
https://queer.de/?45648
Aids
Die "4H"-Krankheit stand einst für Homosexuelle, Heroin-Abhängige, Haitianer und "Hemophiles"
Vor 40 Jahren entdeckten französische Wissenschaftler*innen das HI-Virus. Bis heute sind weltweit 40,1 Millionen Menschen an den Folgen Aids gestorben – aber auch bedeutende Fortschritte in der Bekämpfung der Krankheit gemacht worden:

nadezhda-moryak / pexels) Die Rote Schleife ist weltweit ein Symbol der Solidarität mit Menschen mit HIV (Bild:
- Von Olivier Thibault, AFP
20. Mai 2023, 01:24h - 6 Min.
Französische Wissenschaftler*innen waren die ersten: Vor 40 Jahren entdeckten sie das HI-Virus. Am 20. Mai 1983 berichtete ein Team des Institut Pasteur im US-Wissenschaftsmagazin "Science" von der Isolierung eines neuen Virus, das die Aids-Symptome verursache. Die Bestimmung des Erregers war der entscheidende Schritt im Kampf gegen die Immunschwächekrankheit, an der bis heute mehr als 40 Millionen Menschen starben.
Das neue Virus "könnte an mehreren Krankheitssyndromen beteiligt sein, darunter auch Aids", formulierten die Entdecker Françoise Barré-Sinoussi, Jean-Claude Chermann und Luc Montagnier vorsichtig. Die Aids-Forschung stand damals noch ganz am Anfang, die Krankheit schien mysteriös.
Zwei Jahre zuvor hatten Ärzte in den USA von einer Häufung seltener Erkrankungen bei schwulen Männern berichtet (queer.de berichtete). Die Mediziner rätselten, warum Infektionen, die sonst nur bei sehr geschwächten Menschen auftraten, plötzlich gesunde junge Männer trafen.
Forschungsteams in verschiedenen Erdteilen
Zunächst wurde das Phänomen nach den damals häufigsten Betroffenen nur die 4H-Krankheit genannt, wobei die vier Hs für Homosexuelle, Heroin-Abhängige, Haitianer und "Hemophiles", also Bluter, standen. Forschungsteams in verschiedenen Erdteilen machten sich daran, die genaue Ursache der lebensbedrohlichen Krankheit zu erforschen.
Einige vermuteten, dass es sich um ein Retrovirus handelt – unter ihnen auch Robert Gallo, der führende US-Experte für diese krebsauslösende Virusfamilie. In Paris forschte das von Luc Montagnier geleitete Labor für Virusonkologie am Institut Pasteur; dort begann am 3. Januar 1983 die Untersuchung einer Probe aus dem Lymphknoten eines Aids-Patienten.
"Bei Einbruch der Dunkelheit machte ich mich an die Arbeit", schilderte der 2022 verstorbene Montagnier in seinem Buch "Von Viren und Menschen" den Beginn der Ursachenforschung. Zusammen mit seinen Kollegen Barré-Sinoussi und Chermann entdeckte er schließlich ein neues Retrovirus, das sie LAV nennen.
"Wir hatten das Virus isoliert und gezeigt, dass es sich um ein Retrovirus handelte, aber wir hatten noch keine Gewissheit, dass es die Ursache von Aids war", erzählt Barré-Sinoussi. Im Laufe des Jahres 1983 kamen sie jedoch zu dem Schluss, dass sie tatsächlich den Aids-Erreger gefunden hatten. Im September 1983 präsentierten sie einer Handvoll Expert*innen, darunter auch Gallo, ihre Daten.
Frankreich und die USA stritten sich um die Urheberschaft
Die Forschungsergebnisse stießen zunächst auf große Skepsis. "Ein Jahr lang wussten wir, dass wir das richtige Virus haben", sagte Montagnier 30 Jahre später. "Aber niemand glaubte uns, und unsere Veröffentlichungen wurden abgelehnt."
Im April 1984 verkündete schließlich die US-Regierung, der Retrovirus-Spezialist Gallo habe den Aids-Erreger entdeckt. Dieser erwies sich aber letztlich als dasselbe Virus, das in Paris isoliert worden war und bekam 1986 den Namen HIV: Humanes Immundefizienz-Virus.
Frankreich und die USA stritten sich um die Urheberschaft der Entdeckung. Dabei ging es nicht nur um die wissenschaftliche Ehre, sondern auch um Einnahmen aus den auf der Entdeckung basierenden Testverfahren. 1987 einigten sich Frankreich und die USA, Montagnier und Gallo künftig als "Co-Entdecker" des Virus zu bezeichnen. 2008 wurden aber nur Montagnier und seine Kollegin Barré-Sinoussi 2008 für ihren Durchbruch mit dem Medizin-Nobelpreis ausgezeichnet, Gallo ging leer aus.
Doch auch nachdem der Aids-Erreger längst nachgewiesen war, hielten sich hartnäckig Verschwörungstheorien: So versuchte der sowjetische Geheimdienst in seiner Operation "Infektion" glauben zu machen, der Krankheitserreger sei in einem geheimen Labor in den USA entwickelt worden. Und der damalige südafrikanische Präsident Thabo Mbeki behauptete noch Anfang des Jahrtausends, nicht HIV, sondern Armut sei die Ursache von Aids – und verweigerte der Bevölkerung den Zugang zu Medikamenten.
