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Queerer Journalismus hat seinen Preis
Wir brauchen Geld ... für Prozesse
Rund 400 Leser*innen unterstützen queer.de bereits mit einem freiwilligen Abo, doch wir brauchen deutlich mehr. Ein Grund sind immer höhere Kosten durch Anzeigen und Klagen gegen unsere Redaktion.

Wer Recht bekommen will, braucht Geld und einen langen Atem (Bild: Todd Wiseman)
20. Mai 2023, 13:18h 5 Min. Von
In den vergangenen zwölf Monaten haben wir erstmals über 10.000 Euro für Rechtsstreitigkeiten ausgeben müssen. Nicht weil unsere Redaktion aus streitlustigen Prozesshanseln und -greteln besteht. Ganz im Gegenteil: Kein einziges Verfahren ging von uns selbst aus. Wir haben uns lediglich gegen Abmahnungen, Klagen, Anzeigen, Ermittlungen und Einstweilige Verfügungen gewehrt.
Wenn Personen oder Initiativen juristisch gegen queer.de vorgehen, geht es meist um Einschüchterung. Eine kritische Berichterstattung soll verhindert werden. Die meisten Versuche können wir schnell abwehren. Doch manche Fälle kosten unserem kleinen Team nicht nur enorm viel Zeit, sondern auch teures Geld und Durchhaltevermögen.
Mit welchen Verfahren wir uns beispielhaft herumschlagen, darum soll es in diesem Text gehen. Standen wir vor einigen Jahren noch unter juristischem Dauerbeschuss ausschließlich von Rechts, von AfD-Politiker*innen und christlichen Fundamentalist*innen, erreichen uns mittlerweile auch Klagen und Drohungen von Pädo-Aktivisten oder TERFs. Selbst lesbische Promis und ein lokaler Vorsitzender einer queeren Parteiorganisation zogen gegen unsere Berichterstattung vor Gericht.
Unbekannter Ratzinger-Fan gegen queer.de
Seit Anfang des Jahres wird gegen queer.de nach einer Online-Anzeige wegen des Verdachts der "Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener" ermittelt. Grund ist unser am Silvestertag veröffentlichter Nachruf auf den emeritierten Papst Benedikt XVI. "Mit Ratzinger starb einer der größten queerfeindlichen Hetzer". Obwohl die Ermittlungen in jeder Hinsicht absurd und vor allem rechtswidrig sind, weil bei diesem Antragsdelikt gar keine antragsberechtigte Person mehr lebt, wurde das Verfahren noch immer nicht eingestellt. Weil die Akte auf dem Weg von Berlin nach Köln offenbar verschwunden ist, stehen wir noch immer im Verdacht, eine Straftat begangen zu haben. Um diese anhaltende Rufschädigung zu beenden, braucht es öffentlichen und juristischen Druck.
Jens Riewa gegen queer.de
Dieses Verfahren beschäftigt uns bereits seit sechs Jahren. 2017 berichteten wir über eine Ausgabe der ZDF-Satiresendung "Neo Magazin Royale", in der es u.a. um Jens Riewa und die Einschätzung seiner sexuellen Orientierung durch die Öffentlichkeit ging. Wir nahmen dies zum Anlass, an Riewas frühere Klagen gegen schwule Medien zu erinnern: Weil er im Buch "Out!" des Querverlags auftauchte, forderte er 1998 etwa 50.000 Mark Schmerzensgeld. Der heutige "Tagesschau"-Chefsprecher ließ Teile unserer kritischen Berichterstattung kostenpflichtig verbieten. Dagegen – und gegen abstruse Ansichten der Hamburger Pressekammern – wehren wir uns. Aktuell liegt das Verfahren beim Bundesverfassungsgericht. Wir wollen höchstgerichtlich feststellen lassen, dass Homosexualität niemals ehrenrührig ist und es bei Queerfeindlichkeit von Prominenten ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit gibt (Hier gibt es mehr Hintergründe zum Prozess).
Lokalchef einer queeren Parteiorganisation gegen queer.de
Im März berichteten wir über einen brutalen Überfall auf einen lokalen Sprecher einer queeren Parteiorganisation, der von diesem selbst öffentlich gemacht und als queerfeindliche Tat dargestellt wurde. Eine Lokalzeitung äußerte zwischenzeitlich Zweifel an einem queerfeindlichen Hintergrund. Tatsächlich haben sowohl die Parteiorganisation als auch der Betroffene ihre Social-Media-Posts zum Überfall kommentarlos gelöscht. Trotz mehrfacher Nachfrage von queer.de gab das Opfer dafür keine Begründung ab. Stattdessen ging es mit einer Einstweiligen Verfügung gegen unsere Berichterstattung vor. Aktuell prüfen wir unsere rechtlichen Möglichkeiten.
