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Aktionstag
IDAHOBIT 2023: Hass auf queere Menschen nimmt zu
Anlässlich des Aktionstages gegen Queerfeindlichkeit gibt es Warnungen vor zunehmendem Hass – und zwar nicht nur weit weg in Ungarn oder Russland, sondern direkt hier in Deutschland.

Aktion zum IDAHOBIT im vergangenen Jahr vor dem Reichstagsgebäude (Bild: Grundgesetz für alle)
- 17. Mai 2023, 03:44h 3 Min.
Er ist inzwischen der kleine Bruder des CSD: Der queere Aktionstag IDAHOBIT wird weltweit geschätzt, weil man mit einfachen Aktionen unbürokratisch auf Missstände aufmerksam machen kann. Auch in Dutzenden deutschen Städten gibt es kleine Demos (Regenbogenflashe), Aktionen wie Stolpersteinputzen und auch Lesungen, Infostände, Wanderungen oder Konzerte. Alle deutschen Termine zum IDAHOBIT 2023 sind im queer.de-Kalender aufgeführt.
Zudem gibt es auch Zeichen aus der Politik – viele Landes- und Bundesministerien hissen etwa Regenbogenfahnen. Inzwischen beteiligen sich auch immer mehr CDU-geführte Ministerien an der symbolischen Aktion: Allein in Berlin ziehen am Mittwoch etwa der neue Regierende Bürgermeister Kai Wegner (CDU), Finanzsenator Stefan Evers (CDU) und Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos, von der CDU nominiert) Prideflaggen vor ihren Dienstsitzen hoch.
Aktionstag seit 2005
Der jährliche Aktionstag war 2005 vom vom französischen Aktivisten Louis-Georges Tin ins Leben gerufen worden. Der 17.5. erinnert nicht – wie hierzulande oft angenommen – an den deutschen Paragrafen 175, der Homosexualität in Deutschland von 1872 bis 1994 unter Strafe stellte. Vielmehr wird an jenen Mai-Tag im Jahr 1990 gedacht, als die Weltgesundheitsorganisation Homosexualität von der Liste der Krankheiten gestrichen hat.
Im Laufe der Jahre entwickelte sich aus dem zunächst nach einem US-Bundesstaat benannten IDAHO (International Day Against Homophobia) der IDAHOBIT (International Day Against Homophobia, Biphobia, Interphobia and Transphobia). Diese Abkürzung wird inzwischen fast weltweit genutzt. Es tauchen aber auch andere Varianten auf, um alle Teile der Community einzuschließen – in Heidelberg sprechen Aktivist*innen etwa vom IDAHOBALTI* (International Day Against Homophobia, Biphobia, Acephobia, Lesbophobia, Trans*phobia and Inter*phobia). Acephobia bedeutet Aggressionen gegen asexuelle Menschen, das Sternchen steht für geschlechtliche Vielfalt.
"Wir müssen nicht nach Russland, Ungarn oder in die USA schauen"
Dieses Jahr weisen Aktivist*innen und queerfreundliche Politiker*innen darauf hin, dass die Situation in Deutschland nach jahrelangen Fortschritten rauer werde: "In der aktuellen Debatte um das geplante Selbstbestimmungsgesetz stehen transgeschlechtliche Menschen im Dauerfeuer. Sie werden alltäglich lächerlich gemacht, als Bedrohung dargestellt oder gleich ganz in ihrer Existenz in Frage gestellt", merkte etwa der Queerbeauftragte der Bundesregierung, der Grünenpolitiker Sven Lehmann, angesichts des Aktionstages an. "Erst jüngst wurde mit Verbotsforderungen und Skandalisierung gegen eine Lesung von Dragqueens mobilisiert, weil diese angeblich gefährlich für Kinder sei. Wir müssen nicht nach Russland, Ungarn oder in die USA schauen, um politische Kräfte zu finden, die LSBTIQ* in die Rechtslosigkeit und Unsichtbarkeit zurückdrängen wollen. Deutschland darf sich nicht auf dem Erreichten ausruhen."
Der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) schaut besorgt auf schnell steigende Hasskriminalität gegen queere Menschen in der offiziellen Bundesstatistik: "Der erneute Anstieg von LSBTIQ*-feindlichen Gewalttaten zeigt deutlich: Sichtbarkeit braucht Sicherheit", erklärte LSVD-Bundesvorstandsmitglied Mara Geri.
"Diese Zahlen müssen die Politik wachrütteln, insbesondere diejenigen, die die Gefahr der Diskriminierung gegen LSBTIQ* aus Unwissen immer noch verharmlosen. Diskriminierung und Hass wirken sich negativ auf die physische und psychische Gesundheit aus. Wir beobachten mit großer Sorge die gezielte, vor allem rechtsextreme Stimmungsmache gegen alle LSBTIQ* Menschen und geschlechtliche Vielfalt."
Durch die "Dämonisierung" queerer Menschen wollten einige Gruppen in Deutschland Hass und Hetze salonfähig machen, so Geri weiter. "Das zeigt sich in Verurteilungen von Drag-Kultur, aber auch im Misstrauen, das trans*, inter* und nichtbinären Personen auf dem Weg zum Selbstbestimmungsgesetz entgegengebracht wird. In letzter Folge führen genau diese Narrative zu Gewalt. Aber: Unsere Existenz steht nicht zur Debatte; LSBTIQ*-Rechte sind Menschenrechte!"
Weitere Stimmen und Reaktionen aus Politik, Gesellschaft und Community zum IDAHOBIT 2023 gibt es in unserem Event-Blog. (dk)
