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TV-Tipp
Was bleibt nach mehr als einem Jahr queerem Aufbruch in der katholischen Kirche?
Der neue ARD-Film "Wie Gott uns schuf – Nach dem Coming Out" geht der Frage nach, wie der Alltag der Menschen aussieht, die an dem Massen-Coming-out in der katholischen Kirche teilgenommen haben.

Marie Kortenbusch (links) und Monika Schmelter haben ihre Liebe ein Leben lang versteckt – bis zur ARD-Doku "Wie Gott uns schuf" im Januar 2022 (Bild: rbb / EyeOpeningMedia)
- Von Michael Freckmann
19. Mai 2023, 17:28h 5 Min.
Als Anfang 2022 der Film "Wie Gott uns schuf" in der ARD zu sehen war, rüttelte dies viele auf. Darin outeten sich 100 Menschen, die in der katholischen Kirche in Deutschland arbeiteten. Seitdem ist viel diskutiert worden, sind viele Dokumente verabschiedet worden und haben sich auch die Leben vieler Einzelner zum Teil stark verändert.
Doch was bleibt nach dem großen Knall, nach den ersten emotionalen Sympathiebekundungen? Wenn der katholische Alltag wieder einkehrt und die Beharrungskräfte wieder spürbar werden. Die neue ARD-Doku "Wie Gott uns schuf – Nach dem Coming Out" (bereits jetzt in der ARD-Mediathek, 21. Mai um 10.30 Uhr im SWR-Fernsehen) macht deutlich, wie leicht sich im Nahbereich Dinge verbessern können, und wie unbeweglich das große Ganze am Ende dennoch ist.
Viele positive Erfahrungen nach dem Coming-out
Marie und Monika führen seit mehr als 40 Jahren eine Beziehung. "40 Jahre Schattendasein", sagt Monika rückblickend. Im ersten ARD-Film wird noch klarer, was das bedeutete: ständige Angst, von anderen Menschen auf ihre Beziehung angesprochen zu werden. Den Arbeitsplatz zu verlieren oder ihre Rentenansprüche. "Liebe als Kündigungsgrund", wie es in dem Film heißt, und auch Freunde und Bekannte plötzlich los zu sein. Von einem Tag auf den anderen.
Beide Frauen haben nach ihrem Coming-out viele positive Erfahrungen gemacht. "Die Gedanken und Gefühle kommen ins Fließen", sagt Marie – sie sind nicht mehr erstarrt und müssen nicht mehr geheim gehalten werden, damit sie niemand mitbekommt. Doch wird an ihrem Beispiel auch eine gewisse heterosexuelle Unkenntnis deutlich. Viele Menschen, so berichten beide Frauen, sagten ihnen nun, dass doch für beide nach dem Coming-out alles in Ordnung sein müsste. Doch die Spuren der 40 Jahre davor blieben ja dennoch Teil von ihrem Leben, erklären Marie und Monika.
Neue Gesichter in der Nachfolge-Doku
In der Nachfolge-Doku sind auch neue Gesichter zu sehen, die sich im ersten Film noch anonym an dem Projekt beteiligt hatten. Dazu gehört etwa der Pfarrer Christoph, der sich erst nach 44 Jahren infolge des ersten Films gegenüber seiner Mutter outen konnte. Solche Geschichten zeigen einmal mehr die Last der kirchturmhohen Mauern aus Schweigen und ständiger Alltagsinszenierung, die durch die kirchliche Lehre im Leben der Menschen erst entstanden sind und unter denen viele queere Menschen gelitten haben und noch immer leiden.