Lesbisches Promi-Paar gegen queer.de
Im vergangenen Jahr berichteten wir auf queer.de freundlich über ein "neues lesbisches Promipaar" und zitierten als Quelle eine bekannte Boulevardzeitung. Nur wenige Tage später flatterten uns zwei Abmahnungen ins Haus. Im Namen der beiden Frauen, eine Sängerin und eine Komikerin, verlangten zwei Anwaltskanzleien Unterlassungs- und Verpflichtungserklärungen: Die beiden Damen seien auf gar keinen Fall ein Paar. Sehr groß war unser Erstaunen, als sie einige Monate auf ihren Instagram-Accounts gemeinsame Hochzeitsbilder posteten. Die hohen Forderungen der Kanzleien nach Auslagenerstattung und "Geldentschädigung" wurden bislang nicht zurückgenommen.
Pädo-Aktivist gegen queer.de
Nicht selten richten sich Anzeigen und Klagen gegen einzelne Mitglieder unseres Teams. Ich selbst wurde im vergangenen August vom Pädo-Aktivisten Dieter Gieseking wegen Beleidigung, übler Nachrede, Verleumdung und verhetzender Beleidigung angezeigt. Anlass war unser Artikel "Aufregung um Pädo-Präsenz beim CSD Köln", in dem es heißt. "Die 'Krumme 13' des mehrfach vorbestraften Dieter Gieseking wirbt seit Jahrzehnten dafür, sexuellen Missbrauch von Kindern zu legalisieren." Obwohl der Satz nachweislich wahr ist, ich den Artikel gar nicht geschrieben habe und als Geschäftsführer auch gar keine presserechtliche Verantwortung trage, sammelten die Kölner Ermittler*innen zahlreiche persönliche Informationen über mich und ließen mich, da ich nicht in Deutschland lebe, zur Aufenthaltsermittlung im polizeilichen Informationssystem INPOL ausschreiben. Zweimal wurde ich deshalb am Flughafen festgehalten. Erst nach Einschaltung eines Anwalts wurden die Ermittlungen vor wenigen Tagen eingestellt.
Abmahnkanzlei gegen queer.de
In 20 Jahren Onlinejournalismus sind wir zu echten Expert*innen in Sachen Urheber- und Persönlichkeitsrecht geworden, wir achten gründlich auf die Einhaltung der rechtlichen Bestimmungen, die jedoch in manchen Fällen unterschiedlich ausgelegt werden können – das letzte Wort hat dann ein Gericht. Regelmäßig durchsuchen zudem bekannte Abmahnkanzleien unser Onlinearchiv mit knapp 50.000 Artikeln gezielt nach angreifbarem Material, manche Pressefotos haben etwa zeitliche Befristungen. Aktuell findet ein Verfahren vor dem Amtsgericht Köln statt: Ein Fotograf fordert von uns für ein 2009 veröffentlichten Miniatur-Foto von Pete Doherty eine Zahlung von über 5.000 Euro. Gegen diese maßlos überzogene Forderung wehren wir uns.
"Homoheiler"-Milieu gegen queer.de
Wer Recht bekommen und Berichterstattung nicht einschränken will, braucht Geld und einen langen Atem. Hinter nicht wenigen juristischen Angriffen auf unsere Arbeit als reichweitenstarkes Medium stecken queerfeindliche Motivationen, manche Prozesse führen wir bewusst und stolz im Namen der gesamten Community. Dies war auch bei der Klage des Vereins Teenstar der Fall. In diesem juristischen Streit ging es um unseren Artikel "Sachsen: Homo-'Heiler' veranstalten Sexualaufklärung an Schulen" von 2019, in dem wir wahrheitsgemäß über eine Warnung des LSVD Sachsen vor Teenstar berichteten. Drei Jahre dauerte die Auseinandersetzung vor mehreren Gerichten, doch am Ende gab es im Mai 2022 eine krachende Niederlage für den queerfeindlichen Verein. Das zeigt: Wir wehren uns zurecht und auch erfolgreich!
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