in Deutschland vor. Der Abschlussbericht gibt außerdem Empfehlungen, wie Lücken geschlossen und die Qualität der Versorgung gesteigert werden könnten.
"Mit Blick auf HIV und Geschlechtskrankheiten ist ein leichter Zugang zu kompetenten Angeboten für Beratung, Tests und Behandlung unverzichtbar", erklärte DAH-Vorstandsmitglied Sylvia Urban. "Trans und nichtbinäre Menschen können sich darauf in Deutschland noch nicht verlassen. Sie müssen mit Unwissenheit und Diskriminierung rechnen – und damit, dass sie schlicht nicht mitgedacht werden. Das muss sich dringend ändern!"
Twitter / Aidshilfe_de(1/6) #Trans u. nicht-binäre Menschen erleben massive Missstände in der Versorgung für sexuelle Gesundheit. Das bestätigen erstmals die heute veröffentlichten Ergebnisse einer Studie von @Aidshilfe_de u. @rki_de -> https://t.co/liiUWkeUpF pic.twitter.com/MaaLi2y63K
Deutsche Aidshilfe (@Aidshilfe_de) May 15, 2023
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Für die Studie befragte das Robert Koch-Institut mehr als 3.000 Menschen mit einem Online-Fragebogen. Die Deutsche Aidshilfe sprach außerdem in Workshops und Interviews mit 59 Personen detailliert über ihre Erfahrungen.
Erhöhte Belastung
Die Ergebnisse bestätigen, was in der internationalen Forschung bereits bekannt war: Trans und nichtbinäre Menschen sind generell erhöhten gesundheitlichen Risiken ausgesetzt. Psychische Belastungen entstünden laut den Forschenden etwa durch Diskriminierungserfahrungen und Stigmatisierung, aber auch, weil der eigene Körper oder bestimmte Körperteile als unpassend empfunden werden. Die körperliche Gesundheit sei zum Beispiel durch fehlende Kompetenz bei Ärzt*innen gefährdet.
Laut der Studie gaben 79 Prozent in der Online-Befragung an, dass sie schon mindestens einmal das Gefühl hatten, in sexuellen Situationen ihre Geschlechtsidentität durch ihr Verhalten beweisen zu müssen. 55 Prozent fällt es demnach nicht leicht, ihre Bedürfnisse beim Sex zu äußern und diesen aktiv mitzugestalten. 31 Prozent der online Befragten fällt es schwer, "Nein" zu Sex zu sagen, den sie nicht möchten. Einige Teilnehmende berichteten, dass sie sich nicht trauten, auf ihre Safer-Sex-Wünsche zu bestehen.
"Mein Körper ist schon ein Umstand für die andere Person, da mag ich nicht noch weitere Forderungen stellen", erklärte eine befragte Person im qualitativen Teil der Studie.
Gesundheitssystem ohne Kenntnisse
Trans und nichtbinäre Menschen träfen häufig auf ein Gesundheitssystem, "das sich noch immer fast ausschließlich an der überkommenen Einteilung in lediglich zwei Geschlechter orientiert – vom Aufnahmebogen über Beratung und Medikation bis zur Abrechnung", so die DAH.
Lediglich 32 Prozent gaben in der Online-Befragung an, dass bei ihrer letzten Beratung zu HIV und anderen sexuell übertragbaren Infektionen der selbstgewählte Name, die geschlechtliche Identität und das gewünschte Pronomen erfragt wurden. Werden Fragebögen zu gesundheitlichen Vorerkrankungen geschlechtsspezifisch verteilt, stimmen die darauf abgebildeten Genitalien und Schleimhäute oft nicht mit den körperlichen Gegebenheiten der Ratsuchenden überein. Ein strukturelles Hindernis bestehe zum Beispiel, wenn Gynäkolog*innen die Gebärmutterhalskrebsvorsorge nicht abrechnen können, weil bei der Krankenkasse das Geschlecht "männlich" gespeichert ist.
Auch in der Beratung mangle es oft an entscheidenden Kenntnissen: Wenn eine beratende Person zum Beispiel nicht weiß, dass einige trans Männer aufnehmenden Vaginalsex praktizieren, könne das bei der Beratung zur HIV-Prophylaxe PrEP gefährliche Folgen haben: Für aufnehmenden Vaginalverkehr gilt nämlich ein besonderes Einnahmeschema, weil es länger dauert, bis sich in der Vaginalschleimhaut ein ausreichender PrEP-Schutz aufgebaut hat.
Darum wird in der Studie empfohlen, dass es mehr Test- und Beratungsangebote speziell für trans und nichtbinäre Menschen geben soll. In breiter aufgestellten Einrichtungen seien außerdem spezielle Angebote notwendig, etwa Testtage für geschlechtliche Minderheiten. Zudem sei geeignetes Informationsmaterial auch für Fachpersonal vonnöten, ebenso wie die Thematisierung in der Ausbildung. "Generell gilt: Angebote aus den Communitys für die Communitys müssen gefördert werden – sie genießen hohe Akzeptanz und werden als gut und sicher bewertet", erklärte die DAH. (pm/cw)

Links zum Thema:
» Broschüre zum Forschungsprojekt (PDF)
Von Trans*, Inter* und Nonbinary* Menschen brauchen wir nicht erst zu sprechen.
Außer bei den Spezialisten, herrscht allgemeine Ahnungslosigkeit. Das fängt bei statistischen Daten an und hört bei fehlenden Studien nicht auf.