Kommt in der neuen Doku zu Wort: Jesuitenpater Ralf Klein war über die positiven Reaktionen zum ersten Teil von "Wie Gott uns schuf" überrascht (Bild: rbb / EyeOpeningMedia)
Ähnlich prekär ist die Situation für trans und nicht-binäre Menschen in der katholischen Kirche, weil diese geschlechtlichen Identitäten in der kirchlichen Lehre gar nicht erst anerkennt werden. Beispielhaft steht hierfür im Film der trans Mann Theo, der Religionslehrer geworden ist. Bis vor kurzem hatte er die katholische Lehrerlaubnis an Schulen gar nicht von seinem Bischof bekommen, sondern nur von dessen zweitem Mann, dem Generalvikar. Man wolle sich kirchenrechtlich nicht angreifbar machen, falls sich jemand im Vatikan "beschwere". So stellte sich die Arbeitgeberin Kirche nicht hinter den eigenen Mitarbeiter und gab ihm das Gefühl nur zweitrangig zu sein.
Änderung des katholischen Arbeitsrechts
Erst mit der Änderung des katholischen Arbeitsrechts Ende 2022 wurde dies merklich abgemildert. Nun stellen die private Lebensführung und die sexuelle Identität keinen Kündigungsgrund mehr da. Doch eine Änderung der geltenden Lehrmeinung ist dies freilich längst nicht. Man sieht einfach weg. Jenseits der beruflichen Anerkennung steht Theo auch privat vor einem Problem: denn eine normale kirchliche Hochzeit mit seiner Freundin darf er nicht haben, weil er in den Augen der Kirche noch immer eine Frau ist und aus ihrer Sicht nun in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung lebt.
Wie weit Lebensrealitäten innerhalb der katholischen Kirche nach wie vor auseinanderliegen, berichtet etwa ein Priester, der sich schon im ersten ARD-Film geoutet hatte. Der Leiter seines Mönchsordens hat kürzlich in einem Brief klargestellt, dass schwule wie nicht-schwule Mönche den selben Rechten unterliegen. Diese außerkirchliche Selbstverständlichkeit wurde innerkirchlich als Meilenstein empfunden. Auch das bis dahin geltende "Sprechverbot" schwuler Mönche über ihre Identität sei nun aufgehoben. An einer anderen Stelle erinnert der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Georg Bätzing, an eine Wortmeldung eines deutschen Bischofs auf dem Reformtreffen "Synodaler Weg". Dieser erklärte dort, dass queere Lebenswelten für ihn etwas komplett Neues seien, womit er sich erst auseinandersetzen müsse.
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"Warum bist du nicht längst ausgetreten?"
Jenseits des Kirchenrechts und klerikaler Äußerungen beleuchtet die Doku auch den Alltag der Menschen in der eigenen Gemeinde. Manche schildern, dass der erste Film, aber auch die Aktionen von #OutInChurch, dazu geführt hätten, dass es nun vielerorts eine gemeinsame Sprache gäbe. Dass jetzt Begriffe auch innerhalb der Gemeinde da seien, um über unterschiedliche sexuelle Identitäten zu sprechen.
Und so entstand für viele über eine gemeinsame Sprache das erste Mal eine wackelige Brücke, über die einander wenigstens vorsichtig begegnet werden konnte. Wenngleich die Ablehnung gegenüber queeren Menschen, so berichten es andere, nun häufiger hinter vorgehaltener Hand stattfinde. Der Alltag queerer Katholik*innen wird noch dadurch erschwert, dass diese sich in einer doppelten Drucksituation befinden. Einerseits gegenüber konservativen Gläubigen – und andererseits gegenüber der liberalen kirchenfernen Umwelt. Deren vorwurfsvolle Frage: "Warum bist du nicht längst ausgetreten?", schwingt oft in Gesprächen mit, wie in einer Szene im Film deutlich wird.
Dieser gesamte Prozess des Aufbruchs führte bei manchen queeren Akteur*innen zum Austritt aus der Kirche, bei anderen wiederum zur Selbstbefreiung innerhalb ihres kirchlichen Alltags. Auf der konservativen Seite kam es zu einer Verhärtung, denn nach Abschluss des Reformprozesses "Synodaler Weg" hat der Vatikan klargemacht, dass sich seine Lehrmeinung zur Sexualmoral bis auf Weiteres nicht ändern wird. Dennoch konnten die einzelnen queeren Menschen, die den Prozess bisher mitgeprägt haben, durch ihr Handeln im Kleinen bereits eine neue Realität schaffen, in der bisherige Alltagsroutinen aufgebrochen sind und bisherige Gewissheiten bei vielen infrage gestellt wurden.

Links zum Thema:
» Die Doku "Wie Gott uns schuf – Nach dem Coming-Out" in der ARD-Mediathek
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