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Black Queer Literature
Der Geist des Schwarzen Liebhabers von E. M. Forster
In David Santos Donaldsons Debütroman "Grönland" begibt sich ein queerer Schwarzer Schriftsteller auf die Spuren seines Idols E. M. Forster und verstrickt sich schon bald in einem unentwirrbaren Geflecht aus Fakt und Fiktion.

David Santos Donaldson lebt in Brooklyn und Sevilla. "Grönland" ist sein erster Roman (Bild: Billy Bustamante)
20. Mai 2023, 06:58h - 5 Min. Von
Kip Starling, 37-jähriger britisch-karibischer Schriftsteller, steht womöglich endlich vor seinem großen Durchbruch. Eine berühmte Herausgeberin, eine Legende im Literaturbetrieb, zeigt Interesse an seinem Manuskript, einem biografischen Roman über den Schriftsteller E. M. Forster und dessen homosexuelle Beziehung zu dem Ägypter Mohammed El Adl.
Es gibt jedoch eine Bedingung: Kip soll die ganze Geschichte innerhalb weniger Wochen umschreiben und aus der Perspektive Mohammeds neu erzählen. Der Schriftsteller will sich diese Chance nicht entgehen lassen: Er verbarrikadiert sich mit einem Vorrat an Crackern, Wasser und Kaffee sowie einer Pistole in seinem Arbeitszimmer und beginnt zu schreiben. Doch nicht nur sein Noch-Ehemann Ben lenkt ihn von der Arbeit ab, schon bald ereilen Kip seltsame Visionen – eine Göttin erscheint und prophezeit große Veränderungen.
Ambitioniertes Debüt
David Santos Donaldson ist kein Schriftsteller, der einen Hehl aus seinen literarischen Vorbildern und Wegbereitern macht: Von Shakespeare über Walt Whitman, Toni Morrison und Salman Rushdie bis zu Tony Kushner und natürlich E. M. Forster reicht die namhafte Reihe derer, die Donaldson in seinem Debüt erwähnt und zitiert. Beim Lesen von "Grönland" (Amazon-Affiliate-Link ) wird allerdings schnell klar, dass der auf den Bahamas geborene Schriftsteller sich mit den ganz Großen (noch) nicht messen kann. Und doch beeindruckt dieses Debüt mit seinen Ambitionen.
Donaldson entwirft mit seinem Erstling ein literarisches Spiegelkabinett, schreibt Romane im Roman und lässt so manchen Doppelgänger auftreten. Später, wenn das Magische den Realismus immer mehr durchdringt, erscheinen sogar Wiedergänger, und "Grönland" entwickelt sich zu einer Art Spukgeschichte. Überzeugen kann der Roman vor allem dann, wenn er erzählerische Strukturen mit dem Geisteszustand seines Protagonisten verknüpft: Der Wahn, dem der Ich-Erzähler Kip verfällt, wird dann ebenso spürbar wie die gespenstische Allgegenwart des Rassismus, dem er ausgesetzt ist.
Kip befindet sich als Schwarzer schwuler Mann mit britischem Akzent immer zwischen den Stühlen, weder bei den weißen Intellektuellen noch bei den Afroamerikanern, die er in den USA kennenlernt, gehört er richtig dazu. Immer ist er hin- und hergerissen, unsicher, ob er die rassistischen Verletzungen abtun oder das Risiko eingehen soll, als jemand gesehen zu werden, der überreagiert.
Abdriften in New-Age-Kitsch

"Grönland" ist Mitte Mai 2023 im Albino Verlag erschienen
Während "Grönland" mit seiner Repräsentation queerer Schwarzer Realitäten überzeugen kann, macht es der Roman einem auch immer wieder schwer, ihn zu mögen. Die Geschichte ist überfrachtet und wird von Donaldson oft überdeutlich erzählt. Die Gefühlslagen und Gedanken des geschwätzigen Ich-Erzählers werden ausführlich interpretiert und ausgedeutet, auf Parallelen zwischen einzelnen Handlungssträngen oder Figuren wird man geradezu mit dem Kopf gestoßen. Es ist Literatur, der die Anleitung gleich beiliegt und die den Leser*innen manchmal zu wenig zutraut.
Über die melodramtische Erzählweise könnte man vielleicht hinwegschauen, ebenso über die Sprache, die eher floskelhaft und unoriginell ist. Dolchstoße ins Herz werden da gespürt, und wenn Kip in einer Art mystischen Erweckung eine extreme Erektion hat, vergleicht er das recht fantasielos mit dem Einnehmen zu vieler Viagra-Pillen.
Ärgerlicher hingegen ist jedoch, dass "Grönland" stellenweise zu einer Nabelschau des recht anstrengenden Protagonisten verkommt und Nebenfiguren eher wie Sprachrohre als wie komplexe Menschen wirken. Thesenhaft wird dann in den Dialogen darüber referiert, dass die westliche Zivilisation eine Erkrankung sei und man zurückfinden müsse zum wahren Selbst, zur Natur und zur Magie. Die Komplexität, die Donaldson mit seinen erzählerischen Spiegelscherben und Dopplungen andeutet, verliert sich gegen Ende leider zunehmend in einfältigem New-Age-Kitsch und esoterischen Allgemeinplätzen.
Übersetzung mit deutlichen Schwächen
Einen zwiespältigen Eindruck hinterlässt auch die deutsche Übersetzung von Joachim Bartholomae. Während einige nur schwer aus dem Englischen übertragbare Feinheiten, zum Beispiel die mitunter prätentiöse Sprache des gebildeten Ich-Erzählers, gut eingefangen werden, wirkt die deutsche Fassung allgemein etwas altbackener als das Original. Manche Details, die der Geschichte ihren Charakter verleihen und sie verorten, lässt Bartholomae ganz unter den Tisch fallen: Aus dem "Columbia MFA writing program" wird da ein simples "Literaturstudium", der aus dem jamaikanischen Patois stammende Slangausdruck "batty boy" wird zu "Schwuchtel".
Diskussionswürdig ist weiterhin, ob es nicht sinnvoll gewesen wäre, das Adjektiv "schwarz" im Sinne einer politischen Selbstbezeichnung großzuschreiben, wie das etwa in der Übersetzung von Randall Kenans empfehlenswertem Roman "Der Einfall der Geister" bei Suhrkamp geschehen ist (dass die Übersetzerinnen hier übers Ziel hinausgeschossen sind und Wörter zensiert und ersetzt haben, ist ein anderes Thema). Dass Bartholomae außerdem das englische "sub-Saharan" mit dem als problematisch eingestuften "schwarzafrikanisch" wiedergibt, könnte man durchaus als fehlendes Feingespür deuten.
Manchmal scheint der Übersetzer zudem mit der im Roman geschilderten Lebenswelt nicht vertraut zu sein: Die US-amerikanische Wassermarke "Poland Spring" verwandelt sich in polnisches Quellwasser, aus dem Rollenspielklassiker "Dungeons & Dragons" werden "Verliese und Fabeltiere". Da sich solche kleinen Fehler recht häufig finden, trüben sie den ansonsten eher positiven Gesamteindruck doch deutlich. Wer sich an so etwas stört, dem Englischen mächtig ist und den Roman in seiner ganzen Fülle erleben will, sollte daher lieber zum Original greifen.
David Santos Donaldson: Grönland. Roman. Übersetzt aus dem Englischen von Joachim Bartholomae. 416 Seiten. Albino Verlag. Berlin 2023. Gebundene Ausgabe: 28 € (ISBN 978-3-86300-353-1). E-Book: 19,99 €

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