1981: Erster Alarm
Am 5. Juni 1981 meldet die US-Gesundheitsbehörde CDC eine seltene Form der Lungenentzündung bei jungen Homosexuellen in Kalifornien. Es ist die erste offizielle Warnung vor Aids – damals weiß allerdings noch niemand, dass es sich um eine neue Krankheit handelt. Ende 1981 stellen die Gesundheitsbehörden dieselben Infektionen bei Drogenkonsumenten fest, Mitte 1982 auch bei Blutern, die Bluttransfusionen erhalten, sowie bei in die USA eingewanderten Haitianern. Entsprechend wird zunächst von der "4H"-Krankheit gesprochen, was für Homosexuelle, Heroin-Abhängige, Haitianer und "Hemophiles", also Bluter, steht. Der Name Aids wird 1982 geprägt und ist die Abkürzung von "acquired immune deficiency syndrome", also erworbenes Immunschwäche-Syndrom.
1983: Entdeckung des Virus
Im Januar 1983 isolieren die Forscherin Françoise Barré-Sinoussi und ihr Kollege Jean-Claude Chermann am Pariser Institut Pasteur unter der Leitung von Luc Montagnier ein neues Virus, das sie LAV nennen und das aus ihrer Sicht an Aids "beteiligt sein könnte". Ihre Entdeckung wird am 20. Mai im Fachblatt "Science" veröffentlicht. Am 23. April 1984 verkünden die USA, dass der US-Virologe Robert Gallo den "wahrscheinlichen" Aids-Erreger, ein HTLV-III getauftes Virus, gefunden hat. LAV und HTLV-III erweisen sich schließlich als derselbe Erreger, der 1986 den Namen Humanes Immundefizienz-Virus erhält, kurz HIV.
1987: Erste Behandlung
Am 20. März 1987 wird in den USA mit Zidovudin (AZT) die erste antiretrovirale Therapie zugelassen. Sie ist kostspielig und verursacht bedeutende Nebenwirkungen. Am 31. März unterzeichnen Frankreich und die USA eine Vereinbarung, um ihren Streit über die Entdeckung des HI-Virus beizulegen. Gallo und Montagnier werden darin als "Co-Entdecker" bezeichnet. Der 2008 für die Entdeckung verliehene Medizin-Nobelpreis geht allerdings nur an Montagnier und Barré-Sinoussi.
Anfang der 90er Jahre: Aids zieht immer weitere Kreise
Der US-Schauspieler Rock Hudson ist im Oktober 1985 der erste Star, der an Aids stirbt. Es folgen Queen-Frontmann Freddie Mercury im November 1991 und Ballett-Star Rudolf Nurejew im Januar 1993. 1994 wird Aids zur häufigsten Todesursache bei Menschen in den USA zwischen 25 und 44 Jahren.
1995-96: Beginn der Kombinationstherapien
In den Jahren 1995 und 1996 markiert die Einführung zweier Medikamententypen einen Wendepunkt in der Aids-Therapie: Proteasehemmer und Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (RTI). Das ist der Beginn der antiretroviralen Kombinationstherapien, die sich als sehr wirksam gegen HIV erweisen. 1996 geht die Zahl der Aids-Opfer in den USA erstmals zurück. Heutzutage hat ein HIV-Infizierter, der früh mit der antiretroviralen Therapie beginnt, eine ähnliche Lebenserwartung wie der Rest der Bevölkerung.
2001: Generika
Nach der Unterzeichnung eines Abkommens zwischen UN-Aids-Programms (UNAIDS) und fünf Pharmariesen im Jahr 2000 zur Verteilung erschwinglicher Aids-Medikamente in armen Ländern wird im folgenden Jahr ein Kompromiss in der Welthandelsorganisation (WTO) erzielt. Entwicklungsländer dürfen nun kostengünstige Nachahmer-Produkte von Aids-Medikamenten, sogenannte Generika, herstellen.
2010: "Berliner Patient"
Der aus den USA stammende Timothy Brown wird von HIV geheilt, als ihm wegen einer Leukämie-Erkrankung Knochenmark eines genetisch gegen HIV immunen Menschen transplantiert wird. Dem Fall des sogenannten Berliner Patienten folgen weitere derartige Heilungen, eine reguläre HIV-Therapie lässt sich dadurch zunächst aber nicht entwickeln.
2012: Erste Vorsorge-Behandlung
Am 16. Juli 2012 wird in den USA eine erste Vorsorge-Behandlung gegen HIV zugelassen. Die Gabe eines antiretroviralen Medikamentencocktails in Form einer Tablette hat sich bei Menschen mit hohem HIV-Ansteckungsrisiko als wirksame Vorbeugung etabliert.
2017: Therapie für gut 50 Prozent der Infizierten
2017 werden erstmals mehr als die Hälfte der Träger von HI-Viren antiretroviral behandelt. Bis heute ist der Anteil nach UN-Angaben auf rund drei Viertel gestiegen: 28,7 Millionen von 38,4 Millionen Infizierten weltweit erhielten nach UN-Schätzungen im Jahr 2021 eine geeignete Therapie.
2020/21: Auswirkungen der Corona-Pandemie
Wegen der weltweiten Ausbreitung des Coronavirus und der deswegen verhängten Restriktionen übersteigen die Zahlen der HIV-Neuinfektionen und Aids-Todesopfer 2021 die UNAIDS-Zielvorgaben. Die UN-Organisation hält dennoch an ihrem Ziel fest, Aids als Bedrohung der öffentlichen Gesundheit bis 2030 zu beenden.
