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Kinostart

Kampf, Kunst und Zärtlichkeit: Herausragendes Nan-Goldin-Porträt jetzt im Kino

In der Doku "All the Beauty and the Bloodshed" vereint Laura Poitras die kleinen und intimen Momente, die in den Fotos Nan Goldins präsent sind, mit dem wuchtigen Pathos, der in den aktivistischen Aktionen der Künstlerin liegt.


Die US-Fotografin Nan Goldin porträtierte in den 1970er und 1980er Jahren die queere Szene in New York City (Bild: Plaion Pictures)

Die Fotografin Nan Goldin hatte ein schmerzendes Handgelenk. Um besser durch den Alltag zu kommen, verschrieb ein Arzt ihr ein Schmerzmittel. Das hoch wirksame Opioid Oxycodon. Ein Jahr später ist Goldin abhängig. Wie Millionen Menschen ist sie zum Opfer der in den Vereinigten Staaten und weltweit wütenden Opioidkrise geworden. Anders als viele schafft Goldin den Absprung, macht einen Entzug durch und überlebt die Sucht. Doch ein Wort in dieser Erzählung akzeptiert sie nicht: Opfer.

Im Dokumentarfilm "All the Beauty and the Bloodshed" begleitet Filmemacherin Laura Poitras die Künstlerin Nan Goldin auf deren Feldzug gegen die Familie Sackler. Für Goldin und viele andere steht fest: Die Sacklers, die als Eigentümer des Pharmakonzerns Purdue ganz direkt an der Opiodkrise verdienen, sind hauptverantwortlich für die sich ausbreitende Sucht und die stetig steigende Zahl der Todesfälle aufgrund von Überdosierung. Der Plan: Die durch die teuersten Anwaltskanzleien der Welt vertretenden Pharmamilliardäre dort treffen, wo es die größte Aufmerksamkeit erzeugt. Der Name Sackler soll aus allen Museen und Kunstgalerien, an die die Familie seit Jahrzehnten großzügig spendet, verschwinden.

Niemals zum Opfer werden


Poster zum Film: "All the Beauty and the Bloodshed" startet am 25. Mai 2023 bundesweit im Kino

Parallel zum gegenwärtigen Kampf gegen die Sacklers erzählt "All the Beauty and the Bloodshed" die Lebensgeschichte Goldins. Die Fotografin, die im letzten Jahr erst mit dem Käthe-Kollwitz-Preis 2022 der Akademie der Künste Berlin für ihr Lebenswerk ausgezeichnet wurde, zählt zu den bedeutendsten zeitgenössischen Kunstschaffenden im Bereich Fotografie. Regisseurin Laura Poitras hat sie für den Film viele Male interviewt und sehr intime Gespräche mit ihr geführt. Diese Gespräche, Goldins Stimme selbst, die ihre Lebensgeschichte offenbart, begleitet die zu einer biografischen Collage montierten Diashows, Videos, Filmaufnahmen und fotografischen Arbeiten der Künstlerin.

Das entstehende Porträt ist ein beeindruckendes dokumentarisches Kunstwerk, das einen Menschen zeigt, der sich das ganze Leben hindurch weigert, als Opfer gesehen zu werden. Selbst aus den tiefsten Schicksals- und Tiefschlägen, aus Gewalterfahrung und Missbrauch geht Goldin umso stärker hervor. Und geht meist noch einen Schritt weiter, macht den Schmerz und die Gewalt, die sie ganz persönlich, aber auch die von der Gesellschaft Ausgestoßenen um sie herum erfahren, zu Kunst. Goldin kommt aus der Untergrundkultur New Yorks der 1970er und 1980er Jahre, ihr soziales Umfeld setzt sich aus queeren Menschen zusammen, die der konservativen Mitte der amerikanischen Gesellschaft ein Dorn im Auge sind. Goldin beginnt, das Leben dieser Menschen zu fotografieren – und revolutioniert damit die Fotografie.

Von Beginn an ist ihre künstlerische Arbeit hochgradig politisch. Sie widmet sich Themen wie Sucht, Tod, Suizid, Familie, Sexualität und Geschlecht, stellt Normen und Normalität in Frage und greift damit, wie nebenbei, den gesellschaftlichen Stand der Dinge Amerikas an. Regisseurin Poitras gelingt es auf ganz hervorragende Weise, die aggressive Kampfhaltung und die Intimität und Zärtlichkeit, die das Werk Goldins durchziehen, einzufangen. Durch die Parallelisierung der Lebensgeschichte der Fotografin und ihres Aktivismus gegen die Pharmadynastie Sackler transzendiert "All the Beauty and the Bloodshed" das Dokumentarische und macht den Aktivismus fühlbar.

Intimer Pathos

Die Jury des Filmfestivals in Venedig unter Vorsitz von Schauspielerin Julianne Moore, die "All the Beauty and the Bloodshed" im vergangenen Jahr mit dem Hauptpreis auszeichnete, befand, dies sei der Film, auf den sie gewartet haben. Bei der Preisverleihung war auch Goldin anwesend, die erklärte, sowohl in ihrem Leben als auch in ihrer Kunst und dem Aktivismus gehe es ihr darum, gegen Stigmatisierung anzukämpfen. Ob in den frühen Jahren des New Yorker Undergrounds, während der Aids-Epidemie in den 1980er Jahren oder eben in der Opiodkrise der Gegenwart, Goldin kämpft gegen eine träge, verbrämte Gesellschaft, die queere Menschen und Suchtkranke lieber sterben lässt, statt den Status Quo in Frage zu stellen.

Wenn es scheint, dass hier wenig über den Dokumentarfilm selbst gesagt wird, dann ist dies als Zeichen der gelungenen Umsetzung zu verstehen. Regisseurin Poitras versteht es, das Leben und das Werk Nan Goldins so ergreifend in Szene zu setzen, dass Machart und Inhalt in perfektem Einklang sind; das filmische Handwerk und die beleuchteten Bereiche der Gegenwart liegen übereinander. Poitras, die mit ihrem Dokumentarfilm "Citizenfour" über Edward Snowden bekannt wurde, vereint in "All the Beauty and the Bloodshed" die kleinen und intimen Momente, die in den Fotos Goldins präsent sind, mit dem wuchtigen Pathos, der in den aktivistischen Aktionen der Künstlerin liegt. Manchmal liegt ebenso viel Kraft in einem Blick eines einzelnen Menschen wie in einer kollektiven Performance dutzender Personen. Poitras hat ein sehr gutes Gespür dafür, wie ihr filmisches Material wirkt, wie sie es kombinieren muss, um die größtmögliche Wirkung zu erzielen, ohne dabei exploitativ zu sein.

"All the Beauty and the Bloodshed" ist ganz außergewöhnliches, lohnendes Kino, das der Realität mit genau der Ehrfurcht, Umsicht, Liebe und Menschlichkeit entgegentritt wie die Hauptfigur des Films, Nan Goldin, es auch in ihrer Kunst zu tun pflegt.

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Infos zum Film

All the Beauty and the Bloodshed. Dokumentarfilm. USA 2022. Regie: Laura Poitras. Mitwirkende: Nan Goldin, David Armstrong, Marina Berio: Laufzeit: 117 Minuten. Sprache: deutsche Synchronfassung. FSK 12. Verleih: Plaion Pictures. Kinostart: 25. Mai 2023